Wer als Führungskraft mit herausragenden IT-Spezialisten zu tun hat, kennt deren Marotten. Die Fachleute sind oft fordernd, hören nicht auf die Meinungen anderer, wollen immer Recht haben und sind schnell gelangweilt. "Hochintelligente Menschen mit großem technischem Wissen bewegen sich in einer Art Sub-Kultur, in der Wissen Macht ist und die soziale Stellung definiert, und wo außerdem Korrektheit sehr wichtig ist", sagt der Entwickler Clinton Nixon vom US-amerikanischen Unternehmen Viget Labs LLC, das auf Web-Design und Beratung spezialisiert ist.
Wolle der Chef einem Angestellten bei einer Meinungsverschiedenheit seine Sicht der Dinge aufdrücken, könne es zu ernsten Verstimmungen kommen. Und besonders leistungsstarke oder intelligente Mitarbeiter eng zu überwachen, können sich Führungskräfte ohnehin abschminken, glaubt man Fachleuten und Managern aus der Branche.
Ergebnisse statt Arbeitsschritte kontrollieren
Dass der Vorgesetzte einem Mitarbeiter Anweisungen gibt, was zu tun ist, ist aus der Sicht von Nixon noch durchaus vernünftig. Enden sollte die Kontrolle ihm zufolge allerdings bei der Frage, wie die Arbeit zu machen ist. Sonst könne schnell Frust aufkommen.
Nixon erinnert sich daran, wie er als Entwickler einmal den virtuellen Einkaufswagen eines Einkaufsportals überarbeiten sollte. Eigentlich sollten nur neue Versand-Optionen eingebaut werden, doch das vorhandene Programm erwies sich als kaum erweiterbar. Nixon schlug deshalb vor, eine komplett neue Software zu schreiben. Zwei Wochen wollte er dafür veranschlagen. Die zeitliche Investition hätte sich nach Ansicht des Programmierers gelohnt, da schon allein das Einweben der neuen Optionen in den vorhandenen Code eine Woche gedauert hätte.
Allerdings wurde Nixon überstimmt. Also ergänzte er das alte Programm. Weil die ursprüngliche Software viele Fehler enthielt, dauerte das Projekt letztlich drei Wochen. "Alles neu zu schreiben, wäre schneller gegangen", urteilt der Entwickler.
Auch Jack Hughes, CEO der Software-Schmiede Topcoder im US-Staat Connecticut, vertritt die Ansicht, dass Führungskräfte lieber die Ergebnisse im Auge behalten sollten statt ihrer Mannschaft einen bestimmten Weg zum Erreichen des Ziels vorzuschreiben. "Sie dürfen nicht damit anfangen, um Leute, die mit Begeisterung ihrer Arbeit nachgehen, Mauern zu bauen", sagt der Manager.
Sokrates als Vorbild nehmen
Hochqualifizierte Mitarbeiter sehen sich nicht gerne in der Rolle des Befehlsempfängers. Dennoch brauchen auch sie Führung, sagt Paul Glen von der Internet-Community Geekleaders.com. Um diesen Gegensatz auszuräumen, schlägt Glen Vorgesetzten vor, Nachhilfe beim antiken Philosophen Sokrates zu nehmen. Man müsse den Mitarbeitern die richtigen Fragen stellen, so dass sie durch Nachdenken letztlich zu derselben Sicht der Dinge gelangten wie der Chef, erklärt Glen.
Dieser Ansatz erfordere freilich Zeit und Geduld, meint Edward Martinez, CIO beim Krebsforschungs-Institut Lee Moffitt in Tampa/Florida. Auch wenn ein Vorgesetzter schon wisse, welche Entscheidung letztendlich zu treffen sei, müsse er die Einfälle seiner Mitarbeiter sorgsam prüfen und gute Vorschläge aufnehmen. "Man muss seinen Angestellten die Gelegenheit geben, Teil der Entscheidung zu sein."
Offen für Neuerungen sein
Wer keine Anregungen aus der Belegschaft aufnimmt, verschwendet zudem Ressourcen, wie Patrick Reagan, Entwicklungsleiter bei Viget Labs, betont. Bis vor zweieinhalb Jahren habe es in seinem Unternehmen keine automatisierten Software-Tests gegeben - bis ein Entwickler sie vorschlug. Reagan hatte ein offenes Ohr für die Idee. Mittlerweile seien automatisierte Tests "tief verwurzelt in unserer Firmenkultur", sagt er. Auch der Umstieg von PHP auf "Ruby on Rails" in der Entwicklung vor zwei Jahren sei auf Anregungen von Mitarbeitern zurückgegangen.
Wer Einfällen aus der Belegschaft offen gegenüber stehe, der könne auch selbst eine Menge lernen, gibt Nixon zu bedenken. In technischen Fragen auf demselben Stand zu bleiben wie die Fachleute, könne einer Führungskraft ohnehin kaum gelingen. Aber immerhin könne man viel vom Fachwissen der Experten mitbekommen, wenn man sie nur anhöre. Allerdings gelte es hier, das richtige Maß zu finden. Ganz auf seine Verantwortung und Entscheidungskompetenz verzichten dürfe ein Manager niemals, mahnt Glen.
Nicht den Allwissenden mimen
Einen großen Fehler macht ein Vorgesetzter nach Ansicht von Paul Glen, wenn er über Dinge entscheidet, von denen er keine Ahnung hat. So selten komme das gar nicht vor. Vor allem, wenn Chefs merkten, dass ein Angestellter viel mehr über ein bestimmtes Thema wisse als sie selbst, fühlten sich viele unsicher und meinten, schnell einen Beschluss fassen zu müssen.
Glen fordert Führungskräfte auf, ihre Rolle richtig zu verstehen. Man müsse nicht selbst derjenige mit den besten Ideen sein, sondern viel eher der, der entscheidet, welche Ideen die besten sind. Und wenn ein Vorgesetzter erkannt hat, dass ein Team-Mitglied besonders gute Einfälle auf einem Gebiet hat, kann es manchmal ratsam sein, sich selbst im Hintergrund zu halten und den Mitarbeiter gewähren zu lassen. Das schlägt Tim Robbins vor, der eine Gruppe von Entwicklern bei einem Finanzdienstleister leitet. "Wenn jemand über ein Spezialgebiet mehr weiß als ich, mache ich allenfalls Vorschläge aufgrund meiner Erfahrung, ansonsten erwarte ich, dass er in diesem Fall die Richtung vorgibt", sagt Robbins.
Die Mitarbeiter fordern
Banale Alltagsarbeit ist für hochintelligente Mitarbeiter ein Graus. Sie bevorzugen Herausforderungen, auch wenn sich dabei nicht immer ein Erfolg einstellt. "Viele verfolgen am liebsten neue Dinge und erachten sie für wichtiger als die Arbeit, die man dem Kunden in Rechnung stellen kann", sagt Reagan. Am Moffitt-Forschungszentrum wurde deshalb das Ausprobieren neuer Ideen institutionalisiert. Die IT-Experten können sich freiwillig einem speziellen Ideen-Team anschließen, das sich alle zwei Monate trifft. Das soll sicherstellen, dass die normale Arbeit nicht liegen bleibt, zugleich aber auch Neuerungen nicht unterdrückt werden.
IT-Chef Martinez beobachtet, dass diese Einrichtung die Kreativität seiner Mitarbeiter am Leben hält - gerade in Phasen, in denen die alltägliche Arbeit wenig Neues bringt. Außerdem sei es gut für die Moral der Truppe, wenn immer wieder einzelne Ansätze des Ideen-Teams in die gewöhnlichen Arbeitsabläufe übernommen würden.
Keinesfalls dürfe man besonders leistungswillige Mitarbeiter unterfordern, sagt Martinez. Einer Mitarbeiterin, die sich immer wieder mit neuen Einfällen hervortat, verschaffte er einen neuen Posten als Verantwortliche für besondere Aufgaben. Auf der neuen Stelle konnte sie selbst die Fäden ziehen. "Hätte ich sie auf ihrem alten Posten belassen, bekäme ich von ihr nur ein Drittel der Ergebnisse, die sie jetzt liefert", ist der CIO überzeugt.
Nicht blenden lassen
So sehr erfahrene Manager indes dafür werben, die Kreativität der Angestellten zu fördern und ihnen Verantwortung zu übertragen, so sehr warnen sie auch davor, dabei das Augenmaß zu verlieren. Nur weil ein Mitarbeiter auf einem bestimmten Gebiet besonders kompetent sei, müsse er noch längst keine fähige Führungspersönlichkeit sein. Konkret: Wer ein ausgezeichneter Programmierer ist, hat nicht unbedingt auch den Überblick in strategischen Fragen.
Der Vorgesetzte muss deshalb ein Gefühl dafür entwickeln, wann er einen Mitarbeiter nach dessen Vorstellung walten lassen kann, wann es der Überwachung bedarf und wann er eingreifen muss. Wer hingegen meine, ein auf einem speziellen Gebiet besonders gewiefter und glänzender Fachmann könne auch alles andere, der fordere Fehler geradezu heraus. "Das ist, wie wenn Sie Film-Stars nach ihrer Meinung zum politischen Geschehen fragen", erläutert Glen.
Demütig und bescheiden bleiben
Wer an verantwortlicher Stelle in der Informationstechnologie arbeite, sei immer wieder von Kollegen mit größerem Wissen oder höherer Intelligenz umgeben, sagt Clinton Nixon, der seit zweieinhalb Jahren eine Führungsposition innehat. Vor diesem Hintergrund müsse ein IT-Manager jeden Arbeitstag mit einer gewissen Demut beginnen. "Sie können froh sein, ein Team zu leiten, das Ihnen dabei hilft, Ziele zu erreichen - aber Sie sind nicht derjenige, der die anderen dorthin schubst", erklärt Nixon.
Furcht davor, nicht immer der Gerissenste von allen zu sein, dürfe keine Führungskraft haben. "Ich habe schon so viele IT-Manager gesehen, die vor ihrem Team Angst hatten - vor allem unter denen, die früher als Programmierer gearbeitet haben", berichtet Nixon. Diese Haltung, so warnt er, vergifte die Arbeitsatmosphäre.
Der Artikel basiert auf einer Veröffentlichung unserer amerikanischen Schwesterpublikation CIO.com.