Harald Lemke ist gekommen, um das Fahndungssystem Inpol-neu zu retten. Der neue IT-Direktor des BKA hört das allerdings nicht gern. "Ich bin höchstens Katalysator, aber kein Retter", sagt der 46-Jährige.
Anfang März hat Lemke sein großes Büro in der verwinkelten 70er-Jahre-BKA-Stadt am grünen Rand von Wiesbaden bezogen. Eingeführt wurde Inpol als zentrales Informationssystem der Polizei am 13. November 1972 durch den legendären Rasterfahnder Horst Herold. Ein völlig neues Inpol sollte bereits im vergangenen Jahr das altersschwache Fahndungssystem ablösen. Doch die drei bekannten Ps begleiteten das IT-Projekt: Pleiten, Pech und Pannen. In der Folge mussten die IT-Mitarbeiter Hohn und Spott über sich ergehen lassen. Vom "Datensalat beim BKA" und von "Schilys Millionenflop" schrieb der Spiegel. "Eine Schulung, die bereits begonnen hatte, wurde schon nach einem Tag abgebrochen, da überhaupt nichts funktionierte", hieß es weiter. 57,5 Millionen Euro hat die Entwicklung verschlungen - und doch ist das Ganze grandios gescheitert.
Mit Inpol-neu will die Polizei erstmals Fälle mit den damit zusammenhängenden Personen und Dingen verknüpfen. "Sie bekommen das Beziehungsgeflecht, das früher an die Wand gemalt wurde, direkt vom System geliefert. Das ist ein wesentlicher Schritt hin zu einem fallorientierten Informationssystem", sagt Lemke, der Inpol-neu auf die Beine helfen soll.
In Lemkes Büro sind die Jalousien an diesem Tag heruntergelassen - nicht, weil sich der IT-Direktor von den Mitarbeitern abschirmen will, sondern damit die Sonne ihn nicht blendet. Mit denjenigen, die beim BKA die Oppositionsrolle übernommen haben, hat Lemke offiziell kein Problem. "Wenn Sie ein Projekt, das seit zehn Jahren läuft, neu ausrichten, ist klar, dass der eine oder andere nicht einverstanden ist." Klar ist aber auch, dass nur einer die Richtung vorgibt - und das ist Lemke.
"Ursächliche Schwierigkeiten zu erkennen, der Mut zur Entscheidung und die Kraft, diese dann auch durchzusetzen", das sind für den BKA-Mann die entscheidenden Eigenschaften, um in seinem neu geschaffenen Amt zu bestehen. Mitarbeiter hätten auch ein Recht auf Führung, betont er. Doch er will durch Argumente überzeugen. Akzeptanz ist ihm wichtig. "Einfach zu sagen, ihr seid die Deppen, und jetzt kommt die neue Lichtgestalt - so etwas funktioniert nicht." Lemke ist - direkt. Denn bei den heutigen kurzen Innovationszyklen sei nur begrenzt Zeit für langwierige Abstimmungsprozesse.
Diejenigen, die sagen, "ich würde es anders machen", werden Lemke nicht vom Weg abbringen. "Tough" sei er, so sein Kollege im Bundesinnenministerium, IT-Direktor Martin Schallbruch. In Hamburg habe der "Mann, der die Dinge richtig anpackt", seine eigene Fan-Gemeinde gehabt. Einen langen Atem, Stressresistenz, eine gewisse Ruhe und Frustrationstoleranz brauche einer wie er in diesem Amt, sagt er selbst.
Troubled Projects sind seine Spezialität
Ein komplett neues Team aus Mitarbeitern der Telekom-Tochter T-Systems und des Datenbankspezialisten Oracle arbeitet in der hessischen Landeshauptstadt mit Mitarbeitern des BKA an einer Neuauflage des Fahndungssystems. Lemke kann von der abgespeckten Version nur schwärmen: "Das Schöne an Inpol, wenn es funktioniert: Es gibt eine einfach zu bedienende Web-Oberfläche. Niemand muss mehr kryptische Befehlszeilen eingeben. Sie surfen durch unsere Großrechnerbestände so einfach wie durchs Internet." Name und Geburtsdatum eingeben, und schon erfahre der Beamte alles, was über eine bestimmte Person gespeichert ist.
Computer statt Schreibmaschinen
"Das ist keine Petitesse", betont Lemke: Die Altsysteme würden von jüngeren Kollegen kaum noch akzeptiert, geschweige denn beherrscht. In Hamburg und Hessen hingegen sei bei der Einführung eines ähnlichen Systems die Nutzung um den Faktor vier gestiegen. "Der Wert einer Information steht und fällt mit dem Nutzungsgrad; auch der Aggregationsgrad der Daten steigt", so der IT-Direktor. Sein Beispiel: In Hamburg mussten die Beamten mit Inpol, dem Landes-, Schengen-, und Einwohnersystem vier verschiedene Systeme abfragen. "Das bekommen Sie heute - je nach Berechtigung - alles mit einer Auskunft zurück."
Woran die Inpol-Vordenker gescheitert sind und was Lemke, wenn überhaupt, erst später realisieren will, ist die Zusammenfassung bisher getrennt gehaltener Daten in einer Datenbank. "Die Komplexität des Ansatzes geht an die Grenzen dessen, was mit der verfügbaren Technologie machbar ist", heißt es im KPMG-Gutachten vom Oktober 2001. Kurz gesagt: ein größenwahnsinniges Projekt.
Ein weiteres großes Hindernis, den fatalen "Geleitzug der Länder", hat Lemke aufgelöst. "Wir holen die Länder dort ab, wo sie heute sind." Bisher galt bei der Einführung von Inpol das Dogma, dass alle Länder zur selben Zeit ihre IT-Systeme hätten umstellen müssen.
Das Schlüsselwort lautet Integration. "Wir haben mit einer Vielfalt verschiedener Systeme zu tun, die man einbinden muss", sagt Lemke. In manchen Landstrichen werde noch mit Schreibmaschinen gearbeitet. Jetzt soll das neue System an der Schnittstelle zu Altsystemen abwärtskompatibel sein. In der Praxis heißt das: Länder, die die Umstellung nicht rechtzeitig schaffen, können ihre Anwendungen zunächst weiter nutzen. Neuer Termin für Inpol-neu ist jetzt der August kommenden Jahres.
Die Kosten, die Inpol-Kritiker stets lautstark monieren, rechnet Lemke kurzerhand klein: Die rund 110 Millionen Euro Investitionen des Bundes legt er auf 270000 Nutzer und zehn Jahre um. "Jede einzelne Auskunft über eine Person - liegt etwas vor, ist eine Festnahme notwendig, müssen wir uns selbst schützen? - kostet demnach nur 1,7 Cent. Das ist weiß Gott kein unbilliger Betrag." Sagt Lemke.
Zur Person: Harald Lemke (46), Lemke hat in Hamburg technische Informatik studiert und in einer Beratungsfirma gearbeitet. Er kam über Digital Equipment zu Nixdorf und IBM und wechselte anschließend in den öffentlich-rechtlichen Bereich.
Seine nächsten Stationen: Leiter EDV eines Krankenhausbetriebs, Rechenzentrumsleiter der Freien und Hansestadt Hamburg und IuK-Leiter der Polizei Hamburg, Architekt bei der hessischen Polizei.
Lemke berichtet an den BKA-Präsidenten Ulrich Kersten. Vorher war der IT-Bereich beim Leiter Haushalt, Organisation, Personal und Logistik und IT angesiedelt. Der IT-Direktor hat 400 Mitarbeiter unter sich; hinzu kommen 100 in Bereichen, die mit IT zu tun haben, sowie 100 externe Kräfte. Er verfügt über ein Budget von 61 Millionen Euro pro Jahr.