Im Lotteriegeschäft, so scheint es, ist die Welt noch in Ordnung. Woche für Woche klingeln die Kassen an den Annahmestellen in den Tabak- und Zeitschriftenläden. Vom Studenten bis zum Rentner, von der Aushilfs- bis zur Führungskraft - jeder hofft auf das große Los, das ihm ein sorgenfreies Leben bescheren soll.
Doch die Idylle trügt, wie Dirk von den Driesch durchblicken lässt. Das vermeintlich sichere, quasimonopolistische Lotteriegeschäft sei heftig in Bewegung. Von den Driesch ist Prokurist bei WestLotto,der zentralen Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen. Seine Aufgabe ist es, als Leiter einer Anfang 2018 ins Leben gerufenen Abteilung das Kunden-Management neu aufzubauen.
CRM in einer Lottogesellschaft - wozu ist das nötig? Die Situation scheint doch klar: In Nordrhein-Westfalen gibt es rund 3400 Lotto-Annahmestellen, die über Terminals an das Netzwerk der Lotteriegesellschaft angebunden sind. Die Spielscheine werden von den Kiosken in die Zentrale übertragen - transaktionsgesichert und anonym. Die Software dafür stellt ein US-Unternehmen namens IGT bereit, das weltweit im Glücksspielmarkt etabliert, ansonsten aber eher unbekannt ist.
Der Kunde ist jetzt eine "Steuerungsgröße"
Tatsache ist aber, dass sich mit dem Glücksspiel im Internet die Spielregeln grundlegend verändert haben, außerdem sind neue Wettbewerber in den Markt eingestiegen. "Der Kunde war für uns bisher keine echte Steuerungsgröße", räumt von den Driesch ein. "Wir haben bislang eher in Produktkategorien gedacht. Doch inzwischen ist ein klarer Wettbewerb am Markt entstanden und wir müssen uns darauf einstellen, enger an den Kunden heranzurücken und uns in ihn hineinzuversetzen."
Bereits vor rund zehn Jahren ließ sich die Gesellschaft vom Softwarehaus adesso ein Online-System entwickeln, das die besonderen Anforderungen für Online-Glücksspiele abbildet. Diese Individualentwicklung stellt heute zusammen mit dem IGT-System für den stationären Lottobetrieb die Säulen des transaktionsbasierten Spielbetriebs dar.
Vor zwei Jahren begann die Gesellschaft dann, über ein CRM-System nachzudenken. "Wir erwirtschaften zwar immer noch 75 Prozent unserer Einnahmen mit Kunden, die zu einer Annahmestelle gehen und dort spielen - und zwar anonym. Die geben ihren Spielschein ab, nehmen die Quittung mit und melden sich nur dann wieder, wenn sie gewonnen haben oder erneut spielen wollen", sagt von den Driesch. "Unser strategisches Ziel ist es nun, die Anzahl registrierten Kunden zu erhöhen. Das sind die Internet-Spieler und solche, die mit einer Kundenkarte in den Shops spielen." Eine 360-Grad-Sicht auf diese Kunden soll nun realisiert werden.
Ziel ist eine personalisierte Kundenansprache - sofern möglich
WestLotto möchte vor allem eine personalisierte Kundenansprache der Online-und Kundenkarten-Spieler erreichen. Wer sind sie und wofür interessieren sie sich? Was spielen sie wann und wie oft? Je mehr Klarheit hier herrscht, desto einfacher wird es, weitere Geschäftsoptionen durch Cross- und Upselling zu erreichen. Allerdings sind hier vom Gesetzgeber klare Grenzen gesetzt: Wenn ein Kunde übertriebenes Spielverhalten zeigt und Anzeichen für eine Suchtgefahr erkennbar sind, darf die Lottogesellschaft ihn nicht zu weiterem Spiel animieren. Im Gegenteil: Sie muss prüfen, ob und wie sie dem Kunden helfen kann. Im Extremfall werden Kunden dann sogar gesperrt.
Ein weiteres Ziel neben der Personalisierung soll in einem zweiten Folgeschritt erreicht werden: WestLotto will den Kundenservice professionalisieren. "Heute haben unsere Servicemitarbeiter beispielsweise nicht im Blick, welche Newsletter die Kunden bekommen und wann sie zum letzten Mal angerufen haben." Deshalb, so von den Driesch, gelte es, die Kontakthistorie im Detail sichtbar zu machen.
Ein Vorteil besteht aus seiner Sicht darin, dass man von Beginn an mit einem Datenpool höchster Qualität arbeiten kann. Die Lottospieler im Internet sorgen ebenso wie die Kundenkartenbesitzer selbst dafür, dass ihre Daten korrekt sind - sonst können sie nicht gewinnen. Abgesehen davon müssen sie aus glückspielrechtlichen Gründen eine vollständige Identifikation via PostIdent-Verfahren oder etwas Vergleichbarem durchlaufen.
Neue Abteilung für das Kunden-Management
Laut von den Driesch ist die Einführung des CRM-Systems nur ein Baustein im neugeordneten Kunden-Management, wenn auch ein wichtiger. "Wir haben unser Unternehmen in der Marktansprache komplett reorganisiert. Der gesamte Prozess der Kundenkommunikation wurde neugestaltet." Dabei hat die im westfälischen Münster ansässige Gesellschaft die gesamte Verantwortung für die Kundenverwaltung in der neuen Abteilung konsolidiert. Das betrifft den Kundenservice, die Marktforschung und die Betreuung der sogenannten Groß-Gewinner: Wer einen höheren Betrag gewonnen hat, wird von der Gesellschaft an diskret betreut und mit notwendigen Informationen versorgt. Und natürlich geht es um das Auswerten von Kundendaten und das Gestalten der Kundenprozesse.
Im Zuge der Ausschreibung ließen sich von den Driesch und sein Team fünf CRM-Lösungen präsentieren. Für die Lotteriegesellschaft kam es neben den Funktionen vor allem auf die Anpassbarkeit der Software an, zumal es geschäftsspezifisch hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit sowie die Verfahrens- und Manipulationssicherheit gibt. Eine Cloud-Lösung wäre theoretisch auch in Frage gekommen, allerdings sahen die Techniker große Schwierigkeiten, die Daten aus den Transaktionssystemen in die Cloud zu hieven. Hier habe sich sowohl ein Schnittstellen- als auch ein Datenschutzproblem aufgetan, auf das Firmen wie Salesforce oder Microsoft keine befriedigende Antwort gefunden hätten.
"Wir waren dann relativ schnell bei Adito als Anbieter", sagt von den Driesch. Vor allem die Anpassbarkeit des Systems sei interessant gewesen, weil sehr individuelle lotteriespezifische Erweiterungen vergleichsweise einfach entwickelt werden konnten. Aus dem CRM-System heraus lasse sich nun eben tatsächlich erkennen, ob ein Kunde spielauffälliges Verhalten zeige und damit nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr angesprochen werden dürfe.
Die Altsysteme sind ein Bremsfaktor
"Wenn es heute noch Schwierigkeiten in der Integration des neuen CRM-Systems mit den Systemen für den Spielbetrieb gibt, dann liegt das eher nicht an Adito, sondern an den Altsystemen", sagt von den Driesch. "Dort die Schnittstelle anzupassen, ist nicht ganz trivial. Und wenn wir dann auch noch die Lösung für unseren Kundenservice umsetzen, wird es noch komplexer."
Adito biete da mehr Möglichkeiten. Die CRM-Lösung wird als Plattform mit einem Softwarekern ausgeliefert, der ausschließlich vom Anbieter weiterentwickelt wird. Drum herum gibt es eine Reihe von Funktionsmodulen, die der Kunde etwa für Vertrieb, Marketing oder den Kundenservice nutzen kann. Plattform und Standardmodule werden zusammen an den Kunden ausgeliefert, und vor Ort können die Softwarebausteine mithilfe der mitgelieferten Entwicklungsumgebung "Adito Designer" individuell erweitert werden. Ebenso lassen sich zusätzliche Konnektoren entwickeln und andocken.
Die Philosophie des mittelständischen Softwarehauses besteht darin, die Softwareplattform tief im Anwenderunternehmen zu verankern und die Kunden - unterstützt von Adito oder Partnern - individuelle Erweiterungen bauen zu lassen. Dabei sind der in Releases weiterentwickelte Applikationskern und das Customizing streng voneinander getrennt.
Kunden, die vorgefertigte Funktionsmodule von Adito einsetzen und diese stark anpassen, können dennoch auch die vom Hersteller neu entwickelten Funktionen für dieses Modul nutzen: Sie beziehen den Sourcecode über Github und verschmelzen ihn mit dem eigenen, individuell erweiterten Softwarebaustein. Davon ist WestLotto aber noch entfernt. "Derzeit stecken wir noch in der Einführung und Anpassung der Standardmodule", so von den Driesch.
Bereits vor zwei Jahren haben die Westfalen ihr CRM-Projekt begonnen. Warum dauert die Umsetzung so lange? "Die Gesamtlaufzeit ist deshalb relativ lang, weil neben der CRM-Einführung eine komplette Neukonzeption unseres Kunden-Managements und der entsprechenden Prozesse erfolgte. Darauf aufbauend haben wir unser gesamtes Unternehmen reorganisiert. Dadurch zieht sich das natürlich hin." Zudem habe man feststellen müssen, dass die CRM-Software in den Bestandssystemen einige Veränderungen erforderte.
Auf die Frage, ob es WestLotto verantworten könne, für ein solch strategisches Projekt einen mittelständischen Anbieter mit einer möglicherweise unsicheren Zukunft zu beauftragen, antwortet von den Driesch ganz entspannt. "Adito wächst jedes Jahr zweistellig. Wir glauben nicht, dass die sobald wieder vom Markt verschwinden." Und selbst, wenn das passieren würde, könne man die Plattform weiternutzen und entwickeln und dann "in aller Ruhe migrieren". Hinzu komme, dass so ein CRM-System zwar sehr wichtig, aber, anders als die Transaktionssysteme, nicht geschäftskritisch sei. Das Lottogeschäft geht weiter - notfalls auch ohne CRM.