Die IT-Schwergewichte Apple und Google treten immer häufiger auch auf Veranstaltungen in den Vordergrund, wo man sie gar nicht so recht vermutet - und ohne, dass ein Sprecher oder wenigstens ein Vertreter der Unternehmen vor Ort ist. So auch bei der Telematics-Update-Veranstaltung "Content and Apps for Automotive Europe 2014", die vergangene Woche in München stattfand.
Der Grund: Beide Player hatten im vergangenen Monat Lösungen vorgestellt, mit deren Hilfe die Anwender ihre Smartphones-Apps auch auf den In-Car-Infotainment-Systemen ihrer Fahrzeuge nutzen können. Dabei ist es nicht allzu abwegig, dass Apple und Google "CarPlay" beziehungsweise "Projected Mode" (Microsofts Windows for Cars wurde erst frisch vorgestellt) als Werkzeug einsetzen könnten, um eine Führungsrolle beim Thema Connected Car einzunehmen.
Auch bei den Vorträgen und Diskussionen war diese Vorstellung allgegenwärtig. Holger Weiss, CEO vom Internet-Radio-Portal Aupeo, stellte Apple und Google zusammen mit Microsoft, Amazon und Facebook auf einem Slide in seiner Präsentation als trojanisches Pferd dar, das bereit ist, in die Walled Gardens einzudringen, die die der Autohersteller um ihre noch jungen und typischerweise sehr teuren Connected-Car-Ökosysteme errichtet haben.
Eine entsprechende Warnung schickte Weiss gleich hinterher: Die Fahrzeughersteller kontrollierten zwar Themen wie Location, Sicherheit, Telematik, Nutzerdaten oder Infotainment. Sie könnten aber nicht das Ökosystem rund um diese Themen kontrollieren, da der Nutzer dies als Einschränkung seines Lebensstils empfinden würde. Um den Wünschen der Autokäufer zu entsprechen, müssten die Hersteller die richtige Umgebung schaffen und Drittanbietern die technischen Möglichkeiten bieten, fast uneingeschränkt zuzuarbeiten.
Jörg Lützner, Head Portfolio & Innovation Management beim Automobilzulieferer Continental AG, vertrat in einem Panel zum Thema "Apps und Big Data" eine ähnliche Ansicht. Sicher sehe er Apple und Google als Bedrohung, holte er aus, aber: "Können wir sie bekämpfen?" Er habe da seine Zweifel, erklärte Lützner. Weil es unmöglich sei, gegen sie zu arbeiten, stelle er sich die Frage, wie man mit ihnen zusammenarbeiten könne.
CarPlay und Projected Mode: Nur zwei Optionen unter vielen
Derzeit ist es sicher noch zu früh für Spekulationen, wie das Rennen um die Vorherrschaft im Bereich Connected Cars ausgeht. Aktuell sind CarPlay und Projected Mode nur zwei von vielen Lösungen, die Autohersteller einsetzen können und - wie mehrere Sprecher während der Veranstaltung betonen - alles andere als perfekt.
Peter Virk, Head of Connected Technologies and Apps bei Jaguar Land Rover, etwa sieht bei Carplay und Projected Mode gleich zwei große Probleme: Zum einen böten sie Nutzern von Android oder iOS keinen einheitlichen Look and Feel, gleichzeitig habe der Hersteller keinerlei Kontrolle über die genutzten Apps und Inhalte. Als Alternative nutzt Jaguar Land Rover InControl Apps, eine Android- und iOS-kompatible Smartphone-Integrationsplattform, die native Apps, Anwendungen von Drittanbietern sowie den Sprachassistenten Winston einschließt.
InControl repliziert im Großen und Ganzen die Inhalte vom Smartphone in passender Form auf dem 8-Zoll-Display, greift aber auch Informationen vom Fahrzeug ab, etwa vom GPS oder dem Tag/Nacht-Sensor. Da InControl auf der White-Label-Lösung MySpin von Bosch SoftTec basiert, haben Entwickler einen größeren Anreiz, passende Apps zu entwickeln. Gleichzeitig behält der Fahrzeughersteller aber über ein Whitelisting-Prinzip die Kontrolle über die Inhalte im Auto.
Auch wenn die Informationen zu Apple CarPlay und insbesondere Googles Projected Mode noch nicht sehr umfangreich sind, war man sich auf der TU-Veranstaltung darin einig, dass man von einer Zusammenarbeit mit den IT-Riesen deutlich profitieren könnte. Apple und Google besäßen nicht nur eine enorme Kundenbasis bei Smartphones sowie eine wertvolle Marke, führte Mark Pendergrast, Produktmanager bei Inrix, als Vorteile auf. "Sie können Kunden zum Händler bringen und dabei helfen, ein Auto zu verkaufen". Hinzu komme, dass sie beide eine schlüsselfertige Lösung lieferten und damit die auf Seiten der Hersteller nötigen Investitionen senken. Außerdem gebe es noch zahlreiche andere Vorteile einer bereits bestehenden Plattform.
Hersteller fürchten Kontrollverlust
Pendergrast hielt aber auch mit den Nachteilen und Risiken nicht hinterm Berg: Wenn Apple kontrolliert, welche Apps in CarPlay dürfen und Umsatzbeteiligung für sich fordere, könne man als Hersteller nur begrenzt von der Plattform profitieren. Außerdem laufe man Gefahr, nicht nur die Kontrolle über das Produkt, sondern letztendlich auch den Kunden an die Ökosysteme von Apple und Google zu verlieren. Daneben bestehe noch die Gefahr unvorhergesehener Kosten und die Unsicherheit über die Haftung, wenn etwas schief geht. Hinzu komme, dass ein oder zwei Zulieferer alleine nicht sämtliche Anforderungen im Markt abdecken könnten.
Um aber gegen Apple und Google bestehen zu können, müsse sich die Connected-Car-Industrie ändern, betonte Pendergrast. Sie müsse in agile Produktentwicklung und häufige Update-Zyklen investieren, sich mehr um den Kunden kümmern und Big Data nutzen. Außerdem sei es notwendig, dass man sich mehr um das Kundenerlebnis konzentriert, etwa in Form zusätzlicher Tests oder indem man Feedback mehr Beachtung schenkt und Produkt sowie Prozessen stetig anpasst. Letztendlich sei es außerdem notwendig, mehr als Industrie zusammenzuarbeiten, um den gewünschten Netzwerkeffekt zu erhalten.
Der lebende Beweis, dass solch ein Wandel möglich ist, erklärte der Inrix-Manager, sei Tesla Motors. Die Company habe modulare Update-Zyklen und sei in der Lage, auftretende Probleme via Software-Update zu adressieren. Außerdem schaffe es Tesla, Produkte ähnlich schnell wie Google oder Facebook zu entwickeln. Vom Konzept bis zur Marktreife vergingen bei den Kaliforniern gerade einmal zwei bis drei Jahre, während viele Herstellern noch in ihren sieben-bis achtjährigen Zyklen steckten. Pendergrast hob außerdem Teslas extremen Fokus auf Daten und Software hervor. Seinem Wissen nach drehten sich 50 Prozent der Technik um Software.
Wichtige Aufgabe: Finger vom Smartphone
Roger Lanctot, Spezialist für den Automotive-Bereich bei Strategy Analytics, stimmte Pendergrast zu. Er sei zwar nicht unbedingt ein großer Fan von Apples CarPlay, dennoch gebe es eine Reihe von positiven Aspekten, wie die Verwendung von natürlicher Spracherkennung, die Integration von Smartphone-Apps über das Smartphone und eine gesteigerte Achtung auf die Verbindungen zwischen Smartphone und Auto. "Wir wollen, dass die Nutzer ihr Telefon mit dem Auto verbinden, weil es damit praktisch gesehen gesperrt ist", erklärte er. "Wir wollen nicht, dass die Leute ihr Telefon beim Fahren berühren oder ansehen. "
Lanctot führte natürlich auch eine Reihe von negativen Aspekten von CarPlay an, etwa den Verlust der Kontrolle über das Ökosystem der Kunden. Eine andere Frage sei, wie man bei einer weltweiten Plattform regional geltende Vorschriften wie die U.S. DOT Drive Distraction Guidelines umsetzen könne. Mit Google ging der Analyst noch härter ins Gericht, speziell zum Thema Fahrsicherheit: "Ich glaube nicht an Googles Engagement für irgendetwas, was uns in der Automotive-Industrie wirklich wichtig ist und am Herzen liegt." Die Top-Manager der Autohersteller seien von den glänzenden Apple- und Google-Produkten geblendet, so Lanctot. Er gehe jedoch davon aus, dass sie wieder zur Besinnung kommen, wenn sie erkennen, welche fundamentalen Probleme es in punkto Sicherheit gebe.
In diesem Punkt stimmte auch Continental-Mann Lützner zu: Wir können lernen, wie es Google schafft, so extrem schnell neue Dinge zu entwickeln, erklärte er. Apple und Google wiederum könnten sich in punkto Sicherheitsaspekten etwas von uns abschauen. Denn: "Wenn eine Smartphone-App abstürzt, stirbt niemand. In unserem Fall liegt die Sache etwas anders."