Folgen der Informationsflut

Facebook stresst uns

20.07.2016 von Christoph Lixenfeld
Wer zu viel surft und chattet leidet unter Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit und Bluthochdruck. Das ergab eine preisgekrönte Dissertation über Technologienutzung.
  • Die Themen Technostress und Digitale Demenz sind in der Wissenschaft angekommen.
  • Stress entsteht sowohl durch intensive Nutzung als auch durch Entzug.
  • Eine aktuelle Studie empfiehlt Technik-Abstinenz als einzig wirksames Gegenmittel.
  • Sogar die Berater von KPMG haben das Thema für sich entdeckt.

Eigentlich dachten wir ja alle, das Thema sei durch, weil nichts Neues mehr dazu erscheint. "Wir amüsieren uns zu Tode", so lautete schon 1986 die erste Ausformung jener Theorie, nach der eine allgegenwärtige Unterhaltungsmaschinerie zur Verdummung breiter Bevölkerungsschichten führt. Geschrieben hatte das Buch Neil Postmann. Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler zielte dabei auf die Glotze ab; der "Surrealismus der Fernsehinformation", so seine These, führe zu Verdummung und Gleichgültigkeit.

"Macht Google uns blöd?"

Diesen Gedanken übertrug Nicholas Carr, amerikanischer Wirtschaftsjournalist, 2008 auf das Internet, als er in einem Aufsatz, der später in erweiterter Form auch als Buch erschien, fragte: "Macht Google uns blöd?"

Eigentlich niemand glaubt heute mehr, dass ein Mehr an Informationen auch zu einem Mehr an dauerhaftem Durchblick führt.
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Nach eigenen Angaben hatte Carr festgestellt, dass er, etwa zehn Jahre nachdem er begonnen hatte, online zu lesen, kaum noch in der Lage war, längere Texte aufzunehmen. Einerseits sei die Textmenge, die wir heute dank der digitalen Medien zu verarbeiten hätten, wesentlich höher als noch in den 1970er- und 1980er-Jahren, andererseits habe sich auch das Lesen verändert, sei sprunghafter geworden, und die Hirnforschung belege, dass sich die Lesegewohnheiten direkt auf der Gehirn auswirkten. Längere, analytische Gedankengänge würden dadurch erschwert oder sogar unmöglich gemacht.

Verdummung statt Aufklärung

Carrs Thesen fanden einen breiten Widerhall, unter anderem bezog sich Frank Schirrmacher in seinem Buch "Payback" 2009 auf Carr. Die Resonanz ist insofern erstaunlich, als Carr - abgesehen von allgemeinen Erkenntnissen aus der Hirnforschung - einzig Selbstbeobachtung als Beleg für seine Thesen vorweisen konnte.

Noch alarmistischer arbeitete sich 2012 Manfred Spitzer, Leiter der Psychiatrie der Universitätsklinik Ulm, in seinem Buch "Digitale Demenz" an dem Thema ab. So alarmistisch und krude, dass die Süddeutsche Zeitung über das Machwerk schrieb, das Ganze sei "keine Aufklärung oder gar Popularisierung von Wissenschaft, sondern schlicht Verdummung."

Der Druck steigt: Ständiger Input auf allen Kanälen führ zu ständigem Stress und am Ende auch zum Burnout.
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Thema endgültig abgehakt also? Mitnichten. Dass es nicht totzukriegen ist, liegt vermutlich daran, dass jeden von uns in gewissen Abständen der Verdacht beschleicht, unsere Konzentrationsfähigkeit sei wirklich schon mal besser gewesen und dass wir anschließend nach den Ursachen dafür suchen.

Das hat auch Christian Maier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg getan. Im Rahmen seiner Dissertation analysiert er die Ursachen und Konsequenzen der allgegenwärtigen und ununterbrochenen Technologienutzung.

Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit und Müdigkeit

Seine Kernthese: Die Informationsmenge, der wir jeden Tag ausgesetzt sind, und die stetig wachsende Interaktion in sozialen Netzwerken machen zwar nicht schlagartig blöd. Aber die Überflutung kann zu Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit, Müdigkeit oder Bluthochdruck führen.

8 Tipps, um das Herz vor Stress zu schützen
Wechseln Sie in die Vogelperspektive
Versuchen Sie, die Situation, die Ihnen Frust bereitet, ganz bewusst von oben beziehungsweise von außen zu betrachten. So bauen Sie eine innere Distanz zum aktuellen Geschehen auf. Zum Beispiel: "Der Stau, in dem ich gerade stehe, ist eine Tatsache, die ich nicht ändern kann. Wenn ich mich aufrege, verschlimmere ich die Situation nur."
Treiben Sie Sport
Sport zählt laut der Deutschen Herzstiftung zu den besten Möglichkeiten, um Stress loszuwerden. Bereits eine halbe Stunde Bewegung, sei es Walking, Schwimmen oder Tennis, kann gefühlte Wunder vollbringen.
Das Übel bei der Wurzel packen
Zwar lassen sich die Ursachen von Stress nicht immer beheben, etwa bei einem schwierigen Chef. Bei Stress in der Beziehung können gezielte Gespräche helfen. Hier gilt: Nicht schon aufgebracht ins Gespräch gehen, sondern lieber ein paar Tage warten und alle Argumente und Gegenargumente auch sacken lassen.
Entspannungstechniken einüben
Yoga, autogenes Training und Co. werden immer wieder angepriesen - doch nicht jedem sind sie eine Hilfe. Die Deutsche Herzstiftung empfiehlt einen pragmatischen Ansatz: Wenn eine Methode Entspannung bringt, ist sie auch gut - wenn nicht, sollte man andere Sachen ausprobieren. Während manche Menschen alleine und in völliger Stille entspannen, bevorzugen andere etwa die Anleitung in einer Gruppe ...

... Die gewählte Technik sollte auf jeden Fall regelmäßig geübt werden, damit sie in akuten Stress-Situationen auch abrufbar ist.
Starten Sie Ihren "Gegenentwurf"
Unter dem "Gegenentwurf" versteht man die ständige Pflege persönlicher Interessen, seien es Chorsingen, Fußballspielen oder Briefmarkensammeln. Also Aktivitäten, die uns anregen und positiv herausfordern und so vom negativen Stress ablenken.
Verbannung für Entspannungskiller
Fernsehen mag zwar entspannend erscheinen, doch man ist dabei passiv und erreicht keine nachhaltige Stress-Reduktion - wertvolle Zeit, in der man den Ärger des Tages verarbeiten und abschütteln kann, geht so verloren. Es kann helfen, sich einen Plan zu machen, an welchen Tagen man den Fernseher auf jeden Fall auslassen und stattdessen ein altes Hobby wieder aufleben lassen oder ein Treffen mit Freunden verabreden kann.
Vorsicht bei Medikamenten
Arzneien, die Beruhigung versprechen gibt es zwar - sie sollten aber stets nur unter Kontrolle eines Arztes zum Einsatz kommen, und nicht einfach auf eigene Faust im Internet bestellt werden. Als Beispiel nennt die Deutsche Herzstiftung Benzodiazepine, die für langfristige Stressbewältigung ungeeignet sind, weil sie schon nach kurzer Zeit abhängig machen und zudem erhebliche Nebenwirkungen (Konzentrationsschwierigkeiten, Benommenheit) haben können.
Achten Sie auf Ihre Ernährung
Gerade wer viel zu tun und einen gefühlten 48-Stunden-Tag hat, achtet oft nicht ausreichend auf seine Ernährungsweise. Es wird dann zu schnell, das Falsche und zu viel gegessen und vielfach auch zu viel Alkohol getrunken. Zusammen mit Bewegungsmangel kann das zu Übergewicht führen, was Unzufriedenheit und Frustgefühle noch verstärken kann. Man sollte sich am Besten ein Repertoire an schnellen und gesunden Mahlzeiten zulegen, etwa aus der Mittelmeerküche.

Die Gleichzeitigkeit der Beschäftigung mit E-Mails, Facebook, dem Smartphone und vielem anderen führe zu etwas, was Maier als Technostress bezeichnet. Der Wissenschaftler untersuchte das Phänomen anhand verschiedener Studien und wurde für diese Arbeit mit dem renommierten Schmalenbach-Preis ausgezeichnet.

Ob es auch mal ohne geht? Die wenigsten Menschen haben schon mal versucht, über längere Zeit Offline zu bleiben.
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"Ich hatte in meinem Bekanntenkreis festgestellt, dass immer mehr Menschen einfach aufhörten, Facebook zu nutzen. Das erschien mir ungewöhnlich", beschreibt Christian Maier den Impuls für seine Arbeit. Die Freunde hätten ihm berichtet, dass die permanente Vernetzung und der daraus hervorgehende Druck, ständig sozial zu interagieren und zu reagieren, sie stresse.

Probanden zwei Wochen den Facebook-Zugang entzogen

Um herauszufinden, wie sehr, entzog Maier 130 Nutzerinnen und Nutzern für zwei Wochen den Facebook-Zugang. Vor und während der Nicht-Nutzung der Plattform füllten die Teilnehmer Fragebögen zu ihrem Nutzungsverhalten und ihrer Gemütslage aus. Zudem prüfte Maier ihre Stressindikatoren, also die körperlichen Reaktionen der Probanden auf Stresssituationen. "Eine Methode dazu ist, den Hautleitwert festzustellen. Vereinfacht gesagt wird untersucht, inwiefern Personen anfangen zu schwitzen, wenn sie bestimmte Technologien benutzen", erklärt Christian Maier seine methodische Vorgehensweise.

14 Stunden täglich auf Facebook

Es stellte fest, dass Stress sowohl durch Übernutzung als auch durch den Entzug von Facebook entstehen kann. Dabei resultiere der Stress "nicht zwangsläufig aus der Technologie, die man nutzt, sondern aus der Informationsflut, die man nicht mehr richtig verarbeiten kann." Und das bedeutet, dass auch Technologien, die angeblich Spaß machen, Stress produzieren können.

Kleine Übungen gegen Stress
Immer mehr Stress
Die Arbeitswelt wandelt sich: Immer mehr wird von einem erwartet, die Aufgaben werden immer komplexer. Vielen Menschen wird der Stress zu viel. Das ist gefährlich, denn ...
Keine Zeit für nichts
... Burnout und Depressionen drohen. Doch mit kleinen Tricks und Übungen von der Gesundheitsexpertin Dr. Claudia Croos-Müller kann man Körper und Geist fit machen gegen Stress und Überlastung.
Es muss nicht immer Sport sein
Und keine Sorge: Ein ausuferndes Fitnessprogramm kommt nicht auf Sie zu. Obwohl mehr Sport im Alltag eine gute Idee ist, um Stress abzubauen.
Mehr Bewegung
"Jede Form der halbwegs lustvollen Bewegung sorgt dafür, dass antidepressive Hormone ausgeschüttet werden", erklärt Croos-Müller. Bewegung macht also tatsächlich glücklich.
Kleine Schritte
Es muss aber nicht gleich joggen sein. Es reicht schon, zum Beispiel häufiger aufzustehen, Meetings im Stehen abzuhalten oder ein paar Hundert Meter Spazieren zu gehen.
Entspannung für den Kopf
Wer sich bewegt, dessen Gehirn schaltet um. So rät Croos-Müller dazu, ein wenig auf der Stelle zu joggen, zum Beispiel wenn ...
Wut im Kopf
... Sie sich gerade über etwas ärgern. Ein bisschen Bewegung lässt den Ärger verfliegen - und das Stresslevel sinkt.
Kopfsache
Bei Bewegung werden im Gehirn Hormone mit antidepressiver Wirkung ausgeschüttet und solche, die Morphium ähneln.
Nicht immer so negativ
Mindestens so wichtig wie Bewegung: Aktivieren Sie die mentalen Ressourcen, trainieren Sie sich darauf, Angelegenheiten positiv zu sehen. Das ist leichter gesagt als getan. Doch schon kleine Schritte helfen. Zum Beispiel:
Freude empfinden
Seien Sie netter zu sich selbst, verzeihen Sie sich Fehler. Wer häufiger Freude, Liebe oder Stolz empfindet, dessen Stresslevel sinkt. So ist man resistenter gegen ...
Nicht unterkriegen lassen
... fiese Chefs und Kollegen. Auch das könne man trainieren, meint Croos-Müller. Wer übt, zuversichtlich zu sein, dessen Gehirn passt sich an.
Bitte lächeln
Probieren Sie auch einmal aus, mehr zu lächeln - vielleicht sogar sich selbst morgens im Spiegel. "Wer viel lacht, der ist gesünder", erklärt Croos-Müller.
Gut fürs Herz
Croos-Müller rät zudem dazu, sich kleine Morgenrituale zuzulegen. In unter drei Minuten den Kreislauf mit Dehnen und Stampfen in Schwung bringen, sich selbst im Spiegel anlächeln und tief atmen.
Entspannt im Büro
Wer nur ein paar dieser Übungen beherzt, der geht entspannter durch den Büroalltag - und durchs Leben.

Maier: "Eine Probandin erzählte uns, sie schreibe gerade an ihrer Masterarbeit, komme aber seit drei Monaten nicht voran." Laut Selbstauskunft verbrachte sie täglich 14 Stunden auf Facebook. In den zwei Wochen ohne Facebook habe sie dann enorme Fortschritte an ihrer Masterarbeit gemacht.

Nicht-Nutzung von Facebook stresste mehr als Nutzung

Bei einigen Probanden ließ sich aber auch das umgekehrte Phänomen beobachten: Die Nicht-Nutzung von Facebook hatte sie mehr gestresst als die Nutzung. "Es gab tatsächlich einige Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer, die plötzlich nicht wussten, wie sie mit ihrer freien Zeit umgehen sollten. Manche begannen zum Beispiel, sich wieder mehr mit ihren Familienmitgliedern zu unterhalten", so der Wissenschaftler.

Christian Maier; Uni Bamberg: "Auch Technik, die Spaß macht, kann stressen."
Foto: Stefan Bergmann

Die Erkenntnisse ließen sich durchaus auch auf das Arbeitsumfeld übertragen. Dafür spräche ein Anstieg an Burnout-Erkrankungen bei Veränderungen im Einsatz von IT in Unternehmen. "Ich konnte bei einem Unternehmen einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Krankheitstage nach einer IT-Umstellung herstellen", erklärt der Wirtschaftsinformatiker.

Algorithmus soll Stress erkennen

In einer weiteren Studie seiner Dissertation stellte er zudem fest, dass vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem IT-fernen Bildungshintergrund stark von Technostress betroffen sind.

In einer Folgestudie will Maier entschlüsseln, was verändert werden muss, damit Computertechnologien weniger Stress bereiten. Gemeinsam mit einem Team entwickelt er gerade anhand von Facebook- und Twitter-Posts einen Algorithmus, der erkennen soll, wer wie gestresst ist. Dieser Algorithmus ist lernfähig und soll langfristig direkt in Unternehmen zum Einsatz kommen.

Smartphone nie mit ins Bett nehmen

Sabine Möhring, KPMG: "Stille wird uns fremd. Und Stille ist so wichtig."
Foto: KPMG

Wie aktuell das von Christian Maier beackerte Thema wieder ist, zeigt ein Blogbeitrag von Sabine Möhring. Die Wirtschaftsprüferin ist Partner Audit bei KPMG und erläutert, warum die digitale Welt uns aus ihrer Sicht krank macht: "Wir halten es nicht mehr aus, etwas für uns zu behalten oder allein auszuhalten. Stille wird uns fremd. Und Stille ist so wichtig", schreibt Möhring. Die ständige Ablenkung durch das Internet reduziere unsere Leistung und Konzentration; die Wissenschaft habe herausgefunden, dass der Stirnlappen eines Internetsüchtigen dem eines Demenzkranken ähnelt.

Damit es nicht so weit kommt, empfiehlt Möhring ähnliche Dinge wie Wirtschaftsinformatiker Christian Maier: E-Mails nur noch zu festen Zeiten checken; Handy nie mit ins Bett nehmen; Apps, die süchtig machen, vom Smartphone löschen; Push-Benachrichtigungen deaktivieren.

Ob solche Empfehlungen wohl auch zum Programm gehören, wenn KPMG seine Kunden bei der "Steuerung von Unternehmen in Richtung operative Exzellenz", der "Verbesserung der Planungs- und Vertriebseffizienz" oder der "Professionalisierung der Supply Chain Mitarbeiter" berät?