Als Google vor drei Jahren seine eiförmigen selbstfahrenden Zweisitzer vorstellte, entstand der Eindruck, autonomes Fahren sei etwas revolutionär Neues.
Doch das war keineswegs so. John Deere präsentierte schon 2002 in den USA einen Traktor, der selbstständig über den Acker steuerte. Und in Nürnberg gleitet die U3 seit 2008 fahrerlos unter der Stadt hindurch, seit 2010 auch die U2.
Dass wir in der Öffentlichkeit außerhalb des Frankenlandes so wenig davon hörten, beweist zweierlei: erstens, dass es beim Betrieb dieser U-Bahnen (fast) nie technische Probleme gab, und zweitens, dass die Technik längst nicht mehr im Fokus der Diskussionen steht.
Sondern es geht mittlerweile um die Folgen der autonomen Fortbewegung. Welche das sind und wie sie konkret aussehen, damit hat sich Forrester in einem detaillierten Paper beschäftigt. Titel (übersetzt): "Autonome Fahrzeuge werden die globale Ökonomie umgestalten."
Mit dieser Ökonomie - das ist den Autoren wichtig - ist mitnichten nur die Autoindustrie gemeint. Die Entwicklung, so Forrester, berührt die unterschiedlichsten Bereiche inklusive der Politik.
Warum es zum Hype kam
Bevor sich Forrester im Detail damit beschäftigt, wirft es einen Blick auf die Voraussetzungen. Warum konnte das Thema in den zurückliegenden Monaten derart reüssieren? Warum halten so ziemlich alle Experten das autonome Fahren für einen zentralen Zukunftstrend?
1. Da ist zum einen die Technik: Sensoren, Navigationssysteme und Connectivity insgesamt sind leicht verfügbar und billig.
2. Zweitens wird Gefahrenwerden immer beliebter. Ein eigenes Auto ist gerade vielen jungen Leuten zu teuer, zumal sie wissen, dass es sich - zum Beispiel in England - 96 Prozent seiner Lebenszeit alleine die Reifen plattstehen wird. Passend dazu machen Fahrdienste wie Uber oder Lyft Druck auf die Taxipreise. Und diese können langfristig weiter sinken, wenn uns die herbeigerufene Droschke ganz ohne Fahrer ans Ziel bringt.
3. Dritter Punkt ist die Annahme, dass ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen vom autonomen Fahren profitieren würden. Lkw-Fahrer zum Beispiel, ein Job, der so unbeliebt ist, dass ihn in den USA fast niemand mehr machen will.
Hilfreich wäre die Entwicklung auch für die aufstrebende Mittelschicht von Mega-Citys wie Hanoi, Kinshasa oder Bombay. Dort sind viele Menschen gezwungen, trotz der (relativ) viel höheren Preise als bei uns ein eigenes Auto zu kaufen, weil es in ihrer Stadt nur einen äußerst lückenlosen und unzuverlässigen ÖPNV gibt.
Und auch in Europa und Nordamerika würde die Abkehr vom selbst gedrehten Lenkrad viele Pendler glücklich machen. In Los Angeles beispielsweise - so Forrester - sitzen Angestellte durchschnittlich 104 Stunden pro Jahr im Auto, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen.
Gegensätzliche Prognosen
Stehen wir also vor einer rosigen Zukunft? Kommt darauf an, wen man fragt. Glauben wir Tesla-Chef Elon Musk, dann führt uns die beschrieben Entwicklung in eine Art Nirwana ohne Pendel-Stress und Parkplatzsuche. Das Auto fährt, und wir können währenddessen machen, was wir wollen.
Weniger rosig sehen die beiden Oxford-Professoren Carl Frey und Michael Osborne diese Zukunft. Dem autonomen Fahren, glauben sie, werden in den kommenden zwanzig Jahren allein in den USA 69 Millionen Jobs zum Opfer fallen.
Die Wahrheit dürfte, wie immer, irgendwo in der Mitte liegen. In jedem Fall wird die Entwicklung - das jedenfalls glaubt Forrester - viele Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig umkrempeln.
Folgen für die Autoindustrie: 95 Prozent der Autos überflüssig
Dazu gehört nicht nur die Autoindustrie, aber natürlich auch sie. Wie sehr, dass lässt sich allein schon an Forresters Einschätzung ablesen, dass eine Großstadt wie London am Ende des ganzen Prozesses nur noch fünf Prozent der heute vorhandenen Fahrzeuge haben wird.
Das liegt zum einen daran, dass fast nur noch diejenigen Autos vorhanden sein werden, die auch tatsächlich rollen. Fahrleistung wird in erster Linie als Service in Anspruch genommen, und Autos, die diesen Service erbringen - wie etwa Taxis oder Carsharing-Vehikel - stehen nicht herum, sondern fahren.
Nächste Hiobsbotschaft für die Branche: Hersteller verdienen vor allem an unendlicher Diversifikation des Produkts Auto und noch unendlicheren Sonderausstattungen. Beides ist im Falle von autonomen Fahrzeugen überflüssig.
Um trotzdem zu überleben, werden BMW und Co. vom Hersteller zum Mobilitätsdienstleister. Auf diesem Gebiet sind sie dann aber heftiger Konkurrenz durch Google und andere Silicon Valley-Größen ausgesetzt.
Folgen für die Logistikbranche
Der zweite Bereich, den das autonome Fahren massiv verändern wird, ist die gesamte Logistikbranche. Amazon, DHL und UPS planen längst den kommerziellen Einsatz fahrerloser Lieferwagen und auch die Nutzung von Drohnen für die letzte Meile. Nicht nur Forrester, sondern auch andere Experten gehen davon aus, dass wir hier schon sehr kurzfristig funktionierende Lösungen sehen werden.
Folgen für Versicherungen
Dritte tangierte Branche: Versicherungen. 94 Prozent aller Verkehrsunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Natürlich machen Computer und Sensoren auch Fehler, aber erstens weniger als Menschen und zweitens stellt sich dann die Frage nach der Verantwortung ganz neu.
Wer reguliert den Schaden, wenn ein autonom fahrendes Auto einen Unfall baut? Der Softwareentwickler? Der Fahrzeugbesitzer? Oder Verantwortliche der Stadtverwaltung, die die automatisierte Infrastruktur kontrollieren?
Folgen für die Politik
Denn auch die Politik - tangierter Bereich Nummer vier - wird neu denken müssen, etwa bei der Verkehrsplanung, der Besteuerung und bei der gesamten Regulatorik für die schöne neue Welt der Autonomen.
Folgen für die Medienbranche
Fünftens schließlich betrifft diese neue Welt auch die Medienindustrie. Denn "always connected" sind zukünftig ja nicht nur die Fahrzeuge, sondern auch ihre Nutzer. Werbetreibenden steht damit ein weiterer, sehr detaillierter Strom individueller Daten zur Verfügung, der sich für maßgeschneiderte Angebote nutzen lässt. Davon abgesehen: Wer im Auto nicht fahren muss, der könnte sich zum Beispiel während seiner Reise auf einem Bildschirm (auch) Werbung ansehen.
Folgen für Sicherheitsdienstleister
Sechstens schließlich - und mit Punkt fünf eng verbunden - wird die Entwicklung alle, die sich um Datensicherheit, -schutz und -autonomie kümmern, vor neue Herausforderungen stellen. Forrester schreibt dazu: "Erfolgreiche Cyberattacken auf autonome Fahrzeuge sind absolut möglich, und der Diebstahl persönlicher Daten auf diesem Wege ebenso."
Fazit
Resümierend skizziert Forrester, was diese Entwicklungen für CIOs und andere Unternehmensverantwortliche bedeuten. Und an dieser Stelle wird - man kann es nicht anders sagen - die Analyse etwas skurril.
Erster Punkt: Durch weniger Unfälle gibt es weniger Organspender, in der Folge muss die Wissenschaft mehr künstliche Organe herstellen, etwa durch 3D-Druck.
Zweitens: Mit der Mineralölindustrie wird es abwärts gehen.
Drittens: Immer mehr Unternehmen werden ihre Mitarbeiter von fahrerlosen Autos daheim abholen lassen. Profitieren können davon auch solche Arbeitnehmer, die aus Kostengründen weit ab von ihrem Büro wohnen müssen. Heimarbeit wird in der Folge zurückgehen.
Viertens: Und wer trotzdem noch selbst fahren will, der muss dies zukünftig auf abgesperrten Arealen tun, damit er die ganze menschenleere Verkehrsinfrastruktur nicht total durcheinanderbringt. Forrester zieht hier den Vergleich mit dem Pferdesport, den ja auch niemand in der Innenstadt betreibt.
Google stellte die Autoherstellung schon wieder ein
Die wichtigste Erkenntnis aus der ganzen Analyse - und diese Erkenntnis stammt jetzt nicht von Forrester, sondern vom Autor dieser Zeilen - lautet: Wenn Autos autonom fahren, dann brauchen wir viel viel weniger davon als heute.
Als erste erkannt zu haben scheint das: Google. Die Big Brother-Company stellte die Produktion seines autonom fahrenden Autos "Ei" schon 2016, nur zwei Jahre nach dem Start, wieder ein. Begründung: Man habe nie die Absicht gehabt, zum Autohersteller zu werden.