Die Strategieberater von Booz & Company haben eine wunderbare Nachricht verkündet: In den Chefetagen weltweit hat das große Stühlerücken eingesetzt, und deutsche Firmen sind für CEOs die schlimmsten Schleudersitze in Europa. Eine gute Nachricht ist das nicht deshalb, weil CIOs unter ihren Vorstandschefs so arg zu leiden haben und ein Chefwechsel Hoffnung auf Besserung mit sich bringt. Nein, die Wechselhäufigkeit in der Unternehmensführung ist tatsächlich ein Indikator für das wirtschaftliche Klima. In Krisenzeiten klammern sich Firmen häufig an die eingearbeiteten CEOs, in Aufschwungphasen werden hingegen mehr Wechsel vollzogen. So gesehen sind die Rezessionsjahre nun wirklich ausgestanden.
Seit mehr als einem Jahrzehnt schon analysiert Booz & Company die Personalwechsel in den 2500 größten börsennotierten Firmen weltweit. Die im Jahr 2011 gestiegene Fluktuation ist dabei durchaus ein internationales Phänomen. Hierzulande ist der Trend aber stärker als anderswo.
Nach einem krisenbedingten Rekordtief in 2010 sei im vergangenen Jahr wieder enorme Bewegung in die Führung deutscher Konzerne, so die Berater. Gab 2010 nur jeder elfte Vorstandsvorsitzende seinen Posten freiwillig oder unfreiwillig ab, besetzten die größten Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2011 jede sechste Spitzenposition neu. Mit einer annähernden Verdopplung der Fluktuationsquote von 8,7 auf 16,7 Prozent verzeichnet der deutschsprachige Raum im internationalen Vergleich den stärksten Anstieg. Global stieg die CEO-Wechselquote wesentlich moderater von 11,6 auf 14,2 Prozent, in Europa von 10,2 auf 14,8 Prozent.
Damit liegt der deutschsprachige Raum ungefähr gleichauf mit Japan, wo die Fluktuationsrate im vergangenen Jahr ebenfalls bei knapp 17 Prozent lag. Noch höher ist sie mit 22 Prozent in Schwellenländern wie Brasilien, Russland und Indien, die eine besondere volkswirtschaftliche Dynamik aufweisen.
„Aufsichtsräte setzen in Krisenzeiten erfahrungsgemäß auf Kontinuität an der Unternehmensspitze“, erläutert Klaus-Peter Gushurst, Sprecher der Geschäftsführung im deutschsprachigen Raum von Booz & Company. Anders als der Rest Europas befinde sich Deutschland wieder in sehr guter konjunktureller Verfassung. „Eine neue Generation stellt nun nach einem meist gut geplanten und geordneten Übergang an der Konzernspitze die strategischen Hebel auf weiteres Wachstum.“
IT-Branche rochiert seltener
In der Tat müssen CIOs angesichts der CEO-Fluktuation nicht wirklich Mitleid mit den Chefs bekommen. Die Wechsel geschehen in der Regel freiwillig. Der Anteil unfreiwilliger Rochaden halbierte sich zuletzt fast von 20 auf 12 Prozent. Als Beispiele für geplante und erfolgreiche Führungsnachfolgen deutscher Bluechips nennt Booz & Company BASF, Bilfinger Berger, Puma und ThyssenKrupp. Im restlichen Westeuropa seien immerhin 17 Prozent der Top-Personalien unfreiwillig sowie vor Ablauf der eigentlichen Vertragslaufzeit abgelaufen.
Signifikante Unterschiede stellen die Berater in der DACH-Region zwischen den Branchen fest. In der produzierenden Industrie schnellte die Wechselquote 2011 von 4,5 auf 26,1 Prozent hoch. Die mit Abstand höchste CEO-Fluktuation im deutschsprachigen Raum verzeichnete mit 33,3 Prozent erneut der HealthCare-Sektor. Die strategische wie strukturelle Neuausrichtung der Branche erfordere unbelastete Topmanager, so Gushurst.
Eine ähnliche Entwicklung prophezeit Booz & Company angesichts der Energiewende auch dem Utility-Sektor. „Dieser zählte im vergangenen Jahr mit 12,5 Prozent noch zu den vergleichsweise sicheren CEO-Häfen“, so Gushurst. „In dieser Industrie werden eher kurz- als mittelfristig neue Köpfe die notwendigen Restrukturierungsprogramme erarbeiten und umsetzen.“ In der Finanzbranche hingegen wurden 2011 nur 11 Prozent der führenden Köpfe getauscht, ohne dass sich dramatische Umbrüche ankündigen. In der IT-Branche sank die Quote von 20 auf 15 Prozent.
Insider erfolgreicher als Outsider
Mit einem weiteren für Deutschland überraschenden Befund warten die Berater auf: Insider, also aus dem eigenen Unternehmen rekrutierte CEOs, liefern mittlerweile im Durchschnitt bessere Ergebnisse ab als von außen geholte Vorstandsvorsitzende. Vier lange Jahre hatte sich der frische Wind relativ betrachtet ausgezahlt, 2011 kehrte sich dieser Trend aber radikal um. Im Mittel erwirtschafteten die CEOs aus den eigenen Reihen im vergangenen Jahr eine Aktienrendite von über 5 Prozent. Die von Outsidern geführten Firmen lagen demgegenüber im Durchschnitt mit 7,7 Prozentpunkten im Minus.
Ohne Blick durch die deutsche Brille weist auch die internationale Langzeituntersuchung aufschlussreiche Ergebnisse auf. Insbesondere der Anteil der geplanten CEO-Wechsel ist weltweit im vergangenen Jahr sprunghaft gestiegen, hatte sich aber schon zuvor seit Ausbruch der Finanzkrise auf höherem Niveau als vorher etabliert.
Insgesamt ist die Neigung zum CEO-Wechsel, insbesondere der geplanten Art, umso größer, je größer das Unternehmen ist. Die kleineren börsennotierten Unternehmen aus der Untersuchung sind nachvollziehbarerweise stärker davon bedroht, in Folge einer Übernahmen einen neuen Chef zu bekommen.
Weltweit werden zu 81 Prozent Eigengewächse als CEOs rekrutiert, nur zu 19 Prozent Outsider. Nach Ausbruch der Weltfinanzkrise hatten Outsider für drei Jahre leicht an Beliebtheit gewonnen, im vergangenen Jahr verschoben sich die Gewichte aber wieder in die andere Richtung. Westeuropa ist, gerade auch im Vergleich zu Nordamerika, die Region, wo am stärksten externe Trümpfe gesucht werden. Ein Viertel war es im vergangenen Jahr, 2009 hatte die Outsider-Quote sogar 36 Prozent erreicht.
Gerade die hiesigen Erfahrungen aus den Vorjahren unterstreichen, dass extern rekrutierte CEOs auch ein Erfolgsmodell sein können. Die globalen Resultate über die vergangenen zwölf Jahre legen jedoch nahe, dass Insider die Unternehmensziele leichter erreichen als Outsider. Die Eigengewächse genießen auch eine deutlich größere Verweildauer auf der einmal besetzten CEO-Position.
Verweildauer bei 6 bis 7 Jahren
Allen Hire-and-Fire-Klischees zum Trotz wechseln westeuropäische Firmen ihre Vorstandschefs deutlich schneller aus als nordamerikanische Unternehmen. Ganz vorsichtig scheint sich perspektivisch aber die These zu bestätigen, dass in der globalisierten Welt die regionalen Eigenheiten immer mehr verschwimmen. In der Langzeitbetrachtung nähern sich die Werte für nordamerikanische und europäische CEO sowie für Insider und Outsider allmählich an – und zwar in Richtung einer durchschnittlichen Verweildauer von sechs bis sieben Jahren.
Eine Angleichung gibt es auch hinsichtlich des Modells, dass der CEO gleichzeitig Aufsichtsratschef ist. In Europa hatte diese Form der Ämterhäufung vor etwa zehn Jahren Hochkonjunktur, entwickelte sich dann zum echten Auslaufmodell, und hat seit zwei Jahren wieder Aufwind. Auf Basis von völlig unterschiedlichen Entwicklungen wird dieses Modell momentan jeweils in Europa, Nordamerika und China in jedem fünften Unternehmen gewählt. Allein in Japan spielt es überhaupt keine Rolle mehr.
Japan schickt CEOs ins Kontrollorgan
Umso häufiger – nämlich bei 63 Prozent der CEO-Wechsel – rückt dort allerdings der ehemalige Vorstandschef an die Spitze des Aufsichtsrates. Hierzulande ist das aktuell in 17 Prozent der Fälle so; vor drei Jahren wurde diese Lösung noch deutlich häufiger gewählt. Grundsätzlich gilt, dass CEOs aus den eigenen Reihen bessere Chancen auf eine steile Karriere im Aufsichtsrat haben als Outsider.
Die Studie „CEO Succession Report“ ist bei Booz & Company erhältlich.