EU-Dienstleistungsrichtlinie

Pizzabäcker sollen Pizza backen

06.11.2009 von Johannes Klostermeier
Fliesenleger und Pizzabäcker sollen ihrer Arbeit nachgehen und nicht mehr in Verwaltungen herum irren. Die neue EU-Dienstleistungsrichtlinie soll Bürger von Behördengängen entlasten. Professor Jörn von Lucke von Zeppelin University in Friedrichshafen über die derzeit fünf wichtigsten Themen im E-Government wie DE-Mail, elektronischer Personalausweis und das Portal der Zukunft.

Professor Jörn von Lucke hat seit Anfang des Jahres den Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin University in Friedrichshafen inne. Er ist Direktor des „Deutsche Telekom Institute for Connected Cities (TICC)“ und arbeitet zugleich für das Fraunhofer Institut FOKUS in Berlin (Institut für Offene Kommunikationssysteme).

CIO: Was sind derzeit die spannendsten Themen beim E-Government?

Professor Jörn von Lucke berichtet im Interview über die derzeit wichtigsten Themen im E-Government.

Prof. Jörn von Lucke: Mit Blick auf die technischen Möglichkeiten wie die Breitbandvernetzung und die Weiterentwicklung des Internet mit Web 2.0-Technologien und die zunehmende professionelle Aufstellung der Unternehmen und der Verwaltung sind dies wichtige Fragen: Wie sehen die Portale der Zukunft aus, und wie können wir der Verwaltung verwaltungsebenenübergreifend mit Informationstechnologien ein neues Gesicht geben? Dies führt uns zur Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, der damit verbundenen elektronischen Verfahrensabwicklung, zur Aufbereitung des Leistungsangebots der gesamten öffentlichen Verwaltung über das Internet und zur Einrichtung einheitlicher Ansprechpartner.

Thema Nummer Zwei ist das Bürgertelefon D115, seine strategische Konzeption, die Ausrollung in ganz Deutschland und die Einbettung in einen nachhaltigen Mehrkanalansatz. Drittes wichtiges Thema ist der Umgang mit elektronischen Identitäten, im kommenden Jahr vor allem durch die Einführung des elektronischen Personalausweises bestimmt, aber auch im Verwaltungsalltag, bei DE-Mail, bei Käufen und Verkäufen.

Viertes Thema ist die zunehmende Breitbandvernetzung in Städten und Regionen. Hier wird es für die Verwaltung neuartige Anwendungsfelder und Angebote geben, die früher als nicht umsetzbar galten. Thema Nummer Fünf ist sicherlich die Öffnung der Verwaltung im Sinne von Web 2.0 in Richtung Open Government 2.0. Als Themenfelder zu nennen sind hier Transparenz, Collaboration, Innovation und die Einbindung von Bürgern und Unternehmen.

Sind Sie an all diesen Themen beteiligt?

Ich würde sagen, dass ich an der Zeppelin University und gemeinsam mit meinen Kollegen beim Fraunhofer-Institut FOKUS an vielen dieser Themen bereits seit langem arbeite. So haben wir von Berlin aus das Thema EU-Dienstleistungsrichtlinie wissenschaftlich mit aufbereitet und eine ganze Reihe an Überlegungen und Architekturen erarbeitet. Viele dieser Ideen sind mittlerweile auch in anderen EU-Ländern aufgegriffen worden. Schließlich muss die EU-Dienstleistungsrichtlinie bis zum 28. Dezember 2009 in allen EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.

Wird dies auch in Deutschland klappen?

Die Umsetzung ist in Deutschland vor allem Sache der Länder. Insofern sind vor allem die 16 Länder gefordert, aber auch der Bund, alle 323 Landkreise und kreisfreien Städte sowie die über 12.000 Städte und Gemeinden und die Kammern. Die Idee ist echte Wirtschaftsförderung: Pizzabäcker sollen Pizza backen, Fliesenleger sollen Fliesen legen und nicht von Pontius zu Pilatus durch die Verwaltung laufen, um notwendige Verwaltungsgeschäfte zu erledigen.

Die Verwaltung stellt künftig für alle Dienstleistungserbringer aus anderen Unionsstaaten die erforderlichen Informationen und Fachverfahren elektronisch bereit. Zudem gibt es für alle Verwaltungsgeschäfte künftig einen einheitlichen Ansprechpartner und eine Genehmigungsfiktion, die automatisch nach Ablauf einer vorgegebenen Frist in Kraft tritt. Dahinter stecken viele spannende IT-Themen.

Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie erfolgt erst in den kommenden Jahren

Bis Dezember 2009 werden wir die erste Phase der Umsetzung abgeschlossen haben. Die eigentliche Umsetzung wird meiner Einschätzung nach aber erst in den kommenden Jahren erfolgen. Bedauerlich wäre es, wenn es zu einer Inländer-Diskriminierung kommen würde. Die Richtlinie schafft hier endlich einen Umsetzungsdruck. Es ist ein konkreter Umsetzungstermin vorgegeben, ab dem die Dienstleistungserbringer einen Rechtsanspruch auf einheitliche Ansprechpartner für ihre Verwaltungsgänge haben.

Wie ist Deutschland aufgestellt im Vergleich zu anderen Ländern?

Dazu gibt es verschiedene Studien, die sich an Kriterien orientieren, die als leicht vergleichbar gelten. Die Vergleichbarkeit von Staaten mit föderalen Strukturen und von Staaten mit zentralen Strukturen ist aber nicht immer gegeben. „Trau keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast", heißt es ja öfters. In der Tat gibt es, mit Blick auf durchgeführte Benchmarks, durchaus Optimierungs- und Verbesserungsbedarf. Mit der Einrichtung neuer, verwaltungsebenenübergreifend angelegten Institutionen wie etwa des IT-Planungsrates werden wir die aus der föderalen Struktur in Deutschland bedingten Nachteile aber ausgleichen können und aufholen.

Wird eine neue Generation von Mitarbeitern und Bürgern vieles verändern?

Der Eingang der Zeppelin University.

Ja. Die mit dem Internet groß gewordene Generation erwartet entsprechende Werkzeuge und Anwendungen auch in ihrem Beruf und bei der Verwaltung. Derzeit müssen wir uns die Frage stellen, ob wir in Deutschland willens sind, das vorhandene Potenzial in der Verwaltung für neue Produkte und Dienstleistungen umzusetzen, gerade wenn es in Richtung Web 2.0 und Open Government 2.0 gehen soll, also mehr Transparenz gefordert wird. Die Öffnung der Verwaltung nach außen wäre für die Verwaltung sicherlich auch ein erheblicher Kulturwandel.

Was müsste noch getan werden, was wünschen Sie sich?

Wir müssten mehr in Bildung, Ausbildung und Forschung im Bereich der Verwaltungsinformatik investieren. Wir haben von der Gesellschaft für Informatik dazu vor vier Jahren einen E-Government-Forschungsplan (PDF) vorgelegt. Wir brauchen dringend Lehrstühle und ausgebildete Menschen, die die IT-Systeme der Verwaltung bedienen und weiterentwickeln können, aber auch Führungskräfte, die IT strategisch weiterdenken und zum Nutzen von Bürger, Wirtschaft und Verwaltung entwickeln können. Seit 30 Jahren bilden wir hier in Deutschland viel zu wenige Nachwuchskräfte aus.

Wie funktioniert eine Telekom-Professur in der T-City an der Zeppelin University?

Friedrichshafen wurde im Rahmen des T-City-Wettbewerbs der Deutschen Telekom in einem einjährigen Bewerbungsprozess ausgewählt. Die Stadt wurde mit einem Breitbandnetz ausgestattet, um hier zusammen mit Bürgern, Unternehmen und Verwaltung innovative Projekte durchzuführen. Bis zu 30 Millionen Euro wurden damals in die Infrastruktur investiert. Für die weitere Umsetzung und für innovative Vorhaben stellt die Deutsche Telekom AG von 2007 bis 2012 von ihrer Seite bis zu 80 Millionen Euro an eigenen Personal- und Sachmitteln zur Verfügung.

Jeder ist nach Friedrichshafen eingeladen

Die Zeppelin University hat im Anschluss erfolgreich ein gestiftetes Institut der Telekom eingeworben. Das „Deutsche Telekom Institute for Connected Cities" wurde im September 2008 offiziell eingerichtet. Ich bin der Gründungsdirektor und gleichzeitig Lehrstuhlinhaber für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik. Zudem arbeite ich im T-City-Projekt als Projektfeldleiter der Stadt Friedrichshafen für den Bereich Lernen und Forschen mit. Im Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin leite ich zudem die Forschungsgruppe Hochleistungsportale für die öffentliche Verwaltung. Ich kann jeden nur einladen, einmal nach Friedrichshafen zu kommen, und sich hier in der Stadt und bei den Partnern umzusehen. Die Konzepte und Anwendungen, die hier entwickelt werden, sollen allen Städten und Gemeinden in Deutschland zu Verfügung stehen.