Bei Bosch glaubt man nicht daran, dass sich Standards durch Beschlüsse von Gremien schaffen lassen, stattdessen setzt der Technologiekonzern auf Kooperationen.
Eine aufsehenerregende Zusammenarbeit präsentierte das Unternehmen auf Hausmesse "Bosch Connected World 2015", die am 17. und 18.2 in Berlin stattfand. Das Projekt dreht sich um die Vernetzung von Industriewerkzeugen, Partner sind neben Bosch die IT-Firmen Cisco aus den USA und Tech Mahindra aus Indien.
Ein Ziel ist, die Position eines Funk-Akkuschraubers in einer Werkhalle genau zu lokalisieren. Abgeleitet aus dieser Positionsbestimmung wird automatisch das richtige Drehmoment für die jeweilige Aufgabe gewählt. Sicherheitsrelevante Schrauben werden so immer mit genau mit der vorgeschriebenen Kraft angezogen. Anschließend dokumentiert das System die Werte automatisch und stellt so die gleichmäßige Qualität dieses Arbeitsschritts sicher.
Künftig sollen sich unterschiedliche Werkzeuge dank offener Kommunikationsstandards lückenlos in ein vernetztes Gesamtsystem einbinden lassen, nützlich wäre das zum Beispiel für den Bau und die Wartung von Motoren oder Flugzeugen.
"Eine solche Lösung gibt es bislang nicht, sie bietet großes Potenzial im gesamten industriellen Umfeld", so Bosch-Projektleiter Dirk Slama.
Ausprobieren statt ausdefinieren
Die Werkzeugvernetzung unter der Führung von Bosch ist das erste europäische Innovationsprojekt des IIC, des amerikanischen Industrial Internet Consortium. Es zeigt, wie die hier organisierten Partner das Thema angehen: nicht durch definitorischen Eifer, sondern durch Trial and Error.
140 Mitglieder im Industrial Internet Consortium
Das IIC ist ein Zusammenschluss von rund 140 Unternehmen und Organisationen, die gemeinsam an der Vision eines "Internets of Things" (IoT) arbeiten. Beim Internet der Dinge geht es um die autonome Kommunikationen zwischen Maschinen oder Anlagen.
Begrifflicher Ausgangspunkt sind Uralt-Visionen wie der Kühlschrank, der selbsttätig beim Lieferdienst die Milch nachbestellt. Dinge eben, die via Internet Kontakt miteinander aufnehmen.
Allerdings setzt mittlerweile nicht nur das IIC eher auf industrielle Ansätze wie den mit den Akkuschraubern und weniger auf Lösungen für das vernetzte Heim.
Gründungsmitglieder des Industrial Internet Consortium sind unter anderem IBM und General Electric, heute gehören dem Konsortium darüber hinaus die unterschiedlichsten Player an. Die Technische Universität Darmstadt zum Beispiel ebenso wie Tata Consultancy Services aus Indien, Firmen aus Japan, China und Korea. Auch an Bord sind Siemens und Bosch.
Große Firmennamen wecken zu große Erwartungen
Siemens und Bosch sind zugleich Mitglieder der deutschen "Plattform Industrie 4.0". Unter diesem Begriff werden seit 2011 in Deutschland die Ideen zur autonomen Kommunikation zwischen Anlagen und Bauteilen beziehungsweise zur Selbststeuerung von Fertigungsabläufen diskutiert.
Die dazugehörige Plattform ist als Zukunftsprojekt Teil der Hightech-Strategie der deutschen Bundesregierung.
Wobei allein der Name große Erwartungen produziert hat. Industrie 4.0 soll heißen, dass uns eine vierte industrielle Revolution bevorsteht. Die erste waren die Dampfmaschinen, die Zweite die Fließbänder, die dritte die Erfindung von IT und Computern.
Der Anspruch, noch einmal etwas von der historischen Wucht einer Dampfmaschine zu erfinden, sollte sich durch die Kooperation der Verbände dreier Branchen erfüllen: VDMA (Maschinenbau), ZVEI (Elektrotechnik) und Bitkom (ITK und Neue Medien). Hinzu kam eine Reihe großer Unternehmen der jeweiligen Branchen.
Die Partner arbeiteten an Umsetzungsempfehlungen, die mittelfristig zu technischen Standards für die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation führen sollten.
Keine Ergebnisse in Sachen Industrie 4.0
Auf einen Nenner kam man dabei bisher nicht. Mehr noch: Die Beteiligten der Standardisierungsbemühungen sind sich noch nicht mal einig darüber, ob ihre Bemühungen nun gescheitert sind oder nicht.
Im Februar 2015 erklärte Reinhard Clemens von T-Systems: "Außer Gremienarbeit und Maßnahmenempfehlungen gibt es bisher keine konkreten Ergebnisse und kein konzertiertes Vorgehen deutscher Unternehmen in Sachen Industrie 4.0."
Weiterer Kernpunkt der Kritik ist, dass es an einem gemeinsamen Vorgehen deutscher und europäischer Unternehmen fehle. Im Gegensatz zu den USA, wo sich das Industrial Internet Consortium (IIC) in relativ kurzer Zeit zu einer höchst internationalen Veranstaltung entwickelt hat.
Bitkom wiederspricht der Kritik
Wolfgang Dorst, Bereichsleiter Industrie 4.0 bei der Bitkom, teilt die Kritik an der "Plattform Internet 4.0" nicht: "Auch das IIC hat noch keinen fertigen Standard entwickelt." Nach Dorsts Ansicht brachte die "Plattform Industrie 4.0" in Deutschland viel auf den Weg. "Aber es ist nie leicht, eine so hohe Erwartung zu erfüllen."
Was vielleicht auch am komplexen Gremiengeflecht liegt: Zur Plattform Industrie 4.0 gehört eine Fachcommunity, eine Geschäftsstelle, ein Vorstandskreis, ein Lenkungskreis und ein wissenschaftlicher Beirat. Die Zusammenarbeit der Partner wird durch eine Vielzahl von Pfeilen auf der Webseite erläutert.
Am Ende wird es viele Standards geben
"Technische Standards können nicht verordnet werden", sagt Thilo Resenhoeft, der in der Bosch-Kommunikation für das Thema Industrie 4.0 zuständig ist. "Was es braucht, sind Projekte und konkrete Kooperationen."
Nach Ansicht von Resenhoeft wird außerdem nicht EIN Standard für die Maschinenkommunikation entstehen, dazu seien die Aufgaben, die damit gelöst werden sollen, zu vielfältig. "Wahrscheinlicher ist, dass aus mehreren Projekten, die besonders gut und erfolgreich laufen, mehrere Standards hervorgehen."
In diesem Sinne wartet Bosch auch nicht ab, sondern schafft Fakten. Was die These von BITKOM-Mann Wolfgang Dorst widerlegt, Unternehmen investierten nicht, solange es keine Standards gibt.
Bosch steuert Lagerhaltung vollautomatisch
Bosch jedenfalls steckt Geld in das Thema. Zum Beispiel in seiner Fabrik in Homburg/Saar. Hier entstehen Injektoren für Dieselmotoren. Gemeinsam mit Opel - dem Kunden - und dem Verpackungsmaterial-Lieferanten Vario Pack entwickelte Bosch eine vollautomatische Steuerung der Lagerhaltung. Die Kommunikation zwischen Vor- und Endprodukten, Produktion und Logistik läuft über RFID-Chips. Durch die Optimierung der Abläufe konnte der Lagerbestand um 30 Prozent gesenkt werden.
Kooperationsprojekte, die offiziell unter der Ägide der "Plattform Industrie 4.0" entstanden wären, gibt es bisher nicht. Beziehungsweise wenn es sie gibt, dann behält das Konsortium diese Erfolge konsequent für sich.
Stillstand auf der Website
Wer auf der Webseite den Punkt "Ergebnisse" anklickt, findet dort ausschließlich theoretische Abhandlungen. Es gibt exakt drei Texte, der neueste datiert vom 10. April 2014. Ebenfalls drei Texte enthält die Seite mit den Pressemitteilungen. Hier ist die neueste immerhin vier Tage jünger, nämlich vom 14. April 2014.
Industrie 4.0, Internet of Things: Egal, wie man es nennt, die Kommunikation von Geräten untereinander wird sich mit hohem Tempo weiterentwickeln.
Und auch Einfluss nehmen auf unseren Alltag. Letztlich ist auch Googles selbstfahrendes Auto ein Beispiel für den Erfolg des Internets der Dinge. Vermutlich fahren diese Autos irgendwann ganz ohne Menschen darin, dann ist auch der letzte verbleibende Störfaktor beseitigt.