Manager haben in ihrer Laufbahn schon viel gesehen und erlebt, doch diese Situation dürfte für die meisten von ihnen neu sein. Neben einem mehrfachen Weltmeister und Olympiasieger stehen sie in einem hautengen Rennanzug auf der Weltcuphöhe der Rodelbahn im österreichischen Igls. Nach den letzten Anweisungen für die Fahrt setzen beide ihre Helme auf und steigen in den Schlitten, bereit für die Abfahrt. Als eine Lautsprecherstimme "Rennen frei" ansagt und die Rennampel auf grün wechselt, beginnt die rasante Fahrt durch den Eiskanal mit mehr als 100 Stundenkilometern.
43 Sekunden durch den Eiskanal
Etwa 43 Sekunden dauert die Fahrt durch den Eiskanal. Sie ist Teil eines Managerseminars, das die ehemaligen aktiven Rennrodler und Brüder Andreas und Wolfgang Linger gemeinsam mit dem Managementcoach Christian Reitterer entwickelt haben. Entstanden ist die Idee in einer Phase, als es für die Brüder nicht rund lief. "Der Kontakt zu Christian Reitterer war für mich und meinen Bruder sehr lehrreich, insbesondere mit der schwierigen Vorgeschichte vor den Olympischen Spielen in Sotchi", sagt Andreas Linger.
Trotz Seriensiegen und sehr erfolgreicher Saisonen entschieden die Brüder sich 2012 dazu, einen Schritt zurückzugehen und ihr Material weiterzuentwickeln. Das stellte sich als sehr schwierig heraus. "Dass wir in Sotchi Silber erreichen konnten, war unter diesen Umständen unser absolutes Maximum", erinnert sich Linger.
"Als wir beschlossen, gemeinsam am Projekt Sotchi 2014 zu arbeiten, haben wir Schritt für Schritt die Karriere der beiden analysiert und daraus ein Erfolgspuzzle abgeleitet", sagt Christian Reitterer. Das diente als Basis für die Entwicklung des Führungskräfteseminars. Als die Brüder Reitterer erzählten, dass man auf der Rodelbahn in Igls mit einem Gast von der Weltcuphöhe aus starten kann, war die Idee für einen Seminartag mit Fahrt im Eiskanal da. Die Brüder selbst haben auf dieser Bahn bereits mit neun und zehn Jahren ihre ersten Erfahrungen mit dem Eiskanal gesammelt. Als sie im März 2014 ihre Profikarriere beendeten, traten sie als erfolgreichste Doppelrodler in der Geschichte Österreichs ab.
Was Spitzensportler und Führungskräfte eint
"Superstars im Spitzensport formen heutzutage ein eigenes Team um sich. Da führt nicht mehr der Trainer das Team sondern die Sportler", so Reitterer. Das sei vergleichbar mit Führungsaufgaben in Firmen. "Der Seminartag dreht sich um die Frage, wie man als Manager ein High Performance Team formt und seine eigene Selbstwirksamkeit erhöht", sagt Reitterer. Die Themenschwerpunkte sind Führung, Selbstführung und das punktgenaue Abrufen von Höchstleistung.
Im Wesentlichen komme es dabei auf vier Ebenen an, erläutert der Coach:
die physische Ebene mit Fitness und Gesundheit,
die emotionale Ebene mit dem wichtigen Thema Zufriedenheit,
die mentale Ebene und
die Orientierungsebene mit dem Thema Führung.
"Im Seminar sehen wir uns dann zum Beispiel die Themen Motivation, Mut, Perfektion und Bereitschaft zur Veränderung genauer an", so Reitterer. Das Ziel der drei ist es, die Teilnehmer mit dem Seminar zu inspirieren, sie herauszufordern und ihnen wertvolle Instrumente für die Bildung eines High Performance Team mitzugeben.
Extremsituation im Doppelsitzer
Nachmittags können die Manager einen Teil des Gelernten direkt im Eiskanal auf der Rodelbahn in Igls testen. "Wenn wir mit den Teilnehmern an die Bahn gehen und gemeinsam die Strecke ablaufen, sehe ich bereits sehr genau, wie unterschiedlich die Manager mit ihrer Nervosität umgehen. Der eine stellt mit zittriger Stimme Fragen, während der andere sich überhaupt nichts anmerken lässt", erzählt Andreas Linger. Kurz vor dem Start bekommen die Teilnehmer von ihm ein paar Instruktionen.
Unter anderem, dass sie während der Doppelsitzerfahrt mit ihm ihren Kopf gegen die Fliehkräfte und die Füße auf den Kufen halten sollen. "Während des Rennens merke ich dann ganz genau, wie sie diese Instruktionen umsetzen. Daran sieht man gut, wie man in einer Extremsituation funktioniert, die absolutes Neuland für einen ist", so Linger.
Extremsituationen gehören für viele Manager dazu: "Ich denke, dass auch Manager in der Geschäftswelt immer wieder solchen Extremsituationen begegnen, zum Beispiel bei schwierigen Meetings oder beim Umgang mit schwierigen Verhandlungspartnern", sagt sein Bruder Wolfgang Linger.
"An diese Grenzen bin ich noch nie gegangen"
Einer der Teilnehmer war Arne Johannsen, Geschäftsführer der Johannsen Kommunikationsberatung. Bei der Anmeldung war er sich noch gar nicht sicher, ob er die Rodelfahrt überhaupt mitmacht, erzählt er rückblickend. "Es war dann faszinierend zu erleben, wie ich im Laufe des Tages totales Vertrauen zu den Linger-Brüdern entwickelt habe und es dann gar keine Frage war, ob ich mich traue.
Die Fahrt war weniger schlimm, als ich gedacht habe, dafür Adrenalin pur!" Mitgenommen habe er unter anderem, wie man es konkret schaffe, durch die Zerlegung eines großen Zieles in viele kleine Zwischenziele und deren genaue Definition, aber über einen längeren Zeitraum motiviert zu bleiben. "Die jahrelange Vorbereitung der Lingers auf Olympia war dafür ein hervorragendes, praxisnahes Beispiel", erläutert Johannsen.
Ein weiterer Teilnehmer war der Wirtschaftsdelegierte Jürgen Schreder, der sich sehr für die Kombination von Erfolg im Sport und im Management interessiert. Aus dem Seminartag hat er unter anderem mitgenommen, dass der Weg zum Erfolg sich bei Sportlern und Managern ziemlich ähnlich ist. Die gesetzten Ziele seien mit einer bestimmten Strategie zu erreichen. "Es war ein unglaubliches Gefühl, allen Mut zusammenzunehmen und sich zu überwinden", sagt Schreder über die Rodelfahrt. An diese Grenzen sei er noch nie gegangen.
Direkt nach der Fahrt, aber auch abends führt Andreas Linger mit den Teilnehmern Feedbackgespräche. "Viele haben schon während des Rennens selbst gemerkt, wie sie reagiert haben. Andere sind über ein ehrliches, teilweise auch zum Nachdenken anregendes Feedback froh. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass diese Fahrt noch für jeden Teilnehmer ein bleibendes Erlebnis war und nicht wenige in diesen 43 Sekunden etwas über sich selbst dazugelernt haben", so Linger. Die Manager selbst können sich später mit eigenen Augen davon überzeugen, wie sie in dieser Extremsituation reagiert haben. Denn eine Helmkamera filmt sie während des Rennens.