Um Begriffe wie Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen (ML) und Deep Learning (DL) hat sich ein regelrechter "Hype" entwickelt. Das zeigt sich alleine in den Prognosen von Marktforschern und Technologie-Unternehmen für 2018 und die folgenden Jahre. Doch wäre es verfehlt, KI und Co. als reines "Marketing-Blabla" abzutun.
"Um sich vor Augen zu führen, wie stark Künstliche Intelligenz bereits heute unseren Alltag verändert, genügt ein Blick auf drei zentrale Anwendungsbereiche: die Smart Factory, den Bereich des autonomen Fahrens und sowie Serviceassistenten und digitale Assistenzsysteme", betont Michaela Tiedemann, Chief Marketing Officer bei der Alexander Thamm GmbH. Das Beratungshaus aus München hat sich auf den Bereich Data Science spezialisiert.
KI und Machine Learning sind zudem das Herzstück von Chat-Bots und digitalen Assistenten, etwa Amazon Alexa, Googles Assistant, Apples Siri und Cortana von Microsoft. Solche digitalen Helfer halten mittlerweile auch im Geschäftsbereich Einzug. So kündigte Amazon im Herbst 2017 eine Business-Version von Alexa an. Damit können Mitarbeiter beispielsweise Besprechungen mit Kollegen ansetzen und den dazugehörigen Raum buchen.
Vom Chat-Bot zur Produktion
Generell gilt jedoch, dass Künstliche Intelligenz und Machine Learning in vielen Branchen und Einsatzbereichen zum Zuge kommen kann. "Ein Beispiel ist die vorausschauende Wartung, also Predictive Maintenance", sagt Bernd Gloss, Managing Solution Architect bei Capgemini in Stuttgart. "ML- und KI-Algorithmen können hier beispielsweise helfen, den Austausch von verbrauchten Werkzeugen gegen neue zu optimieren."
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Laut Hendrik Nieweg, Head Solution Management bei Device Insight in München, nutzen viele Unternehmen im ersten Schritt Machine-Learning-Anwendungen, um sich mit der Thematik KI vertraut zu machen. "Ein Beispiel ist die Wartung von Maschinen. Im zweiten Schritt kommen neuronale Netze zum Einsatz. Maschinelles Lernen wird dann um die Automatisierung der Analysen ergänzt." Generell sei in Sachen KI bei Unternehmen ein ähnliches Umdenken zu beobachten wie bei Cloud-Computing.
"Ein Grund ist, dass Fertigungsunternehmen bereits im Rahmen von Industrie-4.0-Projekten Erfahrungen mit der Vernetzung von Maschinen gemacht haben." Zudem stoßen Nieweg zufolge Unternehmen bei der Optimierung von Prozessen an Grenzen, etwa in der Fertigung. "Daher ist es notwendig, sich mit disruptiven Technologien wie KI, Machine Learning und Deep Learning auseinanderzusetzen."
Auch in der Automobilindustrie und der Handelsbranche können Maschine Learning und KI Vorteile bringen, so die Teilnehmer des Round-Table. "Unternehmen in Deutschland, etwa aus dem Automobilsektor, führen seit einiger Zeit Tests mit KI-Anwendungen durch", erläutert etwa Christoph Angerer, Senior Developer Technologies Engineer (Deep Learning und Accelerated Computing) bei Nvidia. Das Unternehmen hat entsprechende Plattformen entwickelt, etwa für den Bereich autonomes Fahren. "Prototypen werden dabei oftmals in separierten IT-Umgebungen entwickelt, damit die zentralen IT-Systeme und Fertigungsanlagen nicht beeinträchtigt werden", so Angerer.
KI-Anwendungen im Handel bereits unverzichtbar
Ohne den Einsatz von KI- und ML-Systemen haben Handelshäuser kaum eine Chance, zu überleben. Diesen Standpunkt vertritt Jan Karstens, Chief Technology Officer bei Blue Yonder. Das Unternehmen aus Karlsruhe hat sich auf KI-Lösungen für den Einzelhandel spezialisiert. "Die Disposition von Waren zählt zu den Einsatzfeldern, in denen nach unseren Erfahrungen KI und maschinelles Lernen bereits heute unverzichtbar ist", betont Karstens, "Der Handel hat angesichts niedriger Margen und des harten Wettbewerbs keine andere Wahl."
Multiclient-Studie Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning Zu den Themen Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Die Studie soll zeigen, wie deutsche Manager mit den Themen KI und Machine Learning derzeit in ihren Unternehmen umgehen. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Nicole Bruder (nbruder@idg.de, Telefon: 089 36086 122) gerne weiter. Informationen zur KI/Machine-Learning-Studie finden Sie auch hier zum Download. |
Dass Unternehmen neue Technologien wie KI nicht aus eigenen Stücken implementieren, sondern weil die Marktsituation das erfordert, bestätigt Tobias Beuckes, RPA-Experte beim Beratungshaus Horváth & Partners Management Consultants in Stuttgart. Vor allem Branchen, deren Geschäftsumfeld sich drastisch geändert hat, setzen demnach auf moderne Technologien.
Dazu gehört beispielsweise die Finanzindustrie. Die Frage ist, wann auch die Geschäftsführung und die IT-Verantwortlichen in anderen Sparten die Unverzichtbarkeit solcher Technologien erkennen. Doch in dieser Beziehung hapert es offenkundig: "Kurzfristige Erfolge statt einer langfristigen Strategie - dieser Ansatz ist in den Chefetagen vieler Unternehmen in Deutschland zu beobachten", kritisiert Beuckes.
KI ist kein Selbstläufer
Damit spricht Beuckes einen wunden Punkt an. Denn es ist durchaus nicht so, dass deutsche Unternehmen in puncto KI und Machine Learning bestens aufgestellt sind: "Im Bereich KI und der Anwendung entsprechender Lösungen läuft Deutschland die Zeit davon", konstatiert Henning von Kielpinski, Vice President Business Development & Alliances bei der Consol Software GmbH in München. "Mitbewerber aus dem Ausland bieten bereits Zusatzdienste an, die auf KI und maschinellem Lernen basieren", so von Kielpinski weiter. Ein Hemmklotz sei zudem das langfristige Strategiekorsett, in dem viele Unternehmen stecken. "Die Folge ist, dass Führungskräfte nicht in der Lage sind, neue Zielrichtungen zu definieren, etwa im Bereich KI", bemängelt von Kielpinski.
Neben der "Strategie-Zwangsjacke" gibt es jedoch weitere Faktoren, die sich ungünstig auf die Umsetzung von KI-Projekten auswirken. So fehle es an "Leuchtturmprojekten", stellt Hendrik Nieweg von Device Insight fest. Ein Großteil der Unternehmen warte ab, welche Erfahrungen Mitbewerber oder Partner bei der Umsetzung von KI-Initiativen machten. "Das ist jedoch gefährlich, denn allzu schnell verpasst ein Unternehmen den richtigen Zeitpunkt, um auf den KI-Zug aufzuspringen", so Nieweg.
Glossar: Von Maschinellem Lernen bis zu KI |
Künstliche Intelligenz (KI) oder Artificial Intelligence (AI): Dies ist der Oberbegriff, der auch Technologien wie maschinelles Lernen und Deep Learning umfasst. KI ist die Fähigkeit von Maschinen, wie Menschen zu denken und deren Verhalten zu imitieren. Das schließt das Treffen von Entscheidungen und das Verstehen von Sprache mit ein. KI-Anwendungen profitieren davon, dass heute die dazu erforderliche Rechenleistung zu akzeptablen Kosten zur Verfügung steht. Maschinelles Lernen: Eine Definition der Stanford University besagt, dass Machine Learning Computer dazu bringt, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dies erfordert keine Programmierung durch einen Menschen. Die Grundlage bildet ein Lernprozess anhand von Beispielen. Nach dieser Lernphase ist ein System in der Lage, mithilfe des erworbenen Wissens vergleichbare Muster zu erkennen. Es wird zwischen überwachtem und nicht überwachtem Lernen unterschieden. Beim überwachten Modell "lernt" ein System anhand von Paaren von Eingaben und Ausgaben. Für jede Eingabe wird während der Trainingsphase die richtige Ausgabe zur Verfügung gestellt. Anschließend kann das System selbstständig aus einer Eingabe die passenden Ausgabewerte ermitteln. Deep Learning setzt auf künstlichen neuronalen Netzen auf, die über mehrere Ebenen (Layer) verfügen. Eine Eingabewert passiert vieler solcher Layer, um einen Ausgabewert zu generieren. Erforderlich sind mindestens drei dieser Ebenen. Die entsprechenden Algorithmen extrahieren dabei Muster aus Rohdaten, etwa solchen, die von Sensoren erzeugt werden. Deep Learning kam unter anderem beim Training von Alpha Go zum Einsatz, einem Programm von Deep Mind. Es besiegte 2017 unter anderem den "menschlichen" Weltranglisten-Ersten im Go-Spiel und mehr als 60 Go-Profis. |
Nicht ganz so kritisch bewertet dagegen Bernd Gloss die Lage. Der Mittelstand in Deutschland sei sich durchaus der Tatsache bewusst, dass Machine Learning und KI sowie das Internet der Dinge und digitale Zwillinge von Produkten und Systemen ("Digital Twins") Vorteile bringen könnten. "Das sehen auch die Führungskräfte in mittelständischen Unternehmen so", stellt der Fachmann von Capgemini fest. Doch auch Gloss räumt ein: "Unserer Erfahrung nach konzentrieren sich momentan viele Unternehmen darauf, existierende Prozesse mittels Industrie-4.0-Technologien zu verbessern. Beim Ausschöpfen aller anderen Möglichkeiten gehen sie noch sehr zaghaft vor."
Mehr Geld für Forschung und Startups
Um KI und maschinelles Lernen in der Praxis voranzubringen, bieten sich aus Sicht der Experten mehrere Optionen an. Zum einen sollten Unternehmen und Forschungseinrichtungen stärker in KI und ML investieren: "Unternehmen stellen bislang zu wenig Geld für die Erprobung von KI und die Integration solcher Lösungen in Herstellungsprozesse und Produkte bereit", kritisiert Christoph Angerer. Er empfiehlt, Startup-Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu fördern, die risikofreudiger als Unternehmen agieren können.
Auch Henning von Kielpinski von Consol plädiert dafür, mehr Wagniskapital für neue Anbieter im Bereich KI, ML und Deep Learning vorzusehen. Dadurch lassen sich seiner Einschätzung nach auch Hemmschwellen beseitigen, die in einzelnen Branchen vorhanden sind: "Speziell der Maschinenbau ist durch eine Abschottung nach außen geprägt. Das führt leider dazu, dass Unternehmen aus diesem Bereich kaum Forschungsgelder für KI-Projekte bereitstellen", so der Fachmann.
Informationen zu den Partnerpaketen für die KI/Machine-Learning-Studie
Einen weiteren Punkt führt Tobias Beuckes an: ein Rahmenwerk auf nationaler oder EU-Ebene, das den Einsatz von Technologien wie der Künstlichen Intelligenz fördert. "Dieses Framework sollte beispielsweise den Umgang mit Daten regeln, die Anwendungen aus den Bereichen KI und Maschinelles Lernen nutzen." Das wiederum erleichtere es Unternehmen, eine langfristige Strategie auf diesen Gebieten zu erarbeiten.
Cloud oder das eigene Datacenter?
Wer KI-Funktionen und Machine Learning nutzen möchte, hat zwei Optionen. Die erste ist der "Do-it-Yourself"-Ansatz, also die Implementierung entsprechender Systeme und Software im hauseigenen Rechenzentrum. Die zweite Möglichkeit ist, entsprechende Ressourcen bei einem Cloud Service Provider zu buchen, inklusive Server- und Speicher-Kapazitäten, Datenbanken und ergänzenden Services.
Dass die Cloud eine probate Alternative zu einer "On-Premise"-Implementierung ist, bestätigt Christoph Angerer. "Es bietet sich an, KI-Anwendungen über eine Cloud bereitzustellen und so die Ressourcen dynamisch an den Bedarf anzupassen", so der Fachmann von Nvidia, "bei unseren Kunden verzeichnen wir sowohl eine Nachfrage nach Public-Cloud-Angeboten als auch nach unternehmensinternen Private Clouds."
Business Intelligence versus Analytics Häufig werden zwei Begriffe synonym gebraucht, wenn es um die Analyse von Daten und daraus resultierende Entscheidungen geht: Business Intelligence und Analytics. Auch unter Fachleuten ist umstritten, wo die Grenzlinie verläuft. Dies umso mehr, als die Anbieter von BI-Lösungen in ihre Produkte verstärkt Analyse-Funktion integrieren. Allgemein formuliert umfasst BI Technologien, die Manager und Analysten dabei helfen, die "richtigen" Entscheidungen zu treffen. BI-Systeme stellen zu diesem Zweck Dashboards, Berichte und Pivot-Tabellen zur Verfügung. Ein Trend sind Selbstbedienungsservices. Mit ihnen können Nutzer Analysen und die entsprechenden Berichte nach eigenen Vorstellungen zusammenstellen. Verfechter des Analytics-Ansatzes führen an, dass BI primär ein Blick in den Rückspiegel ist, also bestenfalls eine Analyse des Ist-Zustandes ermöglicht. Zudem würden primär unternehmensinterne Informationen verarbeitet. Analytics umfasst dagegen auch Datenbestände, die außerhalb des Unternehmens generiert werden. Dazu zählen beispielsweise Reaktionen von Kunden auf Social-Media-Plattformen oder Daten von Maschinen, die bei einem Kunden im Einsatz sind. Ein weiteres Merkmal sei die Echtzeit Auswertung von Informationen. In Kombination mit Techniken wie maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz können moderne Analytics-Lösungen zudem valide Prognose über künftige Entwicklungen abgeben. Timo Eliott, Innovation Evangelist bei SAP, hält diese Debatte dagegen für akademisch. SAP verwendet deshalb verstärkt den Begriff "Business Analytics". Er umfasst sowohl BI- als auch Analyse-Lösungen, Data Warehouses und Bereiche wie Risikomanagement und Compliance. Auch Dipak Bhudia, der Gründer des Cloud-Analytics-Anbieters Clear Analytics, bevorzugt den Begriff Business Analytics. Dienste wie die von Clear Analytics unterscheiden sich durch die Bereitstellung der Services – per Cloud, nicht durch eine aufwändige Struktur im eigenen Datacenter. Und sie konzentrieren sich darauf, Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu finden und in leicht verständliche "Insights" zu übersetzen. |
Allerdings bedeutet KI aus der Cloud nicht, dass der Nutzer damit eine gebrauchsfertige Lösung von der Stange erhält. "Künstliche Intelligenz as a Service muss an den konkreten Use Case angepasst werden", betont Jan Karstens von Blue Yonder, "bislang stellen die Service Provider nur Frameworks und Technologien zur Verfügung." Solche Anpassungsarbeiten erfordern wiederum Know-how, das in etlichen Unternehmen, vor allem kleineren Firmen, nur in begrenztem Maße oder gar nicht vorhanden sein dürfte. Diese sind somit auf Hilfestellung durch Berater und die Anbieter von KI- und Machine-Learning-Lösungen angewiesen.
Auch für Bernd Gloss von Capgemini hängt die Antwort auf die Frage "Cloud oder eigenes Datacenter" vom Einsatzgebiet ab. Als Beispiel führt er Assistenzsysteme in Autos und das autonome Fahren an. "Wenn eine Datenverbindung zwischen Fahrzeug und Cloud-Rechenzentrum vorhanden ist, kann gewissermaßen ein KI-Normalmodus zum Zuge kommen. Reißt die Verbindung jedoch ab, muss jedoch ein Safe Mode vorhanden sein, damit das Fahrzeug ohne Probleme weiterfahren kann", erläutert Gloss.
Anwendungsfälle definieren
Unternehmen, die KI- und Machine-Learning-Anwendungen in der Praxis implementieren möchten, sollten mehrere Punkte beachten, so die Teilnehmer des COMPUTERWOCHE-Round-Table. Wichtig sei es, im Vorfeld einen "Use Case" für KI- und ML-Applikationen zu entwickeln. Der Grund: "Künstliche Intelligenz alleine ist kein Differenzierungsmerkmal, denn die zentralen Komponenten solcher Lösungen sind weltweit verfügbar", betont Henning von Kielpinsiki. Zudem sollten Unternehmen das "große Ganze" im Auge behalten. "Es geht nicht nur darum, Prozesse zu verbessern. Vielmehr erlaubt der Einsatz von KI die Schaffung ganz neuer Geschäftsmodelle", sagt Michaela Tiedemann.
Auf einen weiteren Faktor wiest Jan Karstens hin: Unternehmen müssen erkennen, wie sich mit dem Einsatz von KI und maschinellem Lernen Geld verdienen lässt. "Doch das erfordert Beratungsleistungen, die ein Technologielieferant nicht in jedem Fall erbringen kann", stellt der CTO von Blue Yonder fest.
Keine Angst vor der allwisssenden KI
Im Bereich Robotik hat sich mittlerweile eine Diskussion über den Nutzen und die potenziellen Risiken solcher Systeme entwickelt. Kritiker fürchten, dass Roboter Arbeitsplätze vernichten könnten. Eine ähnliche Debatte über universell einsetzbare, "allwissende" KI-Systeme entbehrt jedoch nach Einschätzung der Fachleute, die am Round-Table teilnahmen, jeder Grundlage.
"Solche intelligenten "Intelligente Systeme" werden heute grundsätzlich für definierte Einsatzgebiete entworfen, um die beste Leistung zu garantieren", sagt Christoph Angerer, "daher ist eine universelle Intelligenz, im Gegensatz zu spezialisierter Intelligenz, derzeit noch eine akademische Fragestellung." KI-Systeme, welche die Weltherrschaft übernehmen, bleiben somit auf absehbare Zeit nur ein Stoff für Science-Fiction-Filme.