Das Kongressprogramm der größten Kundenmanagement-Messe in Deutschland trug den schönen Titel: "CRM 2002 - Visionen werden wahr!" Doch welche Visionen? Schirmherr Wolfgang Martin, ehemals bei der Meta Group und jetzt selbstständiger Berater, läutete die Veranstaltung Mitte November in Köln zwar unter diesem Motto ein, forderte aber letztlich Altbekanntes: "Weg vom kurzfristigen Transaktionsdenken, hin zu einem langfristigen Beziehungsmodell. Weg von funktionalen Organisationsmodellen, hin zu einem funktionsübergreifenden Ansatz. Weg von der Produktorientierung, hin zu einer ganzheitlichen Kundensicht." Besonders visionär klingt das nicht, aber was soll er auch anderes sagen, der Schirmherr einer Messe, auf der CRM-Marktführer Siebel schon wieder nicht erschienen ist?
Die Zeiten, in denen Firmen in der blinden Hoffnung auf Erfolg viel Geld für Kundenmanagement-Software ausgegeben haben, sind zumindest vorerst vorbei. "Das haben auch die Anbieter erkannt", bestätigt Andreas Bitterer von der Meta Group. "Es geht nicht mehr primär darum, eine Menge Software-Lizenzen zu verkaufen, sondern Lösungen", so der Berater. "Dabei realisieren die Anwender Einsparungen oder Umsatzsteigerungen nur, wenn sie alles, was sie an Technik gekauft haben, auch in ihre Geschäftsprozesse integrieren können." Für CIOs heißt das: Sie werden sich noch mehr mit Prozessen auseinander setzen müssen, die üblicherweise Vertrieb und Marketing umtreiben. Oder ihnen wird das Heft aus der Hand genommen, wie es Rudolf Althoff passiert ist. Nachdem der Leiter des Informationsmanagements im Bereich Personenverkehr bei der Deutschen Bahn bereits Software von Clarify für das Callcenter DB Dialog ausgewählt hatte, kamen vor einem Jahr die Berater von Pricewaterhouse-Coopers ins Haus und "besiebelten" die Sache. Die Verantwortung für die weiteren CRM-Maßnahmen trägt mittlerweile die Leiterin für Marketing und Kommunikation.
Obwohl 52 Prozent aller von der Meta Group befragten IT-Leiter sich als die Hauptverantwortlichen in Sachen Software-Auswahl für Kundenmanagement-Projekte bezeichneten, entscheidet in 41 Prozent der Fälle das Top-Management selbst. Und auch die betroffenen Fachabteilungen sehen die Zuständigkeit zu 37 Prozent bei sich - macht 130 Prozent Entscheidungsträger. Besser als mit dieser Zahl aus der CRM-Studie der Meta Group lässt sich das Kompetenzgerangel kaum verdeutlichen. 432 Verantwortliche aus deutschen Unternehmen gaben im letzten Quartal 2001 Auskunft zu diesem Thema. 10 von ihnen haben bereits ein Projekt abgebrochen, 222 planen keines; 158 befinden sich in der Planungs- oder Einführungsphase, 42 Firmen haben schon ein System etabliert. Durchschnittlich 1,4 Millionen Euro haben die Befragten für ihre CRM-Systeme ausgegeben.
CRM als Schleichweg zu ERP
Unter den rund 20 Hebeln zur Kostensenkung, die von Rotz bei CRM-Projekten identifiziert hat, lässt sich seiner Ansicht nach an drei Stellen ein schneller RoI realisieren: Der Einsatz von Callcentern senke die Auskunfts- und Dienstleistungskosten; über Voice-Portale und Selbstbedienungslösungen werde dieses Einsparpotenzial noch vergrößert. Und schließlich sieht er das "Targeting" als den entscheidenden Faktor, um Geld zu sparen: Je gezielter der Vertrieb Kunden ansprechen kann, desto geringer die Kosten. "Machen wir Schluss mit einem Mythos", wettert von Rotz: "Ein Verkäufer kennt seine Kunden doch gar nicht." Cambridge hat dies anhand einer Studie unter Versicherungen belegt: Durch die starke Fluktuation im Außendienst kannten durchschnittlich nur 30 bis 40 Prozent der Versicherungsvertreter ihre Kunden. Ohne gezieltes Marketing würde die Mehrzahl der Verkäufer also relativ orientierungslos durch den Markt irren.
Software-Auswahl erst im zweiten Schritt
Da CRM-Projekte mit zunehmender Verfeinerung weitaus mehr erfordern als nur Software-Anschaffungen, etablieren sich auch weniger technikorienierte Anbieter als die Novell-Tochter Cambridge Technologies. MSBK Proximity aus Hamburg ist so ein Dienstleister; die Firma stammt eigentlich aus dem Telefon-Marketing. Von den 220 Mitarbeitern in Deutschland rechnet Geschäftsführer Nils Klupp nur 50 zu IT-Mitarbeitern, Web-Programmierer inklusive; der Rest betreibt Marketing und Werbung. Klupp hält das für eine gute Mischung, um CRM-Beratung anzubieten. Als Beleg führt er ein Beispiel aus der Automobilbranche an, wo kein Kunde ein Produkt kauft, ohne es vorher zu testen. Also hätten die Marketing-Experten geraten, auf jeden Fall Probefahrten in die CRM-Lösung einzuarbeiten, erzählt der Verantwortliche für den Bereich Technology und Interactive. "Erst im zweiten Schritt haben sich die IT-Mitarbeiter darum gekümmert, welche Software das am besten leisten könnte."
Als zweites Beispiel für Marketing-getriebene CRM-Beratung nennt Klupp T-Online: Dort analysiert Proximity seit einem drei viertel Jahr, wo sich Kundenpflege lohnt. "Bevor wir Kunden- und Lifetime-Value nicht analysiert haben, können wir auch nicht mit CRM anfangen", sagt Klupp. Solange Vertrieb und Marketing in solchen Fällen keine Kundenwert- oder Segmentierungskonzepte vorlegen, kann die IT-Abteilung auch keine Tools implementieren, um die richtigen Zielgruppen anzusprechen.
So gesehen ist der Trend, der jetzt auf der Messe in Köln beschworen wurde, vielleicht noch nicht stabil. Visionen werden natürlich irgendwie immer wahr. Im Augenblick sieht es allerdings so aus, als ob sie aufgrund fehlender Absprachen zwischen Fach- und IT-Abteilungen an vielen Stellen erstarrt seien.