Nein, wir reden hier nicht über die Cloud. Das einzig Digitale an der Cloud ist, dass sie ein von Besitz und Lokation entkoppeltes, flexibles Delivery-Modell für Rechnerleistung und Applikationen ist. Dahinter steht natürlich auch Physische Infrastruktur.
Fast eine Million Quadratmeter Rechenzentrumsfläche bei IBM oder 260 Megawatt Energieverbrauch (das heißt, gut ein Viertel der Leistung eines typischen Kernkraftwerks) durch die Rechenzentren von Google können sich sehen lassen. Und dennoch wollen wir heute über die "wirkliche" Physische Infrastruktur reden: zum Beispiel über das Schienennetz der DB Netz AG, aber auch andere "anfassbare" Dinge wie Halbleiterfabriken oder Automobile.
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Bahnunternehmen, Halbleiterproduzenten, Automobilerzeuger und andere "Hardwareunternehmen" beherrschen ihr Kerngeschäft aus dem Effeff: "Physische Infrastruktur". Die DB Netz AG ist verantwortlich für Ausbau, Instandhaltung, Kapazitäts-Management und Durchführung des Eisenbahnbetriebs auf der Schieneninfrastruktur der Deutschen Bahn.
Hierzu gehören über 33 000 Kilometer Schienennetz, mehr als 32 000 durchgeführte Züge pro Tag, circa eine Million "Trassen" (das heißt Kapazitäts-Slots), die pro Jahr konfliktfrei konstruiert und verkauft werden, und nicht zuletzt über zehn Millionen Physische Infrastrukturelemente. Andere Branchen könnten mit ähnlich eindrucksvollen Zahlen die Komplexität ihrer Produktionsprozesse (zum Beispiel Halbleiter mit 22 Nanometer Strukturgröße) und Produkte (Stichwort: "In-car IT") belegen.
Der Weg zur "Infrastruktur 3.0"
Unternehmen der Mobilitäts- und Logistikbranche, des produzierenden Gewerbes und vieler anderer Branchen kommen schon seit mindestens zwei Jahrzehnten nicht mehr ohne Informationen aus, die über komplexe (und oft architektonisch verbaute) Anwendungslandschaften zur Verfügung gestellt werden.
Enterprise Architecture Management (EAM) und Service-orientierte Architektur (SOA) kamen und gingen in der letzten Dekade vollständig durch den Hype-Cycle, die heutigen Anwendungslandschaften jedoch sind komplexer denn je.
Heute stehen uns deutlich mehr Daten zur Verfügung als noch vor zehn Jahren. Aber die Informationen, die CEOs, COOs, CIOs und ihre Mitarbeiter bekommen, sind fragmentiert wie nie zuvor. Nur die Hype-Themen (etwa Big Data, Mobile, Cloud) haben sich gewandelt. Aber auch das ist nicht das Thema dieser Wette.
Das Thema dieser Wette ist der Weg zur "Infrastruktur 3.0", den die Digitale Fabrik oder das digitale Abbild der Hochspannungsnetze vorgezeichnet haben. Neben der Physischen Infrastruktur braucht es eine umfassende Digitale Infrastruktur.
Züge brauchen Computer
Auch wenn schon lange vor der Erfindung des Computers Züge gefahren sind: Die Logistikbranche ist schnelllebig und sich ständig wandelnden geschäftlichen Herausforderungen unterworfen. Der Bedarf an Schienentransport wächst zunehmend und stößt auf ein hochausgelastetes Netz, das aufgrund finanzieller und genehmigungstechnischer Rahmenbedingungen nicht von heute auf morgen erweitert werden kann.
Europäische Verkehre vernetzen sich, regulatorische Vorgaben auf Europa-Ebene verlangen nach neuen Vertriebsansätzen. Güterverkehre werden stärker ad hoc nachgefragt, bis hin zum Verkauf von Trassen wenige Stunden vor Abfahrt des Zuges. Und auch die Endkunden verlangen nach besserer Information: Der "Zug-Radar" der Deutschen Bahn ist schon vor einer möglichen Markteinführung ein "Innovations-Showcase" im Bahn-Museum in Nürnberg.
Ohne eine Digitale Infrastruktur und deren mittelfristige Verschmelzung mit der Physischen Infrastruktur zur Infrastruktur 3.0 wird es nicht gelingen, heutigen und künftigen Anforderungen gerecht zu werden. Die Herausforderungen an die Digitale Infrastruktur sind hoch: Daten- und Informationssilos müssen aufgebrochen werden, um eine konsistente und präzise virtuelle Abbildung der Infrastruktur und ihres Status in Echtzeit zur Verfügung zu stellen.
Schon heute verarbeitet die DB Netz AG pro Minute über 20 000 Zugstandortmeldungen. Doch nur die Verbindung dieser Daten mit präzisen Daten über einzelne Infrastrukturelemente eröffnet den Weg zur Infrastruktur 3.0, die wir für Innovation und Kapazitätswachstum benötigen.
Der CIO muss sich also in infrastrukturlastigen Branchen zum "CDO", dem Chief Digital Infrastructure Officer, entwickeln. Denn nur ein präzises, virtuelles Abbild der Physischen Infrastruktur ermöglicht es dem CEO, sein Geschäft weiterzuentwickeln. Oder umgekehrt formuliert: In zehn Jahren werden keine Innovation des Geschäfts und kein Wachstum möglich sein ohne Infrastruktur 3.0. Einer leistungsfähigen Digitalen Infrastruktur, die mit der Physischen Infrastruktur zusammengewachsen ist.
"Infrastruktur 3.0" der DB Netz
Die Wette, dass in zehn Jahren keine Innovation und kein Wachstum des Geschäfts ohne eine leistungsfähige Infrastruktur 3.0 möglich sind, ist essentiell für die DB Netz AG. Was würde geschehen, wenn die Digitale Infrastruktur ein Traum bliebe? Wir könnten verschiedene Sichten auf die zehn Millionen Elemente der Physischen Infrastruktur nicht konsistent und nutzbringend zusammenbringen, mit negativen Folgen für Geschäft und Kunden.
Der "Gewinn" der Wette zeichnet ein deutlich positiveres Bild: Der Fahrplaner würde mit seiner Sicht auf eine spezifische Strecke im Schienennetz der DB Netz AG präzise und in Echtzeit wissen, ob er sie zu einem bestimmten Zeitpunkt als Kapazität für einen ad hoc angefragten Güterzug nutzen kann. Der Instandhalter der Infrastruktur wüsste, ob kurzfristige Reparaturarbeiten an einer der Weichen auf dieser Strecke zu dieser oder einer anderen Zeit optimal eingeplant werden können.
Der Mitarbeiter in der Disposition (das heißt, der Netzüberwachung und -regelung des operativen Bahnverkehrs) hat eine konsistente Sicht, ob diese Strecke im Fall von Störungen auf anderen Teilen des Netzes als Umleitungsmöglichkeit verfügbar ist und wie ihre aktuelle Belegung aussieht.
Weitere, mit diesem Streckenstück verbundene Fragen, zum Beispiel wie schnell auf ihr gefahren werden kann, wie hoch die aktuellen Abschreibungen auf das Investment in die Anlagen dieser Strecke sind, welche spezifischen Leit- und Sicherheitstechniken zum Einsatz kommen und vieles mehr können einfach, präzise und vor allem konsistent in Echtzeit beantwortet werden.
Größer noch sind die Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit der DB Netz AG. Die Infrastruktur 3.0 ermöglicht neue, innovative Produkte und noch bessere und präzisere Kundeninformation über diverse Informationskanäle. Kapazitätswachstum des Schienennetzes wird natürlich weiter den Ausbau neuer Physischer Infrastruktur erfordern. Dennoch benötigt die DB Netz AG weitere Hebel, um die Schienennetzkapazität auf überlasteten Strecken und Bahnhöfen wirkungsvoll und rechtzeitig zu erhöhen.
40 Prozent mehr Güterverkehr
Viele dieser Hebel erfordern IT-Support, der auf einer leistungsfähigen Digitalen Infrastruktur basiert. Eine echtzeitbasierte Gesamtnetzprognose im Fall von Störungen vermindert Engpässe und erhöht die kritische Kapazität im Fall von operativen Störungen. Ein effizienter Trassenbelegungsalgorithmus führt zu Kapazitätsoptimierungen gerade auf hoch belasteten Strecken und Bahnhöfen.
Schätzungen gehen davon aus, dass der Schienengüterverkehr innerhalb von 15 Jahren um 40 Prozent zunehmen wird. Wir werden keine 40 Prozent an zusätzlichen Gleisen bauen können. Die Infrastruktur 3.0 ist deshalb Voraussetzung für dieses Kapazitätswachstum, da nur sie durch präzise Synchronisation von Daten und Prozessen in Fahrplan, Instandhaltung und Eisenbahnbetrieb es erlaubt, letzte Kapazitätsreserven auf dem Schienennetz zu mobilisieren.
Bahnkunden möchten ein Ziel erreichen. Pünktlichkeit. Auch das wird mittels der Infrastruktur 3.0 durch eine höhere Prognose- und Dispositionsqualität auf Basis von Echtzeitinformation unterstützt. Das Ziel des CIOs, ein präzises, virtuelles Abbild der Physischen Infrastruktur zu schaffen, gleicht einem Langstreckenlauf. Dafür sind wir CIOs heute so gut positioniert wie nie zuvor: die Methoden und Elemente zum Aufbau der Digitalen Infrastruktur stehen bereit.
Ähnlich wie die Automobilindustrie für ihre Fahrzeuge Plattformen und Gleichteile verwendet, kann die Digitale Infrastruktur auf modernen IT-Plattformen aufgebaut werden, die der CIO-Organisation Raum für den Fokus auf das Wesentliche lässt: die Schaffung von nutzbringenden, geschäftlich differenzierenden "Bausteinen", zum Beispiel für Zugstandortinformation, Infrastrukturzustandsinformation oder Trassenkonstruktion bei der DB Netz AG.
In anderen Industrien sind diese Bausteine beispielsweise Basis der Digitalen Fabrik oder des Digitalen Fahrzeugs und ermöglichen in Zukunft nicht nur digitale Simulation, sondern Planung und Steuerung von Produktions- und Betriebsprozessen in Echtzeit.
Nur mit dem Fachbereich
Diese Bausteine werden nicht mehr allein von der IT geschaffen. Sie sind fachlich orientiert und werden gemeinsam von Fachbereich und IT entworfen. Diese fachlichen Bausteine basieren auf einem gemeinsamen Strukturrahmen und einem übergreifenden Geschäftsobjektmodell, um so dem Anspruch von präziser, konsistenter Information gerecht zu werden.
Die Umsetzung durch die CIO-Organisation erfolgt auf Basis von IT-Plattformen. Die Kombination dieser modernen Prozess- und Masterdatenplattformen mit fachlichen Bausteinen ermöglicht dem CEO Innovation und effizientere Prozesse deutlich stärker und zielgerichteter zu treiben als je zuvor.
Das Ziel der Infrastruktur 3.0 ist ambitioniert. Der Weg dorthin ist lang (nicht umsonst wetten wir hier auf zehn Jahre). Entscheidender ist: Der Weg dorthin ist das Ziel: Schon einzelne Bausteine schaffen heute Nutzen. Die Agilität im gemeinsamen Vorgehen von Fachbereich und IT verkürzt Projekte und schafft schnellere Nutzenrealisierung. Die Erfolge in der DB Netz AG zeigen, dass Weg (und Ziel) stimmen.
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