Die Straße ist von der Polizei abgeriegelt, im Gebäude gegenüber haben Scharfschützen Stellung bezogen, ein Hubschrauber kreist über dem Einsatzort. Der Bankräuber, der eine junge Frau in seine Gewalt gebracht hat, verschanzt sich in ihrer Wohnung. Wer ist der Geiselnehmer? Was will er erreichen? Wie weit geht er? Der Verhandlungsführer der Polizei greift zum Telefon.
Matthias Schranner unterbricht seine Erzählung über eine Geiselnahme, die sich vor Jahren in München zugetragen hat. Der smarte Enddreißiger im gut geschnittenen schwarzen Anzug fordert die 20 Seminarteilnehmer auf, in "Zweier-Kommandos" zu erarbeiten, wie sie in dem Telefonat vorgehen würden. Mit Gewalttätern hatte bislang keiner etwas zu tun. Sie alle arbeiten in verantwortungsvollen Positionen in der Wirtschaft: als Einkaufsleiter, Chefin einer PR-Agentur oder Geschäftsführer eines Technologiedienstleisters. Von den "nachweislich erfolgreichen Verhandlungstechniken" der Polizei, die der ehemalige Hauptkommissar Schranner in seinem Seminar verspricht, erhoffen sie sich nützliche Tipps für ihrenverhandlungsintensiven Berufsalltag.
Stress passend dosieren
Schranner, studierter Verwaltungsjurist, war 18 Jahre bei der Polizei. Zunächst als ziviler Drogenfahnder, später als Verhandlungsführer bei Gewalttaten in einer Spezialeinsatzgruppe. Seit vier Jahren schult der Ex-Polizist als selbstständiger Trainer Mitarbeiter von Firmen wie BMW, Flughafen München, Microsoft und SAP. "Die psychologischen Gesetze der Verhandlungsführung gelten für Verbrecher und Manager gleichermaßen", meint Schranner. "Mit dem Unterschied, dass bei Geschäftsverhandlungen die Stressdosis niedriger ist, dafür aber häufig Profis unter sich sind."
Aber auch die Profis stehen - selbst wenn sie sich noch so souverän geben - zu Beginn eines schwierigen Abschlusses unter Stress. Schließlich ist noch unklar, wie die Gespräche verlaufen und welcher Druck auf dem Partner lastet. Deshalb gelte hier, so Schranner, wie auch beim ersten Kontakt mit dem Geiselnehmer: sanftes Aufwärmen, Geplauder, noch keine rationalen Argumente. Die kann der Mensch in der ersten, der "affektiven" Phase des Gesprächs noch gar nicht verarbeiten. "Vermeiden Sie anfangs jede Festlegung, sprechen Sie im Konjunktiv", empfiehlt er und malt eine typische Stressverlaufskurve aufs Flipchart. Wer seine Position einleitet mit Sätzen wie "Ich könnte mir vorstellen, dass" oder "Eine mögliche Voraussetzung wäre", kann nichts verlieren. Geht der Partner auf derart abtastend vorgebrachte Vorschläge rational ein, ist es Zeit, Tacheles zu reden. Aber auch in dieser "kognitiven" Phase kann die Anspannung plötzlich wieder ansteigen und gute Argumente ins Leere laufen lassen. "Sichern Sie sich deshalb Zwischenergebnisse", sagt Schranner. Das verhindert, dass die Verhandlung in der letzten, der "chaotischen" Phase platzt - ausgelöst durch eine plötzliche Angst, nun verbindlich zustimmen zu müssen.
Verhandeln fürs Image
Den spannenden Job des Verhandlungsführers hat er aufgegeben, weil er der stets negativen "dunklen Welt" überdrüssig war. Selbst wenn er in dieser Position unter Umständen Leben retten konnte: "Wenn ich heute einen Mini Cooper vorbeifahren sehe, an dessen Vertriebsstrategie ich mitgearbeitet habe, verschafft mir das ein positiveres Gefühl", gesteht der Ex-Polizist. Sein Wissen verdankt er zum einen der kommunikationspsychologischen Ausbildung bei der Polizei. Am Fortbildungsinstitut des bayerischen Innenministeriums schulte er zuletzt selbst Beamte für heikle Verhandlungen. Für noch wichtiger hält Schranner seine Erfahrung im täglichen Umgang mit Straftätern und die umfassende Lektüre der Standardliteratur zum Thema Krisenverhandlung. Dazu zählen für ihn die Bücher des früheren FBI-Agenten Fred Lanceley und des amerikanischen Psychologieprofessors Roy Lewicki.
Freilich: Seminare für die erfolgreiche Geschäftsverhandlung bieten hierzulande zahlreiche Veranstalter an. Schranners Alleinstellungsmerkmal liegt in seiner Biographie, die spannenden Erlebnisse aus der Polizei-Vergangenheit sind Teil seines Kapitals. Da stellt einer der Seminarteilnehmer schon mal die Frage, was es mit den roten Laserpunkten auf sich hat, mit denen Scharfschützen einen Verbrecher abtasten. Oder welche Aufgaben das mobile Einsatzkommando hat. Selbst der strenge Mittfünfziger in der ersten Reihe, ein offenbar mit allen Wassern gewaschener Einkaufsleiter, zweifelt nach der Kaffeepause nicht mehr an der Übertragbarkeit der polizeilichen Verhandlungstechniken. Beim Mittagessen sind sich die Teilnehmer weitgehend einig: Die knapp 500 Euro für das Seminar lohnen sich.
"Lassen Sie sich bei Verhandlungen zu keiner Zeit das Heft aus der Hand nehmen", schärft ihnen Schranner ein. "Wer reagiert, hat verloren." Das gelte auch für unterschwellige Sticheleien, die die eigene Kompetenz in Frage stellen. Um sich in heiklen Situationen nicht von Emotionen leiten zu lassen, sei es wichtig, die eigenen Verhandlungsziele vorab festzulegen - und zwar absolut verbindlich. Die Chefin der PR-Agentur will die Bedingungen ihres Vertrags mit einem preissensiblen Kunden halten - nicht mehr und nicht weniger. "Das geht nicht", meint Schranner. "Sie müssen einen Zielkorridor festlegen." Wenn nicht beim Preis, dann eben bei den Leistungen. Wer seine Arbeit mit vielen Eigenschaften verkaufe, habe auch was zum Wegstreichen.
Rechtzeitig den Mund halten
Ob man nun letztlich bis aufs Messer feilscht oder draufzahlt, hängt von der strategischen Bedeutung des Auftrags ab. "Wichtig ist nur, dass Sie das, was Sie tun, bewusst tun", so Schranner. Keinesfalls dürfe man ohne Grund nachgeben. "Das weckt nur Misstrauen." Wer den für 10 000 Euro inserierten Gebrauchtwagen auf Anhieb für 9000 Euro bekommt, fühlt sich unwohl - obwohl er den gewünschten Nachlass bekommen hat. Aber eben ohne jegliche Mühe. "Es geht bei Verhandlungen nicht um die reale, sondern um eine gefühlsmäßige Win-Win-Situation", erklärt Schranner.
Und noch eine Regel gibt er den Teilnehmern mit auf den Weg: "Je mehr Argumente Sie bei einer Verhandlung einbringen, desto angreifbarer sind Sie." Echte Profis spornen ihr Gegenüber deshalb mit aufmunternden Worten zum Reden an. Häufig mit Erfolg, denn "die meisten quatschen, wenn sie wichtig genommen werden", weiß der Ex-Polizist. Seine Geheimwaffe: Schweigen. "Bringen Sie ein starkes Argument, und halten Sie dann den Mund."