Die Karriere des Begriffs „Innovation“ in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends ist imposant, seine Verwendung inflationär. Wenn der inhaltliche Unterschied nicht so groß wäre, könnte man es als verträumte Sprachspielerei abtun. Aber Innovation ist eben nicht einfach nur ein als Synonym verwendetes Fremdwort für den deutschen Begriff Erfindung. Innovationen sind weit mehr als Erfindungen. Erst der Nachweis, dass eine Erfindung einen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Nutzen hat, macht sie zu einer Innovation.
Radikale Neuerungen forcieren
Es gehört für alle Akteure in Unternehmen zum alltäglichen Erfahrungsschatz, dass es auf dieser Welt kaum ein Produkt gibt, das nicht irgendjemand irgendwo ein bisschen schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte. Auch wenn das ein bisschen plakativ formuliert ist, lässt es für die heutige globale Unternehmenslandschaft nur den Rückschluss zu, dass ein reiner Preiswettkampf mit Unternehmen aus aufstrebenden Volkswirtschaften wegen der dort meist niedrigeren Lohnverhältnisse und eines ungeheuren Heeres an Produktionskräften nahezu aussichtslos ist. Die alleinige Chance liegt vielmehr in dem Erkennen, dass diese Volkswirtschaften natürlich auch Absatzmärkte für neue Produkte darstellen. Produkte, die als Ergebnis einer Konzentration auf die eigene Innovationsleistung entwickelt wurden. Die eigene Innovationskraft wird damit zum Unique Selling Point und zum schonungslosen Spiegel der Wachstumschancen eines Unternehmens.
Große, bereits im Markt etablierte Unternehmen stehen dabei häufig vor einem doppelten Konflikt. Zum einen müssen sie die bereits getätigten Investitionen ihrer bestehenden Kunden schützen und zum anderen disruptive Innovationen im Markt einführen. Das sind Lösungen, die nicht nur eine Weiterentwicklung von etwas Bestehendem bedeuten, sondern tatsächlich radikale Neuerungen bringen – wie zum Beispiel in der Telekommunikationsbranche die Kommunikation über das Internet Protocol (IP). Zudem stehen sie damit vor der brenzligen Entscheidung, eigene bestehende Produktreihen zu Gunsten disruptiver Technologien aufzugeben. Folge dieses klassischen „Innovator’s Dilemma“ ist, dass Firmen, die heute noch in einer Technologie führend sind, den Übergang in die Nachfolgetechnologie oft nicht mehr an der Spitze stehend schaffen.
Attraktiv ist, was Kunden gefällt
Bei Siemens Communications haben wir einen sehr gezielten, disziplinierten und mehrstufigen Innovationsprozess entwickelt und diesen unter anderem im „Innovation Board“ institutionalisiert. Neben den Chefs für Strategie und der Entwicklungsabteilungen der Geschäftsgebiete besteht es aus dem Bereichsvorstand, um durch sein Mandat die strategische Bedeutung des Themas zu dokumentieren und intern zu positionieren.
Das Hauptaugenmerk des Innovation Board liegt auf bereichsübergreifenden Themen – wie zum Beispiel der disruptiven Peer-to-Peer-Technologie –, die unter Umständen vorerst noch nicht einmal einem bestehenden Geschäftsgebiet eindeutig zuzuordnen sind. Unter der Maxime, dass nur attraktiv ist, was den Kunden gefällt, konzentriert sich die Suche nach neuen Lösungen dabei nicht nur auf das technisch Machbare, sondern auch auf das Aufspüren neuer Märkte und Kundengruppen.
Jeder Mitarbeiter kann über den Weg des an das Innovation Board angeschlossenen Office zum einen ganz unkompliziert und unbürokratisch seine Vorschläge einzubringen. Zum anderen arbeiten weltweit Forscher und Entwickler in unzähligen Innovationsabteilungen an Neuentwicklungen. Diese kleinen Teams sind nicht in die täglichen Geschäftsabläufe eingebunden, sondern konzentrieren sich ausschließlich auf das Aufspüren und Entwickeln neuer Technologien, die für ihre Unternehmensbereiche relevant sein müssen. In diesen „Think Tanks“ finden Mitarbeiter verschiedener Disziplinen zusammen, denken laut und quer, entwickeln neue Ideen und Geschäftsmodelle und setzen sie gegebenenfalls zügig in Prototypen oder Pilotprojekten um.
Ideen in Prozess einspeisen
Im Innovation Board Office laufen schließlich alle diese Fäden zusammen. Dort werden neue Ideen aus dem Netzwerk eines global agierenden Unternehmens systematisch gesammelt, bewertet und zur Entscheidung vorbereitet. Auf mehrfach jährlich und weltweit stattfindenden „Innovation Summits“ sowie im Rahmen von „Country-Innovation-Push-Programmen“ greifen die Innovation-Manager wie ein Radar die neuesten Ideen auf, um sie in den Innovationsprozess einzuspeisen und ihre Marktfähigkeit auf Herz und Nieren zu prüfen.
Dabei sorgen die professionellen Innovatoren und Innovations-Manager dieses Gremiums nicht nur dafür, dass die Innovations-Pipeline gut gefüllt ist, sondern auch dafür, dass ihre Durchlässigkeit für den Treibstoff Innovation stets gewährleistet ist. Grundvoraussetzung dafür ist, dass der Innovationsprozess eigenständig gesteuert wird und nicht mitlaufender Teil einer Stabstelle oder anderer Einheiten ist. Er benötigt Schutz- und Freiraum zugleich, der sich auch in einem von den Entwicklungsabteilungen der einzelnen Geschäftsgebiete unabhängigen Budget ausdrückt.
Durchläuft eine Idee den harten internen Ausleseprozess erfolgreich, erfolgt die erste Prüfung der Durchsetzungskraft mit Hilfe von Leitkunden, Universitäten, Forschungseinrichtungen oder Venture-Capital-Analysten. Diese enge Verzahnung mit Katalysatoren außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen verhindert, dass der Innovationsprozess zu einer wenig aussagekräftigen Trockenübung verkommt. So sind begleitende Go-to- Market-Studien von Beginn an Teil des Prozesses und dokumentieren die Praxistauglichkeit einer neuen Lösung. Ist auch hier die Beurteilung positiv, kommt es nach einer ausführlichen Präsentation im Innovation Board zur endgültigen Entscheidung über eine mögliche Markteinführung.
Hinter jeder Innovationsleistung steht ein Prozess, der wie jeder andere beurteilt und sensibel gesteuert werden muss. Diese Einsicht untermauert die Bedeutung eines durchgängigen und effektiven Innovations-Managements für Unternehmen. Allein in der bedingungslosen und ausdauernden Konzentration auf diese Aufgabe liegt die Chance, die eigene Innovationskraft zu sichern und zu fördern. Entscheidend wird dabei sein, die Kunden auf diesem fordernden, aber zielführenden Weg mitzunehmen – und das besonders auch vor dem Hintergrund, sie womöglich mit disruptiven Innovationen zu konfrontieren.
Thomas Ganswindt