Den Energieversorgern in Deutschland ging es lange Zeit gut. Viel zu gut, sagen manche. Sie hätten nach der Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland zu wenig getan, um ihre Prozesse der Entwicklung anzupassen und effizienter zu werden. Alle wussten, dass das nicht immer so weitergehen konnte.
Der Handlungsdruck steigt
Bei dem Frankfurter Energieversorger Mainova wurde der Handlungsdruck zum Jahreswechsel 2011/2012 zu groß - wegen der Risiken und der Kosten. Außerdem gab es mittlerweile eine hohe Dynamik in der gesamten Energiewirtschaft. Nach einer eingehenden Analyse beschloss der Mainova-Vorstand 2013 die Neuausrichtung der IT. Sie sollte, so der Plan, in drei Jahren umfassend restrukturiert und neu aufgestellt werden: Bis Ende 2016 sollten so rund 6,7 Millionen Euro an zusätzlichem Ergebnis erreicht werden.
Philipp Lübcke kam im vierten Quartal 2012 ins Spiel. Anfang 2013 wurde er neuer IT-Bereichsleiter der Mainova. Acht Jahre lang hatte er zuvor als CIO bei den Bremer Stadtwerken gearbeitet, Erfahrungen in Sachen Kosteneffizienz, Prozessoptimierung und Outsourcing gesammelt. "Es gab zahlreiche Herausforderungen, die etwa den Neuaufbau der IT-Governance und geregelte Demand- und Supply-Prozesse notwendig machten", berichtet Lübcke. "Es war allen bewusst, dass wir uns neu aufstellen mussten."
So entwickelten der neue IT-Leiter und sein Team schnell ein umfassendes Maßnahmenprogramm, das vor allem auf Synergien und Einsparmöglichkeiten setzte. "Mein Fokus lag dabei von Beginn an nicht auf Outsourcing, aber natürlich auf Standardisierung, - auch um anschlussfähig für Kooperationen zu werden", sagt Lübcke. Es ging insbesondere darum, die Geschäftsprozesse und damit die eigenen IT-Kosten zu optimieren.
Alles nur Schätzungen
Matthias Seidl, Geschäftsführer der Lexta Consultants Group und als einer von mehreren Beratern dabei, erinnert sich an den Start: "Als wir das erste Mal beisammensaßen und wissen wollten, wie hoch die IT-Kosten sind, da lagen die Schätzungen teilweise weit auseinander".
Die offenen Fragen, die Lübcke angehen musste, waren zahlreich. Sie lauteten:
• Wie kommen die Anforderungen zur IT?
• Wie werden sie quantifiziert und bewertet?
• Wer kümmert sich darum?
• Wie gehen sie ins Auftragsmanagement über?
• Wie wird die Programmplanung entwickelt?
• Wer ist der Ansprechpartner im Business?
• Wie werden der Output bzw. die IT-Services definiert?
IT-Governance fehlte
Der Hauptgrund für die Situation bei seinem Amtsantritt war laut Lübcke ein Missverständnis: "Die IT verstand sich zu 100 Prozent als Dienstleister der Fachbereiche. Sie hatte keine Möglichkeit bekommen, ihre Governance auszuprägen." Um die Handlungsunfähigkeit für die IT wiederzuerlangen, musste sie sich diesem Bereich komplett neu aufstellen. Die Entscheidungskompetenzen und die Aufgabenabgrenzung zwischen den Fachbereichen und der IT mussten klar geregelt werden.
Letztlich war das Ziel des IT-Leiters und des Vorstandes, dafür zu sorgen, dass sich die Verhältnisse umkehren und die IT ihren Steuerungsauftrag in der Mainova bekommt und - durch die Dynamisierung aufgrund der starken Regulierung - eine Treiberfunktion bekommt.
Zunächst aber wollten die Verantwortlichen die Kosten transparenter machen, um auf dieser Basis ein Kosten- und SLA-Reporting erstellen zu können. Nur einmal im Jahr gab es damals für den Jahresabschluss ein Audit. Lübcke: "Die kaufmännischen Prozesse haben wir dann soweit etabliert, dass wir seitdem monatlich ein aussagekräftiges Reporting erstellen."
Eine weitere Herausforderung war die Vielzahl an Programmen und Anwendungen. Für einzelne Anwendungsfälle gab es bis zu fünf verschiedene Systeme. Lübcke: "Es gab damals keinen Software-Katalog, sondern nur eine historisch gewachsene Anzahl von Softwareprodukten mit teilweise großen Redundanzen in vielen verschiedenen Versionen. Es gab einen Wildwuchs an heterogenen Systemen und redundanten Datenbanken, dadurch eine extreme Komplexität und damit einhergehend viele Probleme."
"IT-Agenda 2015" zur Restrukturierung
Im Januar 2013 war die Analyse abgeschlossen. Zunächst musste bis Februar der Vorstand informiert und von den geplanten Maßnahmen überzeugt werden. Im Mai 2013 stand die "IT-Agenda 2015" zur Restrukturierung - dann konnte die Sanierung beginnen.
Lübckes Leute legten los - zusammen mit einer Gruppe von Führungskräften und einigen externen Partnern: Lexta für IT-Benchmarking, die Kostenanalyse und das IT-Service-Modell, PWC für die IT-Strategie, Bechtle für Client-Services und T-Systems für Netzwerk/TK. Sechs Projekte starteten parallel: Reorganisation, IT-Strategie, AM/PM/MPM (Anforderungs-, Projekt-, Multiprojektmanagement), Client 500 sowie "IT-Kosten EINS" und Drittmarkt. Das IT-Managementteam erwies sich als "sehr kompetent, gut vernetzt und extrem zielorientiert", lobt der IT-Chef zurückblickend.
Die Ziele der neuen IT-Strategie, die in nur drei Monaten entwickelt wurde, waren das Fundament für die Neuordnung.
Im Einzelnen ging es um:
• eine umfassende Konsolidierung
• eine Standardisierung auf wenige Plattformen wie SAP
• die massive Reduktion der Softwareprodukte
• eine deutliche Erhöhung der IT-Sicherheit
• nachhaltige Kostensenkung
• sowie die Professionalisierung der IT-Prozesse und die Schaffung von IT-Innovation.
"Die Themen alleine sind wahrscheinlich nicht berichtenswert, aber parallel und in Summe sowie in dieser Geschwindigkeit schon", sagt Lübcke.
IT-Board als Kernelement der Neuausrichtung
Die Mainova bildete neue Entscheidungsgremien, die, in Kombination mit der strategischen Ausrichtung, dazu beitragen sollten, dass die IT ihre Projekte und Aufgaben auch in Zukunft mit der richtigen Priorität angeht. Als kurzfristige Reaktion führte der Vorstand ein IT-Board als Kernelement der IT-Neuausrichtung ein.
Inzwischen, Ende 2015, ist ein Großteil der Baustellen beseitigt. Es gibt überarbeitete und neue Best-Practice-Prozesse, angelehnt an das Regelwerk ITIL, die helfen sollen, die Qualität zu steigern und die gleichzeitig in der IT für Transparenz sorgen. Dazu kommt ein Zonenmodell für das Prozess- und Büronetz, das der IT-Sicherheit dient. Vom Drittmarkt außerhalb des Konzerns hat sich die Mainova AG zurückgezogen.
Von rund 3000 Softwarepaketen auf nur noch 565
Der Software-Dschungel wurde vom IT-Managementteam in einem zweijährigen Prozess mithilfe eines Software-Katalogs gelichtet. Die rund 3000 Softwareprodukte auf den Clients reduzierten sich dabei zunächst durch die Bereinigung der Versionen auf rund 1300. Danach wurden die redundanten Programme beseitigt und zukünftige Zielanwendungen festgelegt. Mit Stand heute sind es nur noch 565.
Pro Anwendungsfall gibt es jetzt nur noch eine Software für alle -und für jede Software nur noch einen Verantwortlichen. Denn Lübcke vermutet ansonsten wohl zu Recht: "Wenn sich keiner findet, dann gibt es wohl auch keinen Bedarf." Einmal in der Woche trifft sich ein Gremium und entscheidet über jede Veränderung.
Vor allem auf Produkte von Microsoft- und SAP
Mainova setzt vor allem auf Produkte von Microsoft- und SAP. Es gibt heute eine hundertprozentige zentrale Software-Verteilung und -Verwaltung. "Die Wartungskosten sanken, bereinigt um Neuinvestitionen, erheblich", sagt Lübcke. Das Projekt AM/PM/MPM bedeutet im Ergebnis: Es gibt nur noch zwei Eingangskanäle: Clarity für das Anwendungsmanagement und Helpline für Störungsmeldungen und Serviceanfragen. Lübcke: "Wir lehnen jetzt auch mal Anforderungen ab, wenn sie außerhalb der IT-Strategie liegen." Früher war das undenkbar.
Im Frühjahr 2014 war das neue IT-Servicemodell fertig. Fast alle primären Services wurden einem Benchmarking unterzogen. Ergebnis: "Wir bewegen uns in einem akzeptablen Mittelfeld und können uns vielfach noch steigern", sagt Lübcke. Die primären IT-Services haben sich von 47 auf 94 verdoppelt, so will man dem Kundenwunsch nach Differenzierung gerecht werden.
Vier der sechs Projekte der IT-Agenda 2015 umgesetzt
Vier der sechs Projekte der "IT-Agenda 2015" von 2013 sind inzwischen vollständig umgesetzt. Laut Lübcke waren folgende Faktoren dabei für den Erfolg verantwortlich:
• als absolute Voraussetzung: Unterstützung durch den Vorstand
• Aufbau eines kompetenten Kernteams aus der IT und von Beratern
• Geschwindigkeit bei Entscheidungen und Offenheit in der Kommunikation
• konsequente Positionen und klare Regeln für die IT-Governance
• maximal zwei Jahre Zeit.
Im Rahmen des "Projekts EINS" haben Vorstand und IT der Mainova AG ihr Ziel der IT-Kostensenkung und -Ergebnisoptimierung zu 80 Prozent erreicht, so Lübcke. Die noch anstehenden großen Konsolidierungsprojekte im Backend sollen bis 2017 abgeschlossen sein.
Cloud-Strategie fehlt noch
"Was jetzt etwa noch fehlt, ist eine Cloud-Strategie", sagt Lübcke. Auch die Umsetzung der IT-Strategie dauere noch an. Im Ergebnis ist er aber sehr zufrieden mit den Veränderungen: "Die IT hat sich im gesamten Mainova-Verbund als zuverlässiger Partner und auch als Treiber von Innovation etabliert. Die IT hat vielfach genauso viel Prozesskompetenz wie ein Fachbereich, deswegen ist das letztlich eine Begegnung auf Augenhöhe und keine Einbahnstraße", stellt er fest.
Bis 2016 entwickelt das Managementteam nun für die Zeit ab 2018 seine neue "IT-Strategie 2.0", bei der es vor allem um die weitere Digitalisierung und die Mobilisierung von Geschäftsprozessen bei Mainova geht.
Mainova AG | | IT-Agenda 2015 (Restrukturierung der IT) |
Branche | Energieversorgung |
Zeitrahmen | Mai 2013 - Mai 2015 |
Mitarbeiter | mehr als 100 Mitarbeiter waren direkt beteiligt |
Aufwand | 8 Millionen Euro, 10.000 Tage (in- und extern) |
Zur Restrukturierung der IT wurden sechs Teilprojekte definiert: 1. Entwicklung einer IT-Strategie mit IT-Governance-Modell und mehrjähriger Maßnahmenplanung | |
2. Reorganisation der IT und kompletter Neuausrichtung gemäß Wertschöpfungs-stufen Plan/Build/Run/Control | |
3. Konzeption/Einführung einheitlicher Softwarekatalog und Einführung neuer Clients mit 400 Softwareprodukten (plus embedded IT in Summe 565) sowie Umsetzung eines IT-Sicherheits-orientierten Zonenmodells für Office- und Prozess-LAN | |
4. Einführung Anforderungs-, Projektmanagement und Portfolio-management in einem einheitlichen Projektvorgehensmodell auf Basis von Clarity | |
5. Schaffung von IT-Kostentransparenz, Identifikation von Potenzialen zur Ergebnisverbesserung. Potenzial 7 Mio. Euro (davon 80 Prozent ausgeschöpft) | |
6. Bereinigung des Drittmarktes (heißt: IT-Kunden außerhalb des Stadtwerke-Konzerns) zur Fokussierung auf den Erst- und Zweitmarkt im Verbund | |
Dienstleister | Lexta (IT-Benchmarking, Kostenanalyse, IT-Service-Modell) PwC (IT-Strategie) Contec-X (AM/PM/MPM (Anforderungs-, Projekt-, Multiprojektmanagement) Bechtle (Client-Services) T-Systems (Netzwerk/TK) |
Einsatzort | Deutschland |
Internet |
Auch die Entwicklung einer individuellen Cloud-Strategie ist für Lübcke eine wichtige Zukunftsaufgabe. Er ahnt schon heute: "Es wird wieder eine Wanderung zwischen strategischen Anforderungen und operativer Durchdringung". Aber, zum Glück: "Ich finde das aber extrem befruchtend", findet Lübcke.
Unternehmen | Mainova AG |
Hauptsitz | Frankfurt am Main |
Umsatz | 2 Milliarden Euro (2014) |
Mitarbeiter | 2768 |
IT-Kennzahlen | |
CIO | Philipp Lübcke |
IT-Mitarbeiter | 195 |
IT-Anwender | 3400 |
IT-Budget | 40 Millionen Euro |
Strategische Ausrichtung | ||
zentral | _ x _ _ _ | dezentral |
standardisiert | _ x _ _ _ | Best of Breed |
viel Outsourcing | _ _ _ x _ | wenig Outsourcing |
Lessons learned |
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