Verbundgruppen

Gemeinsam gegen die IT

10.04.2007 von Christiane Pütter
Für den Bäckermeister findet Effizienzsteigerung in der Backstube statt, nicht am Computer. Dass man mit IT Geld sparen kann, muss sich unter Verbundgruppen von Handwerk und Handel noch durchsetzen.

Der Mann in der Backstube kennt sich aus: Croissants und Laugenbrezen, Rosinenbrötchen und Vollkornbrot – für jeden Geschmack die richtige Lösung. Geht es dagegen um die IT, zeigen er und seine Kollegen kaum Einfallsreichtum: Die Integration von Prozessen und Systemen ist ebenso wenig im Angebot wie Standardlösungen. Verbundgruppen von Handwerks- und Einzelhandelsbetrieben haben in Sachen Informationstechnologie nur Magerkost zu bieten. Das ist das Fazit der gemeinsamen „Verbundgruppen-Studie 2006“ von der Fachhochschule Köln und dem Overather Anbieter Gicom unter 60 Gruppen. Es beginnt schon bei der To-do-Liste: Als wichtigste Leistung einer Verbundgruppe gelten für 90 Prozent der Befragten die Bereiche Einkauf und Beschaffung, dicht gefolgt mit 86 Prozent von Seminaren und Schulungen. Die IT rangiert mit 60 Prozent der Nennungen nur auf Platz zehn von insgesamt 14 Positionen.

Eigenentwicklungen dominieren

Als häufigste Softwaresysteme kommen Warenwirtschaftssysteme zum Einsatz (76 Prozent), außerdem Lösungen für ERP und Zentrale Stammdatenerfassung (je 73 Prozent) und Zentralregulierung (68 Prozent). Dabei wird sehr stark mit Eigenentwicklungen gearbeitet: Über alle Bereiche hinweg liegt die Eigenentwicklungsrate bei 49 Prozent. Im leicht standardisierbaren Bereich Customer Relationship Management (CRM) erreicht sie sogar 60 Prozent.

Insgesamt scheinen die in Verbundgruppen organisierten Handwerker und Händler der IT nicht viel zuzutrauen. So vergeben die Umfrageteilnehmer den Punkten „Verbesserung der Integration der IT“ und „Vereinheitlichung der elektronischen Systeme“ auf einer Wichtigkeitsskala von eins (gar keine Bedeutung bis fünf (sehr hohe Bedeutung) die leidenschaftslosen Noten 3,1 und 2,9. Antworten, die Wolfgang Hackenberg nicht überraschen. Die Alltagswelten von kleinen Handelsbetrieben oder Handwerkern einerseits und IT-Lösungsentwicklern andererseits liegen zu weit auseinander, so der Experte am Steinbeis-Transferzentrum für Projektgestaltung und Vertragsmanagement. „Für den Bäckermeister findet Effizienz in der Backstube statt, nicht am Rechner“, sagt er. Viele Softwareprodukte seien für diese Zielgruppe zu kompliziert.

Vor allem aber haben die rund 337 Verbundgruppen in Deutschland schlicht andere Sorgen. Branchen-Insider zitieren Aussagen wie: „Uns sterben die Mitglieder weg oder gehen Pleite, und da kommen Sie uns mit IT?“ Andere Probleme sind hausgemacht. Beispiel Küchenbranche: Branchenkenner kalauern von den 120 Lieferanten, die seit 20 Jahren nicht in der Lage sind, sich auf einheitliche Datenstandards zu einigen. Warum auch – bei der überschaubaren Zahl an Playern wird das Wesentliche per Handschlag und am Telefon erledigt. So wie es Bäcker, Metzger und der kleine Textilkaufmann ja auch machen.

Wolfgang Hackenberg nennt eine weitere Ursache: „Bei den Verbundgruppen und ihren Mitgliedern schlagen alle Probleme des Mittelstandes auf.“ Konkret: Wagt sich ein Unternehmen an die Digitalisierung und plant zum Beispiel, ein elektronisches Dokumenten-Managemement einzuführen, droht die Keule Compliance. Hackenberg: „Die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen(GDPdU) kann ein 53-jähriger Handwerksmeister nicht bewältigen.“ Es schrecke das Metier ab, dass ein Datenschutzbeauftragter fällig wird, sobald eine Firma ein bisschen Größe erreicht hat. Wolfgang Hakkenberg sieht hier den Gesetzgeber gefordert, kleinere Brötchen zu backen.

Misstrauen gegen „die da oben“

Günter Schmid kann das bestätigen. Statt des lang versprochenen Bürokratie-Abbaus kämen ständig neue Vorschriften hinzu, klagt der Geschäftsführer der I+M Infokom, dem IT-Bereich der Verbundgruppe Eurobaustoff. „Viele unserer kleineren Mitglieder sind völlig überfordert, wenn sie nach den GDPdU geprüft werden, obwohl wir in Veranstaltungen darüber aufklären“, berichtet er. Überhaupt gelte die IT, so Schmid nüchtern, bei manchem Baustoffhändler als „Teufelszeug“. Auf das Anliegen der Verbundgruppen-Zentrale, den Rechnungsaustausch zu digitalisieren, kommt da schon einmal die Antwort: „Was hab’ ich denn davon, ihr wollt doch bloß kein Papier mehr verschicken.“

Dazu passt das Ergebnis der Kölner Verbundgruppen-Studie, wonach nur 37 Prozent der befragten Unternehmen mit anderen Mitgliedern und 43 Prozent mit ihren Lieferanten per Softwaresystemen im Datenaustausch (EDI) stehen. Trotzdem: Die Autoren der Studie rennen beim Infokom-Chef nicht mit jeder ihrer Thesen offene Türen ein. „Wieso gilt ein geringer Standardisierungsgrad bei denen denn automatisch als negativ?“, fragt Günter Schmid. Das Kernproblem liege woanders, nämlich in der geringen Prozessintegration. Dass Daten doppelt und dreifach eingegeben werden, dass infolgedessen Fehler entstehen – hier tut sich die große Baustelle seiner Verbundgruppe mit ihren rund 600 Mitgliedern auf.

Hoffnungsträger junge Generation

Und anders als es die Kölner Studie wiedergibt, wird darüber durchaus gesprochen. Die Eurobaustoff-Zentrale rührt für dieses Thema denn auch kräftig die Werbetrommel. „Dafür haben wir sogar ein Motto entwickelt“, grinst Schmid. So hängen auf Veranstaltungen Plakate mit dem Slogan „Integrationsvorteile nutzen – Vorsprung ausbauen“. Ob nun aber Standardlösungen oder Eigenentwicklungen integriert würden, spiele keine Rolle.

Wer Verbundgruppen Software und insbesondere Standard-Lösungen verkaufen will, hat, so die Erfahrung von Günter Schmid, außerdem mit einem Mentalitätsproblem zu kämpfen. Die Mitgliederstrukturen sind heterogen und versammeln viele kleine und mittelständische Betriebe. Die seien nicht bereit, sich an Verbindlichkeiten zu halten - man koche eben gern sein eigenes Süppchen. Und das gelte nicht nur für die IT, sondern sogar für den so stark priorisierten Bereich Einkauf. „Da meint jeder, er kann es noch besser und billiger machen“, seufzt Schmid.

Dennoch: Mittelfristig werden Verbundgruppen und ihre Mitglieder nicht an der IT vorbeikönnen – und auch gar nicht wollen. Branchenkenner schätzen den Altersdurchschnitt der Akteure auf 50 bis Anfang 60. Spätestens in zehn, 15 Jahren, wenn in den Betrieben ein Generationswechsel ansteht, kommt mit den jüngeren Leuten auch das Interesse an der Informationstechnologie, versichern sie wacker. Dabei setzt Wolfgang Hackenberg vom Steinbeis-Zentrum auf das Thema Integration. „Zum Beispiel dürften Business-Intelligence-Plattformen nachgefragt werden“, sagt er.

Grundsätzlich gilt: Wollen die Anbieter von Standardlösungen und anderer Software dieses Interesse kapitalisieren, müssen sie sich in den praktischen Alltag von Handwerkern und Einzelhändlern bemühen und sich dort umsehen. Dann ist der Bäckermeister am Computer ebenso einfallsreich wie in der Backstube.