5000 Quadratmeter misst die Zenith-Kulturhalle in München. Für die IT-Hausmesse von BMW ist das eigentlich zu wenig. Klaus Straub, CIO und Senior Vice President Information Management, räumt ein, dass er viele interessierte IT-Hersteller abweisen musste - aber das ist für den bayerischen Autobauernichts Neues. Zum 14. Mal veranstaltet BMW seine IT-Show für Mitarbeiter aus IT- und Fachabteilungen, Lieferanten und Partner. Erwartungsgemäß steht die Veranstaltung unter der Überschrift "Digitalisierung", doch Straub versichert, eigentlich gehe es eher um ein traditionelles Kernthema von BMW: um Schnelligkeit.
Bevor der IT-Chef zu einem Rundgang einlädt, erklärt er die grundsätzliche Strategie seiner IT, die er im Frühjahr 2016 gemeinsam mit seinem Team festgezurrt hat. Sie umfasst ganz BMW, also nicht nur die Autoproduktion, sondern auch beispielsweise den Car-Sharing-Dienst DriveNow oder die Motorrad-Sparte. Laut Straub berücksichtigt die Strategie, dass BMW immer mehr Dienstleistungen für den Kunden nur auf Basis einer engen bereichsübergreifenden Zusammenarbeit erbringen könne. Das Unternehmen wachse enger zusammen, weshalb Probleme zunehmend interdisziplinär gelöst werden müssten.
Die vier Säulen der BMW IT
Die IT-Strategie ruht auf vier Säulen, von denen eine die "Customer Centric IT-Services Delivery" ist: Mithilfe von zwei Shared-Services-Centern im südafrikanischen Rosslyn und im US-Werk in Spartanburg werden wichtige Services zentral betrieben - und zwar weltweit. "Ganze Wertschöpfungsketten werden dorthin verlagert", so Straub. Sicherheit, Compliance und Risiko-Management seien die natürlichen Grundlagen, um ITK-Services weltweit ausliefern zu können.
Die zweite Säule ist die "Digitalisierung der Prozesse sowie die Business Innovation". BMW möchte nicht nur die interne Zusammenarbeit, sondern auch die mit den weltweiten Partnern reibungslos gestalten - mit dem Kunden im Fokus. Ein wichtiger Aspekt dafür ist ein integratives CRM-System, in dem die Daten von allen Beteiligten des BMW-Ökosystems zusammenlaufen. Das Ziel sei ein einheitlicher Kunden-Datensatz an allen Touchpoints. Straub ermutigt die noch zögernden Händler, hier mit BMW zusammenzuarbeiten. Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass disruptive Angreifer aus dem Web Druck ausübten. "Anbieter wie TrueCar und Co. drängen sich dazwischen", mahnt der CIO.
Selbsterklärend ist die dritte Säule "IT im Produkt und in Services": Trends wie autonomes Fahren oder Connected Car verdeutlichen, dass Fahrzeuge immer mehr zu Computern auf vier Rädern mutieren. Als vierte und letzte Säule im IT-Konstrukt legt Straub viel Wert auf "People & Culture": Hier steht ein ausgefeiltes Change-Programm im Mittelpunkt der Bemühungen, das alle Mitarbeiter mitnimmt in die digitale Zukunft. Seit vier Monaten laufe es bereits, die Führungskräfte seien zu 97 Prozent unterwiesen. "Ende November werden wir alle 4000 IT-Mitarbeiter mit Lean-Konzepten geschult haben", so der IT-Chef. Es gehe darum, Veränderungsbereitschaft zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen.
Eigene IoT-Plattform sorgt für Effizienz
Wie stark BMW bereits von der Digitalisierung durchdrungen ist, zeigt ein Gang über die Hausmesse. Sascha Molterer, im Konzern für das Industrie-4.0-IT-Enabling verantwortlich, demonstrierte die BMW-eigene "IoT-Platform for Production and Smart Logistics". Das in Microsofts Azure-Cloud laufende System wurde von BMW selbst entwickelt und basiert zu einem Gutteil aus IoT-Cloud-Services.
Molterer zeigte am Beispiel des "Condition Monitoring", was damit möglich ist. Das Problem: BMW kann heute im Wareneingang häufig erst spät feststellen, ob angelieferte Waren und Komponenten für den Fahrzeugbau beschädigt sind. Also werden künftig Lieferungen aus aller Welt und über alle Transportwege hinweg mit Sensoren überwacht, die unter anderem Temperaturschwankungen, Feuchtigkeit und Erschütterungen messen und senden können. Molterer erklärt: "Der für die Materialsteuerung zuständige Mitarbeiter wird in Realtime informiert und kann zum Beispiel Nachversorgungen anstoßen oder sicherstellen, dass schlechte Ware ausgeschleust wird."
Straub ergänzt, dass in der Montage verschiedene Logistikketten zusammenliefen und es wichtig sei, das Anliefern von "Fehlteilen" zu vermeiden. Für eine stabile Produktion müssten die Just-in-time-Prozesse reibungslos funktionieren, da sei es fatal, wenn Probleme erst am Band auffielen. Die verwendeten Sensoren lassen sich remote über ein Cockpit konfigurieren. Sie helfen, eventuelle Abweichungen zu erkennen und zu lokalisieren, so dass regionale Störungen - etwa an bestimmten Verladepunkten, in extremen Witterungsgebieten oder an Landesgrenzen - an der Wurzel angepackt und beseitigt werden können.
Szenarien wie diese waren in der Münchner Zenith-Halle in vielen Ausprägungen zu sehen. So rollen bei BMW testweise die ersten fahrerlosen Stapler durch die Lager und beachten dabei - Machine-to-Machine-Kommunikation sei Dank - die Vorfahrtsregeln. Und Predictive-Maintenance-Ansätze sorgen dafür, dass drohende Ausfälle an Maschinen und Systemen vorzeitig erkannt werden, so dass proaktiv Reparaturen eingeleitet werden können.
Big Data durchdringt den ganzen Konzern
Besonders stolz ist man beim Autobauer auf die großen Fortschritte im Bereich Big Data. Straub spricht von drei Schichten: Die Infrastruktur bilde ein großer Big Data Cluster, der auf einer Hybrid-Cloud-Infrastruktur basiere und genügend Rechen- und Speicherkapazität zur Verfügung stelle, um möglichst alle theoretischen Szenarien rechnen zu können.
Der CIO erwartet dabei, dass der überwiegende Teil der Daten weiter in der Private Cloud bei BMW bleiben wird - zumindest für die nächsten fünf Jahre - weil sich das Spektrum der Public-Cloud-Anbieter erstmal stabilisieren müsse. Derzeit sei es für ein Großunternehmen noch zu gefährlich, sich hundertprozentig auf einen Public Provider einzulassen, auch wenn der Trend in diese Richtung gehe. Momentan könne er allerdings noch kaum Kostenvorteile erkennen, die Public Cloud sei nicht billiger als eine Private-Cloud-Umgebung.
Die zweite Ebene ist der Data Lake, in dem BMW analytisch relevante Daten aus allen Fachbereichen sammelt und eine Vielzahl von Connections herstellt. Das war kein einfacher Prozess: BMW musste die Datensilos in den Fachbereichen aufbrechen und diese in den Lake einfließen lassen. "Da sind wir inzwischen sehr weit gekommen", freut sich Straub.
Diffiziler geht es auf der dritten Ebene zu: Spezialisten für Advanced Analytics, Machine Learning und Deep Learning verarbeiten den Rohstoff Daten zu brauchbaren Lösungen, etwa im Bereich Predictive Maintenance, Predictive Planning, Rückverfolgung von Bauteilen (Traceability) oder zur Stabilisierung von Prozessen. Straub beklagt wie die meisten seiner Kollegen aus dem CIO-Kreis einen Mangel an guten Data Scientists. BMW kümmere sich mit gutem Erfolg selbst um die Fortbildung der Talente.
Die Big-Data-Anstrengungen bei BMW führen zu ganz konkreten Lösungen mit enormen Kostenvorteilen. Wie Kai Demtröder, Leiter Big Data und Advanced Analytics, ausführte, gelang es, weltweit auf teure Messroboter im Bereich der Lackierstraßen zu verzichten, weil sich die Qualität des Lacks heute durch eine laufende Bewegung der Sensormesswerte ähnlich präzise zu geringeren Kosten erheben lässt.
Fortschritte ergaben sich auch in der Produktion - beispielsweise bei Verschraubungen, die nach wie vor einen Großteil der Verbindungen im Fahrzeugbau ausmachen. Anhand der von Schraubanlagen erzeugten Daten kann BMW heute den Drehmoment-Verlauf analysieren und automatisch erkennen, wenn ein Fehler - etwa ein verschmutztes Gewinde, eine verschlissene Nuss oder Abweichungen von der Materialspezifikation - vorliegt und darauf sofort reagieren.
Die Herausforderung bei allen Big-Data- und Deep-Learning-Projekten, so führte Straub aus, liegt darin, eine kritische Masse an Daten zu erheben, die es erlaubt, valide Messergebnisse zu erzeugen. Wenn beispielsweise Muster auf Bildern erkannt oder Motorengeräusche auf Fehler analysiert werden sollen, dann müssen genügend Vergleichsdaten vorliegen.
Die Herausforderungen bestehen für BMW im Big-Data-Bereich also darin, die Daten aus den Fachbereichen in den Data Lake zu überführen, genügend Daten so aufzubereiten, dass sie für Data Scientists brauchbare Abfrageszenarien ermöglichen und schließlich alle Parteien zur Mitarbeit zu bewegen. "Für ein Big-Data-Projekt etwa im Bereich Lackierung brauchen Sie ja nicht nur den Data-Engineer und den Data Scientist, sie benötigen auch den Lackierspezialisten aus dem Fachbereich."
Für Straub ist das der zentrale Trend der Digitalisierung: Interdisziplinäre Zusammenarbeit über alle Abteilungs- und Silo-Grenzen hinweg, um die verborgenen Schätze zu heben. Dazu müssen die Qualifikation der Mitarbeiter, die organisatorischen Abläufe und gute Führungsstrukturen vorhanden sein. Doch laut Straub ist auch der Spaß an der Arbeit wichtig. Deshalb lautet die Mission des IT-Bereichs "Enjoy IT": Die Mitarbeiter in der IT sollen sich wohl fühlen, nur dann können sie innovativ sein und Leistung bringen.