Dem Vernehmen nach sind Käufer und Verkäufer zufrieden: „Es scheint so, dass beide Seiten sowohl die Übernahme an sich als auch den Kaufpreis als vorteilhaft und angemessen einschätzen“, sagt David Mitchel, Research Director bei Gartner in London. Und besonders überraschend findet er das Interesse von Oracle an einem Cloud-Spezialisten auch nicht „Oracle hat schon ein sehr breites Produktportfolio und es macht für Oracle durchaus Sinn, sich mit der Akquisition von RightNow im Cloud-Bereich zu verstärken.“
Es geht um die Definition von Cloud Computing
Bisher schien es eher so, dass Oracle sich dem Trend zur Cloud nachhaltig verweigern würde. Vor nicht einmal zehn Monaten noch hatte Oracle-Frontmann Ellison Cloud Computing als „Absurdität“ und „Blödsinn“ bezeichnet. Allerdings sagte Ellison gleichzeitig, dass es sich bei Cloud Computing um nichts anderes handele, als um „Computer, die mit Netzwerken verbunden sind, um Betriebssysteme, Datenbanken, Speicher, Mikroprozessoren und das Internet.“ Schließlich betreibe auch Google seine IT-Infrastruktur „nicht mit Wasserdampf“, merkte der Oracle-CEO an.
Insofern lassen sich Ellisons abfällige Äußerungen nicht unbedingt als generelle Absage an das Prinzip von Cloud Computing lesen, sondern wohl eher als (Über)Reaktion auf den Cloud-Hype und die häufig völlig undifferenzierte Rezeption von Marktteilnehmern und -beobachtern. „Letztlich geht es auch um die Definition von Cloud Computing“, sagt Gartner-Analyst Mitchell. Dies mache der offen ausgetragene Streit zwischen Ellison und Salesforce-CEO Marc Benioff – ein ehemaliger Oracle-Manager – besonders deutlich.
Der Oracle-Chef hatte den als Sprecher geladenen Benioff auf der diesjährigen Oracle Open World in San Franzisko kurzer Hand wieder aus dem Programm gestrichen. Grund für Benioffs unverhofften Rauswurf, so vermuteten viele Marktbeobachter, seien dessen vorangegangenen Äußerungen über „falsche Clouds“ ("false cloud") anderer Herstellern – unter anderem eben Oracle.
Und Larry Ellison ist bekannt dafür, dass er jeden Fehdehandschuh bereitwillig aufgreift: Legendär, und noch vielen Marktbeobachtern in Erinnerung, sind seine Auseinandersetzungen mit dem ehemaligen SAP-Chef Hasso Plattner. Sie wurden nicht nur verbal ausgetragen, sondern auch mit millionenteuren Segelschiffen auf internationalen Regatten geführt. Wobei, will man Zeitzeugen glauben, auch Ellisons in Richtung Plattner entblößtes Hinterteil zum Einsatz gekommen sein soll.
"Falsches" und "richtiges" Cloud Computing
Soweit wird die Auseinandersetzung mit Benioff möglicherweise nicht gehen. Grundsätzlich stehen sich aber zwei verschiedene Auffassungen von Cloud Computing gegenüber: Salesforce hält das selbst genutzte Modell der Multi-Tenant-Infrastruktur für die einzig wahre Cloud-Architektur, während Oracles Cloud-Angebote auf einem Middle-Ware basierten Ansatz beruhen.
Zudem hat der Erfolg der Software-as-a-Service (SaaS)-Lösungen von Salesforce, befeuert durch den zunehmenden Trend zu Cloud Computing, zu einer Verschiebung der Anteile im weltweiten CRM-Markt geführt. Traditionelle Anbieter wie Oracle spüren diesen Druck zunehmend. Insofern rüstet sich Oracle mit der Übernahme von RightNow – ebenfalls ein Spezialist für CRM – genau in dem Bereich, wo Salesforce in den letzten Jahren erfolgreich war.
Auf der anderen Seite verfügt Oracle mit der E-Business Suite und Siebel schon über eigene CRM-Lösungen – allerdings als On-Premise-Software. Im „Magic Quadrant für Customer Service Contact Center“ führt Gartner RightNow ebenso wie Siebel, Salesforce und Microsoft Dynamics CRM als Marktführer im Leader-Quadrant auf. Insofern kann man den Kauf von RightNow als sinnvolle Erweiterung von Oracles Produktportfolio betrachten.
Dabei ist die Übernahme des CRM-Spezialisten nicht Oracles einziger Schritt Richtung Cloud Computing: So kündigte Ellison in San Franzisko die „Oracle Public Cloud“ an. Sie basiert auf Fusion-Apps, die auf der Standard-Datenbank und Java-Services aufsetzen. Die Applikationen ließen sich sowohl On-Premise, in der Oracle-Cloud oder bei jedem anderen Cloud-Anbieter betreiben, weil sie zu hundert Prozent auf Standards aufsetzten. „Nur eben nicht bei Salesforce, denn deren Cloud ist proprietär“, konnte sich Ellison eine Spitze gegen den Konkurrenten nicht verkneifen, „Vorsicht bei falschen Clouds“, gab er den gegen ihn erhobenen Vorwurf an Salesforce-CEO Benioff zurück.
Marktbeobachter hatten schon lange vermutet, dass die seit Jahren andauernde Entwicklung der in Java programmierten Fusion-Apps ihren Weg in die Cloud finden würden. Weiterhin kündigte Ellison mit dem Oracle Social Network ein ebenfalls Cloud-fähiges Kollaborationstool für Fusion Apps an. Nach Einschätzung des Gartner-Analysten Mitchell ein durchaus konsequenter Kurs: „Oracle hat ja nie zu den Early-Movern gehört. Die allmähliche Integration von Cloud-Produkten in das Programm-Portfolio passt ebenso wie der RightNow-Kauf in die langfristige Unternehmensstrategie.“
Oracle war nie ein "Early Mover"
RightNow, mit Hauptsitz in Bozeman, Montana, wurde 1997 gegründet. Das Unternehmen beschäftigt rund 800 Mitarbeiter und hat im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von 186 Millionen Dollar gemacht. Mit ziemlicher Sicherheit wird Oracle die Software von Rightnow in seine Public Cloud integrieren. Innerhalb welcher Fristen das geschieht, lässt sich kaum absehen. Die Akquisition jedenfalls soll Anfang 2012 abgeschlossen sein.
Die bisherigen RightNow-Kunden müssen sich wohl keine Sorgen machen, ob sie den bisherigen Service unverändert erhalten oder zu einem Wechsel in die Oracle-Cloud gezwungen werden: „Oracle hat bei seinen bisherigen Akquisitionen den Bestandskunden durchweg die vertraglich vereinbarten Leistungen weiter geliefert und niemanden zum Umstieg auf andere Oracle-Produkte gezwungen. Zum Teil hat Oracle sogar lebenslange Garantien für Support und Service gegeben. Das wird bei RightNow nicht anders sein“, vermutet Gartner-Mann Mitchell.
An einer Wende Oracles hin zu einer Cloud-Company glaubt er nicht: „Wer aus der Akquisition von RightNow und den anderen Cloud-Ankündigungen einen radikalen Kurswechsel von Oracle ablesen will, hat nicht verstanden, wie strategische Entwicklungen in einem großem, global agierenden Unternehmen stattfinden.“