In ihrem neuen Buch„Innovationen durch IT“ präsentieren Lothar Dietrich von IBM und Wolfgang Schirra von Booz Allen Hamilton Erfolgsbeispiele, wie sich Innovationen in Produkten, Geschäftsprozessen und neuen Geschäftsmodellen treiben lassen. CIO sprach mit den Herausgebern und mit den Autoren Sven Lorenz, Leiter Informationssysteme bei Porsche, Klaus Straub, CIO bei Audi sowie André Wehner, CIO bei Kabel Deutschland.
CIO:Wo entstehen in Ihrem Haus die besten Ideen?
Wehner: Kabel Deutschland ist relativ klein mit seinen 2500 Mitarbeitern. Deshalb kommen bei uns die Ideen für Innovationen relativ schnell zusammen, von der Fachseite, von der IT-Seite und auch von außen, vom Dienstleister.
CIO: Ist es bei Audi schwieriger, Ideen zusammenzubringen?
Straub: Unbedingt. Dabei würde ich Innovation aus dem Fachbereich und Innovation aus der IT zusammenfassen, weil die Programme in der Regel auch gemeinsam gestaltet werden.Aus dem Fachbereich kommt auch eher der Kostendruck. Zudem ist uns die Zusammenarbeit mit Hochschulen sehr wichtig. Wir haben ein Programm mit der Universität München, „IT in the car“. Darüber hinaus kommen Innovationen auch von Beratern und Outsourcing-Partnern. Kombiniert wird das Ganze in der klassischen strategisch-operativen Planung.
CIO:Wie sieht es bei Porsche aus?
Lorenz: Man muss ganz klar unterscheiden, ob wir über Produktinnovationen reden – das betrifft bei uns das Fahrzeug und ist daher ein Thema der Fahrzeugentwicklung – oder ob wir über Prozess- und Technologieinnovationen reden. Unser Hauptbetätigungsfeld als Porsche-IT sind daher Prozessinnovationen. Da gibt es im Wesentlichen drei Quellen, aus denen die Ideen stammen: Viele Ideen entstehen in den Fachbereichen im Rahmen der üblichen Weiterentwicklung von Methoden und Verfahren. Darüber hinaus haben wir in allen Ressorts einen auch organisatorisch abgebildeten kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Fachbereichsseitige Rengineering-Teams durchleuchten regelmäßig, häufig zusammen mit der IT, die Geschäftsprozesse. Sie leiten auch Verbesserungsmaßnahmen ein, die unter anderem zu IT-Projektideen führen, die dann gemeinsam umgesetzt werden.
CIO: Herr Dietrich, kann man sagen, dass Prozessinnovation eher aus der IT und weniger aus dem Fachbereich kommt?
Dietrich: Nein, das denke ich nicht.Man kann gar nicht so scharf trennen zwischen Innovationen im Prozess und Innovationen im Produkt oder auch Innovationen im Geschäftsmodell.Das überlappt sich teilweise sogar.
Straub: Ich würde gar nicht differenzieren zwischen Fachbereich und IT. Sie sind ein Team. Jeder bringt seine Skills mit, der Fachbereich natürlich auch seine Nöte und seine Anforderungen aus der operativen Arbeit. Die IT bringt übergreifende, aber auch technologische Ideen ein. Gemeinsam kommt eine Innovation heraus, die auch wirklich umgesetzt werden kann, und nicht eine, die irgendwann versandet.
Lorenz: Unsere IT-Business-Aligment-Struktur sorgt dafür, dass wir in unterschiedlichsten Gremien – von endanwendernahen bis hinauf ins Top-Management – diesen Dialog fördern.Wir verabschieden beispielsweise durch ein IT/Business Integration Board unsere IT-Planung. Das ist ein zentraler Dreh- und Angelpunkt für die Beurteilung von Projektideen und die Ideenfilterung.
CIO: In der weltweiten Studie „State of the CIO “wurde gefragt, wer die Ideen treibt. Die Antwort war: zu 80 Prozent der CIO, dann kam der Fachbereich mit 69 Prozent.Wie sehen Sie das?
Straub: Die Quellen sind gemeinsame Ideen. Der CIO hat die Verantwortung abzuschätzen, ob die Innovation so reif ist, dass sie in ein oder zwei Jahren operativ umgesetzt werden kann, oder ob sie eher Forschungscharakter hat. Nehmen Sie das RFID-Thema: Vor zwei, drei Jahren hieß es, das müssen wir im Kleinen ausprobieren. Das können wir noch nicht in die Fläche reinbringen. Diese Verantwortung hat der CIO.
Lorenz: Beim Thema Treiben muss man sehen, in welcher Phase des Innovations- oder Ideengenerierungsprozesses man sich befindet. Ich glaube nicht, dass der CIO der alleinige Ideengeber sein kann. Das funktioniert nicht. In der Umsetzung muss er aber die Weichenstellungen vornehmen. Aus meiner Sicht wandelt sich die Rolle des CIOs von einem Mentor, Coach und Kommunikator zu einem, der die Verantwortung dafür übernimmt, dass die beschlossenen Projekte konsequent umgesetzt werden.
Wehner: Der CIO kann nicht alleine Innovationen treiben. Die Moderatorenrolle finde ich persönlich recht passend. Er muss mit seinem Team daran arbeiten, dass Innovationen zustande kommen; dafür muss er die wesentlichen Ideen herausfiltern.
Straub: Der CIO hat nicht nur eine Moderatoren-, sondern auch eine Integratorenrolle. Damit meine ich eine gewisse Governance im Sinne von Standardisierung. Das heißt, man hat Entwicklung, Produktion,Vertrieb und Querschnittsfunktionen.
CIO: Wie schafft man es, zu Beginn einer Innnovation schon zu standardisieren?
Lorenz: Wir müssen diese Integratorenrolle auch im Sinne von Richtlinienkompetenz wahrnehmen. Und zwar aus dem einen Grund, um spätere Innovationen auch wirklich zu ermöglichen. Nirgendwo gibt es grenzenlose Budgets. Wenn wir es schaffen, den IT-Betrieb kostengünstig darzustellen, schaffen wir auch Raum für Innovationen. Das ist eine der primären Aufgaben des CIOs. Dabei begeben wir uns natürlich auf eine Gratwanderung, weil wir damit Bereiche definieren müssen, in denen wir vielleicht die Standardisierung und Konsolidierung zunächst einmal über die Innovation stellen müssen.
Straub: Ein Beispiel, wo beides nur zusammen läuft, ist Product-Lifecyle-Management. Was schaffe ich dadurch? Vorne in der Entwicklung kommen die Änderungenherein, sie kommen aber auch zeitnah durch Product-Lifecyle-Management in die Produktion. Das ist für mich eine Innovation. Das schaffe ich aber nur durch einheitliche Standards auf der Stücklistenebene. Deshalb ist Innovation in einer gewissen Weise auch Standardisierung. Was aber nicht heißt, dass ich gleich alles durch die Standardisierungbrille sehe. Innovation muss ja Freiräume generieren.
CIO: Gibt es ein Gremium, das sich speziell um Innovationen kümmert, oder geschieht das im Rahmen des Portfolio-Managements?
Straub: Wir haben in den großen Häusern der Automobilbranche das Ideenwettbewerbsthema auf der Mitarbeiterseite. Diese Ideen gehen natürlich in die entsprechenden Fachbereiche oder Gremien hinein.
Schirra: Wichtig ist, Freiräume mit Rückendeckung der Unternehmensleitung zu schaffen. Das können Foren sein, in denen über Innovation gesprochen wird. Innovation setzt nämlich auch Freisetzung von Ideen voraus. Und die können im straff organisierten Tagesgeschäft nur zu leicht untergehen. Es kommt darauf an, dass man möglichst viele Innovationsquellen anzapft. Es mangelt in Deutschland an innovativen Produkten. Nur innovative Produkte schaffen Mehrwert. Von 1200 Ideen werden 500 relativ schnell platt gemacht. Also bleiben 700. Die wandern durch die verschiedenen Bereiche, werden nochmals beleuchtet. Am Ende bleiben nur zehn, aus denen marktreife Produkte werden. Das zeigt, was in Deutschland notwendig ist:Wir müssen eine riesige Bugwelle an Ideen vor uns herschieben, damit überhaupt marktreife Produkte herauskommen.
CIO: Man könnte aber auch den Umkehrschluss ziehen und sagen, wir brauchen weniger Ideen und stattdessen eine bessere Umsetzung.
Lorenz: Entscheidend ist nicht die absolute Zahl von Ideen, sondern der Prozess, mit dem ich – ausgehend von einer beliebigen Zahl von Ideen – zu den gewinnbringenden, zu den werthaltigen Ideen komme. Im Bereich Fahrzeuge haben wir einen strukturierten Innovationsprozess mit eigenen Innovationszirkeln. Auf der IT-Seite trennen wir nicht zwischen Portfolio- und Innovations- Management. In frühen Phasen der Portfoliobildung ist das Porfolio-Mangement eben auch ein Innovations- Management. Im gesamten Prozess braucht man meiner Meinung nach die Gemeinsamkeit von Praktikern und Denkern.
Straub: Dazu gehört aber auch die Kompetenz, Innovationen so bewerten zu können, dass sie umsetzbar sind. Außerdem fehlt es oft an Risikofreude. Das dritte Thema sind für mich Passion oder Emotion im Produkt.Wenn ich Innovationen umsetzen will, brauche ich Enthusiasmus, den Glauben an die Innovation und ein Gefühl dafür, was der Markt genau braucht. Das kann ich nicht in Bits und Bits rechnen. Das gilt auch für IT im Prozess. Der CIO muss mit Emotion risikofreudig, aber gleichzeitig auf allen Ebenen kompetent sein, damit er die richtigen Entscheidungen trifft.
Schirra: Man braucht ein interdisziplinäres Team. Dieses Team zu orchestrieren ist die Top-Management-Aufgabe überhaupt.
CIO: Wo steht der CIO dabei?
Straub: Der CIO ist eine Unternehmensressource wie jede andere auch. Er muss seinen Laden ganz klar kosteneffizient führen. Er muss als Innovator auch radikal sein, etwa in Richtung Outsourcing. Aber er muss in Zukunft auch viel stärker Risiken eingehen, Innovationen annehmen und Chancen fürs Business sehen.
CIO: Wann soll der CIO Innovationen einfangen und Prozesse implementieren?
Wehner: Wir haben einen vierstufigen Innovationsprozess aufgesetzt. In der ersten Stufe findet die Ideengenerierung statt. Anschließend erfolgt die Produktspezifizierung. Auf Basis entspechender Vorlagen wird die Entscheidung bezüglich der Produktentwicklung getroffen. Die vierte Stufe ist der Produkt-Launch mit anschließender Übergabe in den Betrieb.
CIO: Gibt es in Ihrem Haus eine Abstimmung mit dem Gesamtportfolio?
Wehner: Das ist eine Aufgabe, an der wir noch arbeiten. Zu oft konkurriert eine gute Idee noch mit Projekten und Prozessen, die aus dem normalen Portfolio entstehen. Dies werden wir zusammenbringen, um auch unternehmensübergreifend die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Straub: Wir sind in den Strategieprozess des Unternehmens eingebunden. Von dort leiten wir unsere Prozessherausforderungen ab. In der 2015er-Planung ist zum Beispiel eine Verdoppelung der Fahrzeuge innerhalb von zehn Jahren vorgesehen. Das hat natürlich Auswirkungen auf alle Prozessbereiche. Diese Strategie ist eingebettet in eine strategisch-operative Planung, die drei, fünf und zehn Jahre umfasst. Sie wird in die jährliche Budgetplanung heruntergebrochen. Wir haben Innovationen im Hause Audi, die wir im Gesamtkonzern VW einbringen. Im Konzern gibt es ein Gestaltungsbudget für Innovationen.Das wird im Rahmen eines Konzern-Integrationskreises beschlossen und umgesetzt. Zu dem Integrationskreis gehören der Konzern-CIO, der VW- und der Audi-CIO, der Financial CIO sowie acht Fachbereichsvertreter.
CIO: Wie hoch ist das Budget?
Straub: Rund 30 bis 40 Millionen Euro für den gesamten Konzern.
CIO: Können Sie sagen, in welche Projekte das Geld geflossen ist?
Straub: Ein Beispiel ist eine B2B-Plattform, die wir gerade für den gesamten Konzern aufbauen.Auch das Wissensmanagement gehört dazu. Digital Mock up ist ebenfalls auf der Agenda. Wir müssen die physischen Typen reduzieren, sonst schaffen wir es zeitlich und betriebswirtschaftlich nicht, die ganzen Modelle auf die Straße zu bekommen. Deshalb geht der Trend immer mehr in Richtung Virtualisierung von Prototypen. Das ist derzeit die größte Herausforderung auf allen Ebenen.
CIO: Kann man Innovationen messen? Herr Wehner, gibt es hier eine Methodik bei Ihnen?
Wehner: Das ist derzeit ein Projekt-Controlling, in dem man die Aussagen, die man vor der Einführung getroffen hat, reflektiert. Danach werden wir dann wirklich messen, inwieweit die Innovation erfolgreich war.
Dietrich: Man müsste dahin kommen, dass man messen kann, wie viele Ideen wir generiert haben, wie viele Prototypen daraus entstanden sind und wie viele marktreife Produkte – nicht auf der Prozess-, sondern auf der Produktschiene. Man müsste entsprechende Messgrößen entwickeln, an denen man die wirtschaftliche Entwicklung und den Return on Investment ablesen kann.
Schirra:Man darf aber nicht den Fehler machen, das an einer einzigen Innovation festzumachen. Denn zur Innovation gehört das Scheitern. Man kann nicht die einzelne Idee, sondern nur die Innovationsstärke insgesamt messen, indem man zum Beispiel sagt: „Wie viel Umsatz mache ich mit Produkten, die jünger als drei Jahre sind?“
Straub: Vor den Kennzahlen wäre ein Zwischenschritt wichtiger. Man lässt Ideen generieren und schaut sie qualitativ an, auch die, die scheitern. Denn die sind in dem Moment sogar wichtiger. So hat man für die nächste Welle auch einen Lerneffekt.
Wehner: Ich glaube auch, dass eine quantitative Benchmark schwierig ist. Der wäre auch von der Branche, der Organisation und dem Reifegrad des Marktes und des Unternehmens abhängig.
Das Gespräch führten Dorothea Friedrich, Andreas Schmitz und Horst Ellermann.