Gesundheit am Arbeitsplatz ist Kopfsache - so sieht es zumindest Dr. Claudia Croos-Müller, Ärztin für Neurologie, Nervenheilkunde und Psychotherapie. Wer mehr auf sich achtet, ist widerstandsfähiger gegen Stress und geht leichter durchs Leben. Keine Sorge: Das muss nicht heißen, ausufernden Sport in der Mittagspause zu betreiben. Die Gesundheitsexpertin betont dagegen, wie wichtig es sei, kleine Gesundheitsrituale im Alltag zu verankern. Klar ist: In der modernen Arbeitswelt ist gar keine Zeit für große Veränderungen.
"Die Arbeitswelt hat sich gewandelt, in immer kürzerer Zeit muss man immer mehr schaffen", sagt Croos-Müller. "Diese Form des Arbeitens ist für das Hirn eine Riesenanstrengung. Das merkt man erst abends, wenn man sehr erschöpft ist." Vor allem das Multitasking ist für den Kopf nicht gerade förderlich. Für das Gehirn ist der Hochleistungsmodus schlecht, meint die Ärztin. Trotzdem arbeiten wir immer weiter, schlafen und bewegen uns zu wenig. "Kein Wunder, dass Stress zunehmend ein Thema wird", erzählt Croos-Müller aus ihrem Klinikalltag.
Vorsicht vor Burnout
Wer nicht gegen den hohen Druck und permanenten Stress vorgeht, läuft Gefahr, in den Burnout zu rutschen und an Depression zu erkranken. "Burnout ist keine Krankheit, sondern ein Zustand der totalen Erschöpfung", erklärt Croos-Müller. Sie definiert Burnout als Anhäufung negativer Erlebnisse, ausgelöst durch eine ständige Vielfachbelastung. Die Auswirkungen der Überlastung machen sich schleichend bemerkbar: Erst ist man ständig erschöpft, dann ist man auch nach dem Urlaub nicht mehr fit und erholt, bekommt Schlafprobleme. "Die Gereiztheit und Aggression nimmt zu, das Verhalten ändert sich", sagt Croos-Müller. Und wer dann noch perfektionistisch veranlagt ist, den erwischt Burnout schneller als andere.
Wer nicht erkennt, dass er an Burnout leidet oder ihn ignoriert, läuft Gefahr, an einer Depression oder am Herz-Kreislauf-System zu erkranken. Und womöglich steht am Ende gar die Arbeitsunfähigkeit. "Es ist ein langer Weg, bis man wieder gesund ist", warnt Croos-Müller. "Aber das Gute ist: Man kann sich selbst rechtzeitig behandeln, bevor es soweit gekommen ist." Gegen die Überlastung zu steuern, sei gar nicht so schwer. Der Schlüssel dazu sei ein kluges Gesundheitsmanagement.
Gesundheitsmanagement
Croos-Müller meint damit nicht die betriebliche Gesundheitsvorsorge, sondern das, was jeder selbst tun kann. Dazu gehört es, seine eigenen mentalen Ressourcen zu aktivieren und sie konsequent und nachhaltig zu trainieren. So kommt man besser mit Stress klar. Die mentalen Ressourcen könne man vor allem durch gute Gefühle aktivieren, aber auch durch die Körperhaltung, Bewegung und Mentaltechniken, erklärt sie. "Wer regelmäßig mit kleinen Übungen gegen den Stress angeht, verhindert, dass er umfällt", sagt sie.
Gesundheit ist Kopfsache
Wer gegen den Stress kämpfen will, muss seinen Kopf trainieren. Dazu gehören einerseits die mentalen Ressourcen. Wer sie aktiviere und bei sich selbst für positive Gefühle sorge, dem gehe es besser, rät Croos-Müller. Positive Gefühle seien Freude, Liebe, Vertrauen, Stolz und Interesse - wer sie aktivieren kann, bei dem würden automatisch Antistresssubstanzen ausgeschüttet. Umgekehrt gilt: Bei wem die negativen Gefühle überhand nehmen, der sei anfälliger für Stress und somit auch verletzlicher für Burnout.
Gleichzeitig spielt die sogenannte Resilienz eine große Rolle: "Resilienz bedeutet Widerstandsfähigkeit", sagt Croos-Müller. "Wer resilient ist, geht anders mit Krisen um, ist zuversichtlicher und ist psychisch gesehen tougher", erklärt die Ärztin. Die gute Nachricht: Resilient zu sein, kann man mit Mentaltraining üben. Dazu gehören zum Beispiel Yogaübungen oder Autogenes Training. Das Gehirn entspannt sich und ist nicht mehr hyperaktiv.
Auch für diejenigen, die nicht so viel Zeit oder Erfahrung mit Yoga haben, gibt es Mentaltechniken. Sie basieren darauf, dass Körper und Geist eine Einheit sind. So hängen zum Beispiel unsere Gefühlslage und die Haltung eng miteinander zusammen. "Die Körperhaltung ist sehr wichtig", sagt Croos-Müller. Wie wir sitzen oder stehen, hat großen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen. Wer mit hängenden Schultern, dem Kinn auf der Brust und rundem Rücken dasitzt, fühlt sich nur selten glücklich. "Wer den ganzen Tag so sitzt, wird merken, dass diese Körperhaltung etwas mit ihm macht", sagt Croos-Müller. Stattdessen: Schultern straffen, Brust raus, Kinn hoch. Das hebt die Stimmung und aktiviert die mentalen Ressourcen.
Aufstehen hilft
Bewegung ist wichtig, um der Erschöpfung zu entkommen. Doch die meisten von uns haben im Berufsalltag viel zu wenig Bewegung. Wir stehen nicht einmal besonders häufig vom Schreibtisch auf - allenfalls, um in die Kantine oder in ein Meeting zu gehen. Nur, um dort dann wieder zu sitzen. Dabei haben Studien gezeigt: Wer länger sitzt, ist früher tot. "Sitzen ist Gift für Venen, Wirbelsäule und Gehirn", sagt die Ärztin. Croos-Müller rät deshalb dazu, ab und zu Stand-Up-Meetings durchzuführen oder im Stehen zu telefonieren. Wer dann noch ein wenig vor und zurück schaukelt, fühlt sich gleich wohler.
Auch regelmäßiges Laufen oder Gehen ist wichtig, damit wir uns wohler fühlen. "Jede Form der halbwegs lustvollen Bewegung sorgt dafür, dass antidepressive Hormone ausgeschüttet werden", erklärt die Neurologin. So reichten schon ein paar hundert Meter Spaziergehen aus, damit im Kopf Morphium-ähnliche Hormone ausgeschüttet werden. So macht uns ein bisschen Bewegung ein bisschen glücklicher - und wir kommen besser mit Stress klar.
Mit Bewegung gegen Ärger
Die Bewegung hat noch einen zweiten angenehmen Effekt: "Wer sich bewegt, in dessen Kopf passiert etwas", sagt Croos-Müller. Sie erzählt dazu eine kleine Geschichte: "Das ist auch der Grund, warum von zwei Polizisten, die einen Täter am Tatort erwischen, nur einer hinterherrennen darf." Fans der ARD-Sendung "Tatort" wissen, dass einer zurückbleiben muss, um die die Spuren zu sichern. Doch noch etwas anderes kommt hinzu: Der Polizist, der dem Täter hinterher sprintet, hat später eine andere Erinnerung an den Tatort. Die Bewegung hat dafür gesorgt, dass er sich anders erinnert.
Das klingt zunächst erst mal bedrohlich: Wer will schon, dass sich die Erinnerung an ein Meeting verflüchtigt. Aber man kann diese Tatsache für den Alltag nutzen. Zum Beispiel, wenn man sich gerade über einen Kollegen oder den PC ärgert. Dann rät Croos-Müller dazu, zum Beispiel aufzustehen und am Platz zu laufen. "Das Hirn ist mit einer anderen Sache so beschäftigt, dass man gar nicht mehr an die Person denkt", erklärt sie. Schon ist der Ärger verflogen und der Stresspegel sinkt.
Den Tag begrüßen
Sie beginnen den Tag damit, den Wecker genervt auszuschalten, schnell zu duschen, sich anzuziehen und ins Büro zu hetzen? Dann fühlen Sie sich auch den Rest des Tages so. Die Gesundheitsexpertin rät zu einem Morgenritual. Das muss nicht lang sein. Drei Minuten reichen. "Welches Morgenritual das ist, ist im Prinzip egal", sagt sie. Sie führt eines vor, das aus Dehnen und Strecken besteht, danach kann man mit den Füßen stampfen, sich selbst im Spiegel anlächeln und den Daumen nach oben recken. Aber auch die "5 Tibeter" oder ein kurzes Autogenes Training seien eine gute Möglichkeit, die geistigen Ressourcen zu aktivieren und sich besser zu fühlen. "Jeden Morgen dieses Ritual durchzuführen, belebt", sagt sie. So startet man gut in den Tag und ist widerstandsfähiger gegenüber Stress.
Kleine Tricks für zwischendurch
Als kleine Übung für zwischendrin rät sie zu einer kurzen Schlürfatmung. Das geht so: Den Mund rund machen und schlürfend tief einatmen, dann prustend mit aufgeblasenen Backen ausatmen. Das befreit den Kopf - auch von Ärger. "Wer sich richtig ärgert, dem kann auch die Technik helfen, sich so fest wie möglich anspannen und wieder locker lassen", sagt Croos-Müller. Das befreit das Gehirn, schließlich ist man stark auf etwas anderes konzentriert.
Zudem rät sie dazu, sich öfter zu loben und freundlich zu sich selbst und zu anderen zu sein. "Wer viel lacht, der ist gesünder", sagt sie. Singen stärkt zudem die Abwehrkräfte. Und wenn sich der Ärger gar nicht mehr abschütteln lässt, kann man ihn einfach wegwerfen. "Tun Sie so, als würden Sie schlechte Emotionen über die Schulter werfen", rät die Ärztin. Wer das nur zehn Sekunden macht, der ist entspannter und kann dem stressigen Alltag mit mehr Optimismus begegnen.