Wir wollten ganz ohne "Ruck-durch-D."-Geschwurbel ("Talsohle erreicht, es geht aufwärts") auskommen und sind jetzt nahe dran, unserem Wut-und-Mut-Affen Zucker zu geben. Mit der Titel-Anleihe bei Dieter B. unterstreichen wir unser Anliegen, Tacheles zu reden, um Diskussionen auszulösen. Das hat uns bei früheren Gelegenheiten ("Tu nix mit Unix" etc.) schon mal den Polemikvorwurf eingebracht.
Doch Polemik schließt nach unserem Verständnis Kritik und Zweifel ein, auch an den eigenen Ansichten, schärft die Aufmerksamkeit für potemkinsche Dörfer und Sackgassen. Kurz: Polemik - positiv: Kritik - bewahrt vor Hype und Hysterie.
Womit wir bei unserem Thema wären: Wie stellt sich heute die Lage der IT in Deutschland dar? Gefragt werden soll nicht nach dem Sein, nach vorgeblichen Fakten in Form von Zahlen und Ergebnissen, sondern nach dem Bewusstsein, welche Schlüsse daraus gezogen werden. Das ist gewiss nicht einfach, denn über das Standing der IT - was mehr bedeutet als den Stand der Technik, nämlich Akzeptanz, Wertschätzung, fast einen Lebensstil - sind von kaum jemandem ernst zu nehmende Aussagen zu bekommen.
Man muss sich wundern, wie viel krauses Zeug hierzulande über die viel beschworene Wissensgesellschaft im Allgemeinen und das Internet im Besonderen verbreitet wurde und immer noch wird. Es wäre aber naiv, die Bedeutung der veröffentlichten Meinung und der allgemeinen Stimmung für das Klima in der Branche zu leugnen.
Damit soll weniger Kritik an den Massenmedien geübt werden, die nur das tun, was das System Quote/Auflage von ihnen verlangt. Vielmehr richtet sich das Augenmerk auf die Kritik- und Lernfähigkeit von (Arbeitsmarkt-) Politikern, einschlägig tätigen Staatsbediensteten sowie von Top-Managern und Fachbereichsleitern.
Dazu folgendes Szenario: Die Zahl der Studienanfänger im Fach Informatik ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen; daran gibt es nichts zu drehen. Ginge es nach den Arbeitsmarktstatistikern, dürften keine Empfehlungen mehr zur Berufswahl Computerprofi ausgesprochen werden. In der Außensicht der Politiker müsste die Entwicklung dagegen geradezu dramatisch erscheinen.
Nichts von dem ist zu beobachten. Nicht wenige Personalberater arbeiten weiter nach dem gewohnten Muster. Sie verhalten sich so, dass sie, wenn etwas in die Hose geht - Beispiel: New-Economy-Blase und E-Commerce-Crash -, beklagen können, nicht rechtzeitig geweckt worden zu sein. Andererseits gibt es Top-Manager und Consulting-Gurus, die nie auf die New Economy fixiert gewesen sein wollen, wenn man sie heute danach fragt.
Oder nehmen wir das Hartz-Konzept, das den Wahlkampf beherrschte. Machten die Politiker in den Jahren 2000 und 2001 den vermeintlichen Mangel an IT-Experten zu einer gesellschaftspolitischen Klage, so wurden die Informatiker, nachdem die Greencard als Thema nicht mehr stach, wieder ins Abseits gestellt. Das kann nicht mit Wahltaktik entschuldigt werden. Das ist ein Skandal.
Dagegen wird in der Causa Haffa, wenn man es nach der Medienresonanz beurteilt, ein Kavaliersdelikt behandelt. Wen juckt schon, dass der Filmhändler EM-TV ins Börsenformat des Neuen Markts eigentlich gar nicht hineinpasste? Jetzt wird - Schluss mit lustig - mit dem Börsenbad das Hightech-Kind ausgeschüttet: Der Neue Markt verschwindet. Das könnte sich als Eigentor erweisen.
Doch genug gelästert über das Tamtam, das um die New Economy gemacht wurde und noch gemacht wird. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Dinge nicht mehr zugeordnet und unter einen Hut gebracht werden können. Das Internet wächst unaufhaltsam weiter - nicht so rasant, wie es sich die Marketiers der Internet-Industrie und sonstige Wishionäre gewünscht hätten, dafür aber nachhaltig. Die Digitalisierung der Medien ist unumkehrbar.
Die Beispielliste ließe sich beliebig fortführen. Und jeder, der will, kann sehen, dass echter Nutzen aus der Digitaltechnik ohne das Know-how der Spezialisten nicht zu haben ist. Das heißt: Die eigentliche Innovation findet in den Köpfen IT-kompetenter Menschen statt. Dass wir bereits (auf) genügend helle IT-Köpfe zählen können, davon kann hierzulande noch nicht die Rede sein.
Das nächste Szenario - dumm für Prognostiker - kennt nur die Zukunft, und das ist gut so. IT-Spezialisten sind ja nicht blöd. Ihre Chancen können sie sich nur selbst verbauen.
Zur Person: Dieter Eckbauer (64), geboren und aufgewachsen in Berlin, Studium der Betriebswirtschaftslehre, 1974 bis 1979 Redakteur Computerwoche, 1979 bis 1995 Chefredakteur Computerwoche, 1995 bis 1998 Herausgeber Computerwoche und Global Online, seit 1998 freiberuflicher IT-Publizist und Berater in München