ZF Friedrichshafen-CIO Sturm

Mit Innovationen aus der Krise

16.06.2020 von Wolfgang Herrmann
Jürgen Sturm, CIO von ZF Friedrichshafen, stellt die IT des Automobilzulieferers auf die disruptiven Veränderungen in der Branche ein. Die Coronakrise verstärkt den Innovationsdruck noch.
Jürgen Sturm, CIO von ZF Friedrichshafen: "Die Krise befeuert den Zwang zu Veränderungen noch, die Megatrends in der Automotive-Branche entwickeln sich weiter."
Foto: ZF Friedrichshafen

Der fünftgrößte Automobilzulieferer der Welt arbeitet mit einem "Dual-Mode-Betriebssystem", sagt Jürgen Sturm, CIO der ZF Friedrichshafen AG. Dahinter stehe der Leitgedanke "Excel and Explore": Bestehendes verbessern und zugleich Freiräume schaffen für Neues. Das klingt nach einer brauchbaren Maxime für ein Unternehmen, das 1915 unter dem Namen Zahnradfabrik GmbH gegründet wurde und zunächst Zahnräder und Getriebe für Luftfahrzeuge, Motorwagen und Boote produzierte. Mit 230 Standorten in 40 Ländern, fast 150.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von gut 36 Milliarden Euro gehört ZF heute zu den führenden Herstellern von Antriebs-, Fahrwerk- und Sicherheitstechnik.

Mit den Umbrüchen in der Automobilbranche war die Idylle am Hauptsitz in Friedrichshafen am Bodensee indes schon länger getrübt. Im Januar 2020 kippte die Stimmung endgültig, als infolge der ersten Corona-Fälle chinesische Automobilhersteller ihre Produktion herunterfuhren oder den Betrieb einstellten. "Unsere OEM-Kunden in China legten eine Vollbremsung hin", erinnert sich Sturm. Angesichts der engen Verflechtung mit Kundensystemen und der Just-in-Time-Fertigung von Komponenten spürte der Zulieferer die Folgen unmittelbar. "Wir mussten sofort reagieren", so der CIO. Binnen kürzester Zeit stoppte auch ZF die Produktion und schickte Mitarbeiter in Kurzarbeit.

Gravierende Folgen für die IT

Für die IT waren die Folgen gravierend. Sturm berichtet von einem "extremen Kosten-Management", das nun gefragt war. Dabei lasse der Innovationsdruck nicht nach, im Gegenteil: "Die Krise befeuert den Zwang zu Veränderungen noch, die Megatrends in der Automotive-Branche entwickeln sich weiter." Elektrifizierung, Shared Mobility, autonomes Fahren und Connectivity bestimmen demnach weiterhin die strategische Ausrichtung des Automotive-Zulieferers.

Kein einfacher Job für den IT-Chef: Er muss die laufenden Kosten drücken, dabei aber weiter in wichtige digitale Initiativen investieren. Der promovierte Ingenieur betreibt vor diesem Hintergrund ein "aktives Portfolio-Management". Mit anderen Worten: Alle Projekte kommen auf den Prüfstand, einige wurden bereits gestoppt. Bis auf weiteres konzentriere man sich auf "Mission-critical"-Vorhaben, sagt Sturm, hat aber auch ein allmähliches Abflauen der Krise im Blick.

In China etwa nahmen einige Hersteller bereits im April den Betrieb sukzessive wieder auf; ZF begann vor allem in den 40 Werken vor Ort, aber auch in Europa damit, Teile für den asiatischen Markt zu fertigen. Zwar hofft der CIO, dass die Produktion in der zweiten Jahreshälfte schrittweise wieder hochgefahren werden kann, doch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind schon jetzt dramatisch.

Die Top-CIOs der Automobil-Branche
Sven Lorenz
Der langjährige Porsche-CIO Sven Lorenz ist Konzern-CPO bei Volkswagen. Bei der Kür zum CIO des Jahres 2006 schaffte es Sven Lorenz auf den zweiten Platz.
Falko Morlock
Seit 1. September 2023 ist Falko Morlock CIO des schwäbischen Maschinen- und Anlagenbauers Dürr AG.
Alexander Buresch
Alexander Buresch ist seit Januar 2020 CIO des bayerischen Automobilkonzerns. Ein Foto des Managers hat BMW bislang noch nicht veröffentlicht. Der Wirtschaftswissenschaftler ist seit mehr als 20 Jahren für BMW tätig und war zuletzt Vice President Corporate Strategy and Planning.
Hauke Stars
Seit Februar 2022 ist Hauke Stars IT-Vorständin und Chief Information Officer bei Volkswagen.
Katrin Lehmann
Als CIO der Mercedes-Benz Group AG und der Mercedes-Benz AG verantwortet Katrin Lehmann die globale IT für alle Geschäftsbereiche, Marken und Märkte und berichtet direkt an den CEO.
Jürgen Sturm
Jürgen Sturm ist seit Januar 2015 Informatikleiter beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Sturm ist promovierter Ingenieur und kommt von der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH. Sturm war vor seiner BSH-Zeit zwischen 1999 und 2003 Bereichsleiter Organisation, Prozesse und Informationssysteme bei der Grundig AG.
Volker Schwarz
Der langjährige Rheinmetall-CIO Volker Schwarz ist seit Januar 2024 CIO beim Automobilzulieferer GKN Automotive.
Frank Loydl
CIO der Audi AG und damit Nachfolger des bisherigen CIO Mattias Ulbrich ist seit Februar 2018 Frank Loydl. Seit 2016 verantwortete er im Konzern die Software-Entwicklung. Ab 2009 war er bei T-Systems das Delivery Management für den Kunden Volkswagen AG zuständig. Diese Aufgabe übernahm Loydl 2013 schließlich direkt für den Automobilkonzern.
Martin Hofmann
Martin Hofmann tritt zum 1. Mai 2023 seinen neuen Posten als CTO und CIO bei Volta Trucks an. Zuvor war er drei Jahre als Senior Vice President bei Salesforce und über 19 Jahre bei Volkswagen, dort zuletzt als Group CIO.
Alexander Eisl
Der ehemalige MAN-Manager Alexander Eisl hat am 1. Oktober 2022 die Nachfolge von Skoda-CIO Klaus Blüm angetreten, der zu VW gewechselt ist.
Michael Hilzinger
Michael Hilzinger ist seit Juli 2019 CIO beim Bremsen-Spezialisten Knorr-Bremse in München. Er war zuvor Group CIO beim Stahlhändler Klöckner in Duisburg.
Petra Clemens
Seit Oktober 2024 leitet Petra Clemens die IT von Cariad, der Software-Tochter von Volkswagen. Sie kommt vom Eisenbahnlogistiker VTG.
Markus Bentele
Markus Bentele ist seit Januar 2017 Vice President Information Technology (VP)/Group CIO beim Automobilzulieferer Mahle International GmbH in Stuttgart. Zuvor war Bentele Corporate CIO der Rheinmetall AG.
Christian Ley
Christian Ley leitet seit 2006 den Bereich Informationssysteme Brose Gruppe. In dieser Funktion verantwortet er den Ausbau der IT-Lösungen im Kontext der Unternehmensstrategie. Ley begann 1995 als Diplom Betriebswirt (FH) als Trainee in der Brose Gruppe und wechselte anschließend als DV-Koordinator in die zentrale Anwendungsentwicklung. Dort übernahm er 1999 die Teamleitung für PPS- und QM-Systeme und anschließend die Leitung der Zentralabteilung „logistische Anwendungssysteme“. In dieser Funktion war er bis 2006 weltweit für zahlreiche SAP-Implementierungsprojekte verantwortlich.
André Wehner
Am 1. Juni 2021 hat André Wehner den CIO-Posten bei MAN Truck & Bus übernommen. Als IT-Chef verantwortet Wehner die weltweite IT des Nutzfahrzeugherstellers. Dazu zählen auch Produktionswerke, Logistikzentren und die eigenen Landesvertriebsgesellschaften. Sein Vorgänger Stephan Fingerling geht als Geschäftsführer zur Group IT Services GmbH, der IT-Tochter der Volkswagen Gruppe. Vor seinem Wechsel zum Münchner Nutzfahrzeughersteller war Wehner CDO bei Skoda Auto. In der neu geschaffenen Stelle kümmerte er sich dort seit 2016 um Unternehmensentwicklung und Digitalisierung.
Maik Krüger
Am 1. April trat Maik Krüger die Position des CIO bei Dräxlmaier an. Der studierte Wirtschaftsinformatiker war jahrelang in führenden IT-Positionen bei BMW tätig.
Sebastian Stoll
Seit 1. Juni 2021 ist Sebastian Stoll CIO und Group Vice President IT der FEV Gruppe. Er hat den Posten von Andreas Engels übernommen, der beim Kölner Compliance-Startup Kerberos eingestiegen ist. Stoll berichtet an CFO Jürgen Koopsingraven. Neben der Einführung von SAP S/4 Hana will Stoll die IT in die Cloud verlagern und die Security verbessern.
Saskia Kohlhaas
Saskia Kohlhaas ist seit November 2021 Senior Vice President Information Technology beim Engineering-Dienstleister der Automobilindustrie IAV.
Thomas Külpp
Seit August 2017 ist Thomas Külpp neuer CIO beim Autobauer Opel Automobile GmbH in Rüsselsheim. Zuvor war er bei Opel Director Sales & Marketing. Külpp hat Maschinenbau an der University of Applied Sciences in Wiesbaden studiert und als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Er arbeitet bereits seit 27 Jahren in verschiedenen Positionen bei Opel.
Marcus Claesson
Marcus Claesson ist CIO bei Daimler Truck. Er berichtet an den Vorstand für Finanzen und Controlling, Jochen Goetz. Darüber hinaus verantwortet Marcus Claesson die Connectivity Services innerhalb der Daimler Truck AG. Er ist seit 2017 im Unternehmen. Zuvor war Claesson CIO bei Electrolux AB.
Uwe Kühne
Uwe Kühne ist seit 2017 CIO bei GF Casting Solutions, einer Division des Georg Fischer Konzerns. Er fing 2004 bei der Georg Fischer Automobilguss GmbH als Systemanalytiker an und war zuletzt bis Ende 2016 als Head IT Operational Services bei GF Automotive für die Erbringung zentraler IT Infrastrukturleistungen verantwortlich. Auf seiner Agenda stehen die strategische Neuausrichtung der zentralen IT-Organisation, die Vorbereitung auf SAP S4/HANA, die Verlagerung zentraler IT Dienste in die Cloud sowie die Verbindung zwischen klassischer IT und Automations-Bereichen („i4.0“). GF Casting Solutions ist eine von drei Divisionen der Georg Fischer AG, ein börsennotiertes Unternehmen mit Hauptsitz in Schaffhausen, Schweiz. Das 1802 gegründete Industrieunternehmen betreibt in 33 Ländern 131 Gesellschaften, davon 51 Produktionsstätten.
Felix Willing
Felix Willing ist seit Januar 2018 Leiter des Bereichs Information Management beim Automobilzulieferer Hella GmbH & Co. KGaA im nordrhein-westfälischen Lippstadt. In dieser Position fungiert er zugleich als CIO für den globalen Hella Konzern. Zuletzt war er CIO beim Windturbinenbauer Nordex Acciona Windpower AG in Hamburg.
Bernd Süßmann
Bernd Süßmann ist seit September 2018 Head of Corporate IT bei der SAS Automotive in Karlsruhe, einem Joint Venture zwischen Continental and Faurecia. Er trägt dort die Gesamtverantwortung für die IT, führt dabei 80 Mitarbeiter und berichtet an den CFO des Unternehmens, Ekkehard Klautke.
Bernhard Pluhatsch
Bernhard Pluhatsch ist seit Oktober 2018 neuer Head of IT, Transmission Systems bei Magna Powertrain Transmission Systems (MPT TS) in Untergruppenbach bei Heilbronn. Er kommt von der Nürnberger Leoni AG, wo er von 2002 bis 2018 Vice President IT Infrastruktur war.
Michael Simon
Michael Simon (56) ist seit 1. Juli 2019 der Leiter Zentral IT und CIO der Volkswagen Retail Group. Er berichtet an die Geschäftsführung. Zuvor war der studierte Informatiker seit 2015 Leiter IT bei der Weiss Umwelttechnik GmbH. Insgesamt bringt er Erfahrung aus drei Jahrzehnten als Fach- und Führungskraft in der IT mit, unter anderem bei der Salzgitter AG Group.
Simon Blankenstein
Seit Oktober 2022 verantwortet Blankenstein als CIO die IT der Huf Group. Er berichtet an CFO Rainer Heupel. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört der weltweite Rollout von SAP S/4 HANA.
Tommy Andreasen
Nach der Fusion von MAN Diesel und MAN Turbo wurde Tommy Andreasen, vorher CIO von MAN Diesel, Anfang 2010 CIO der neu geschaffenen MAN Diesel & Turbo Gruppe. In den vergangenen 20 Jahren übernahm Tommy Andreasen innerhalb der MAN Diesel Gruppe verschiedene Management Positionen, schwerpunktmäßig im Bereich Finanzen und Controlling. Im Jahr 2000 wurde er Head of Information Technology bei MAN Diesel in Dänemark und entwickelte und führte eine neue IT-Strategie ein. 2006 wurde er dann CIO des gesamten MAN Diesel Konzerns.
Das ZF-Produktportfolio dreht sich nicht mehr nur um Antriebs- und Fahrwerkstechnik. Für das autonome und assistierte Fahren offeriert der Zulieferer etwa komplette Steuerungs- und Sicherheitssysteme.
Foto: ZF Friedrichshafen AG

Nach groben Schätzungen könnte der Absatz im laufenden Geschäftsjahr um 20 Prozent einbrechen. Ende Mai kündigte ZF an, bis 2025 bis zu 15.000 Stellen zu streichen. Dessen ungeachtet beschäftigt sich Sturm intensiv mit dem "Restart" und ist überzeugt, dass die Digitalisierung in dieser Phase einen Schub auslösen wird. ZF konzentriert sich auf dabei auf vier Handlungsfelder:

Im letztgenannten Feld geht es laut Sturm um die Ausrüstung der Mitarbeiter mit digitalen Arbeitsmitteln, vor allem aber auch um die Einführung neuer, agiler Arbeitsmethoden. Besonders wichtig in der Coronakrise ist die virtuelle Zusammenarbeit, die ZF vor allem über Microsoft Teams organisiert. Neben der klassischen Kommunikation mit Chats und Videokonferenzen nutzt der Hersteller beispielsweise virtuelle Projekträume, in denen Mitarbeiter gemeinsam an neuen Systemen arbeiten.

"Als die Corona-Welle im März nach Deutschland schwappte, waren wir gut vorbereitet", so der CIO. Für die weltweit rund 105.000 IT-Nutzer war Teams bereits implementiert. Schon kurz nach Beginn der Krise arbeiteten bis zu 60.000 Kollegen aus dem Home Office; das IT-Team verachtfachte die dafür notwendigen VPN-Kapazitäten.

Vor allem die Kommunikation wurde zu einem entscheidenden Faktor, berichtet Sturm. ZF setzte mehrere "Corona Task Forces" ein und etablierte neue Formate wie eine "Virtual Coffee Corner", in der das weltweite IT-Team regelmäßig zu erforderlichen Corona-Maßnahmen informiert wurde. Für die wichtigsten Fragen zur Pandemie stellte die IT einen "Corona Chatbot" für alle Mitarbeiter bereit. Die Maßnahmen kamen bei der Belegschaft gut an, blickt der IT-Chef zurück: "Wir bekamen viel positives Feedback von den Usern."

Next Generation Mobility

Geht es um digitale Produkte und Services, orientiert sich ZF Friedrichshafen an seiner "Next-Generation-Mobility"-Strategie. Das erklärte Ziel: Eine emissionsfreie, sichere, komfortable und erschwingliche Mobilität für Menschen und Güter. Was das in der Praxis bedeutet, veranschaulicht Sturm gern mit einem kurzen Video, das er auch anlässlich der Hamburger IT-Strategietage 2020 zeigte: Auf einer Teststrecke rast ein Sattelschlepper auf ein Stauende zu. Kurz bevor es zum Crash kommt, weicht der LKW automatisiert aus und kommt neben den PKW zum Stehen. Für das Ausweichmanöver sorgen intelligente mechatronische Produkte im Fahrzeuginneren, die unabhängig vom Menschen sehen und handeln können.

Ein Mitarbeiter von ZF Friedrichshafen präpariert einen Crashtest-Dummy für einen Versuch.
Foto: ZF Friedrichshafen AG

Das Produktportfolio der Friedrichshafener hat sich im Lauf der Jahre dementsprechend verändert. Längst geht es nicht mehr nur um Antriebs- und Fahrwerkstechnik. Für das autonome und assistierte Fahren offeriert das Unternehmen etwa komplette Steuerungs- und Sicherheitssysteme. Dazu gehört auch ein breit­gefächertes Sensor-Portfolio mit Radar-, Lidar- und Kamerasystemen. Ein zentrales Element für das autonome Fahren bilden die integrierten Rechner (Onboard Units) in den Fahrzeugen. Mit seinem "ZF ProAI"-Hochleistungsrechner ist ZF inzwischen auch zum Computerhersteller geworden.

"Die IT ist in diesem Feld Enabler und stellt beispielsweise die Entwicklungsplattformen bereit", erläutert Sturm. Ein Megatrend dabei ist die virtuelle Entwicklung und Erprobung von Systemen. Dabei fallen naturgemäß riesige Datenmengen an. Ein voll ausgebautes Sensor-Set für das autonome Fahren generiert pro Stunde und Fahrzeug neun Terabyte Daten. Besonders rechen- und speicherintensiv sind auch Crash-Simula­tionen, die ZF in der Produktentwicklung fährt.

Hybrid Multi Cloud

Nur mit eigenen Rechenressourcen sind solche Aufgaben kaum zu stemmen. "Wir skalieren über die Cloud", sagt der CIO und verweist auf die "ZF Hybrid Cloud Architecture". Hybrid sei das Setup, weil man sowohl On-Premises- als auch Public-Cloud-Ressourcen einbeziehe. Es gehe aber auch darum, eigene Kernkompetenzen zu erhalten. Multi Cloud bedeutet für Sturm, dass im Grunde alle Cloud-"Hyperscaler" im Boot sind, darunter AWS, Microsoft und Google. Gemeinsam mit IBM hat ZF eine "Data Bridge" für die Verbindung von Private- und Public-Cloud-Systemen entwickelt. In Asien setzt der Automobilzulieferer - schon aus regulatorischen Gründen - auch auf lokal starke Anbieter wie Alibaba oder Baidu.

Wenn statt Cloud-Ressourcen eigene stationäre Systeme zum Einsatz kommen, gibt es dafür in der Regel physikalische Gründe. Beim Entwickeln und Testen neuer Hardware etwa spielten schon aufgrund der großen Datenmengen Latenzzeiten eine entscheidende Rolle, erklärt der IT-Chef. In solchen Fällen sei ein eigenes Rechenzentrum in unmittelbarer Nähe die bessere Wahl. Daneben prüfe man in Sachen Cloud-Nutzung aber auch kommerzielle und kundenbezogene Randbedingungen.

Digital Manufacturing Platform

Das wichtigste Projekt in der Fertigung ist für den CIO die "ZF Digital Manufacturing Platform" (DMP). Sie soll die rund 230 Standorte weltweit mit sämtlichen Maschinen und Anlagen in den Werken bedienen. Sturm: "Unsere Plattform regelt den Datenfluss zwischen den Werken und steuert die gesamte Logistik für Teile, Beschaffung, Produktion und Distribution." Auch Digital Twins sollen künftig darauf laufen und erlauben, die Produktion in Echtzeit zu überwachen und zu unterstützen.

Die Unternehmens- und IT-Fakten der ZF Friedrichshafen AG.
Foto: cio.de

Die aus mehreren Layern bestehende Fertigungsplattform wäre schon für sich genommen ein komplexes Projekt. Doch Sturm hat eine noch größere Herausforderung zu meistern: "Als Zulieferer müssen wir auch die großen Plattformen unserer Kunden nahtlos bedienen können." Die fallen durchaus unterschiedlich aus. Volkswagen etwa baut gemeinsam mit AWS an seiner Industrial Cloud, über die alle 122 Werke des Konzerns vernetzt werden sollen.

BMW geht einen anderen Weg: Zusammen mit Microsoft und weiteren Partnern arbeiten die Bayern an der Open Manufacturing Platform (OMP). Daraus soll eines Tages eine branchenunab­hängige und standardisierte Produktionsplattform auf Basis von Open-Source-Software entstehen. Auch ZF Friedrichshafen setzt große Hoffnungen in OMP und ist im Februar der gleichnamigen Allianz beigetreten, die 2019 von Microsoft und der BMW Group gegründet wurde.

Neben ZF haben sich auch Bosch und der Brauereikonzern Anheuser-Busch Inbev der Initiative angeschlossen. Die OMP agiert unter dem Dach der Joint Development Foundation (JDF), die wiederum Teil der Linux Foundation ist. OMP-Lösungen würden veröffentlicht und mit der Community geteilt, versprechen die Gründer, "unabhängig von der Technologie, dem Lösungsanbieter oder der Cloud-Plattform, die zum Einsatz kommt."

Business Relationship Management

Für Projekte wie DMP kann Sturm auf die Unterstützung von CFO Konstantin Sauer zählen, an den er auch berichtet. Als zentraler Dienstleister arbeite die IT aber mit allen Vorstandsressorts eng zusammen, betont er. Dedizierte CIOs für einzelne Divisionen oder Regionen gibt es bei ZF Friedrichshafen nicht. Sturm vertraut auf mehrere "Business Relationship Manager" (BRM), die digitale und IT-Themen in der gesamten Organisation vorantreiben sollen.

Die Schnittstellenfunktion gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen. So kann ein BRM einer Fachabteilung oder der IT zugeordnet sein, auch Mischformen sind möglich. "Die disziplinarische Zuordnung ist weniger wichtig", sagt Sturm. Entscheidend sei, dass der Business Relationship Manager die wichtigen Themen voranbringe.

Innovation Management

Zu diesen Themen gehören insbesondere technische Innovationen. Der Automobilzulieferer hat dafür eine Reihe von Initiativen angestoßen. So gibt es beispielsweise Technology Roadshows, Pitch Nights, Design Thinking Labs und einen "Idea Channel" für die Mitarbeiter. Sturm reicht das noch nicht. "Digitale Initiativen müssen auch skalieren", fordert er.

Im nächsten Schritt komme es darauf an, mit Innovationen in die Fläche zu gehen. "Am Ende muss die Digitalisierung aus den Fachbereichen getrieben werden", ist der Chief Information Officer überzeugt. Die IT agiere dabei als Unterstützer und stelle die Technologien, Plattformen sowie die Rahmenbedingungen für datenzentrierte Geschäftsprozesse in einer Gesamtarchitektur bereit.

Das Marktforschungs- und Beratungshaus Gartner hat in diesem Kontext den Begriff des "Citizen Developer" geprägt. So weit will Sturm nicht gehen. Allerdings nutzt auch ZF Friedrichshafen bereits Low-Code- und No-Code-Plattformen, mit denen Mitarbeiter ohne tiefe Programmierkenntnisse in den Abteilungen eigene Lösungen entwickeln können. ZF sei dabei, solche Systeme auszurollen. Last, but not least wolle man mit neuen Technologien auch Prozessverbesserungen erreichen. In vielen Bereichen setze das Unternehmen zudem auf Robotic Process Automation (RPA), um einfache Abläufe in der Verwaltung zu automatisieren.

Blockchain-Plattform für Fahrzeuge

Eine besondere Rolle für den Automotive-Spezialisten spielt das Thema Blockchain. Schon 2016 startete ZF im Rahmen eines Design-Thinking-Workshops zum autonomen Fahren ein erstes Projekt. Die Ausgangsfrage lautete: Was braucht ein autonomes Fahrzeug wie ein Roboter-Taxi, um mit der ihn umgebenden Infrastruktur interagieren zu können? Die Team-Mitglieder dachten etwa an Batterieladestationen, Parkplatzbuchungen oder die Abrechnung von Passagierfahrten.

Daraus entstand die "Car eWallet V2X Transaction Platform", ein Blockchain-basiertes Transaktionssystem, über das sich unterschiedlichste Dienste abwickeln lassen. Die Initiative entwickelte sich so erfolgreich, dass ZF sie 2018 als "Corporate Spin-off" ausgründete. An dem Start­up können sich auch externe Kapitalgeber beteiligen.

Transformation auf allen Ebenen

Die vielfältigen digitalen Initiativen werden auf lange Sicht das gesamte Unternehmen transformieren, erwartet der CIO. Der Vorstand treibe den Wandel aktiv voran. Und so wird ZF Friedrichshafen wohl auch in den kommenden Jahren mit einem Dual Mode-Betriebssystem unterwegs sein. Sturm: "Bestehendes verbessern, optimieren und automatisieren. Das ist auch künftig unabdingbar." Die entscheidende Frage aber laute für ihn: "Können wir einen Beitrag leisten für künftige Generationen?" Die Kunst bestehe darin, zugleich die notwendigen Freiräume für Neues zu schaffen und die Zukunft zu gestalten.