Manfred Schuster schaut aus seinem Fenster im Bonner Post-Tower. Anfang des Jahres hat der CIO sein Domizil im 14. Stock des höchsten Bürogebäudes in Nordrhein-Westfalen bezogen. Völlig unerwartet fahren der Sonnenschutz hoch und das Fenster auf. Ein Computer regelt hier, wer wann aus dem Fenster guckt oder Frischluft bekommt. Abgesehen davon hat der CIO der Deutschen Post World Net (DPWN) alles fest im Griff. Denn für sämtliche Beschlüsse der Post-IT hat Schuster einfache und nachvollziehbare Wege eingeführt: "Wir haben einen Abstimmungsmodus für alle Entscheidungen geschaffen, sodass wir mit erheblich mehr Klarheit als zuvor in die Units rausgehen können."
Der Post-CIO beschreibt damit den Traum aller Manager, die sich mit IT-Governance beschäftigen. CEOs lieben das Wort, von dem sie sich eine straffere Führung und Spareffekte erhoffen. "Mit einer guten IT-Governance sichern Unternehmen Synergien, die sich durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien ergeben", erklärt Michael Maicher von Deloitte Consulting. In einer Studie zum Thema weist die Unternehmensberatung jedoch darauf hin, dass es kein "Organisationsstrukturoptimum" als Patentrezept gibt: "Immer müssen die Verantwortlichen die Historie, gegenwärtige Situation und zukünftige Ausrichtung der Unternehmen und Geschäftsbereiche berücksichtigen."
IT-Regierung bestimmt: Wer tut was wie?
Bereits 2002 haben Berater von Gartner in einer Untersuchung mit mehr als 250 CIOs einen Zusammenhang zwischen einer klaren Governance und einer effektiven IT nachgewiesen. Im Abschlussbericht steht, wie sich CIOs dem englischen Blähwort nähern können, wenn von ihnen eine neue "IT-Regierung" gefordert wird: "IT-Governance umfasst die Autorität, Entscheidungen zu treffen, und bestimmt Verantwortlichkeiten für die IT-Organisation", definiert die Gartner Group und unterscheidet dabei nach den Merkmalen Rollen (wer), Domäne (was) und Strukturen/Prozesse (wie).
Bei der Deutschen Post World Net ist das Wer geklärt. Seit Oktober 2001 gibt es ein IT-Board, das sich alle zwei Monate trifft. In dieser obersten Governance-Instanz sind zehn Top-Manager der DPWN vertreten, darunter der IT-Vorstand Frank Appel, der "Leiter des Konzerninformationsmanagements", wie Schuster offiziell betitelt ist, und die CIOs der Business Units Brief, Express, Finanzen und Logistik. "Mit dem IT-Board haben wir uns ein Gremium geschaffen, in dem alle Töchter der weltweiten Post vertreten sind, und das die nötigen Entscheidungen konzernweit verabschiedet", betont Schuster. Sein IT-Board ist somit verhältnismäßig groß und prominent besetzt. "Je nach Unternehmenssituation variieren IT-Gremien ihre Besetzung, ihre Aufgaben und ihren Entscheidungsspielraum", sagt Deloitte-Berater Maicher. Für alle Hierarchieebenen empfiehlt er, nie mehr als zehn Entscheider in IT-Management-Board, Steering Committee, IT-Council oder Leitungsausschuss aufzunehmen. Produktivität und Entscheidungsgeschwindigkeit sänken oberhalb dieser Zahl zu schnell, jedenfalls wenn die zu treffenden Entscheidungen nicht an anderer Stelle bereits vordiskutiert würden.
Corporate-IT-Meetings als Novum
Sowohl Schenker als auch der Post kommt bei der IT-Governance zugute, dass das Wer auf oberster Ebene geklärt ist. Eine Umfrage des Darmstädter Dienstleisters Synstar zeigt, dass dies längst nicht in allen Unternehmen der Fall ist. Ende vergangenen Jahres war dennoch nur jeder vierte europäische CIO im Vorstand angesiedelt. Von den verbleibenden 75 Prozent hatten lediglich 6 Prozent vor, dem CIO innerhalb der nächsten zwölf Monate einen Vorstandsposten zu geben. "Es ist bei vielen Firmen noch ein langer Weg zur effektiven ITGovernance", meint Martin Bednaric von Roland Berger Strategie Consultants. Immerhin besitzt nach seiner Schätzung inzwischen knapp die Hälfte aller CIOs die Rückendeckung ihrer Geschäftsleitung.
Ralf Weißbeck, Leiter IT-Governance Schenker, Essen: „Das regelmäßige Corporate- IT-Meeting ist ein sehr effizientes Gremium, in dem IT-Aktivitäten zwischen dem Head-Office und den Regionen abgestimmt und verbindliche Entscheidungen getroffen werden.
Wichtiges Ziel: Kostensenkung
Post-CIO Schuster gehört zu den glücklichen 50 Prozent. Vorstandschef Klaus Zumwinkel hatte ihn als "IT-Libero" und die IT vor dem Börsengang der Post als "strategische Waffe" bezeichnet. Ist sie auf das richtige Ziel gerichtet, oder - um in der Terminologie Gartners zu bleiben - ist das Was in einer IT-Governance richtig entschieden, ergeben sich erhebliche Einsparpotenziale. Im Kostensenkungsprogramm "Star", mit dem die Post bis 2005 insgesamt 1,4 Milliarden Euro einsparen will, entschied das IT-Board beispielsweise, die sechs parallelen Netzwerke in ein internationales Gesamtnetz einzubetten. Ersparnis: 130 Millionen Euro bis 2005. Die Netzwerkkonsolidierung ist nur ein Beispiel für die Bedeutung des Was in der IT-Governance. Um die Domänen des IT-Betriebs klar abzugrenzen, müsse man "Leitplanken" setzen, wie es Audi-CIO Klaus Mühleck branchentypisch bezeichnet: "Leitplanken bezüglich des Einsatzes von IT beziehungsweise der Steuerung von IT-Ressourcen." Der E-Business-Hype habe gezeigt, dass während der Euphorie die Leitplanken gefehlt hätten.
Im September 2002 hat der Konzernvorstand bei Audi deshalb die neue IT-Governance verabschiedet. Mühlecks Abteilung heißt jetzt "IT und Organisation". "Wir erleben zum Glück gerade den Weg von einer stark technologiegetriebenen IT hin zu einer Ressource-IT, die auch den Wertbeitrag für das Unternehmen managen muss", sagt der Audi-CIO. Berater Bednaric pflichtet bei: Governance müsse IT- und Geschäftsstrategie verzahnen, damit der Wertbeitrag der IT am Gesamtgeschäft maximiert wird. Ein bisschen Umorganisieren, um dann zu meinen, man hätte eine stringente ITGovernance, sei abwegig. Es gehe vor allem darum, das Bewusstsein der Führungskräfte für die Wichtigkeit der IT für das Gesamtunternehmen zu schärfen.
Lokal, regional oder global
Das berührt das dritte W in der Governance-Definition von Gartner. Beim Wie drängt zunächst die Frage, wie Unternehmen mit geteilten Souveränitäten umgehen - innerhalb der IT sowie zwischen der IT und den Funktionsbereichen. "Sie müssen entscheiden, was lokal, regional und global gemacht werden soll", sagt CIO Mühleck. Im vorgegebenen Rahmen dürfen die lokalen Manager bei Audi frei agieren. "Man kann nicht alles zentral steuern, sondern muss auch die Kompetenzen vor Ort ertüchtigen", meint Mühleck, der damit die Glaubensfrage umgeht, ob zentrale oder dezentrale Organisationen die besseren sind.
Auch Daimler Chrysler Services beschäftigt sich mit dieser Frage. "Ausgehend von den Eckpunkten einer mit dem Business erarbeiteten IT-Strategie, haben wir uns für eine zentrale IT-Funktion entschieden", erläutert Markus Sontheimer. Als "CIO World Exclusive Nafta" für Europa, Asien und Lateinamerika ist er beim Finanzdienstleister Daimler Chrysler Services Chef von mehr als 500 IT-Mitarbeitern. "Das bedeutet eine wesentliche Einschränkung der Freiheit für die Einheiten in den Ländern."
Länderchefs vor kulturellem Wandel
"Wir haben im Rahmen einer Best-Practices-Studie der Unternehmensberatung Concours viele Unternehmen kennen gelernt, die das gleiche Problem hatten: die Transformation vom internationalen Unternehmen hin zum transnationalen zu bewerkstelligen, das heißt, über Ländergrenzen hinweg harmonisierte Kernprozesse unternehmensweit anzulegen", sagt Sontheimer. Der Vergleich habe dann nahe gelegt, sich in puncto zentral/ dezentral für eine zentralisierte Steuerung zu entscheiden. "Bei uns verlieren nun die Geschäftsführer in den Ländern an Entscheidungsfreiheit, die natürlicherweise IT nicht als Schwerpunkt sahen", sagt der CIO. Auf einmal gebe es klare strategische Leitplanken und Vorgaben, die sie vorher nicht kannten. "Uns steht allen ein kultureller Wandel bevor."
Markus Sontheimer, CIO WEN (World Exclusive Nafta) Daimler Chrysler Services: „Bei uns verlieren nun die Geschäftsführer in den Ländern an Entscheidungsfreiheit, die natürlicherweise die IT nicht als Schwerpunkt sahen.
Udo Bieletzki, Senior Vice President IT und Organisation RAG Coal International, Essen: „Wir wollen in den nächsten Jahren das Bewusstsein verändern. Die IT muss endlich Teil des Business werden.
Udo Bieletzki, Senior Vice President für Informationstechnik und Organisation der RAG Coal International AG, geht einen anderen Weg. Dezentralität ist entgegen dem allgemeinen Trend das Führungsprinzip bei der Tochter des Essener RAG-Konzerns. "Ich fliege nicht für 10000 Euro nach Australien, um bei einem strategisch unwichtigen Softwarekauf für 3000 Euro dabei zu sein", meint IT-Leiter Bieletzki: "Das ist die Aufgabe der operativen Gesellschaft."
Eine Einheit: Governance und Scorecard
Für Bieletzki ist beim Wie in der IT-Governance ein anderer Punkt entscheidend: "In vielen Unternehmen waren Entscheidungen bis jetzt nicht transparent", sagt der IT-Manager. "Ich habe mich selbst dabei ertappt: Heute trifft man Entscheidungen nach aktuellen Erfordernissen so und morgen so. Bei den Tochtergesellschaften wurde das dann als Willkür wahrgenommen."
Seit Mitte vergangenen Jahres laufen in Essen zwei Projekte, mit dem Bieletzki dem Problem beikommen will: IT-Governance und IT-Scorecard. "Das gehört beides zusammen", ist der IT-Chef von RAG Coal überzeugt. Anfang Juni hat RAG Coal erstmals alle 16 ITManager weltweit aus Australien, Deutschland und den USA zusammengeholt und ihnen Vorschläge zur ITGovernance und zur Scorecard gemacht. Dabei wurde nicht von oben nach unten dekretiert, sondern ein Prozess angestoßen, wie Bieletzki betont. Das IT-Managers-Council soll nun zu einer Dauereinrichtung werden. "Wir wollen in den nächsten Jahren das Bewusstsein verändern. Die IT muss endlich Teil des Business werden."
Lokale IT-Units kämpfen um Macht
Für die Informatikstrategie genauso wie für die gesamte Struktur eines Unternehmens ist es wichtig, welchen Grad an Freiheit die untergeordneten Organisationseinheiten haben dürfen. Laut einer Studie der Albert-Ludwig-Uni Freiburg verfolgen 25,8 Prozent der befragten Unternehmen eine zentral durch die Mutterorganisation geprägte Informatikstrategie, um Skaleneffekte zu erzielen. 17,1 Prozent bevorzugten eine dezentrale IT-Strategie mit einer hohen lokalen Verantwortung, 57,1 Prozent entschieden sich für eine koordinierte Strategie, die auf zentralen Kernkompetenzen bei gleichzeitiger dezentraler Verantwortung für lokale Anpassungen basiert.
Natürlich verdächtigen bei dieser letzten Variante alle Beteiligten in den Regionen das zentrale Management, Kompetenzen beschneiden zu wollen. Konflikte sind vorprogrammiert. Die Kämpfe um Macht kommentiert Post-CIO Schuster jedoch gelassen: "Dass Entrepreneure aus den Business Units versuchen, Macht zu bekommen, ist doch völlig normal."
Der 162 Meter hohe und vor allem aus Licht und Luft bestehende Post-Tower wirkt nicht so, als würden Kräfte, die heimlich auf die IT-Governance-Struktur einwirken, dort lange unentdeckt bleiben. Eine Glas-Metall-Fassade umhüllt den Turm, auch die Wände der Büros sind durchsichtig. "Anfangs sind wir immer mit ausgestreckter Hand durch die Flure gelaufen", erinnert sich eine Mitarbeiterin an die Zeit nach dem Umzug. An Transparenz muss man sich halt erst einmal gewöhnen - auch an die, die durch IT-Governance geschaffen wird.