Friedrich Wöbking, der CIO der Dresdner Bank, ist gerade erst aus dem Flugzeug gestiegen. Zwei Tage hat seine Reise in die Vereinigten Staaten gedauert. Abgesichert durch ein Virtual Private Network konnte er drüben auf Anwendungen und Daten zugreifen, als hätte er an seinem Schreibtisch in der Frankfurter Gallusanlage gesessen. "Ansonsten habe ich über den Blackberry Kontakt gehalten", sagt der CIO. Alle Vorstände der Dresdner Bank sind mit Blackberrys ausgestattet. Auch vier von zehn Investmentbankern von Dresdner Kleinwort arbeiten mit den mobilen Alleskönnern. Wöbking hat sogar einen Bereitschaftsdienst eingerichtet, der auch am Wochenende unterstützt, sollte das Geschäftswerkzeug einmal ausfallen.
Nicht nur bei der Dresdner Bank hat sich die Arbeitswelt durch Telekommunikation massiv verändert. In den vergangenen vier Jahren ist die Zahl derjenigen, die als viel reisende Manager, Vertriebsleute, Servicetechniker oder als Heimarbeiter nicht ihre gesamte Arbeitszeit im Unternehmen verbringen, nach Angaben des Netzwerkausrüsters Alcatel Lucent um rund 40 Prozent gestiegen. "Die Menschen sind nicht mehr so strikt an das Büro gebunden", bestätigt Wöbking. Und wenn sie doch noch dort arbeiten, können sie besser kommunizieren als früher. Auf Wöbkings Schreibtisch steht beispielsweise ein Monitor mit Kamera, der an ein Videokonferenzsystem angeschlossen ist. "Das hilft uns seit einigen Jahren, die eine oder andere Reise zu vermeiden", sagt der CIO.
"Hanuta-Fernsehen" für Mitarbeiter
Wenn sich Projektkomitees der Dresdner in London und in Frankfurt austauschen, setzen sie natürlich nicht mehr ausschließlich auf eine Telefonleitung. Schließlich werden neben der Sprache auch Daten übertragen, in diesem Fall die Bits, aus denen sich die Videobilder zusammensetzen. Die Basis, auf der IT- und TK-Leitungen zusammenwachsen, ist das Internet Protokoll (IP). IP-basiert verschickt die Dresdner auch die kleinen Videoclips, die die Mitarbeiter wegen der haselnusswaffelgroßen Bilder auch "Hanuta-Fernsehen" nennen. Sie sind inzwischen auch bei der Muttergesellschaft Allianz Teil der Unternehmenskommunikation. Allianz-Chef Michael Diekmann erreicht über diesen Kanal bei seinen Neujahrsansprachen inzwischen weltweit 170.000 Mitarbeiter.
Für das Zusammenwachsen von Technologien wie der Informationstechnologie und der Telekommunikationstechnik steht der Begriff Konvergenz. Unterschiedliche Anwendungen arbeiten auf Basis einer gemeinsamen Infrastruktur und werden so immer stärker miteinander verzahnt. Doch was treibt die Entwicklung an? Wie sind die Projekte organisiert, wenn Konvergenzlösungen eingeführt werden? In welchen Bereichen setzen die CIOs besonders auf die neuen Netze? Und hält die Technik, was sie verspricht? Die Marktforscher von MBmedien in Krefeld haben für CIO exklusiv ermittelt, wie es um das Thema Konvergenz in Deutschlands Unternehmen bestellt ist. Dazu befragten sie 287 CIOs, die in den größten 1.000 Unternehmen in Deutschland arbeiten.
Erstes Ergebnis: Konvergente Netzwerke lösen langsam, aber sicher die klassische Telekommunikationstechnik ab. Die duale Infrastruktur mit dem Datennetz auf der einen und dem Telefonnetz auf der anderen Seite verschwindet. Zweites Ergebnis: Vor allem mit Blick auf die explodierende Anzahl von Mobilgeräten erhoffen sich CIOs durch konvergente Infrastrukturen zu sparen, da diese im Vergleich zu heterogenen Netzwerken leichter zu warten und zu administrieren sind.
Mobile IT gehört dazu
Die schmerzhaften Erfahrungen mit wild wuchernden und nicht zu verwaltenden Geräteparks haben Spuren hinterlassen - das belegt, dass mehr als die Hälfte der CIOs auch eine Integration der Mobilgeräte in das Einheitsnetz anstrebt. 31 weitere Prozent geben sogar an, dass die Integration von Mobiltechnologie der Hauptantrieb ihrer Konvergenzprojekte ist.
Allerdings fasst die IP-Technologie nur schrittweise Fuß. Voll integrierte Konvergenznetze gibt es derzeit in den allerwenigsten Unternehmen. Lediglich 2,5 Prozent der Firmen geben an, über sie zuverfügen. Immerhin setzen aber CIOs bereits in 41 Prozent der Firmen Konvergenztechnik auf Applikationsebene regelmäßig ein. Weitere 32 Prozent sammeln in Pilotprojekten Erfahrungen mit der Technologie. Nur etwas mehr als ein Fünftel der CIOs vermelden keinen nennenswerten Einsatz der Technologie. In den nächsten drei Jahren wird sich dieses Bild verändern. 41 Prozent der CIOs gehen davon aus, dass ihr Unternehmen 2010 mit einem voll integrierten Konvergenznetz arbeitet. Und fast jeder zweite kündigt an, dass es Erweiterungen auf der Applikationsebene geben wird. Nur drei Prozent erwarten, dass es auch 2010 keine Planung in Sachen Konvergenz gibt.
IP-Telefonie ausgereift
Der bei weitem wichtigste Einsatzbereich der Konvergenztechnologie ist der Untersuchung zufolge die IP Telefonie. Die hat ihre Kinderkrankheiten inzwischen hinter sich. "Mittlerweile hat sich die VoIP-Sprachqualität der von ISDN angenähert und ist auch im Unternehmensbereich akzeptabel", sagt Burkhard Zohlnhöfer, Telekommunikationsexperte der Unternehmensberatung Steria-Mummert. Weil die Verbindungen inzwischen relativ stabil sind und das Sprachniveau akzeptabel ist, gibt es wenige Gründe, auf die Einsparungen zu verzichten, die durch das Zusammenführen von TK- und IT-Netz möglich sind. Mehr als die Hälfte allergeplanten Investitionen werden in den Ausbau von Sprachdatenlösungen aufgewendet.
Der Bedeutungsverlust der klassischen Telekommunikationstechnik wird auch bei der Budgetierung von Konvergenzprojekten deutlich. Nur 4,5 Prozent werden aus dem TK-Budget bestritten. Die Regel ist, dass Konvergenzprojekte als Teil des regulären IT- Budgets betrachtet werden. 62 Prozent der CIOs rechnen sie auf diese Weise ab. Knapp ein Sechstel der Befragten kann bei Konvergenzprojekten auf ein Sonderbudget zugreifen, bei dem fallweise abgerechnet wird. Die projektbezogene Abrechnung ist ein Trend, der sich in Zukunft noch verstärken wird, erklären die Studienautoren.
Auch bei der organisatorischen Aufhängung der Projekte zeigt sich, dass die Zeit der klassischen TK zu Ende geht. Nur bei drei Prozent der Konvergenzprojekte liegt die Federführung im Fachbereich TK. In 36 Prozent der Fälle liegt sie bei der zentralen IT, und jedes fünfte Unternehmen setzt sogar darauf, sie als strategische Entwicklungsprojekte direkt beim CIO persönlich anzusiedeln. Auch Friedrich Wöbking definiert zentral die strategischen Leitlinien für den Ausbau der Konvergenztechnologie der Dresdner Bank. "Beim Aufbau eines neuen Konvergenznetzes für unsere Investmentbanker in London lief es wie in vielen Projekten", sagt er. "Die Londoner haben den Ausbau vorgeschlagen, der Vorschlag kam auf meinen Tisch, und ich habe es als Projekt mit ihnen zusammen verabschiedet."
Dass die Zentrale - nicht nur bei der Dresdner - die wesentlichen Entscheidungen in Sachen Konvergenz trifft, zeigt, dass Unternehmen den Wildwuchs von Lösungen nicht länger dulden, weil nicht abgestimmte Technik der Bereiche und Regionalabteilungen die Unterhaltskosten in die Höhe treibt. Der Aufbau der Kommunikationsinfrastruktur von morgen ist deshalb für CIOs ein strategisches Projekt, das von ganz oben angeschoben und gesteuert werden muss. Kurz gesagt: Konvergenz ist Chefsache.
Dennoch werden wohl auch in drei Jahren Unternehmen, die durchgängig auf IP-basierte Netze und vor allem Endgeräte setzen, die Ausnahme sein. Kaum ein Unternehmen plant, die eigene Infrastruktur so radikal umzubauen, wie es sich die Komponentenhersteller wünschen. Meist wird die bestehende TK-Infrastruktur um IP-Komponenten erweitert, um die alten, noch nicht abgeschriebenen Anlagen weiter zu betreiben.
IP bei Trinkgut und Webasto
Der Bau neuer Gebäude ist oft der Auslöser, wenn die Kommunikationsinfrastruktur komplett neu aufgestellt wird. So setzt unter anderem Trinkgut aus Krefeld, die größte Getränkemarktkette in Nordrhein-Westfalen, beim Neubau eines hochmodernen Logistikzentrums in Hamm auf ein konvergentes Netzwerk, über das nicht nur die IP-Telefonie abgewickelt wird. Dank des drahtlosen Netzwerks übertragen Gabelstaplerfahrer gleichzeitig jede Warenbewegung online mit einem mobilen Handheld-Terminal an das Lagerverwaltungs- und das Warenwirtschaftssystem. Das Wireless LAN dient zudem für mobile Telefonate in der Lagerhalle und dem umliegenden 150.000 Quadratmeter großen Firmengelände.
Auch der Hersteller von Dach- und Temperatur-Management-Systemen Webasto mit Stammsitz in Stockdorf bei München baut derzeit. Er investiert 20 Millionen Euro in ein neues Gebäude im nah am Stammsitz gelegenen Gilching, in das ein Teil des Unternehmens im Winter übersiedeln wird. Vor allem für die Koordination internationaler Entwicklungsprojekte erhofft sich Marketing-Vorstand Phillip Thompson, der für das Projekt verantwortlich ist, Impulse durch die neue Technik. "Sie hilft uns, auf vielen Ebenen die Wertschöpfung zu steigern", sagt er. "Wenn wir beispielsweise Komponenten entwickeln, sind daran Fachleute bei uns in der Zentrale, aber auch in Brandenburg, in Indien und in den Vereinigten Staaten beteiligt." Diese Projekt-Teams können in Zukunft miteinander telefonieren und gleichzeitig Entwürfe aus einem gemeinsamen Datensatz aufrufen. "Bis heute waren dazu Videokonferenzsysteme nötig, die nicht immer gut funktionierten, E-Mails, die mitunter fehlinterpretiert werden, und Anrufe, die manchmal missverständlich sind. Durch die neue Technik werden wir in der Entwicklung schneller, weil wir besser kommunizieren."
Kein Big Bang bei der Dresdner
Webasto-CIO Bernd Göllnitz geht zudem davon aus, dass die Integration neuer Anwendungen auf Grundlage des neuen Netzwerkes problemlos vonstatten geht. "Der Technologie-Layer spielt keine Rolle mehr. Ich gehe davon aus, dass wir unser neues CRM-System von Microsoft, das alte Siebel-Anwendungen ablösen soll, out of the box implementieren können."
Die meisten Unternehmen setzen dagegen auf kleinere Entwicklungsschritte in Richtung IP-Netz. Evolution statt Revolution - das ist zum Beispiel bei der Dresdner Bank zu beobachten. "Wir bauen unsere Konvergenz-Infrastruktur beständig aus, aber es gibt keinen Big Bang", sagt Wöbking. Die Frankfurter betreiben bereits mit der Allianz ein weltweites Netz auf IP-Basis, an das in einigen Fällen auch die Telefonanlagen von Filialen angebunden sind. Wenn die alten PBX-Telefonanlagen an das Ende ihres Lebenszyklus anlangen, kaufen die Frankfurter grundsätzlich IP-fähige Komponenten, um sie zu ersetzen. Und wenn Einheiten des Unternehmens in neue Gebäude umziehen, wie etwa bei der Investmentbanking-Sparte der Bank in London, ist das eine Gelegenheit, eine neue Infrastruktur zu schaffen.
"Dort haben wir ein rein IP-basiertes Netzwerk aufgebaut, bei dem auch die Endgräte IP-basiert arbeiten", sagt Wöbking. Dort wird mit Voice over IP telefoniert, und die Telefone haben ein kleines Display, das auch zur Übertragung von bewegten Bildern geeignet ist. Der Gesprächspartner ist dann auf dem Videoschirm zu sehen. "Aber die überwältigende Mehrheit in den Häusern hat konventionelle Endgeräte“, sagt Wöbking. "Wir sehen bisher nicht den großen Nutzen, wenn wir alle weltweit dieselben Endgeräte hätten und uns auf dem Bildschirm sehen könnten. Die Frage bei solchen Entscheidungen ist immer: Was nützt d as unseren Kunden? Und wie wirkt sich so etwas auf unsere Gewinn-und-Verlust- Rechnung aus? Oft gehen solche Rechnungen zu Ungunsten der Technologie aus."
Geeignetes Einsatzgebiet: Callcenter
Investiert in Konvergenztechnologie hat Wöbking vor allem dort, wo die Kunden es direkt bemerken - zum Beispiel in den Callcentern. "Das Kundenverhalten hat ich im Bankenbereich extrem schnell verändert", erklärt er. Ein neues Voice-Portal verteilt deshalb die Kapazitäten der Kundenbetreuer besser. Zugleich sind Anruferkennung mit Banksystemen wie der Kontoführung verzahnt. "An der Kundenschnittstelle können wir uns differenzieren", sagt Wöbking.
In den Bereichen, wo es keiner sieht, genügt es der Bank dagegen, eher wirtschaftliche als technische Schwerpunkte zu setzen. "Wir wollen gut aufgestellt sein, müssen aber nicht jede Innovation als Erste ausprobieren", sagt der CIO. Er rechnet damit, dass die Verbindungsleitungen zwischen allen Filialen nicht vor 2009 komplett auf IP-Technologie umgestellt sind. Die letzten klassischen Telefone sollen vermutlich 2012 ausgemustert werden.
Wöbking ist bislang zufrieden mit dem, was er eingekauft hat, doch damit unterscheidet er sich von vielen Befragten. Das Leistungsvermögen der erworbenen Technologien überzeugt zwar vier Fünftel der Kunden. Noch immer sind aber mehr als ein Drittel des CIOs mit der Stabilität und der Zuverlässigkeit der eingekauften Lösungen nicht zufrieden. 26 Prozent sehen die mangelnde Stabilität sogar als Hindernis für den Ausbau der Konvergenzinfrastruktur. Und satte 38 Prozent ärgern sich über Mängel beim Support.
Jeder Vierte investiert in Exoten
Bislang dominieren etablierte Platzhirsche den Markt. Auf Siemens entfallen 22,5 Prozent der Aufträge, auf Cisco 19 Prozent. Alcatel Lucent mit zwölf und IBM mit elf Prozent folgen. Auch Avaya mit sechs Prozent und Nortel mit 4,5 Prozent können sich über Stücke des Kuchens freuen. Anbieter aus dem Carrier-Segment wie QSC oder BT spielen noch keine Rolle, könnten sich aber bei guten Angeboten Hoffnung machen, dass sich das ändert. Denn immerhin kommen bei 22 Prozent der Projekte nicht die genannten Platzhirsche zum Einsatz. Und Investitionsentscheidungen hängen bei Konvergenzprojekten nach Angaben der befragten CIOs nicht vom Bekanntheitsgrad der Anbieter ab.
Immerhin ein Sechstel aller Konvergenzprojekte wird inzwischen übrigens von externen Dienstleistern verantwortet. Und 36 Prozent der CIOs halten das Outsourcing für eine brauchbare Methode, um die hohen Investitionskosten bei Konvergenzprojekten auch bei unklarem Return-on-Investment im vertretbaren Rahmen zu halten.
Bei der Dresdner Bank spielt dabei nicht nur die naturgemäß enge Zusammenarbeit mit Allianz Shared Infrastructure Services (ASIC), die weltweite IT Tochter der Allianz, eine wichtige Rolle. Auch Fujitsu Services, das nach der Übernahme von 500 Mitarbeitern für die Betreuung der Desktop-Services und für die Kommunikationsinfrastruktur verantwortlich ist, hilft den Frankfurtern. "Die Weiterentwicklung unserer Infrastruktur bei VoIP und anderen Themen haben wir bei dem Deal festgeschrieben", sagt Friedrich Wöbking. "Während wir das Know-how in Sachen Applikationsentwicklung für das Front-End im Haus behalten wollen, brauchen wir nicht unbedingt vertieftes Wissen um die IP-Kommunikation auf der Drahtund Protokollebene."
Ausgaben steigen auf 36 Prozent
Die Methode Arbeitsteilung könnte Schule machen. Denn nicht nur die Kosten und mitunter auch die Angst vor Sicherheitsproblemen bremsen den Aufbau der Einheitsnetze. 38 Prozent nennen als Hindernis für Konvergenzprojekte, dass eigenes Know-how im Hause fehlt. Doch erst ein Viertel der CIOs setzt beim Einkauf von externen Leistungen darauf, gezielt Fachwissen im Konvergenzbereich zuzukaufen, über das die eigene Organisation nicht selbst verfügt. Insbesondere beim Aufbau neuer Dienste wie IP-basierter Videokonferenzsysteme ist externe Hilfe willkommen.
Doch unabhängig, ob künftige Konvergenzprojekte von der eigenen IT, vom hausinternen Dienstleister oder von Externen gestemmt werden, in jedem Fall steht fest, dass die Investitionen in die Technologie weiter steigen. Derzeit beträgt der prozentuale Anteil von Sprach-Daten-Konvergenz-Projekten am gesamten IT Budget rund 14 Prozent. Dass dieser Wert bis 2010 den Erwartungen der befragten CIOs zufolge um fast das Dreifache auf 36 Prozent steigen wird, zeigt, dass die Entwicklung der Netze gerade erst Fahrt aufgenommen hat.
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