Best Practices zeigen allerdings: Die Organisation eines offenen Innovationsprozesses sollte gut geplant sein. Neue Technologien und soziale Netzwerke machen das möglich: Kunden fühlen sich mit Marken enger verbunden, und die Unternehmen rücken näher an ihre Kunden.
Diejenigen, die die Produkte verwenden, werden mittlerweile immer häufiger in ihre Entwicklung einbezogen. Hierzu gibt es vielfältige Ansätze, die von der eher spaßorientierten Aktion für Markenfans bis hin zum Innovationsprozess von hochpreisigen Produkten im Business to Business reichen. Vor allem soll die Weisheit der vielen, auch bekannt als Crowd-Intelligenz, zu neuen Ideen für Produkte und Dienstleistungen führen. Spannend ist dabei der Blick auf Vorteile und Chancen solcher Strategien: Handelt es sich um reines Marketing, oder steckt mehr dahinter?
Kürzere Innovationszyklen
Im traditionellen Innovationsprozess hing es bislang im Wesentlichen von den Experten im Unternehmen und ihrer Einschätzung ab, welche Entscheidungen rund um ein neues Produkt getroffen wurden. Farben, Größen, Materialien, Eigenschaften - all dies wurde im Verborgenen diskutiert und entwickelt und erst später, entweder als Testversion oder komplett fertiggestellt, den Kunden präsentiert. Das Feedback durch Nutzer und Anwender zog zwar immer wieder Verbesserungen nach sich, jedoch erfolgte der Wissenstransfer meist mit erheblicher Verzögerung.
Wer sich jedoch die Crowd-Intelligenz erschließen kann, gewinnt oft einen Vorsprung gegenüber Wettbewerbern, deren Ideen noch nach dem traditionellen Ansatz von einigen wenigen Experten generiert werden. Unternehmen mit kreativen und treuen Anhängern können so ihre Innovationszyklen entscheidend verkürzen und dabei auch die Kosten senken.
Lieblingsprodukte von Kunden
Firmen wie Adidas, Tchibo oder die dm-Drogeriemärkte rufen ihre Kunden regelmäßig auf, Ideen und Erfindungen beizusteuern. Gleiches gilt für den Food-Bereich: Ob die Zusammenstellung des Frühstücksmüslis oder eines Burgers - nahezu überall werden die Kunden heute eingeladen, ihre Ideen einzubringen und ihr Lieblingsprodukt zu kreieren. Hierzu werden, je nach Ausrichtung der Aktion, sowohl soziale Netzwerke wie Facebook genutzt als auch eigens eingerichtete Kundenforen und Websites mit Social-Media-Charakter.
Als der Kosmetikhersteller Manhattan im Jahr 2012 eine Produktentwicklungs-Aktion ankündigte, war das Interesse riesig: 20 neue Nagellackfarben sollten in Kooperation mit der Plattform Unseraller.de entwickelt werden. 500 ausgewählte Mitglieder bekamen im Zuge dieser Kampagne ein "User Innovation Toolkit", um damit zu Hause zu experimentieren und ihre eigene Wunsch-Lackfarbe zusammenzumischen.
Die Community wählte später aus den besten Vorschlägen die 20 Lacke, die im Herbst 2013 unter dem Kollektionsnahmen "Community Colours" in den Handel kamen. Der Lohn für die aktivsten Teilnehmer war das komplette Nagellack-Set - noch vor dem offiziellen Verkaufsstart. Das Crowdsourcing-Projekt bezog dabei nicht nur die bestehenden Kunden in den Entwicklungsprozess ein, sondern lockte auch neue Konsumentinnen an. Gleichzeitig war die Aktion eine wirkungsvolle Marktforschungsmaßnahme. Fast nebenbei konnte der Kosmetikhersteller zudem an seinem Markenimage feilen.
Ideenprüfung und Vermarktung
Das Prinzip der kundenbasierten Ideenfindung verfolgt auch Tchibo mit der Plattform Tchibo Ideas: Hier sind die Mitglieder der Community aufgefordert, visionär zu denken und Produktinnovationen zu entwickeln, die im Tchibo-Regal landen sollen. Vier Schritte sind im Innovationsprozess vorgesehen, von der Einreichung und Prüfung der Idee bis hin zum Lizenzvertrag und der späteren Produktion und Vermarktung. Dabei kommt es darauf an, dass die Produktidee neu, schutzfähig und produzierbar ist.
Ist eine Idee marktreif und wird eine Lizenzvereinbarung abgeschlossen, entsteht durch die anschließende Vermarktung in den Filialen eine für beide Seiten gewinnbringende Kooperation. Etliche Ideen aus der Community wurden auf diese Weise schon in konkrete Produkte umgesetzt: ein nicht tropfendes Teelöffel-Sieb, die platzsparende Mehrfachsteckdose sowie der Pfannenwender auch für übervolle Pfannen zählen zu den Produkten, die die Crowd ersonnen hat und die den Weg in die Tchibo-Läden fanden.
Zwei Prinzipien für derartige Produktentwicklungsansätze lassen sich an diesen beiden Best Practices erkennen: Die Produktentwicklung - orginär eigentlich ein wichtiger Tätigkeitsbereich eines Unternehmens - wird in Teilen an die Nutzer ausgelagert. Darüber hinaus kann die entwickelte Idee auch von anderen Kunden gesehen und bewertet werden. Dadurch lässt sich schon bei der Entwicklung der Idee absehen, wie das spätere Produkt voraussichtlich am Markt von den Verbrauchern aufgenommen wird.
Bei der Ideengenerierung über die Crowd wird unterschieden zwischen einem geschlossenen ("Closed") Produktentwicklungskonzept und der sogenannten Open Innovation, bei der der Prozess für weitere Akteure geöffnet ist. Je nach dem Ziel, das sich ein Anbieter steckt, lässt sich die Open Innovation auch gezielt auf eine bestimmte Nutzergruppe einschränken.
Auch wenn beispielsweise Tchibo und Manhattan ihre Projekte theoretisch für jeden interessierten Teilnehmer offen halten, locken sie in der Praxis doch vor allem sehr engagierte Personen an, die auch tatsächlich hochwertige Inhalte einbringen und Ideen sachlich und ehrlich bewerten. Die Kundenbindung steht hier im Fokus: Aus vormals passiven Konsumenten sollen aktive, motivierte Ideengeber werden, die sich sowohl für das Unternehmen als auch für seine Produkte und Markenstrategie begeistern können.
Kreativ oder Krise?
Weitsicht ist jedoch geboten: Bei manchen Ideenwettbewerben der Vergangenheit, die vornehmlich zur Fan-Aktivierung gedacht waren, schossen die Teilnehmer weit über das eigentliche Ziel hinaus. Als etwa die Fans der Facebook-Seite von Henkel in einem Wettbewerb kreative Designideen für das Spülmittel Pril einreichen sollten, sahen sie sich teilweise zu kuriosen Vorschlägen angespornt. Bekannt geworden ist etwa eine Flasche mit der Aufschrift "Schmeckt lecker nach Hähnchen". Als der Hersteller Henkel mit Zensur reagierte und das Voting-Verfahren nur noch für die vom Konzern bevorzugten Designs freigab, kam es zu Protesten in den sozialen Netzwerken.
Die Marketing-Strategen von Ritter Sport hingegen nahmen ähnlich kreative Beiträge mit Humor. Als vor einiger Zeit neue Schokoladenkreationen gesucht wurden, gingen auch Vorschläge wie "Toast Hawaii", "Döner Kebab" und "Blutwurst" ein. Diese wurden konsequent und souverän im eigenen Blog vorgestellt, wodurch der Schokoladenhersteller an Sympathie gewann.
Eine größere Herausforderung für die Produkt-Manager als "Spaßbeiträge" sind jedoch destruktive oder beleidigende Inhalte, die bei solchen Mitmach-Konzepten jederzeit auftauchen können. Generell stellt der Umgang mit entsprechenden Beiträgen oder auch Querschlägern unter den Ideen hohe Anforderungen an die Moderation.
Neudesign des Vorschlagswesens
Im Business to Business macht man sich das Prinzip der Open Innovation ebenfalls oft zunutze, indem man die Teilnehmer zuvor gezielt auswählt. So lassen sich etwa Softwarehersteller von ihren Anwender-Communitys konkret vorschlagen, an welchen Funktionalitäten demnächst Bedarf für ein zukunftsfähiges Business besteht. Bei einer solchen Zielsetzung herrscht häufig der Wunsch nach mehr Kontrolle über den Prozess und die integrierten Teilnehmer - und auch die Kunden geben ihre Vorschläge eher in einem kleineren Rahmen ab.
Der Anbieter beabsichtigt hier vor allem die systematische Ideengenerierung für Innovationen oder auch die gezielte Weiterentwicklung bestehender Produkte. Dabei sollen die Innovationspotenziale auch insofern geschützt werden, als dass Wettbewerber nicht zu frühzeitig Einblicke erhalten dürfen. Damit die Qualität der eingereichten Ideen möglichst hoch ist und die Beiträge überwiegend wertschätzend bewertet werden, setzt man oft auf kleine, aber feine Communities. Auf diese Weise wird eine Balance zwischen Offenheit und Kontrolle geschaffen. Gleichzeitig lassen sich - wenn auch in begrenzterem Rahmen als bei völlig offenen Wettbewerben - neue Potenziale erschließen.
Wie kann ein solcher halboffener Innovationsprozess im Business to Business aussehen? Zwei Aspekte sind hierbei besonders relevant: zum einen die Auswahl der beteiligten Personen, zum anderen die Art der Beteiligung. Die Beschränkung auf eine bestimmte Teilnehmergruppe wie zum Beispiel Stammkunden oder Power-Nutzer sowie auch die Kommunikation mit Klarnamen schützt vor unseriösen Beiträgen oder Spam-Versuchen. In diesem Fall können vertrauliche oder fachlich detailliertere Situationen in der Aufgabenstellung berücksichtigt werden.
Online-Diskussionsforen, die Vergabe von Punkten als Bewertungsmöglichkeit oder auch das von Facebook bekannte "Like" sind typische Elemente für die Ausgestaltung von B2B-orientierten Ideenportalen. Häufig nutzen Unternehmen diesen Ansatz, beschränkt auf ihre Mitarbeiter, für das interne Vorschlagswesen. So stellt etwa eine norddeutsche Großstadt intern eine Ideenplattform bereit, auf der die Mitarbeiter der Verwaltung gemeinsam Potenziale zur Verbesserung interner Prozesse entwickeln. Ähnlich geht ein Produktionsunternehmen für Rohrsysteme vor: Es lässt in einer internen Community Produktinnovationen vorschlagen und von den Mitarbeitern bewerten und diskutieren.
Nutzen muss man sofort erkennen
Auch bei diesen Beispielen wird der Mitarbeiter motiviert, das Unternehmen aktiv mitzugestalten. Für ihn muss daher als unmittelbarer Effekt der Nutzen entstehen, dass sich sein Arbeitsalltag verbessert. Wesentlich für den Erfolg solcher Ideen-Communitys sind die Einführungsstrategie, die nachhaltige Kommunikation und das Management der jeweiligen Plattformen. Vor allem bei unternehmens-internen Crowdsourcing-Strategien besteht eine weitere Herausforderung darin, sich an der bisherigen Form der internen Kommunikation zu orientieren, damit die Nutzer nicht durch zu viele neue Funktionen überfordert werden.
Innovationen, die das Produktportfolio bereichern, lassen sich indes häufig besser erarbeiten, wenn Kunden oder andere externe Bezugsgruppen eingebunden sind. Ein auf HR-Self-Services ausgerichteter Softwarehersteller bindet etwa seine Kunden ein, um künftige Produktversionen auf ihre Vorstellungen abzustimmen. Dazu wurde ein Extranet konzipiert, in dem unter anderem Interessenten, Vertriebspartner und bestehende Endanwender mitwirken. Hier können Kunden, Partner und Interessenten in einen Dialog treten und Erfahrungen austauschen. Zudem sollen Kunden auch explizit ihren Bedarf an Funktionalitäten mitteilen und so Einfluss auf die Weiterentwicklungen nehmen. Gleichzeitig lassen sich Erkenntnisse über bisherige Erfahrungen der Anwender gewinnen, weil diese über die Plattform auch ihre Anfragen an den Support richten. Künftig ist zudem geplant, für Teilgruppen gemeinsam mit Kooperationspartnern Ideenwettbewerbe auszurichten.
Das kreative Ideenpotenzial der Crowd lässt sich für jedes Unternehmen erschließen. Im ersten Schritt ist zu entscheiden, wie sich die jeweilige Community zusammensetzen soll. Dabei lassen sich Risiken wie unseriöse Beiträge oder Ideendiebstahl im Business to Business durch die Auswahl und durchdachte Ausgestaltung der jeweiligen Plattform verringern. Die Vorteile des Crowdsourcings überwiegen, denn der Aufwand wird durch konsequente Ideengenierung und eine marktnahe und somit verkaufsstärkere Produktentwicklung belohnt. Auch die Kunden- und Partnerbindung, die durch Open Innovation erreicht wird, trägt gezielt zum langfristigen Erfolg der Unternehmen bei.