Viele Unternehmen stecken offenbar in einem Meeting-Dilemma. Einerseits braucht es Treffen, ob virtuell oder physisch, um Teamwork und den zwischenmenschlichen Austausch am Laufen zu halten. Experten halten diese für essenziell für Innovation und Produktivität. Andererseits scheinen Meetings zwischen verteilt arbeitenden Teams in deutschen Unternehmen vielerorts derart auszuufern, dass viele Wissensarbeiter gar nicht mehr dazu kommen, ihre eigentliche Arbeit zu erledigen.
Viele Meetings geraten oft zu ergebnislosen Pflichtveranstaltungen, bei denen vieles erledigt wird - nur nicht die eigentliche Arbeit. Das legt eine Umfrage von Miro nahe, einem Anbieter von Online-Workspace-Tools. Für die Studie wurden in Kooperation mit SG Analytics von April bis Mai 2024 insgesamt 4.073 Wissensarbeiter (vollzeitbeschäftigt) aus Deutschland (1.015), Japan (1.021), Großbritannien (1.016) und den USA (1.016) befragt. Die Untersuchung sei anonym durchgeführt worden, hieß es. Miro sei nicht als Partner benannt worden.
Der Umfrage zufolge sind fast zwei Drittel (65 Prozent) der Befragten überzeugt, dass Meetings wichtig für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind und dabei helfen, Kontakte zu anderen Teams oder Kollegen zu pflegen (54 Prozent). Außerdem glaubt immerhin fast die Hälfte, dass sich Meetings positiv auf die eigene berufliche Entwicklung auswirken (42 Prozent) und eine Möglichkeit sind, Beziehungen zu Führungskräften zu pflegen (47 Prozent).
Meeting-Flut führt zu Burnout
Doch es gibt auch eine Schattenseite des in vielen Unternehmen praktizierten Meeting-Betriebs. Mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) beklagt, aufgrund zu vieler Meetings kaum zur eigentlichen Arbeit zu kommen. Fast drei Viertel der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer (74 Prozent) wissen von Tagen mit endlosen Meeting-Marathons ohne Pausen zu berichten.
Das hat Folgen für die mentale Gesundheit der Arbeitenden: Gut sieben von zehn Befragten haben sich aufgrund der Meeting-Flut schon einmal ausgebrannt gefühlt. Dazu trägt zudem bei, dass eine deutliche Mehrheit (79 Prozent) auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten und fast zwei Drittel (65 Prozent) sogar gelegentlich während des Urlaubs an Meetings teilnehmen. Bei deutschen Wissensarbeitern scheint außerdem FOMO ("Fear of missing out") ein Problem zu sein: Knapp drei Viertel (74 Prozent) der Befragten klinken sich in Meetings ein, auch wenn sie nur als "optionaler" Teilnehmer eingeladen sind - so viele wie in keinem anderen der anderen an der Studie beteiligten Länder.
Viele Unternehmen tun sich offenbar schwer, eine effiziente und funktionale Meeting-Kultur zu etablieren und zu praktizieren. Während extrovertierte Menschen Meetings oft als Bühne für das eigene Ideen-Schaulaufen verwenden, scheuen sich Introvertierte oft, ihre Gedanken zu teilen. Die Folge: Viele gute Ideen bleiben ungehört und der Frust im Team steigt.
Abstimmungsbedarf in vielen Teams zu hoch
Außerdem haben viele Betriebe nach Einschätzung der Miro-Experten nach wie vor Probleme damit, Remote- und Präsenzarbeit strategisch zu koordinieren. Daher sei der Abstimmungsbedarf in vielen Teams immer noch hoch. Den Meeting-Takt infolgedessen weiter heraufzusetzen, sei allerdings kaum die richtige Antwort, lautet ein zentrales Fazit der Studie.
Schon jetzt könne sich nur ein Teil der Meeting-Beteiligten wirklich auf die jeweiligen Inhalte konzentrieren. Viele Beteiligte verbringen ihre Meeting-Zeit stattdessen damit,
E-Mails zu beantworten (58 Prozent),
an anderen Projekten zu arbeiten (28 Prozent),
beziehungsweise im Netz zu surfen, oder
Online-Nachrichten zu lesen (34 Prozent).
Ein Viertel (26 Prozent) nutzt die Zeit für Interaktionen mit Kollegen - beispielsweise, um untereinander im privaten Chat zu lästern.
Jeder Zehnte (zehn Prozent) erledigt während der Online-Meetings nebenbei Haushaltsaufgaben wie Kochen, Abwasch oder Wäsche, ebenso viele (elf Prozent) nutzen die Zeit für ein sportliches Workout oder gehen spazieren. Und sieben Prozent sind von den endlosen Diskussionen so genervt, dass sie sich parallel zum Meeting nach einem anderen Job umsehen.
Allerdings gebe es für eine gesunde Meeting-Kultur keine Pauschallösung, sagt Christine Vonhof, Head of Customer Success DACH bei Miro, und warnt im gleichen Atemzug: "Wenn Abstimmungsbedarf und Meetingfrequenz zu hoch werden, geht das auf Kosten der Motivation und Produktivität jedes Einzelnen." Das könnten sich Unternehmen in der aktuellen Wirtschaftslage jedoch nicht leisten. Die Managerin appelliert an die Führungskräfte, ihre Meeting-Kultur so zu gestalten, dass sie inklusiver, effizienter und auf die individuellen Bedürfnisse ihres Teams zugeschnitten sind.