Erfolg, wenn Mitarbeiter an erster Stelle stehen - nicht Aktionäre und Kunden

"Führen, nicht folgen"

18.08.2008 von Klaus Boldt
Erfolgsautor Gary Hamel ist Amerikas berühmtester Managementradikaler. Der Business-Guru begründet, warum Unternehmen künftig weniger Manager brauchen. Das Management besitzt fast keinen Informationsvorsprung mehr gegenüber seinen Mitarbeitern. Darauf beruhte aber bisher seine Stellung in der Firmenhierarchie.

Herr Hamel, was sagt der Managementguru: Ist die Krise der Finanzmärkte eine Krise des Systems oder seiner Manager?

Schwer zu sagen. Mit Sicherheit gab es Mängel beim internen Risikomanagement der Banken. Die Kontrollen haben nicht funktioniert. Aber ich weiß nicht, ob dieses Versagen ein grundsätzliches Managementproblem widerspiegelt.

Manager einer ganzen Branche scheinen nicht sorgfältig genug gearbeitet zu haben.

Ich glaube, es liegt nicht so sehr an der Sorgfalt als vielmehr daran, dass viele Finanzinstitute mit ihren eigenen Innovationen nicht mehr Schritt halten. Viele Manager sind nicht imstande, die Risiken auch nur noch halbwegs akkurat einzuschätzen, die mit sehr komplexen Finanzprodukten verbunden sind.

Werden Manager Ihrer Erfahrung nach aus solchen Schäden klug oder doch zumindest klüger?

Ich gehe davon aus, dass die Banken ihr Risikomanagement überprüfen und dass die Leute, die die Produkte entwickeln oder Kredite vergeben, und jene, die deren Risiken abschätzen, künftig enger zusammenarbeiten.

Dieses Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.
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Es besteht ja eine geradezu perverse Fehlausrichtung der Anreize: Manager erhalten gewaltige Provisionen für die Entwicklung und den Verkauf neuer Produkte - aber niemand muss persönlich dafür geradestehen, wenn sich herausstellt, dass deren Risiken unkalkulierbar sind und vielleicht Milliarden kosten. Wir geraten ja alle sechs oder sieben Jahre in ähnliche Situationen. Zuletzt hatten wir eine Schuldenkrise mit den Entwicklungsländern, dann platzte die Internetblase. Wo immer Gier und billiges Geld zusammen auftreten, lauert das Desaster um die Ecke.

Sie behaupten in Ihrem Buch "Das Ende des Managements", das im englischen Original weit treffender "The Future of Management" heißt, dass veraltete Managementmethoden viele Fehlentscheidungen in Unternehmen verursachten. Die Technik, Unternehmen zu führen, sei so veraltet wie der Verbrennungsmotor.

Unternehmen sollten genauso diszipliniert Innovationen im Management anstreben, wie sie es bei ihren Produkten auch tun. Wir haben englischsprachige Wirtschafts- und Wissenschaftsmagazine der vergangenen 70 Jahre untersucht und ungefähr 55.000 Beiträge über technische Neuerungen gefunden, aber nur eine Handvoll über echte Managementinnovationen.

Vielleicht liegt dies einfach daran, dass das Innovationspotenzial der Managementtechniken klein ist.

Klein ist nur die Experimentierfreude der Manager. Firmen wie Bayer oder Siemens experimentieren jeden Tag, um neue Fertigungsmethoden oder Produkte zu entwickeln. Das Prinzip von Versuch und Irrtum gehört wie selbstverständlich zur Unternehmensführung. Nur die Managementpraxis selbst unterliegt ihm nicht.

Die Anzahl der Methoden, komplexe Organisationen zu managen, ist eben begrenzt, genauso wie die Möglichkeiten, Fußball zu spielen: Man wird keine völlig neue Technik finden können, ohne ein ganz anderes Spiel zu spielen.

Wir dürfen bestimmte Managementtechniken nicht für selbstverständlich halten, nur weil sie seit 100 Jahren angewandt werden. Alle Unternehmen sollten in mindestens einer Abteilung immer etwas ausprobieren, natürlich zeitlich begrenzt und mit klarem Budget. Man muss die Leute experimentieren lassen. Das Hauptaugenmerk traditionellen Managements richtete sich immer nur auf die Frage: Wie sichere ich Effizienz und Kontrolle?

Man muss die Management-DNS verändern

Was nicht ganz unwichtig ist.

Natürlich nicht, diese Aufgaben bleiben auch weiterhin wichtig. Aber ihre Erfüllung allein verspricht nicht mehr den gleichen Erfolg wie früher. Wir stehen vor ganz anderen Herausforderungen.

Vor 20 Jahren glaubte nicht einer unter tausend Managern, dass man so etwas Komplexes wie ein computergestütztes Betriebssystem erschaffen könnte, das von Armeen von Freiwilligen in aller Welt genutzt und von ihnen selbst ohne Hierarchien und direkte Kontrolle, ohne Budgets und ohne Entwicklungspläne gesteuert wird. Ich rede von Linux. Ähnliches gilt für Wikipedia. Der Glaube an die hergebrachte Managementpraxis sitzt so tief, dass wir uns etwas anderes buchstäblich nicht vorstellen konnten.

Vom früheren Deutschland-Chef der Boston Consulting Group, Dieter Heuskel, ist die schöne Erkenntnis überliefert: "Strategiekonzepte, Managementbestseller und Erfolgsregeln kursieren in steigender Zahl und lösen einander immer schneller ab." In der Tat biegen sich die Regale deutscher und amerikanischer Buchhandlungen unter der Last der Managementliteratur.

Der Grund dafür ist, dass sich im Prinzip alles Mögliche über Management sagen lässt - solange man die alten Regeln nicht antastet. Wirklich Neues haben die meisten Autoren deshalb nicht zu bieten. Denn um wirkliche Veränderungen herbeizuführen, muss man die Management-DNS verändern. Doch davor scheut man zurück. Seit Jahrzehnten erscheinen Bücher darüber, wie man Mitarbeiter motivieren und überhaupt arbeiten lassen soll. Und mit welchem Ergebnis? Dass sich heute weniger als 20 Prozent aller Beschäftigten als besonders engagiert bezeichnen.

Sie behaupten, dass flexible Arbeitsabläufe und eine weitgehende Selbstbestimmung der Mitarbeiter unverzichtbar für echte Veränderungen seien. 1960 hat der MIT-Professor Douglas McGregor das Buch "The Human Side of Enterprise" veröffentlicht, und in dem stand das Gleiche: Flache Hierarchien und allgemeine Begeisterung seien die Voraussetzung für den Unternehmenserfolg.

Es war ein wichtiges Werk, und doch hat sich auch 48 Jahre nach seiner Veröffentlichung wenig geändert. Und warum? Weil sich nichts verändern kann, wenn man nicht die Prinzipien selbst infrage stellt und Alternativen anbietet. Es ist, als ob man glaubt, einen Menschen durch eine Maniküre oder einen neuen Haarschnitt verändern zu können. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kreativität und Leidenschaft die wichtigsten Eigenschaften sind, die etwas bewirken. Wir sollten uns also darum kümmern, dass unsere Unternehmen jene Kreativität und Leidenschaft ihrer Leute auch künftig inspirieren.

Ich habe immer an revolutionäre Ziele geglaubt

Wie stellt sich ein Theoretiker das in der Praxis vor?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten, es gibt keine allgemeingültige, bewährte Methode. Wir kennen Beispiele von Unternehmen, die in vielerlei Hinsicht vorbildlich sind und die ihre Managementabläufe sehr erfoIch habe immer an revolutionäre Ziele und evolutionäre Wege geglaubt.lgreich verändert haben, wie Whirlpool, General Electric oder Procter & Gamble. Das kann man beschreiben, und man kann davon lernen. Aber auch die besten Firmen sind nicht so gut, dass man ihrem Weg bedenkenlos folgen sollte. Man muss führen, nicht folgen.

Drei Unternehmen haben Ihrer Meinung nach Wegweisendes geleistet: Google, die Biosupermarktkette Whole Foods und der Textilhersteller Gore. Was haben diese Firmen, was andere nicht haben?

Alle drei verbindet, dass ihre eigenen Angestellten an erster Stelle stehen - und nicht ihre Kunden oder Aktionäre. Die folgen erst an zweiter und dritter Stelle. Das heißt nicht, dass sie sich nicht um ihre Aktionäre kümmerten. Aber Aktionäre schaffen keine Werte. Es wäre dumm, alles Handeln an deren Interessen auszurichten. Die Fähigkeit, Werte zu schaffen, hängt davon ab, ob man seine Mitarbeiter inspirieren kann, und das gelingt diesen Unternehmen auf sehr unterschiedliche Weise, aber überall durch große Freiheiten und flache Hierarchien.

Mitarbeiter von Google dürfen einen Teil ihrer Arbeitszeit auf eigene Projekte verwenden. Klassische Befehlsstränge fehlen weitgehend. Junge Firmen mögen eine Zeit lang so funktionieren. Aber glauben Sie wirklich, dass man Siemens oder VW auf diese Weise managen kann?

Ich bin kein romantischer Visionär und weiß, dass so ein Prozess Jahre dauert, vielleicht Jahrzehnte. Das hängt nicht vom Unternehmen allein ab, sondern von vielen anderen Faktoren. Aber wir sollten uns davor hüten, die heutige Organisation des Managements als einzig mögliche zu betrachten. Ich sage vielen Unternehmern: Warum verkaufen Sie Produkte des 21. Jahrhunderts und managen Ihre Firma mit einer veralteten Technik? Ich habe immer an revolutionäre Ziele und evolutionäre Wege geglaubt.

Ist es ein Zufall, dass sowohl Google als auch Whole Foods und Gore von Leuten gegründet wurden, die nie eine Business School besucht haben, an der Managementorthodoxie gelehrt wird?

Ich habe überhaupt nichts gegen Business Schools. Ich unterrichte selbst in London. Aber genauso wie Manager hängen auch Business Schools häufig den alten Denkmustern an. Im Großen und Ganzen trainieren sie die Leute, Organisationen zu führen, deren Strukturen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammen. Und so kommt es, dass selbst neu gegründete Unternehmen häufig auf sehr traditionelle Weise gemanagt werden. Aber dies wird sich ändern.

Was macht Sie so sicher?

Vor 10, 20 Jahren wollten die jungen Leute noch alle für General Electric arbeiten, für die Citigroup, für große Beratungsfirmen. Die Web-Generation aber sucht etwas anderes. Die jungen Leute sind daran gewöhnt, auf gleichberechtigten Ebenen zu konkurrieren: Jeder kann einen Blog schreiben, ein Video bei Youtube veröffentlichen. Von den Besten werden immer weniger dort arbeiten wollen, wo die Führungscrew selbst nicht konkurrieren muss, weil ihr automatisch eine höhere Glaubwürdigkeit beigemessen wird.

Google-Chef Eric Schmidt nahm an seinem ersten Arbeitstag bei Google an einem Meeting der Gründer mit einem Dutzend Mitarbeitern teil. Es wurde so gleichberechtigt diskutiert, erzählte er mir, dass er nicht hätte sagen können, wer wirklich die Führung innehatte.

Ihrer Vision zufolge dürften Unternehmen künftig mit weitaus weniger Managern auskommen als heute.

Management beruht darauf, Informationen zu sammeln und sie immer weiter nach oben zu tragen, dorthin, wo man die großen Entscheidungen trifft. Die Annahme war, dass die Leute mit den besten Informationen oben in der Hierarchie landen. Auch hier hat das Internet fast alles verändert: Heute ist dieser Informationsvorsprung fast verschwunden, ja häufig sind es die Leute unten in der Hierarchie, die mehr wissen als ihre Chefs.