IT-Trends 2020

Künstliche Intelligenz wird zum neuen Paradigma

07.01.2020 von Heiko  Henkes  IDG ExpertenNetzwerk
Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich zu einem Paradigma, das 2020 und darüber hinaus fast alle anderen "Trends" mehr oder weniger revolutionieren wird. Fachabteilungen können davon ebenso profitieren wie CIOs.

Mitarbeiter aus den Fachabteilungen praktisch aller Unternehmen geraten immer mehr in die Rolle von Entwicklern. Sie sollten deshalb geeignete Tools wie Low-Code- bis hin zu No-Code-Development-Plattformen an die Hand bekommen, mit denen sie schnell und ohne Programmierkenntnisse digitale Lösungen erstellen und implementieren können. Dies sowie die Nutzung von "Digital Twins" ist hilfreich, wenn Unternehmen die Time-to-Market reduzieren und näher am Kunden und ihren Anforderungen operieren wollen.

Weil sich KI massiv auf praktisch alle anderen Themen auswirkt, wächst die Anzahl der Einsatzszenarien rasant.
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Die technologieübergreifende Digitalisierung des gesamten Unternehmens und seiner Mitarbeiter steht auf der CIO-Agenda 2020 ganz oben. Bleiben CIOs hier zu passiv, wird ihre Stellung im Unternehmen schnell untergraben werden, weil andere die Initiative ergreifen werden und letztlich auch müssen.

Denn die Fachmitarbeiter halten den Schlüssel zu einer der drängendsten IT-Fragen in der Hand: Wie lassen sich Daten so aufbereiten, dass sie das Business voranbringen? Die Aufgabe von CIOs liegt hier darin, einen klaren Weg zur Daten-Governance zu weisen. Diese legt fest, wie Daten jeweils erhoben, kontrolliert und verarbeitet werden. Zudem definiert sie die Entscheidungsberechtigungen zwischen den Kernsystemen, den Cloud-Rändern (Fog) und Edge-Systemen. Auch die Themen Cyber Security und Compliance müssen dabei neu definiert werden.

Mitarbeiter aus Fachbereichen zu Entwicklern machen und Daten für das Geschäft operationalisieren: diese Kernaufgaben überspannen sämtliche Einzeltrends, die das Jahr 2020 prägen werden.

Künstliche Intelligenz

Weil sich KI massiv auf praktisch alle anderen Themen auswirkt, explodieren die Einsatzszenarien. Die heutigen Verfahren der Advanced Analytics umfassen die (teil-)autonome Untersuchung von Inhalten und gehen mittlerweile deutlich über die traditionellen Verfahren von Business Intelligence (BI) hinaus. Über die Verknüpfung neuronaler Netzwerke entstehen mehrdimensionale Intelligenzen, die ein immer größeres Spektrum von Anwendungsfeldern abdecken können. Ziel ist es, eine Artificial General Intelligence (AGI) zu ermöglichen.

Die treibende Technologie dahinter ist zumeist ein adaptives und sich ständig selbst verbesserndes maschinelles Lernen (ML), inklusive visueller Analyse und intelligenter Platform-as-a-Service- beziehungsweise Serverless-Computing-Leistungen. Für eine sicherere Entscheidungsfindung kommt verstärkt "Anti Bias"-KI zum Einsatz: Diese hebt Vor- und Nachteile, Stärken und Schwächen hervor, um so ein wahrscheinliches Verhalten vorherzusagen oder mögliche Abweichungen zu identifizieren. Visual Analytics wiederum eignen sich für die Risikobewertung und -reaktion - um etwa Betrug zu analysieren, Routen zu optimieren oder Ausreißer zu erkennen.

IoT, Edge Computing & Augmented Mobility

Das Internet of Things (IoT) stellt einen der Dauerbrenner unter den Top-Trends dar. Dem Thema steht ein weiterer Schub bevor, da die Implementierung des Mobilfunkstandards 5G Schritt für Schritt in die Fläche geht. So lassen sich die zahlreichen Geräte und "Dinge", die sich außerhalb von LAN- und WAN-Reichweiten befinden, einfacher und schneller einbinden.

Allerdings müssen sich Unternehmen auch weiterhin in Geduld üben, da der 5G-Rollout - wie schon der von 4G - nur schleppend vorankommt. Es ist davon auszugehen, dass fünf bis zehn Jahre ins Land gehen, bis in Deutschland eine flächendeckende 5G-Abdeckung verfügbar ist.

Dies wird auch zahlreiche Augmented-Mobility-Anwendungen in der Fahrassistenz, Gestenerkennung, Fabrikautomatisierung und Authentifizierung ausbremsen. Ungeachtet dessen kommen in mehr und mehr IoT-Szenarien nun 3-D-Sensorik-Kameras zum Einsatz. Des Weiteren sind 2020 verstärkt Datenbrillen auf dem Markt verfügbar, sodass der Breiteneinsatz von Augmented Mobility eine weitere Hürde nimmt. Für viele Augmented Mobility-Anwendungen reicht 4G jedoch nicht aus. Verzögert sich 5G, bremst dies also auch diese Use Cases und den geschäftlichen Nutzen aus.

Ein weiterer Hemmschuh: IoT-Projekte sind zunächst oft nur klein. Für Service Provider rechnen sie sich jedoch erst, wenn sie breit skalieren und über Ländergrenzen hinweg ausgerollt werden können. Viele Provider sind nicht willens, längere Durststrecken in Kauf zu nehmen, um gegebenenfalls dann doch noch an Großprojekten teilnehmen zu können.

Aus Kostengründen wird IoT das Edge Computing weiter in den Fokus rücken. Zurzeit werden schätzungsweise keine fünf Prozent der im Produktionsumfeld anfallenden Daten ausgewertet. Doch selbst jetzt ist es oft schon zu teuer, diese Daten in der Public Cloud vorzuhalten. Hier kommt Edge Computing ins Spiel und analysiert die Daten dort, wo sie entstehen und stellt sie bei Bedarf auch Anwendern nahe des Edge-Bereichs zur Verfügung - ohne große Latenz. Davon werden zum Beispiel die latenzsensitive autonome Navigation, Fernüberwachung, Gesichtserkennung, Videoanalyse und nicht zuletzt wiederum Augmented-Reality-Anwendungen profitieren.

Customer Experience & Digitale Ethik

Bei Customer Experience-Lösungen sind praktisch alle führenden und viele kleinere IT-Provider beziehungsweise -"Boutiquen" groß aufgestellt. Auch 2020 wird dieser Markt weiterwachsen. Vor allem KI wird etwa über Apps oder Chatbots für weitere Funktionalitäten und Ausbaustufen sorgen. Große Provider betreiben deshalb zunehmend Innovation Center, die diverse Branchenszenarien veranschaulichen - vorneweg für die Automobilhersteller, die sich gegenüber den Kunden als Mobilitätsanbieter und -dienstleister neu erfinden müssen.

"Emotional AI" kommt künftig immer häufiger die Rolle zu, Wünsche und Stimmungen der Kunden zu analysieren, etwa über Computer Vision, Audio-/Sprachausgabe, Sensoren und/oder Softwarelogik. Auch intelligente Kameras werden die Nutzeranalyse und -erfahrung verbessern. Die möglichen Einsatzfelder sind mannigfaltig. Beispiele sind Chatbots, Lernplattformen, medizinische Untersuchungen, Fitnesstracker oder Werbedisplays im Retail-Segment.

Darüber hinaus ermöglicht es KI zunehmend, synthetische personalisierte Daten aus Anwendungen abzuleiten, ohne personenbezogene Daten verarbeiten zu müssen. Dies lässt das Thema Datenschutz in ganz neuem Licht erscheinen. Die Verwendung nicht-personenbezogener und künstlich erzeugter Daten arbeitet stets DSGVO-konform, respektiert die Privatsphäre der Kunden und schafft Compliance zu zahlreichen Regularien verschiedener Branchen. So ist vor allem in stark regulierten Märkten und in solchen mit wenig "echten" Datenpunkten mit dem Einsatz dieser Technologie zu rechnen.

Public Cloud für PaaS/Data Analytics & Digitale Plattformen

Die Hyperscale Public Cloud ist zur Commodity geworden, gehört dennoch auch im kommenden Jahr weiter zu den Top-Trends, um Plattformen und digitale Ökosysteme aufzubauen und zu nutzen. Die meisten Unternehmen suchen jedoch nach Möglichkeiten, Capex zu reduzieren und wünschen Zugänge zu intelligenten Data Analytics-Werkzeugen und -Plattformen. Ihr Ziel ist das Feintuning von Datenmodellen und die bessere Monetarisierung von Bestandsdaten.

Innovationen auf Seiten der Geschäftsmodelle werden die Standardisierungs-, On-demand- und Skalierungspotenziale der Public Cloud noch einmal wesentlich stärker erschließen - sei es für die Anwendungsentwicklung unter Partnern, wie zum Beispiel bei den Automobilherstellern. Oder für Business-Services-Plattformen, um die herum digitale Ökosysteme entstehen. Auch viele mittelständische Unternehmen bauen mittlerweile solche Plattformen auf, um neues Geschäft zu generieren und dieses wiederum über Plattformen auch schnell zu skalieren. Ein spannendes Thema sind zudem "No Code"-Entwicklerplattformen, auf denen Business-Verantwortliche mit fertigen Anwendungsbausteinen Lösungen zusammensetzen können, ohne programmieren zu müssen.

Future Workplace & (Robotic Process) Automation

Digital Workplace und Robotic Process Automation (RPA) sind eng miteinander verknüpft. Technologisch gesehen sind die die heutigen Arbeitsplätze zwar schon so weit, um Automatisierungen wirksam zu unterstützen - nicht jedoch das Bewusstsein auf Seiten der Mitarbeiter. Unternehmen werden deshalb hier kurz und mittelfristig damit beschäftigt, den notwendigen Kulturwandel zu gestalten. Dieser ist unabdingbar, wenn neue Technologien wie Cloud Filesharing oder andere Kollaborationsplattformen nachhaltig genutzt werden sollen.

Dieser Wandel zwingt Unternehmen dazu, Mitarbeiter mit intelligenten Lernsystemen zu versorgen, Testlabore aufzubauen oder Just-in-time-Trainings anzubieten. Manche Mitarbeiter müssen in diesem Zug sogar selbst zum Entwickler werden und brauchen entsprechende Schulungen und Werkzeuge. Auf Ebene der Vorgehensweisen bietet sich neben DevOps und SCRUM zum Beispiel auch das Scaled Agile Framework (SAFe) an, um Lean-Agile-Praktiken auf Unternehmensebene anzuwenden.

Da Workplace-as-a-Service-Angebote inzwischen einen sehr hohen Reifegrad erreicht haben, wird sich der Rollout dieser Lösungen im kommenden Jahr deutlich intensivieren.

Blockchain für digitale Transaktionen jeder Art

Von der Blockchain-Technologie gehen derzeit widersprüchliche Signale aus. Einerseits ist der durch Bitcoin erzeugte Hype vorbei. Andererseits entstehen derzeit Anwendungsfälle in Unternehmen, die über die Testphase hinausgehen. Diese deuten darauf hin, dass die Technologie das Potenzial hat, sich auch im Unternehmenskontext zu bewähren.

Der grundsätzliche Nutzen von Blockchain bei der Beschleunigung und Absicherung von Transaktionen steht außer Frage. Allerdings zeigen die ersten Use Cases aus dem Supply Chain Management oder der Immobilienverwaltung: Die meisten Implementierungen nutzen Blockchains nicht über die Public, sondern über die Private Cloud. Der Nutzen der dezentralen Autorisierung bleibt also außen vor. Insofern ist mit Anwendungsszenarien zu rechnen, die nur einen Teil dessen realisieren, wofür Blockchain ursprünglich stand. Hinzu kommt noch die Herausforderung, Entwickler von Smart Contracts mit Rechtsanwälten, beziehungsweise Wirtschaftsprüfern zu verbinden, um Autorisierung und Governance automatisiert zu skalieren.

Auf ein Comeback der Technologie deutet auch hin, dass Service-Plattformen etwa bei AWS oder Alibaba entstehen, welche Blockchain auch für Entwickler ohne tieferes Wissen der Technologie zugänglich machen. Auch arbeiten Blockchain-Konsortien unternehmens- oder gar branchenübergreifend an der Entwicklung von Use Cases.

Cyber-Sicherheit der nächsten Generation

Dank KI verschiebt sich das Paradigma der Cyber-Sicherheit vom Ansatz des "Entdeckens und Bekämpfens" hin zum "Vorhersagen und Vorbeugen". Bei diesem Wandel spielen Security Operations Center (SOC) eine zentrale Rolle. Die dort zum Einsatz kommenden Security Incident & Event Management-Tools (SIEM) werden derzeit durch KI-Funktionalitäten angereichert.

So bieten führende SIEM-Lösungen KI-basierte Funktionalitäten, die Datenkorrelationen und die Erkennung von Mustern ermöglichen, sodass Anomalien früher sichtbar werden. SIEM-Systeme kommen zum Teil zusammen mit Security Incident Management-Systemen (SIM) zum Einsatz, welche die Lösung von Security-Vorfällen verwalten und überwachen. Diese KI-basierten SIEM-Systeme sind für Unternehmen aller Branchen und Größen von Interesse.

Exponentielle Rechenkraft und Quanten-Computing

Quanten-Computing ist zunächst einmal nur eine technische Fähigkeit. Aber es eröffnet vor allem der Datenanalyse und -interpretation ganz neue Horizonte sowie Unsicherheiten bezüglich bislang weitgehend garantierter Sicherheit durch Verschlüsselung. Exponentiell erhöhte Rechenkraft ist unter anderem deshalb notwendig, da durch den zunehmenden KI-Einsatz auch das Volumen der in Echtzeit zu verarbeitenden Daten massiv zunehmen wird.

Insofern handelt es sich um einen Trend, der die unterschiedlichen Branchen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten erfasst. Vorreiter ist die industrielle Fertigung, die Big Data Analytics für die vorbeugende Instandhaltung implementiert. Der Breiteneinsatz in anderen Bereichen wie der Logistik und dem Gesundheitswesen zeichnet sich ab.

Open Source

Open-Source-Angebote sahen viele Unternehmen lange Zeit kritisch. Doch da an anderer Stelle "öffentliche" SaaS-Lösungen mittlerweile zum Standard geworden sind, bauen CIOs nun auch Hürden für Open-Source-Komponenten ab. Denn es spart deutlich Kosten, bestehenden und von vielen Entwicklern erstellten und getesteten Sourcecode zu verwenden. Deshalb zählt Open Source zumindest 2020 weiterhin zu den Top-Trends.

DevOps: Site Reliability Engineering & Software-/Plattform-Management

So wie immer mehr Fachmitarbeiter Entwickleraufgaben durchführen, übernehmen Entwickler zunehmend Verantwortung für Produkte und Services. DevOps kommt auf diesem Weg zu mehr Unternehmensagilität eine zentrale Rolle zu. Vielerorts wurde der IT und dem Betrieb die Methode jedoch mehr oder weniger übergestülpt. Aktuell ist ein Übergang zu einem mehr evolutionären Ansatz zu verzeichnen, der den unterschiedlichen Teilen im Unternehmen individuelle Geschwindigkeiten des Wandels zugesteht.

Wichtigste Beispiele der DevOps-Adaption sind aktuell eine an den Produkten orientierte Infrastruktur in den Backbone-Systemen, produktorientierte agile Unternehmensstrategien (BizDevOps) sowie agiles Sourcing. Oft kommt dabei DevOps in Verbindung mit Site Reliability Engineering (SRE) zum Einsatz. SRE versucht, das Risiko der Nichtverfügbarkeit von etwa IT- und Produktions-Services mit den Zielen einer schnellen Innovation und eines effizienten Servicebetriebs in Einklang zu bringen. Dies wiederum erhöht die Zufriedenheit der Benutzer und Kunden insgesamt - über Funktionen, Service und Leistung.