INNOVATIONSSTANDORT DEUTSCHLAND

Nur Mittelmaß

28.01.2002 von Marita Vogel
Im Rennen mit den USA und Japan entwickeln sich die meisten europäischen Unternehmen nicht schnell genug. Laut Innovationsanzeiger der EU-Kommission liegt Deutschland europaweit nur im Mittelfeld.

DIE GUTE NACHRICHT VORWEG: Deutschland wird innovativer. Die schlechte betrifft alle – Politiker, Unternehmenschefs und Berufstätige: Viele andere europäische Länder sind in Sachen Innovationskraft stärker als die Bundesrepublik. Dieses ernüchternde Fazit zieht die EU-Kommission im Innovationsanzeiger 2000, der anhand von 18 Indikatoren die Entwicklungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten darstellt. Vier Bereiche durchleuchteten die EU-Politiker dabei: Human-Ressourcen, Schaffung von Wissen, Übertragung und Anwendung von neuem Wissen sowie Innovationsfinanzierung und -märkte.

Am besten schnitt die deutsche Wirtschaft im Bereich der Wissensentwicklung ab (siehe Kasten). Hier fällt vor allem die hohe Zahl von Hightech-Patenten auf, die beim Europäischen Patentamt in den Bereichen IT, Biotechnologie, Luft-und Raumfahrt sowie Pharmazeutika angemeldet wurden. In diesem Punkt belegt Deutschland – nach Finnland und Holland – den dritten Platz. Unter den vier größten Volkswirtschaften Europas sind die deutschen Vertreter damit am einfallsreichsten. Deutlich wird dies auch beim Deutschen Patentamt in München, dessen Zahlen meist im Folgejahr als Zweitanmeldungen beim Europäischen Patentamt einfließen. Knapp 65.000 Patentanmeldungen (5,8 Prozent mehr als1999) flatterten den Mitarbeitern im Jahr 2000 auf denTisch, 53.500 davon aus deutschen Firmen (plus 4,7 Prozent). „Ein Beleg dafür, dass sich das deutsche Patentwesen bei der heimischen Wirtschaft hoher Attraktivität erfreut “, heißt es im Bericht. Für 2001 rechnet das Patentamt mit einer Stagnation – „aber wir bleiben auf dem sehr hohen Level von 2000 “, sagt Patentamtspräsident Jürgen Schade. Die Kurseinbrüche am Neuen Markt hätten zwar die Zahl der Markenanmeldungen, nicht aber die der Patentanmeldungen reduziert.

Software-Patente nicht mitgerechnet

Doch nicht alle in Deutschland ansässigen Unternehmen gingen mit ihren Ideen nach München: „Wir haben unser Patent in den USA angemeldet, weil wir es gemeinsam mit unserem amerikanischen Partner entwickelt haben “, sagt Bodo Schnabel, Geschäftsführer von Comroad. Die Unterschleißheimer und Infomove aus Seattle zeichnen für eine Telematik-Software verantwortlich, mit der die Erfassung und Weiterleitung von Fahrzeugdaten vereinfacht wird. Dieses Software-Patent hätte Schnabel vermutlich ohnehin nicht in München anmelden können; diese Möglichkeit plant EU-Kommissar Frits Bolkestein erst für dieses Jahr.

Abgesehen vom ausgeprägten Erfindergeist hierzulande, zeigten sich Experten erstaunt über das mittelmäßige Abschneiden der Bundesrepublik: „Durch diesen Bericht wird sich das Bild des Industriestandorts Deutschland in Europa relativieren “, sagt Christoph Schlüter, Referent der Abteilung Technologie- und Innovationspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Wir müssen stärker über unsere Position in Europa, aber auch über unser Verhältnis zu den USA und Japan nachdenken.“

Japanische Firmen forschen doppelt so viel

Kein Wunder: Beide Nationen übertreffen im Bereich der „Privaten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung“ alle europäischen Länder. Die Aufwendungen der Japaner liegen 100, die der US-Amerikaner 74 Prozent über denen der deutschen Unternehmen (gemessen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Damit sich das ändert, fordert der BDI die Politiker zum Handeln auf: „Die Unternehmen brauchen dringend eine steuerliche Forschungsförderung, wie sie die anderen europäischen Länder auch gewähren“, verlangt Schlüter. Noch aber fehle selbst die generelle Bereitschaft, Innovationen zu fördern, klagt er.

Eine andere Forderung betrifft die Nivellierung der Hochschulgesetzgebung. Im Bereich der akademischen Bildung schneidet Deutschland auffallend schlecht ab. Bei den unter dreißigjährigen Uni-Absolventen in naturwissenschaftlichen und technologischen Fächern wird der Durchschnitt der EU-Länder unterschritten. „Die Hochschulen müssen endlich unabhängiger werden, damit sie flexibel auf die hohe Zahl der Interessenten reagieren können“, sagt Schlüter.

Noch schwächer stellt sich die Bereitschaft der bundesdeutschen Arbeitnehmer in Sachen lebenslanges Lernen dar: Lediglich 5 Prozent von ihnen hatten innerhalb der vier Wochen vor der Erhebung an einer allgemeinen Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen. Spitzenreiter sind die Schweden und die Briten (jeweils 21 Prozent);der europäische Durchschnitt liegt bei 8 Prozent.

Das EU-Fazit zur Innovationskraft des Landes ist klar: Deutschland sollte versuchen, einige der früheren Stärken im Bereich Innovation und Technologie-Entwicklung zurückzugewinnen – durch Investitionen sowie durch institutionelle und politische Veränderungen.