Wenn wir über die Veränderungen der Zukunft reden, dann müssen wir über Digitalisierung reden. Was treibt Unternehmen und Organisationen mehr als die Digitalisierung? Ich weiß, der eine oder andere von Ihnen kann es langsam nicht mehr hören. Digitalisierung. Aber warum? Schuld ist meines Erachtens die unterschiedliche Wahrnehmung des Begriffs.
Unternehmen sind unterschiedlich von der Digitalisierung betroffen. So mag es sein, dass in Ihrem Unternehmen oder in Ihrer Branche noch wenig Veränderung durch die Digitalisierung wahrnehmbar ist. Die Situation wäre dann wie folgt: Volle Auftragsbücher sorgen dafür, dass die Digitalisierung zurückgestellt wird. Man will keine Zeit in riskante Digitalisierungsprojekte investieren und bearbeitet lieber weiter Kundenaufträge. Ist das in etwa so? Aber ist es richtig, das Thema zu ignorieren? Nein, es ist ein gefährliches Spiel. Die Digitalisierung passiert. Ständig und überall, auch ganz ohne unser Zutun, schleichend und rasant zugleich. Unternehmen müssen handeln, und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist.
Die Geschwindigkeit nimmt zu
Viele Entwicklungen vollziehen sich aufgrund der sich beschleunigenden technologischen Fortschritte immer schneller. Längst ist klar, dass es sich bei der Digitalisierung nicht um eine kurzfristige Mode-Erscheinung, sondern um einen tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruch handelt. Beispiele von Unternehmen, die gestern noch erfolgreich waren und plötzlich vom Markt verschwunden sind, gibt es mittlerweile genügend. Wir müssen etwas tun, um am Ende nicht völlig überrascht überholt zu werden.
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Die sich wandelnden Märkte und Technologien zwingen uns im Unternehmen dazu, Organisationsstrukturen neu zu durchdenken. Die Geschäftsbereiche haben aufgrund wachsender Kundenerwartungen, kürzerer Innovationszyklen, höherer Komplexität der Produkte und des zunehmenden Wettbewerbsdrucks immer vielfältigere Anforderungen. In der Vergangenheit erworbenes Wissen ist unter diesen Bedingungen nicht mehr anwendbar. Die noch in den vergangenen Jahren erzielten Erfolge zählen nicht mehr.
Mehr Agilität gefragt
Um den Anforderungen und der dynamischen Umwelt in einer volatilen Welt begegnen zu können, benötigen wir dringend mehr Agilität, eine stärkere Kundenorientierung und eine völlig neue, produktorientierte Entwicklung. Die betriebliche Effizienz der IT als führendes Organisationsprinzip im Unternehmen tritt deshalb bis 2026 zunehmend in den Hintergrund. IT-Organisationen besitzen bis dahin eine dynamische und adaptive Time-to-Market-Strategie, um für ihr Unternehmen erfolgreich zu sein.
IT-Innovationen entstehen idealerweise dort, wo sie später auch zum Einsatz kommen werden, nämlich in den Fachbereichen. Die Vermischung von Fachbereich und IT wird deshalb bis 2026 eine logische und notwendige Konsequenz sein. Sie ermöglicht es, IT-spezifisches Wissen mit dem des Fachbereichs zu koppeln und eine gemeinsame Verantwortung für das Geschäft und digitale Projekte zu übernehmen. Der Blick in Richtung wachsender datengetriebener Geschäftsmodelle macht diesen Schritt notwendig.
Entwicklung in interdisziplinären Teams
Die Entwicklung von IT-Systemen sowie IT-basierten Produkten und Dienstleistungen wird in interdisziplinären Teams erfolgen, welche organisatorisch in der Fachabteilung verortet sind. Auch die nachgelagerte Applikationsbetreuung und -weiterentwicklung wird durch solche gemischten Teams übernommen. Dies wird vor allem IT-Systeme betreffen, die für ein Unternehmen differenzierenden Charakter haben oder nicht einfach als Produkt oder Dienstleistung am Markt verfügbar sind. Mit dieser veränderten IT-Organisation können sich Unternehmen in den volatilen Märkten sicher und erfolgreich bewegen.
Um moderne agile IT-Strukturen zu stärken, kann eine ideale Eigenleistungsquote nicht mehr von IT-Prozessen abgeleitet werden. Die optimale Eigenleistungsquote wird über die eigenen Produkte und Produktkategorien definiert werden. Aber was verbleibt dann noch in der IT? Die restlichen organisatorischen Tätigkeiten der IT sind in 2026 vor allem die langfristige Planung der IT-Architektur beziehungsweise des IT-Bebauungsplans, die Koordination der Innovationstätigkeiten (Technology-Scouting), die Steuerung des gemeinsamen Projektportfolios, das Provider- und Lieferantenmanagement sowie das Überwachen (Monitoring) aller IT-Services. Hinzu kommen deutlich mehr Aufgaben im Zusammenhang mit der Informationssicherheit (respektive IT-Sicherheit und insbesondere Cyber-Security) und des IT-Datenschutzes.
Organisatorische Konflikte
Der Wandel hin zu einer agilen IT-Organisation sowie der Vermischung der IT mit Fachabteilungen stellt viele Unternehmen nicht nur vor technische Herausforderungen. Er bringt vor allem organisatorische Konflikte mit sich. Solch ein Change-Prozess erfordert ein radikales Umdenken. Vorhandene Arbeitsstrukturen und klassische Arbeitsteilungen müssen konsequent aufgebrochen und Verantwortung umverteilt werden. Und das nicht nur innerhalb der IT, sondern im ganzen Unternehmen.
Das bedeutet, weg vom Silo und hin zum Prozessdenken. Es geht also nicht um Arbeitsteilung, sondern um Wertschöpfung für den Kunden. Dazu gehört auch, die gesamte Organisation als einen für den Kunden durchgängigen Prozess zu definieren. Das ist das Ziel.
Dies führt zu einem grundlegenden Kulturwandel, der von herausragender Bedeutung ist und bis 2026 vollzogen sein wird. Die wichtigsten Aspekte auf diesem Weg sind:
Weg vom Helden und hin zur Kollaboration. Vom "ich" zum "wir" und vor allem von "Wissensinseln" hin zur "Vernetzung".
Weg vom Spezialisten, hin zur Interdisziplinarität. Von der "Kontrolle" zum "Vertrauen".
Weg vom Mikromanagement und hin zur Selbstorganisation. Von der "Vorgabe" zur "Selbstverantwortung".
Weg von starren Regeln und Abläufen und hin zu flexiblen Strukturen. Von "Sicherheit" zum "Risiko"
Rollenwechsel für Manager
Kulturwandel bedeutet für Führungskräfte einen Rollenwechsel. Die Rolle als Vermittler von Informationen und Fachwissen an die Mitarbeiter nimmt in Zeiten der Digitalisierung bis 2026 ab. Durch die Allgemeinverfügbarkeit von Wissen und Informationen werden bis dato exklusive Besitzstände wertlos. Informationen der Geschäftsführung laufen nicht mehr in Form einer Kaskade von oben nach unten. Was das Fachwissen anbelangt, kennen sich jüngere Mitarbeiter mit digitalen Prozessen mitunter besser aus als die Führungskräfte. Mehr denn je geht es für Letztere darum, Beziehungen, Vernetzungen, Dialoge und Lernen möglich zu machen. Führung entwickelt sich bis 2026 von der Position zur Funktion. Führungskräfte finden ihre neue Rolle als Enabler, Prozessbegleiter und Talent-Scout.
Fachaufgaben abgeben
Wer kann was? Wer braucht welche Rahmenbedingungen? Wie lassen sich die richtigen Leute an die richtigen Stellen setzen? Es geht bei den Führungskräften darum, Fachaufgaben immer mehr an Mitarbeiter abzugeben, um deren Expertise zu nutzen und wachsen zu lassen. Nicht die Führungskraft ist der beste Experte. Der moderne Manager legt 2026 den Fokus auf die Menschen und fördert den Zusammenhalt und die Kommunikation. Er zeichnet sich aus durch Empathie, Offenheit und agiert als Bindeglied zwischen der Organisation, den Führungskräften und den Mitarbeitern. Empathie bedeutet, konkret zu schauen, was die Anderen brauchen, und herauszufinden, was uns verbindet. Statt Recht zu haben, geht es darum, Ergebnisse für das Unternehmen zu erzielen.
Und was macht der CIO beziehungsweise der IT-Leiter 2026? Er wird dem Unternehmen helfen, Fragen zu beantworten, die in der Vergangenheit nicht unbedingt auf seiner Agenda standen: Welches Geschäftsmodell verfolgt mein Unternehmen? Welche Ziele sind damit verbunden? Wer ist die Zielgruppe? Über welche Alleinstellungsmerkmale verfügen wir? Welchen Kundennutzen bieten unsere Produkte?
Nur Unternehmen, die reale und bedarfsorientierte Probleme ihrer Kunden lösen, werden sich auch unter den Bedingungen der Digitalisierung und des sich verschärfenden Wettbewerbs am Markt behaupten können. Der CIO spielt dabei im Jahr 2026 eine maßgebliche Rolle. Als Business-getriebener Leader mit crossfunktionalen Fähigkeiten ist der CIO mit Vertriebs- und Business-Skills ausgestattet und vermarktet das Unternehmen aktiv mit. Er kennt den Markt, in dem sich sein Unternehmen bewegt, und hat den Wettbewerb im Blick. Er kennt sein Unternehmen von innen und außen. Er bringt sich als Gesprächspartner bei strategischen Entscheidungen ein, um daraus entsprechende IT-Initiativen abzuleiten. Und wo ist seine Positionierung im Unternehmen?
Das Gesetz der Trivialität
Zur Situation in einigen Topmanagement-Boards möchte ich die satirische Geschichte vom Gesetz der Trivialität des britischen Historikers Cyril Northcote Parkinson erzählen. Er beschreibt in einem Beispiel eine fiktive Vorstandssitzung. Auf der Agenda steht der scheinbar notwendige Bau eines Kernkraftwerks. Damit soll sich das Gremium bei einem Tagesordnungspunkt beschäftigen. Parkinson erläutert, dass die Mehrheit der anwesenden Teilnehmer (inklusive des Vorstandsvorsitzenden) nicht konkret weiß, wozu das Kernkraftwerk gebraucht wird, was es genau macht geschweige denn was es kosten mag. Nach einer kurzen Aussprache über die gewählte Baufirma wird der Bau einstimmig und ohne weitere Rückfragen beschlossen.
Beim nächsten Punkt auf der Agenda soll der Bau eines Fahrradschuppens am Eingang des Kraftwerks beschlossen werden. Dieser kostet 2.350 Dollar und wurde mit einem Aluminiumdach geplant. Die Sitzung entgleitet sofort in eine emotional geführte Diskussion, bei der gefestigte Meinungen (Preis zu hoch, Asbest statt Aluminium, Notwendigkeit des Schuppens) aufeinanderprallen. Das Gremium streitet ebenso genüsslich über die Farbe des Schuppens und dessen Eingliederung in den Gesamtbau. Nach knapp einer Stunde kommt es zu einer Entscheidung. Das ist natürlich nur eine fiktive Geschichte!
Der CIO als Diskussionsführer
Laut Parkinson liegt die Ursache des Verhaltens der Teilnehmer darin, dass sich jeder einen Fahrradschuppen besser vorstellen kann als ein Kernkraftwerk. Das fiktive Beispiel der Trivialität veranschaulicht meines Erachtens das Verhalten von Führungskräften, wenn ihnen Sachverhalte nicht zugänglich sind. Die begrenzte Zeit wird auf falsche Punkte verwendet. Die IT steckt in dem Dilemma, praktisch immer komplizierte und unverständliche Sachverhalte kommunizieren zu müssen (also Kernkraftwerke), die langfristig enorme Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen haben. Doch meist verbleibt die Diskussion über den Fahrradschuppen.
Der CIO ist deshalb derjenige, der im Jahre 2026 im Topmanagement der Unternehmen sitzt und die Technologie-Diskussionen führt. Er hat eine Art Brückenfunktion zwischen IT und Business. Er pflegt eine enge und intensive Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen und ist verantwortlich für die digitalen Fähigkeiten des Unternehmens. So kann er Wichtigkeit und Tragweite von IT-Entscheidungen direkt in die Unternehmensstrategie einfließen lassen.
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