Auf den ersten Blick überrascht vor allem die Häufigkeit: Lediglich 29 Prozent der Angestellten, so ein zentrales Resultat, seien "oft" oder "ständig" im Job gestresst. In Anbetracht der Flut von Burnout-Literatur und Anti-Stress-Ratgebern, die uns seit vielen Jahren überschwemmt, mutet diese Zahl ziemlich niedrig an. Dennoch ist sie, bei genauer Betrachtung, kein Grund zur Entwarnung.
Deloitte hat seine Studie bewusst sehr breit angelegt, befragte 23.000 Angestellte unterschiedlicher Level aus 1.300 Unternehmen in 120 Ländern. Das Thema Stress wurde dabei situativ betrachtet, das heißt den Befragten unterschiedliche Situationen wie "Organisation eines Meetings", "alleine an einem Schwierigen Projekt arbeiten" oder "mit einem wütenden Kunden sprechen" präsentiert, verbunden mit der Frage, ob und in welchem Maße sie davon gestresst sind.
Konflikte, Projekte und Erwartungen produzieren Stress
Aufgaben und Situationen, die am meisten stressen, sind dabei: eigene Fehler, genannt von 82 Prozent der Befragten, lange, anstrengende Arbeitstage (52 Prozent), Konfliktsituationen wie gerügt werden oder anderen eine unangenehme Nachricht überbringen müssen (52 Prozent), Projektarbeit unter Druck (46 Prozent) sowie persönliche anspruchsvolle Interaktionen wie zum Beispiel das Halten einer Präsentation (45 Prozent).
Insgesamt sind es also Erwartungen und Konflikte, die Stress verursachen. Allerdings wirkt der längst nicht bei allen gleich stark, wie ein detaillierter Blick auf die Befragten offenbart. Für das Verständnis dieses Zusammenhangs ist zunächst ein Blick auf die Befragenden wichtig: Durchgeführt hat die Studie Deloitte Greenhouse, eine vergleichsweise neue Beratungssparte, die auf "experimentelle Problemlösungen" spezialisiert ist, genauer auf eine Kombination aus Datenanalyse, Psychologie und Verhaltensforschung.
Teil dieses zwar nicht vollständig verstehbaren, aber in jedem Fall schwer menschelnden Ansatzes ist - und damit sind wir zurück bei der Studie - das "Business Chemistry"-Konzept, mit dessen Hilfe sich Angestellte typisieren lassen. Und unterschiedliche Typen reagieren ganz unterschiedlich auf Stress.
4 Stresstypen
Da ist zunächst der Guardian, also Wächter, ein fleißiger, konventioneller Arbeiter, der immer aufpasst, dass nichts aus dem Ruder läuft. Und der leicht in Stress gerät, sollte dies doch einmal der Fall sein.
Ebenfalls Stressanfällig ist der Typ Integrator, ein Mitarbeiter, der viel und gerne kommuniziert, der weiß, was intern so läuft und die Fäden gerne zusammenhält. Warum er stressanfällig ist? Weil zu diesem Typ, so Deloitte, auch nicht wenige Träumer gehören, Menschen, die vor lauter Kommunikation die eigentlichen Ziele des Unternehmens oder auch nur der Abteilung aus dem Auge verlieren. Und die dann Probleme kriegen, wenn sie sich mal wieder konkret damit auseinandersetzen müssen.
Auch in Stress können die sogenannten Driver geraten, Menschen, die sich stark auf (von ihnen) als wichtig erachtete Ziele konzentrieren und auch gerade sie zusteuern. Ihr Problem kann sein, dass sie sich dabei in Details verlieren und verheddern. Auch das produziert Stress.
Am wenigsten Stressanfällig sind - jedenfalls wenn man der Logik von Deloitte folgt - die Pioniere, Menschen, die Entwicklungen vorantreiben, dabei auch ungewöhnliche Wege gehen, die sich kurz gesagt wenig um die Meinung und das Urteil anderer scheren.
Bemerkenswerter Weise gilt auch der umgekehrte Zusammenhang: Extrem teamfähige, sensible Menschen, die anderen gut zuhören können, seien zwar "für das Team extrem wertvoll" so Suzanne Vickberg, Senior Manager bei Deloitte und eine der Autorinnen der Studie, "gleichzeitig sind sie aber oft die Gestresstesten von allen. Außerdem werden sie von den anderen oft übersehen."
Die Aufgabe für Führungskräfte
Die Quintessenz von alldem ist zweigeteilt. Erste Erkenntnis: Erwartungen, Konflikte, Fehler und Vorwürfe stressen alle, insofern spielt sich im Büro zwischenmenschlich Ähnliches ab wie in einer Ehe.
Zweitens: Wie nah jemand solche Dinge an sich ranlässt, ist typabhängig, hängt vor allem vom Arbeitsstil und von der Reaktion auf das Feedback anderer ab. Kim Christfort, Managing Director bei Deloitte und ebenfalls Co-Autorin der Studie: "Für Führungskräfte ist es enorm wichtig, sich mit der Frage zu beschäftigen, was genau welchen Mitarbeiter motiviert. Das hilft nicht nur, Konflikte im Vorfeld auszuräumen, es sorgt auch durch individuelle Förderung für bessere Ergebnisse im Team."
Fast alle sagen, sie bräuchten Stress
Bleibt noch die Frage, ob Stress in jedem Fall schlecht ist für diejenigen, die ihn erleben. Um das Herauszufinden, hatte Deloitte in einem zweiten Panel andere 17.000 Angestellte dazu befragt, wie sie selbst die Wirkung des Stresses auf ihre Arbeitsleistung einschätzen. Sechzig Prozent der "Driver" und "Pioneers" (siehe oben) sagten, sie seien am effektivsten, wenn sie mittel bis stark gestresst seien. Und auch von den anderen Befragten beurteilte mindestens die Hälfte die Wirkung von Stress auf ihre Leistung eher positiv.
Ebenfalls befragt wurde die zweite Gruppe zu ihren Stressbewältigung-Strategien (auch hier waren Mehrfachnennungen möglich). Insgesamt 83 Prozent sagen, ihnen helfe Action am meisten, will sagen das Hineinspringen und Anderwurzelpacken der anstehenden Herausforderung. 79 Prozent kommen am besten zurecht, wenn sie innhalten und die unterschiedlichen Optionen erst in Ruhe durchdenken.
78 geben an, sie versuchten die Situation so detailliert wie möglich zu verstehen, bei Bedarf auch durch Einholen zusätzlicher Infos. Ganze 47 Prozent lassen sich von Kollegen helfen und 46 Prozent schließlich nehmen erstmal eine Auszeit, gehen beispielsweise zum Sport.
Jeder Mitarbeiter reagiert anders auf Stress
Vorgesetzte sollten - das ist eine weitere Lehre aus der Befragung - nicht erwarten, dass alle ihre Leute gleich auf Stress reagieren, gleich gut damit umgehen oder alle in gleichem Maße Stress brauchen, um effektiv zu arbeiten.
Und den Gestressten selbst kann es nicht schaden, ehrlich zwischen von sich selbst erwarteter Stressreaktion und ihrer tatsächlichen Befindlichkeit zu unterscheiden.