Eigentlich dachten wir ja alle, das Thema sei durch, weil nichts Neues mehr dazu erscheint. "Wir amüsieren uns zu Tode", so lautete schon 1986 die erste Ausformung jener Theorie, nach der eine allgegenwärtige Unterhaltungsmaschinerie zur Verdummung breiter Bevölkerungsschichten führt. Geschrieben hatte das Buch Neil Postmann. Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler zielte dabei auf die Glotze ab; der "Surrealismus der Fernsehinformation", so seine These, führe zu Verdummung und Gleichgültigkeit.
"Macht Google uns blöd?"
Diesen Gedanken übertrug Nicholas Carr, amerikanischer Wirtschaftsjournalist, 2008 auf das Internet, als er in einem Aufsatz, der später in erweiterter Form auch als Buch erschien, fragte: "Macht Google uns blöd?"
Nach eigenen Angaben hatte Carr festgestellt, dass er, etwa zehn Jahre nachdem er begonnen hatte, online zu lesen, kaum noch in der Lage war, längere Texte aufzunehmen. Einerseits sei die Textmenge, die wir heute dank der digitalen Medien zu verarbeiten hätten, wesentlich höher als noch in den 1970er- und 1980er-Jahren, andererseits habe sich auch das Lesen verändert, sei sprunghafter geworden, und die Hirnforschung belege, dass sich die Lesegewohnheiten direkt auf der Gehirn auswirkten. Längere, analytische Gedankengänge würden dadurch erschwert oder sogar unmöglich gemacht.
Verdummung statt Aufklärung
Carrs Thesen fanden einen breiten Widerhall, unter anderem bezog sich Frank Schirrmacher in seinem Buch "Payback" 2009 auf Carr. Die Resonanz ist insofern erstaunlich, als Carr - abgesehen von allgemeinen Erkenntnissen aus der Hirnforschung - einzig Selbstbeobachtung als Beleg für seine Thesen vorweisen konnte.
Noch alarmistischer arbeitete sich 2012 Manfred Spitzer, Leiter der Psychiatrie der Universitätsklinik Ulm, in seinem Buch "Digitale Demenz" an dem Thema ab. So alarmistisch und krude, dass die Süddeutsche Zeitung über das Machwerk schrieb, das Ganze sei "keine Aufklärung oder gar Popularisierung von Wissenschaft, sondern schlicht Verdummung."
Thema endgültig abgehakt also? Mitnichten. Dass es nicht totzukriegen ist, liegt vermutlich daran, dass jeden von uns in gewissen Abständen der Verdacht beschleicht, unsere Konzentrationsfähigkeit sei wirklich schon mal besser gewesen und dass wir anschließend nach den Ursachen dafür suchen.
Das hat auch Christian Maier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg getan. Im Rahmen seiner Dissertation analysiert er die Ursachen und Konsequenzen der allgegenwärtigen und ununterbrochenen Technologienutzung.
Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit und Müdigkeit
Seine Kernthese: Die Informationsmenge, der wir jeden Tag ausgesetzt sind, und die stetig wachsende Interaktion in sozialen Netzwerken machen zwar nicht schlagartig blöd. Aber die Überflutung kann zu Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit, Müdigkeit oder Bluthochdruck führen.
Die Gleichzeitigkeit der Beschäftigung mit E-Mails, Facebook, dem Smartphone und vielem anderen führe zu etwas, was Maier als Technostress bezeichnet. Der Wissenschaftler untersuchte das Phänomen anhand verschiedener Studien und wurde für diese Arbeit mit dem renommierten Schmalenbach-Preis ausgezeichnet.
"Ich hatte in meinem Bekanntenkreis festgestellt, dass immer mehr Menschen einfach aufhörten, Facebook zu nutzen. Das erschien mir ungewöhnlich", beschreibt Christian Maier den Impuls für seine Arbeit. Die Freunde hätten ihm berichtet, dass die permanente Vernetzung und der daraus hervorgehende Druck, ständig sozial zu interagieren und zu reagieren, sie stresse.
Probanden zwei Wochen den Facebook-Zugang entzogen
Um herauszufinden, wie sehr, entzog Maier 130 Nutzerinnen und Nutzern für zwei Wochen den Facebook-Zugang. Vor und während der Nicht-Nutzung der Plattform füllten die Teilnehmer Fragebögen zu ihrem Nutzungsverhalten und ihrer Gemütslage aus. Zudem prüfte Maier ihre Stressindikatoren, also die körperlichen Reaktionen der Probanden auf Stresssituationen. "Eine Methode dazu ist, den Hautleitwert festzustellen. Vereinfacht gesagt wird untersucht, inwiefern Personen anfangen zu schwitzen, wenn sie bestimmte Technologien benutzen", erklärt Christian Maier seine methodische Vorgehensweise.
14 Stunden täglich auf Facebook
Es stellte fest, dass Stress sowohl durch Übernutzung als auch durch den Entzug von Facebook entstehen kann. Dabei resultiere der Stress "nicht zwangsläufig aus der Technologie, die man nutzt, sondern aus der Informationsflut, die man nicht mehr richtig verarbeiten kann." Und das bedeutet, dass auch Technologien, die angeblich Spaß machen, Stress produzieren können.
Maier: "Eine Probandin erzählte uns, sie schreibe gerade an ihrer Masterarbeit, komme aber seit drei Monaten nicht voran." Laut Selbstauskunft verbrachte sie täglich 14 Stunden auf Facebook. In den zwei Wochen ohne Facebook habe sie dann enorme Fortschritte an ihrer Masterarbeit gemacht.
Nicht-Nutzung von Facebook stresste mehr als Nutzung
Bei einigen Probanden ließ sich aber auch das umgekehrte Phänomen beobachten: Die Nicht-Nutzung von Facebook hatte sie mehr gestresst als die Nutzung. "Es gab tatsächlich einige Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer, die plötzlich nicht wussten, wie sie mit ihrer freien Zeit umgehen sollten. Manche begannen zum Beispiel, sich wieder mehr mit ihren Familienmitgliedern zu unterhalten", so der Wissenschaftler.
Die Erkenntnisse ließen sich durchaus auch auf das Arbeitsumfeld übertragen. Dafür spräche ein Anstieg an Burnout-Erkrankungen bei Veränderungen im Einsatz von IT in Unternehmen. "Ich konnte bei einem Unternehmen einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Krankheitstage nach einer IT-Umstellung herstellen", erklärt der Wirtschaftsinformatiker.
Algorithmus soll Stress erkennen
In einer weiteren Studie seiner Dissertation stellte er zudem fest, dass vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem IT-fernen Bildungshintergrund stark von Technostress betroffen sind.
In einer Folgestudie will Maier entschlüsseln, was verändert werden muss, damit Computertechnologien weniger Stress bereiten. Gemeinsam mit einem Team entwickelt er gerade anhand von Facebook- und Twitter-Posts einen Algorithmus, der erkennen soll, wer wie gestresst ist. Dieser Algorithmus ist lernfähig und soll langfristig direkt in Unternehmen zum Einsatz kommen.
Smartphone nie mit ins Bett nehmen
Wie aktuell das von Christian Maier beackerte Thema wieder ist, zeigt ein Blogbeitrag von Sabine Möhring. Die Wirtschaftsprüferin ist Partner Audit bei KPMG und erläutert, warum die digitale Welt uns aus ihrer Sicht krank macht: "Wir halten es nicht mehr aus, etwas für uns zu behalten oder allein auszuhalten. Stille wird uns fremd. Und Stille ist so wichtig", schreibt Möhring. Die ständige Ablenkung durch das Internet reduziere unsere Leistung und Konzentration; die Wissenschaft habe herausgefunden, dass der Stirnlappen eines Internetsüchtigen dem eines Demenzkranken ähnelt.
Damit es nicht so weit kommt, empfiehlt Möhring ähnliche Dinge wie Wirtschaftsinformatiker Christian Maier: E-Mails nur noch zu festen Zeiten checken; Handy nie mit ins Bett nehmen; Apps, die süchtig machen, vom Smartphone löschen; Push-Benachrichtigungen deaktivieren.
Ob solche Empfehlungen wohl auch zum Programm gehören, wenn KPMG seine Kunden bei der "Steuerung von Unternehmen in Richtung operative Exzellenz", der "Verbesserung der Planungs- und Vertriebseffizienz" oder der "Professionalisierung der Supply Chain Mitarbeiter" berät?