Schwerpunkt E-Business: Erfolg im Onlinehandel

Mehr als nur verkaufen

07.07.2003
Im E-Business führen viele Wege zum Erfolg - aber nur für diejenigen, die alle zugleich beschreiten. Multi-Channel ist das Zauberwort - die Kombination von On- und Offline-Ressourcen für Kundenansprache, -bindung und -service. Zweite Voraussetzung: die Nutzung von Cross-Potenzialen zwischen Marketing, Verkauf und IT. Ein Beispiel: Bertelsmann.

Früher half ein E vor dem Projekt, um Geld dafür zu bekommen; der Buchstabe hatte magische Kräfte. Wer heute ein Projekt vorschlägt, vermeidet jedes E-Wort. Andy Kyte, Fellow der Gartner Group, beobachtet das vor allem bei mittleren und kleinen Betrieben. Gerade E-Commerce hatte fantastische Gewinnerwartungen geweckt; die Verluste waren ebenso enorm. E-Commerce geriet zum Unwort. "Inzwischen haben die Unternehmen gemerkt, dass für einen Erfolg mehr als IT-Investitionen nötig sind", sagt Kyte.

Eine verbindliche Definition von E-Business fehlt, sodass letztlich alle Geschäftsprozesse darunter fallen, die mithilfe von Internettechnologie abgewickelt werden. E-Commerce oder Business to Consumer (B2C) umfasst dagegen nur die Geschäftsbeziehungen zwischen Anbieter und Endkunden. "B2C-Investitionen liegen jetzt auf einem vernünftigen Niveau, aber Geld fließt nur noch in ausgewählte Projekte", so Kyte, der noch einen weiteren Wandel feststellt: "Vor einigen Jahren glaubten viele Unternehmen, sie würden ihre Umsätze allein dadurch deutlich erhöhen, dass sie eine Website einrichten. Heute investieren sie in Websites, um Kosten zu sparen."

Anreiz und Service werden oft vergessen

Kosten sparen heißt, Dienste ins Web zu verlagern. Zu diesem Ergebnis kommt auch Christiane Kohlhage, bis Mai Vorsitzende des Arbeitskreises E-Business der IBM-Anwendergruppe Guide Share Europe und Beraterin beim IT-Beratungshaus Logica BMC. "Häufig haben Unternehmen ihren Vertrieb jedoch um den Internetkanal erweitert, ohne die Vertriebspalette und -prozesse zu ändern." Doch E-Commerce sei mehr als nur Verkauf: Versicherer etwa würden lediglich bestehende Produkte und Dienstleistungen ohne zusätzlichen Service wie eine elektronische Versicherungsmappe anbieten und die Policen im Web nicht günstiger verkaufen. "Onlinetöchter von Banken und Versicherern sprechen lieber über ihre Visionen als über Umsatz und Gewinn", so Kohlhage.

Andere Branchen arbeiten erfolgreicher im Internet. Laut Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) lag der B2C-Umsatz 2002 bei acht Milliarden Euro oder 1,6 Prozent des Gesamtumsatzes. Und der Anteil steigt weiter, wenn auch nicht mehr so rasant wie früher. So erwartet der HDE in diesem Jahr Einnahmen durchOnline-Shopping in Höhe von elf Milliarden Euro, ein Umsatzanteil von 2,1 Prozent. "Allerdings erwirtschaften nur rund 20 Prozent der Händler Gewinne im Web", räumt Olaf Roik ein, Experte für E-Business beim HDE. Das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Forschungszentrum Karlsruhe rechnet denn auch nicht damit, dass der E-Commerce im Einzelhandel langfristig mehr als zehn Prozent der Handelswege besetzen wird. In der als Buch erschienenen Studie "E-Commerce in Deutschland" wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Umsätze je nach Branche stark variieren. So trug der Online-Umsatz bei Versandhändlern wie Neckermann, Otto oder Quelle nach Angaben des Bundesverbands des Deutschen Versandhandels 2002 mit 2,7 Milliarden Euro 13 Prozent zum Gesamtumsatz bei; bis 2010 soll der Anteil sogar auf 20 Prozent steigen. Das sind Margen, von denen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nur träumen können. Für sie lohnt es sich meist nicht, in eine eigene Shopping-Plattform zu investieren. Ihnen rät HDE-Experte Roik, sich darauf zu beschränken, die Web-Präsenz für Informationen über Produkte und das Unternehmen sowie zur Kundenbindung zu nutzen. Gleichzeitig sollten sie ihre internen Prozesse wie Warenwirtschaftssysteme, Bestell- und Bestandsmanagement optimieren. Zu überlegen sei auch die Vermarktung von Waren und Dienstleistungen über Auktionsplattformen wie Ebay oder andere Anbieter. "Insgesamt sollten sich KMU überlegen, ob sie das Geld nicht besser für ihr Kerngeschäft ausgeben", sagt Roik.

Internet schafft keine Chancengleichheit

Das Internet hat sich also nicht als ein Medium erwiesen, in dem alle Anbieter die gleichen Marktchancen besitzen. Zu diesem Schluss kommt die Studie "B2C-E-Commerce - Internet kein 'großer Gleichmacher" von Deutsche Bank Research. Weil Kunden mit nur einem Klick auf die Site des Konkurrenten wechseln können, müssten Anbieter ihre Kunden direkter ansprechen, um sie stärker zu binden und die eigene Marke zu etablieren, raten die Forscher.

Multi-Channel-Strategie lautet hier der Zauberbegriff. Damit wollen Unternehmen wie Neckermann Kunden auf möglichst vielen Vertriebswegen erreichen: Internet, PDA, Handy, digitales Fernsehen und - klassisch - per Telefon und Katalog. Selbst Amazon legt Zeitschriften Werbebroschüren bei. "Die Verknüpfung von Online- und Offline-Vertriebskanälen ist der Schlüssel zum Erfolg", sagt Gill Mander, Analystin beim strategischen Forschungsservice Gartner G2. "Kunden werden Firmen links liegen lassen, die das nicht berücksichtigen."

Zudem müssen sich Unternehmen neu organisieren, indem einzelne Abteilungen enger zusammenarbeiten und so genannte Cross-Potenziale nutzen. "Wenn das Marketing nicht für die Website wirbt und der Verkauf die Waren nicht mit konkurrenzfähigen Preisen versieht, dann nützt es nichts, wenn der CIO eine fantastische Website bereitgestellt hat," betont Gartner-Analyst Kyte.

Auf Cross-Potenziale konnte der ehemalige Bertelsmann-Onlinebuchhandel BOL nur begrenzt zurückgreifen. "BOL war ein eigenständiges Unternehmen. Sie mussten das Marketing und die ganze logistische Abwicklung sowie die Shopping-Plattform Enfinity von Intershop und die Oracle-Basis selbst finanzieren", erzählt Klaus Hofmann, bis Oktober vergangenen Jahres CIO bei der Bertelsmann Direct Group und als solcher unter anderem verantwortlich für die IT-Infrastruktur bei BOL. Die Direct Group ist im Gütersloher Medienkonzern für das Endkundengeschäft zuständig. "Wir dachten damals: Man muss gegen Amazon halten, und das bekommt man auch hin. Den Vorsprung von Amazon haben wir allerdings nie aufgeholt", sagt Hofmann, jetzt Ruheständler und Aufsichtratsvorsitzender bei Mummert Consulting. Der Versuch scheiterte nicht nur am First-Mover-Bonus von Amazon und den hohen Geldreserven, die Amazon durch den Börsengang besaß. Im November 2002 verkaufte Bertelsmann seine 1998 als eigenständige Organisation gegründete Onlinetochter an den Münsteraner Onlinehändler Buch.de. "Wir konnten die Renditeziele in dem gesteckten Zeitrahmen nicht erreichen", räumt Hofmann ein.

Ein Gegenbeispiel lieferte die Direct Group mit ihren Buchclubs, wo Cross-Potenziale in Marketing und Werbung die Kosten für den Onlinehandel gesenkt haben. Im vergangenen Jahr trug der Onlinehandel rund acht Prozent zum Umsatz des Buchclubs bei. Mehr als 28 Millionen Clubmitglieder und Geschäfte in 20 Ländern bilden das Rückgrat der gut 135 Clubs inklusive Spezialclubs mit einem eigenen Internetangebot. Allein im April besuchten zwölf Millionen potenzielle Käufer die Sites.

BOL nutzt Synergien in China

Erfolgreich läuft der Onlinehandel, wenn Synergien genutzt werden, so wie beim Buchclub in China. "Hier bauen Buchclub und BOL auf eine einheitliche Plattform, weil stationäre Buchclubs und Onlinehandel parallel neu aufgebaut wurden", erzählt Hofmann. In anderen Ländern kam es wegen der getrennten Organisationen erst gar nicht zu einer Kooperation. Weitere Synergieeffekte sind wohl nicht zu erwarten, nachdem sich die Direct Group im März nach dem gescheiterten Versuch, SAP einzuführen, von einer zentralen Lösung verabschiedet hat; jeder Buchclub betreibt jetzt wieder seine eigene Lösung.

Dass E-Commerce auch ohne stationäre Geschäfte und Cross-Potenziale funktioniert, belegt eine bislang einmalige Studie der Universität Kiel. Gleich zehn erfolgreiche reine Internetunternehmen stellen die Wissenschaftler in dem Buch "Die E-Commerce-Gewinner" vor. Die Autoren haben zwei erfolgreiche Geschäftsmodelle ausgemacht: Die Online-Gebrauchtwagenbörse Mobile.de oder das Buchantiquariat Abebooks.de vermitteln Waren und Dienste im Web und unterhalten selbst keine Logistik. Die zweite Gruppe bereitet Informationen online auf oder verkauft digitalisierte Produkte wie Preisvergleiche; zu ihr zählen Guenstiger.de oder das Reisebüro Expedia. Gestandene Anbieter digitalisierter Informationen wie Gruner + Jahr haben indes viele ihrer Plattformen wieder geschlossen - wegen zu kurzer Fristen bis zur Profitgrenze. "Auch klassische Geschäftsmodelle brauchen fünf bis zehn Jahre, um profitabel zu sein", so Co-Autor Gregor Panten.

Und sogar Venture Capital fließt wieder verstärkt in E-Commerce-Unternehmen - nur gezielter, wie Panten festgestellt hat. Für die Geldgeber scheinen E-Business und E-Commerce zwar keine Magie mehr auszustrahlen; dennoch versprechen sie sich langfristig reale Gewinne.


Weiterführende Informationen

Bücher

Ulrich Riehm, Thomas Petermann, Carsten Orwat, Christopher Coenen, Christoph Revermann, Constanze Scherz, Bernd Wingert:
E-Commerce in Deutschland
Eine kritische Bestandaufnahme zum elektronischen Handel
Edition Sigma
Berlin 2003
471 Seiten
29,90 Euro
www.edition-sigma.de

Sönke Albers, Gregor Panten, Björn Schäfers (Hg.)
Die eCommerce-Gewinner
Wie Unternehmen im Web profitabel wurden. 10 Erfolgsgeschichten aus erster Hand
Frankfurt/Main 2002
240 Seiten
25,90 Euro
www.ecommerce-gewinner.de

eBusiness-Jahrbuch der deutschen Wirtschaft
Der ITK-Marktspiegel aus Entscheidersicht
Wegweiser GmbH
Berlin 2003
126 Seiten
75 Euro zzgl.Versand
für E-Business-Entscheider kostenfrei
www.wegweiser.de/01_beschaffen/x01-d5-a.htm

Studien

Zusammenfassung des Arbeitsberichtes "E-Commerce" vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim deutschen Bundestag
Im Mittelpunkt der Untersuchung standen der Realisierungsstand des E-Commerce in verschiedenen Wirtschaftsbereichen, die erwartbaren Diffusionsprozesse und Strukturveränderungen sowie die sich daraus ergebenden Folgen. Behandelt wurden zudem hemmende und fördernde Faktoren der weiteren Entwicklung sowie die möglichen politischen Regulierungs- und Handlungsoptionen.

Innovationsbedingungen des E-Commerce - Die technischen Kommunikationsinfrastrukturen für den elektronischen Handel
Hintergrundpapier des Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim deutschen Bundestag.

IT im Einzelhandel - Wertschöpfung, Kommunikation, e-Commerce
Ergebnisse einer HDE-Umfrage unter 1.200 Einzelhandelsunternehmen (2002)

B2C-E-Commerce: Internet kein "großer Gleichmacher"
Studie der Deutschen Bank Research Global E-Commerce Report 2002

Einige Deutschland-Ergebnisse der Studie TNS Interactive, Juni 2002

Links

Bertelsmann Direct Group
Im Gütersloher Medienkonzern zuständig für das Endkundengeschäft

Gartner Group GartnerG2
Strategischer Forschungsservice der Gartner Group

Guide Share Europe (GSE)
IBM-Anwendergruppe Hauptverband des Deutschen Einzelhandels

Universität Kiel
Lehrstuhl für Innovation, Neue Medien und Marketing

Deutscher Internetpreis
Der Deutsche Internetpreis ist ein Wettbewerb des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit.

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