"An Berlin kommt niemand vorbei", sagt Inken Braunschmidt, die für RWE als Chief Innovation Officer arbeitet. Aus allen Teilen der Welt ziehen junge Entrepreneure an die Spree. Zwar ignorierten viele Traditionsunternehmen lange die jungen Wilden, doch seit Plattformen wie Airbnb oder Uber klassische Geschäftsmodelle hinwegfegen, geht in manchem Konzern die Angst um, bald auf dem Abstellgleis zu landen.
Wenn sich die jungen Konkurrenten nicht domestizieren lassen, wieso sich nicht mit ihnen verbünden? Das dachten vermutlich auch die beiden Traditionsunternehmen RWE und Henkel. Gemeinsam mit der Globumbus- und Sigmund-Kiener-Stiftung sowie der Wirtschaftskanzlei Noerr engagieren sie sich jetzt in Berlin. In der European School of Management and Technology (ESMT) fanden die Akteure einen Partner, der beste Kontakte in die Berliner Startup- und Gründern-Szene mitbringt und am Schlossplatz 1 in Mitte residiert. Dort zog das "German Tech Entrepreneurship Center", kurz GTEC, ein.
60 Arbeitsplätze für Gründer
Benjamin Rohé fungiert als Geschäftsführer des GTEC. Die Idee hinter dem Konzept klingt einfach: Gründer und alte Hasen sollen in entspannter Atmosphäre aufeinander treffen, sich austauschen, voneinander lernen und profitieren. Im ehemaligen Staatsratsgebäude, in dem auch die ESMT untergebracht ist, stand die vierte Etage eines Seitentrakts lange leer und diente als Rumpelkammer. Auf den 1200 Quadratmetern Bürofläche mischt sich heute angestaubter DDR-Charme mit Hightech, die Räume wirken roh und unfertig. Das könnte durchaus beabsichtigt sein, heimelig soll es den Gründern dort nicht werden. Das Konzept sieht vor, dass ihnen 60 Arbeitsplätze an Tischtennisplatten drei bis sechs Monate zur Verfügung stehen. Sie finden dort die nötige IT-Infrastruktur, Stühle und jede Menge Kontakte.
"Startups probieren Dinge aus, die wir nicht machen", erläutert Paolo Bavja, Corporate Director New Business Development von Henkel. Der Manager, der für den weniger bekannten Henkel-Geschäftszweig Klebstoffe und Oberflächenbeschichtung arbeitet, verspricht sich viel von der neuen Kooperation: "Die Gründer können unsere Labore nutzen, und wir vermitteln ihnen Zugang zu unseren Kunden." Henkel und RWE engagieren sich bereits an unterschiedlichen Startup-Projekten und Inkubatoren, trotzdem investieren sie in GTEC, weil sie sich von den Gründern neue Impulse für ihre Konzerne erhoffen.
Die private, 2002 gegründete Hochschule ESMT lockt talentierte junge Menschen aus aller Welt an. Nach eigenen Angaben kommen mehr als 80 Prozent der Studenten aus dem Ausland, Unterrichtssprache ist Englisch. Viele Absolventen möchten nach ihrem Studium in Berlin ein Unternehmen gründen. Für einen Büroplatz bei GTEC müssen sich interessierte Startups mit einer technischen Geschäftsidee bewerben.
Jörg Rocholl, Präsident der ESMT, nennt einen weiteren Grund, weshalb etablierte Unternehmen inzwischen dahin gehen, wo sie Entrepreneure treffen können: "Studenten wollen immer weniger in etablierten Firmen arbeiten, sondern in Startups." Das trifft auch für den Geschäftsführer Benjamin Rohé zu, der sich in der Gründerszene bestens auskennt. Der 34-Jährige gründete bereits mit 17 Jahren seine erste Firma, vier weitere kamen seitdem hinzu.
Auch als Business Angel mischt er mit, gibt sein Wissen weiter, investiert und verfolgt eine Mission: "Mein Ziel ist es, 100 Leuten zu helfen, ein Unternehmen zu gründen." Die drei ersten Startups sind bereits eingezogen. Neben Intact Healthcare aus Italien bewarben sich die beiden osteuropäischen Gründerteams Uvizir und Smart Drive erfolgreich für einen Büroplatz. Drei weitere Firmen sollen im August folgen. 60 Arbeitsplätze stehen dort bereit, im neuen Jahr soll ein weiterer, gleichgroßer Standort hinzukommen.
Büros und Kontakte auf Zeit
Sechs Monate bleiben den Gründern, um an ihrem Konzept zu feilen, Kontakte zu knüpfen, sich auszutauschen. Dann sollen die jungen Firmen weiterziehen. Rohé möchte noch fünf bis zehn Industrieunternehmen als Sponsoren und Partner gewinnen, um eine größere technische Vielfalt abzubilden.
Von den engen Kontakten zur Hochschule, den technisch orientierten Startups und dem Berliner Gründergeist versprechen sich etablierte Firmen neue Impulse. Die Energiewende mischte das Geschäftsmodell von RWE gehörig auf. Dass das Unternehmen nach neuen Ideen suchen muss, wissen auch die Manager in Essen. Sie hoffen, dieses Wissen außerhalb des eigenen Imperiums zu finden. "Wir wollen nicht den 20. Inkubator gründen, sondern etwas Neues von Anfang an mitgestalten", erklärt Braunschmidt und ergänzt: "Wir wollen in einer vibrierenden Hochburg sein." Die Managerin betont auch, dass Partner nötig seien, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Was sich die Sponsoren ihr Engagement kosten lassen, wollten sie nicht verraten. Doch sie betonen, dass es ihnen vor allem auf den Austausch ankommt und sie den Gründern mit Kontakten und Infrastruktur weiterhelfen wollen.
Startups als Jobmotor für die Region
Erfolgreiche Startups entwickeln sich auch zu Jobmotoren. Der Branchenverband Bitkom befragte kürzlich 227 IT-Gründer in Deutschland. Durchschnittlich beschäftigen junge Firmen 13 Mitarbeiter. Unternehmen, die länger als fünf Jahre am Markt sind, kommen auf 25 Angestellte.
Allerdings gibt es regionale Unterschiede. Während Startups in München durchschnittlich 21 Mitarbeiter beschäftigen, kommen Berliner Jungunternehmen auf rund 17 Angestellte, und in Hamburg sind es dagegen nur sechs Mitarbeiter. Die Wahl des Standorts hängt zwar für viele Gründer von persönlichen Faktoren wie die Nähe zu Familie und Freunden ab, doch 60 Prozent nannten auch den Arbeitsmarkt am jeweiligen Ort als Argument für oder gegen eine Stadt.