Gesundheitskosten senken

Online-Betreuung statt Krankenhaus

10.02.2010 von Hartmut  Wiehr
Eine Studie der Deutsche Bank Research bescheinigt dem europäischen Markt für Telemedizin bis zum Jahr 2020 ein Wachstum von etwa zehn Prozent - doppelt so hoch wie der Anstieg bei eHealth allgemein. Das Gesundheitswesen soll durch Telemedizin effizienter werden. Doch es gibt Widerstände.

Telemedizin wurde zum ersten Mal in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingesetzt. In Montreal übertrugen damals zwei Krankenhäuser über eine Distanz von sieben Kilometern Röntgenbilder per Kabel. Seit den 80er Jahren kam es dann zu einer Erprobung im größeren Stil, als Astronauten im Weltall oder Arbeiter auf Bohrinseln aus der Ferne medizinisch betreut wurden. Seitdem hat sich vor allem in den skandinavischen Ländern Telemedizin auf breiter Front durchgesetzt, weil die niedrige Bevölkerungs- und Arztdichte nach neuen Lösungen verlangte.

Für Uwe Perlitz, den Autor der Studie der Deutschen Bank (DB Research), hilft Telemedizin sparen, weil sich "Effizienzvorteile gegenüber traditionellen Behandlungsmethoden erzielen“ lassen. Durch die Diagnose und Therapie aus der Ferne könnten Arztbesuche oder Krankenhausaufenthalte entfallen und – so Perlitz – Medikamente schneller dem Krankheitsbild angepasst werden. Für die Patienten ergebe sich so bei bestimmten Krankheiten eine Verbesserung bei der medizinischen Versorgung, begleitet von mehr Bequemlichkeit.

Die gegenwärtigen Anwendungsbereiche von Telemedizin lassen sich nach den Interaktionen zwischen Ärzten (Doctor to Doctor, D2D) oder anderen medizinischen Leistungserbringern sowie zwischen Ärzten und Patienten (Doctor to Patient, D2P) unterscheiden.

D2D – Laut DB Research dient die Telekonsultation zwischen Ärzten der Einbeziehung medizinischen Sachverstands außerhalb der Klinik oder Praxis, vor allem bei der Auswertung von Bildern, die in elektronischer Form erhoben oder gespeichert worden sind. Dazu gehören bildgebende Systeme der Medizintechnik wie Röntgenaufnahmen, Computertomografie, Kernspintomografie, Nuklearmedizin und Ultraschall-Diagnostik sowie Bilder von pathologischen Schnitten oder Hauterkrankungen. Durch den Rückgriff auf das weltweite Wissen anderer werde die Zuverlässigkeit medizinischer Expertise erhöht.

Telemedizin soll Kosten im Gesundheitswesen senken

Die elektronisch gestützte Aus- und Fortbildung gewinnt in der Medizin ebenfalls an Bedeutung und kann die Telemedizin integrieren. Auch der reine Informationsaustausch unter Kollegen kann mit ihrer Hilfe auf ein neues Niveau gehoben werden.

D2P – Telemonitoring dient der Überwachung des Gesundheitszustands von Patienten aus der Ferne. Besonders tauglich sind solche Verfahren bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Herzinsuffizienz, bei denen kritische Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffgehalt des Blutes oder Atemfrequenz vor Ort gemessen und dann an Arztpraxis oder Klinik übermittelt werden. Die Telediagnostik kann sich auch auf bereits erhobene Daten wie Röntgenbilder oder EKG (Elektrokardiogramm) und Videoaufnahmen des Patienten stützen.

Viele Ärzte stehen solchen Maßnahmen allerdings noch kritisch gegenüber, da sie Wert auf direkte Eindrücke und das persönliche Gespräch legen. Auch Online-Sprechstunden konnten sich deshalb bisher kaum etablieren. Anders sieht es bei Operationsrobotern in der Chirurgie aus – sie ermöglichen den Einsatz von Spezialisten in Einzelfällen, und aufwändiger Transport der Erkrankten kann entfallen.

Die Studie betont besonders die Kostenreduktion als Vorteil der Telemedizin. Gerade in Deutschland könnte der relativ hohe Anteil der Gesundheitsleistungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesenkt werden: "Vor allem die Krankenkassen suchen aufgrund ihrer Beitragssatzentwicklung nach Möglichkeiten, eine Kostenreduktion zu realisieren. Deutschland besitzt ein sehr differenziertes und im internationalen Vergleich gutes, wenngleich teures Gesundheitswesen. Mittlerweise entfallen hier 10 Prozent des BIP auf Gesundheitsleistungen. Dies ist der vierthöchste Wert weltweit (nur übertroffen von den USA, der Schweiz und Frankreich), während in anderen großen EU-Ländern und in Japan dieser Anteil bei etwa 8 Prozent liegt.“

Nach einer Untersuchung der OECD, so die Studie der Deutschen Bank, könnte der Anteil der Gesundheitskosten am BIP in Europa von derzeit 10 auf bis zu 16 Prozent im Jahr 2020 steigen. Eine Möglichkeit, die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zu bremsen, sei die weitgehende Vernetzung zwischen den einzelnen Anbietern beziehungsweise ganzen Sektoren.

Kosten für Herzpatienten sollen um 20 Prozent sinken

So rechnet etwa der Mannheimer Telemedizintechnik-Anbieter Vitaphone damit, dass bei einem telemedizintechnisch betreuten Herzpatienten pro Jahr 1.200 Euro, etwa ein Fünftel der regulären Behandlungskosten, eingespart werden können, weil viele Arztbesuche und eine Reihe von Klinikaufenthalten entfallen.

Doch die Risiken und Umsetzungshürden für mehr Telemedizin sind laut DB Research hoch. Genannt wird in erster Linie die Fragmentierung des Marktes: "Zurzeit sind in Deutschland etwa 5.000 bis 6.000 Klein- und Mittelbetriebe tätig, die eine große Vielfalt an Produkten und Insellösungen anbieten. Amerikanische Studien belegen, dass die fehlende Kompatibilität der Systeme untereinander die Realisierung eines sehr großen Einsparpotenzials verhindert.“

Oft würden auch nur regional wirksame Leistungen angeboten, was den flächendeckenden Einsatz großer Projekte erschwere. Viele Arztpraxen seien darüber hinaus in ihrer IT-Infrastruktur nur unzureichend ausgerüstet und scheuten aus Kostengründen vor Investitionen zurück.

Die telemedizinischen Geräte selbst müssten bedienerfreundlich sein, was insbesondere bei älteren Patienten wichtig sei. Außerdem weist die Studie auf juristische Grenzen wie den Datenschutz hin. Über das Internet ausgetauschte medizinische Daten seien einem hohen Missbrauchsrisiko ausgesetzt.

Doch bietet gerade die aktuelle Situation viele Chancen – so DB Research –, da man insgesamt von einem zukünftigen starken Wachstum für Telemedizin ausgehen kann. Die Rahmenbedingungen würden sich alleine durch die Zunahme der Bevölkerung und der chronischen Erkrankungen ändern, und der steigende Betreuungs- und Pflegebedarf älterer Patienten sei als Motor für die Telemedizin zu sehen. Wenn sich spezialisierte Unternehmen der weiteren Markterschließung widmen, können sie laut Deutscher Bank „First-Mover-Vorteile“ nutzen.

Die 12-seitige Studie steht bei DB Research zum Download bereit: http://www.dbresearch.de