Von "Stuttgart 21" können auch CIOs lernen. Heiner Geißler, Bundesminister a.D. verwies auf den 9. Hamburger IT-Strategietagen auf die Inhalte tausender E-Mails, die er nach der Schlichtung des Konflikts um das umstrittene Bahnprojekt erhalten hatte. Darin hätten Bürger nebenbei ihren Frust über alles Mögliche abgelassen, das ihnen bei der Bahn aufstoße. Einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte: Die Fahrkartenautomaten.
Geißler übertrug diese Beschwerden in die Arbeitswelt von IT-Chefs: "Schauen Sie in Ihrem Bereich, wo sie Kommunikation unnötig automatisieren", mahnte er. Bei der Bahn jedenfalls funktionierten Information über Verbindungen und Buchung von Reisen im direkten Gespräch im Service-Center viel besser als an Automaten.
Ebenfalls mit Verweis auf das Stuttgarter Bahnprojekt erklärte Geißler in seinem Vortrag "Führung durch Intelligenz und Moral", dass wer Beschlüsse durchsetzen wolle, immer mit Argumenten überzeugen müsse. "Stuttgart 21" zum Beispiel sei vor mehr als zehn Jahren beschlossen worden. Jetzt, da die Bauarbeiten starteten, müsse das der Bevölkerung erneut vermittelt werden – auch wenn das Vorhaben einst schon in den zuständigen Gremien demokratisch legitimiert worden sei. Eigene Interessen durchzusetzen, ob als Generalsekretär der CDU oder als Führungskraft in der Wirtschaft, gelinge nur "durch Überzeugung", so Geißler.
Der Führungsstil – sowohl von Politikern als auch Managern – hänge letztlich von deren Menschenbild ab, sagte Heiner Geißler. "Ethische Intelligenz“ sei von jedem gefordert, der führe. Die IT-Manager im Publikum forderte er auf, sich eine auf den ersten Blick banale Frage zu stellen: "Was ist der Mensch? Wer ist der Mensch?" – Die Antwort eines jeden darauf habe Konsequenzen für seine Art, zu lenken.
Auf den Hinweis einer Zuhörerin, dass doch vor allem Machtbewusste in Führungspositionen gelangten, sagte der frühere Politiker, das vertrage sich natürlich häufig nicht mit dem von ihm propagierten Menschenbild. Gleichwohl sei er überzeugt, dass die Führung auch eines Unternehmens durch "Basta-Politik" immer weniger möglich sei. Betriebsräte und Gewerkschaften seien vor diesem Hintergrund wichtige Organisationen und trügen ebenfalls zum Firmenerfolg bei.
Bei Vermittlung von Führung das richtige Sprachniveau finden
Unerlässlich sei in der Kommunikation über Führung auch, das richtige Sprachniveau zu finden. "Sonst machen Sie sich lächerlich", so Geißler. Beispiele dafür führte er aus seiner politischen Laufbahn an. So sei es im Bundestag verboten, einem Redner vorzuwerfen, er lüge. "Stattdessen muss man es in die richtigen Worte packen", sagte Geißler. "Lügen haben kurze Beine, noch kürzer sind dem Schröder seine – wobei Sie den Namen Schröder beliebig austauschen können", erklärte Geißler und erntete lautes Gelächter.
Ernst wurde er auf Nachfrage von CIO-Chefredakteur Horst Ellermann beim Thema Frauenquote. Diese sei unbedingt notwendig. Nach wie vor würden Frauen "systematisch" von Führungspositionen ferngehalten. Dabei agierten sie intuitiver und verbänden kreatives Wissen stärker mit Intelligenz als Männer.
Geißler plädierte für eine vernetzte Intelligenz. Das Kognitive sei nicht die einzige entscheidende Dimension, ebenso wichtig die Verbindung zur emotionalen Ebene. Dem gemäß hat sich vor Jahren schon in Baden-Württemberg gezeigt, dass es nicht dienlich sei, dass nur "Einser-Juristen" in Frage kämen für die Position eines Landrats. An der Universität oder in der Schule erbrachte Leistung entscheide nicht über den späteren Erfolg im Leben. Umgekehrt: Literatur-Nobelpreisträger Winston Churchill beispielsweise sei ein schlechter Schüler gewesen.
Heiner Geißler verwies darauf, dass der Begriff Intelligenz gleichwohl noch oft nur eindimensional betrachtet werde. Ein Beispiel sei die Pisa-Studie, mit der die Leistungen von Schülern gemessen werden.
Fragen warf Geißler auch bei der Betrachtung des Begriffs "Moral" auf. Das Christentum nutze die Zehn Gebote als Moralkodex. Im Absolutismus sei die Formel "L’etat c’est moi" Grundlage der staatlichen Moralvorstellungen gewesen. Auch Kommunismus und Nazi-Regime hätten ihre jeweils eigene Moral gehabt. Heute sei weithin wohl am ehesten der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant gängig: So zu handeln, wie man auch von anderen behandelt werden wolle.
Eigenes Menschenbild in Führungsstil umsetzen
Doch auch der könne keine endgültige Antwort auf die Frage nach Moral sein. Als Führungskraft müsse man sich sein eigenes Moralverständnis immer wieder bewusst machen. Um nichts weniger gehe es bei Führung: Das eigene Menschenbild umsetzen in die Art und Weise, wie man mit Mitarbeitern umgehe.