Blockchain ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema in IT. Im Wesentlichen geht es darum, ob die Technologie eine Lösung für die folgenden Herausforderungen bietet: Wie können Daten geschützt oder zumindest nachträgliche Manipulationen erkannt werden? Wie können Angriffe auf die Verfügbarkeit von Daten verhindert und wie kann die Konsistenz gespeicherter Daten sichergestellt werden?
In klassischen Datenbanken bilden Datensätze häufig chronologische Verläufe ab. Wie aber kann eine spätere Veränderung dieser Verläufe verhindert werden, insbesondere beim Einsatz verteilter Systeme mit verschiedenen Geschäftspartnern? Genau hier kann Blockchain seine Vorteile ausspielen.
Stärken und Fallstricke der Blockchain werden sichtbar
Ursprünglich als Basistechnologie für Kryptowährungen wie Bitcoin entwickelt, ist Blockchain inzwischen selbst zu einem Hype geworden. Nach ersten Anwendungen im Finanzsektor sind nun auch Unternehmen aus anderen Branchen, wie beispielsweise Logistik, auf die Technologie aufmerksam geworden und testen Blockchain in Anwendungsbereichen, die jenseits des ursprünglichen Einsatzgebiets von Kryptowährungen liegen.
Die ersten Praxiserfahrungen nehmen den teilweise überhöhten Erwartungen den Wind aus den Segeln und zeigen die tatsächlichen Stärken, aber auch Fallstricke auf, die mit Blockchain verbunden sind. So hat die Technologie im Gartner Hype Cycle ihren Höhepunkt inzwischen überschritten (Stand Juli 2017). Nichtsdestotrotz hält sich in vielen Bereichen die Meinung, dass Blockchain das Potenzial habe, Transaktionen neu zu definieren und zu verändern
Technische Anforderungen an eine Blockchain
Aus technischer Sicht ist Blockchain eine weitere Möglichkeit, eine Datenbank bereitzustellen, die bestimmte Anforderungen erfüllt:
Sie ist öffentlich (ohne expliziten Eigentümer).
Daten können nur hinzugefügt werden (kein Überschreiben oder Löschen).
Daten sind geteilt/verteilt zwischen vielen Knoten (dezentral, keine zentrale Speicherung).
Synchronisierung und Replizierung erfolgen kontinuierlich (Aktualität aller Transaktionen).
Daten sind durch Kryptographie geschützt (manipulationssicher, geschützt vor Angriffen).
Ist Blockchain einfach eine weitere Datenbank? Nein. Im Gegensatz zu bestehenden Ansätzen ermöglicht Blockchain eine Infrastruktur, die Transaktionen zwischen Akteuren in einem Netzwerk sicher abwickeln kann, ohne dass ein Mittelsmann oder eine zentrale Autorität dazu erforderlich wäre. Dadurch werden alle Netzwerkteilnehmer gleichberechtigt behandelt, das heißt es wird kein Teilnehmer privilegiert. Die ausgeführten Transaktionen selbst sind sicher und transparent.
Diese Eigenschaften beflügeln die Fantasie hinsichtlich neuartiger Anwendungen mit einem signifikanten Mehrwert. Um einen Eindruck zu geben: Im Fall von Bitcoin ist Blockchain die Basis, um Finanztransaktionen ohne einen Mittelsmann für eine Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden US-Dollar (Stand November 2017) auszuführen.
Wie eine Blockchain funktioniert
Aus IT-Sicht ist es natürlich besonders interessant, wie Blockchain solch ein verteiltes Buchführungssystem (distributed ledger) technisch ermöglicht. Zunächst kann jeder Netzwerkteilnehmer eine gleichberechtigte Kopie des gemeinsamen Journals, also der Blockchain, vorhalten. Eine zentrale Instanz oder Autorität ist somit nicht erforderlich. Hinzuzufügende Transaktionen werden zu neuen Blöcken zusammengefasst. Über einen Konsens-Algorithmus wird zwischen den Knoten, die Kopien des Journals bereitstellen, festgelegt, wie Blöcke der Kette hinzugefügt werden.
Neben Transaktionsdaten enthalten die Blöcke einen kryptografischen Hash (Prüfsumme) des jeweils vorhergehenden Blockes. Auf diese Weise wird eine Folge kryptografischer Abhängigkeiten erzeugt, die verhindert, dass Informationen, die in der Kette gespeichert sind, manipuliert werden. Eine nachträgliche Änderung an einem Datenblock in der Kette führt unmittelbar zu einer Verletzung der in den nachfolgenden Blöcken gespeicherten Prüfsummen. Dadurch ermöglicht die Blockchain-Technologie, dieselbe verifizierte Information unter allen Netzwerkteilnehmern sicher zu verteilen, ohne dass eine übergeordnete Instanz erforderlich wäre.
Öffentliche und konsortiale Blockchains
In der Praxis sehen wir vor allem zwei Typen von Setups, nämlich öffentliche und konsortiale Blockchains. Der öffentliche Ansatz wird für Kryptowährungen wie Bitcoin genutzt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie über eine sehr hohe Anzahl an Knoten verfügen und genehmigungsfrei Zugang gewähren. Diese Setups bedingen eine gewisse Verzögerung bei der Ausführung von Transaktionen sowohl infolge des Konsens-Algorithmus als auch aufgrund der rechenintensiven Prozedur zum Signieren neuer Blöcke.
Im Gegensatz dazu werden konsortiale Blockchains in Netzwerken mit einer begrenzten Anzahl bekannter Parteien eingesetzt, die daher nur über wenige Knoten verfügen, die Kopien des Journals vorhalten. Somit kann der Zugang zum Journal und zu einzelnen Transaktionen kontrolliert werden. Zudem sind deutlich effizientere und somit auch deutlich schnellere Konsens-Algorithmen möglich. Auf Grund dieser verschiedenen Eigenschaften beschäftigen wir uns derzeit vor allem mit konsortialen Blockchains für den Einsatz in unserem Geschäftsfeld.
Anforderungen an eine Blockchain in der Logistik
Werfen wir nun einen Blick auf die Anforderungen, mit denen wir uns in der Logistikindustrie konfrontiert sehen. Obwohl kontinuierlich an der Digitalisierung der Prozesse und nahtloser Integration gearbeitet wird, bleibt der Transport von Gütern, vor allem international, abhängig von Papierdokumenten, die oft nicht elektronisch erfasst werden. Beispielsweise erfordert eine Sendung von Blumen per Seefracht bis zu 200 Papierdokumente, ausgestellt von einem Dutzend verschiedener Parteien.
Eines dieser Dokumente ist etwa der Frachtbrief (bill of lading), der von Exporteuren, Importeuren, Versicherungen, Zollagenten, Terminalbetreibern, Spediteuren, Reedereien und vielen anderen sowohl für operative Zwecke als auch zur Steuerung von Finanzflüssen genutzt wird. Üblicherweise wird der physische Frachtbrief per Übernacht-Kurier weitergegeben, sobald der Verkäufer in Kenntnis gesetzt wurde, dass die Sendung im Zielhafen angekommen ist.
Eine einzige kleine Abweichung auf einem dieser Papierdokumente kann zu Verzögerungen führen, die zur Folge haben können, dass Sendungen verderben oder Zahlungen aufgehalten werden. Experten schätzen die Kosten aus derart verursachten Ineffizienzen auf bis zu 38 Milliarden US-Dollar jährlich.
Wie also kann die Blockchain-Technologie zur Lösung der oben geschilderten Herausforderungen beitragen? In einem Blockchain-gestützten Liefernetzwerk (Abbildung 1) werden Daten, die von verschiedenen Supply-Chain-Partnern benötigt werden, in einem gemeinsamen Journal abgelegt, anstatt sie mehrfach zu replizieren, wiederholt bilateral auszutauschen und getrennt zu speichern.
Solch ein Vorgehen ähnelt dem "one-file" Ansatz, den wir bei Kühne + Nagel auch in unserem Transportmanagementsystem SALOG verfolgen, in dem wir 102 CIEL-Umgebungen (Speditionssoftware) in einem einzigen zentralen System für Import und Export weltweit zusammengeführt haben. Aus dieser Perspektive ermöglicht Blockchain ein "cross-entreprise one-file" Konzept.
Nutzen der Blockchain in vier Bereichen
Welchen Nutzen bringt die Blockchain-Technologie für die Logistikindustrie? Wir unterteilen die potenziellen Nutzen in vier Bereiche.
1. Effizienz
Blockchain erhöht die Effizienz, indem Verzögerungen, die aus fehlerhaften Daten oder wiederholter manueller Neueingabe entstehen, eliminiert werden. Ebenso entfallen Wartezeiten, da aktualisierte Daten ohne Verzögerung mit allen autorisierten Partnern geteilt werden. Durch ein gemeinsames Journal werden Redundanzen verringert, da mit nur einer Schnittstelle auf eine für alle vertrauenswürdige Datenquelle zugegriffen wird (single source of truth). Außerdem kann der Grad der Automatisierung erhöht werden. So können verschiedene Aktionen wie Bezahlung, Kommunikation oder ereignisbasierte Benachrichtigungen über Smart Contracts, die direkt an die die Transaktionen in der Blockchain gebunden sind, ausgelöst werden.
2. Datenqualität
Die Blockchain-Technologie ermöglicht es, die Qualität der geteilt genutzten Daten hinsichtlich Korrektheit zu erhöhen, da die originären Dateneigentümer stets unmittelbare Kontrolle über die von ihnen bereitgestellten Informationen haben. Die gemeinsame Nutzung einer Datenbasis erlaubt jedem Netzwerkteilnehmer, stets die aktuellen und damit abgestimmten Informationen zu nutzen.
3. Datentransparenz
Außerdem verbessert Blockchain die Transparenz und Sichtbarkeit der ausgetauschten Daten. Indem das gemeinsame Journal gleichberechtigt, unveränderbar verteilt gespeichert und gemeinsam genutzt wird, können zwischen den Parteien Geschäftspartnerschaften aufgebaut werden, ohne dass einseitige Vertrauensvorschüsse erforderlich wären.
4. Flexibilität, Reaktionsfähigkeit und Proaktivität
Für Integratoren kann Blockchain bestehende Lücken schließen, indem das Tracking auf der Ebene einzelner Packstücke über verschiedene Verkehrsträger und unterschiedliche Akteure entlang der Lieferkette signifikant erleichtert wird. Gleichzeitig werden die Voraussetzungen für Performance-Monitoring und Benchmarking sowie eine automatische Erkennung regulärer Muster und Abweichungen geschaffen. Daraus ergeben sich verschiedene Nutzungsmöglichkeiten, die sich im Wesentlichen unter den Begriffen Flexibilität, Reaktionsfähigkeit und Proaktivität zusammenfassen lassen.
Die unmittelbare Verfügbarkeit aktualisierter Informationen erlaubt es, mit Hilfe eines integrierten Exception-Handlings schneller denn je auf auftretende Abweichungen zu reagieren. Daneben vereinfacht die Nutzung eines übergreifenden Journals ein dynamisches multi-modales Rerouting von Sendungen.
Die Nutzung konsortialer Blockchains, bei denen der Zugang zwar grundsätzlich kontrolliert wird, die aber gleichzeitig als offene Ökosysteme angelegt sind, vereinfacht es, verschiedene Parteien miteinander zu verbinden. Somit wird es auch einfacher, Leistungen aus einer Vielzahl von Anbietern spezifisch auszuwählen und zu kombinieren.
Blockchain bei Kühne + Nagel
Bei Kühne + Nagel beschäftigen wir uns seit 2016 intensiver mit Blockchain. In mehreren Workshops wurden zunächst Anwendungsfälle für die Technologie identifiziert und anschließend bewertet. Diese wurden in den Bereichen
Provenance (Herkunftsverfolgung),
Trade Finance (Handelsfinanzierung),
Visibility (Transparenz und Sichtbarkeit),
und Workflow (Arbeitsablauf / Prozessablauf) zusammengefasst (siehe Abbildung 2).
Anwendungsfälle, für die Kühne + Nagel bereits Lösungen hat und die schon heute überprüfbare und vertrauenswürdige Informationen bereitstellen, zum Beispiel Supply Chain Visibility, sind in dieser Übersicht nicht enthalten.
Mit der Zielsetzung, unseren Kunden Mehrwert zu bieten, wurde eine priorisierte Gruppe von Anwendungsfällen gebildet. Kriterien hierfür waren der unmittelbare Vorteil für den Kunden, Mehrwert für Kühne + Nagel und die Umsetzbarkeit. Die hier aufgeführten Fälle liefern gleichzeitig die Grundlage für weiterführende Anwendungen im Finanzbereich.
Erste eigene Blockchain-Anwendung in der Entwicklung
Derzeit entwickeln wir eine erste eigene Blockchain-Anwendung, die direkt auf unseren bestehenden Systemen aufsetzt. Gleichzeitig suchen wir nach potenziellen Partnern, um Blockchain gemeinsam jenseits von Flipcharts zu erproben. In der Seefracht sind wir beispielsweise an zwei Proof-of-Concept Projekten zu Blockchain beteiligt. Dabei adressiert das eine Projekt den Austausch von Sendungsdaten zwischen bestehenden Systemen von Kühne + Nagel und denen unseres Partners mittels Blockchain-Technologie. Der nächste Schritt wird sein, den Fokus zu erweitern und auch Transportdokumente über die Blockchain auszutauschen.
Des Weiteren engagiert sich Kühne + Nagel in einer Initiative, die daran arbeitet, den Frachtbrief (bill of lading) zwischen Reeder, Versender und Spediteur von Export bis Import über ein gemeinsames Blockchain-basiertes System auszutauschen.
Mehrere Geschäftspartner müssen gemeinsam handeln
Grundsätzlich ist auch Blockchain eine Technologie, die zur Entfaltung ihres Potenzials von ähnlichen Bedingungen wie bei anderen Kooperationsprojekten abhängig ist. So ist weiterhin eine grundlegende Voraussetzung, dass sich Geschäftspartner zusammenfinden, die daran interessiert sind, ihre Interaktionen untereinander zu verschlanken und zu vereinfachen. Um aber letztendlich den Mehrwert von Blockchain zu heben, müssen auch tatsächliche Anwendungen, die über Proof-Of-Concepts hinausgehen, auf echter Infrastruktur entwickelt werden.
Partner müssen Daten und Wissen teilen
Dafür müssen sich die beteiligten Parteien darauf einigen, Daten, Wissen und Nutzen sowie Aufwände, die erforderlich sind, um ein gemeinsames Blockchain-System aufzusetzen, zu teilen. Daneben muss Einigkeit erzielt werden, wie genau das Anwendungsszenario aussehen soll und welche Datenobjekte zur gemeinsamen Nutzung in der Blockchain gespeichert werden.
Ein anderer Aspekt liegt in der Definition von Rollen und Zugriffsrechten, die gleichzeitig die Anforderungen hinsichtlich der Vertraulichkeit von Informationen erfüllen, aber nicht die gemeinsame Datennutzung behindern, so weit erforderlich. Dies ist eng verbunden mit der Festlegung von Use Cases und entsprechenden Geschäftslogiken (etwa Smart Contracts). Aus technischer Sicht müssen sich die beteiligten Parteien auf einen Konsens-Mechanismus einigen, also darauf, wie Transaktionen beziehungsweise neue Blöcke der Kette hinzugefügt werden.
Geschäftsmodelle und Auswirkungen auf den Markt noch unklar
Aus unserer Sicht hat Blockchain das Potenzial, um Supply Chains digitaler und effizienter zu machen. Die Technologie ist dabei ein Enabler für kollaborative Geschäftsnetzwerke. Die Logistikindustrie kann davon profitieren, indem Ineffizienzen weiter eliminiert und Zuverlässigkeit sowie Geschwindigkeit entlang der Lieferketten erhöht werden. Derzeit noch unbeantwortet ist allerdings die Frage, wie solch ein Geschäftsmodell aussehen wird und inwiefern es die Rollen der derzeitigen Akteure auf dem Markt verändern würde.
Der aktuelle Launch erster Prototypen in verschiedenen Industrien wird zeigen, ob sich die Potenziale von Blockchain in der Praxis beweisen und welche Fallstricke noch bestehen.
Kühne + Nagel ist Teil dieser spannenden Reise.