Salesforce, Oracle und IBM investieren

SAP spürt dem gläsernen Kunden nach

20.06.2013 von Christoph Lixenfeld
Das individualisierte Marketing über alle Kanäle hinweg ist das Next Big Thing in der Kundenkommunikation. Wie groß die Hoffnungen der Anbieter sind, belegen aktuelle Mega-Übernahmen.

SAP aus Walldorf und Salesforce.com, ein CRM-Anbieter aus San Francisco, haben in diesen Tagen für enorme Summen Unternehmen gekauft, deren Produkte für 99 Prozent der Bevölkerung gleichermaßen unbekannt wie unverständlich sein dürften. Nichtsdestotrotz erhoffen sich die Käufer von den Deals wahre Wunder. Anders sind jedenfalls die immensen Kaufpreise nicht zu erklären.

Beim Kauf von ExaktTarget griff Salesforce.com-Chef "Big Marc" Benioff tief in die Tasche.
Foto: Salesforce

Salesforce.com bezahlte für den Online-Marketingspezialisten ExaktTarget aus Indianapolis 2,5 Milliarden Dollar. Das entspricht mehr als dem Achtfachen des Jahresumsatzes von ExaktTarget und mehr als 150 Prozent dessen, was das Unternehmen zum Zeitpunkt der Übernahme an der Börse wert war. 2,5 Milliarden Dollar sind auch mehr als 60 Prozent des Umsatzes von Salesforce.com, das gerüchteweise sein Angebot mehrfach nachbessern musste, weil noch drei andere Interessenten im Rennen waren.

Wohlgemerkt im Rennen um ein Unternehmen, dass im abgelaufenen Fiskaljahr bei einem Umsatz von knapp 300 Millionen Dollar 21 Millionen Dollar Verlust machte ...
Ebenfalls in der ersten Juniwoche erwarb SAP den Schweizer E-Commerce-Spezialisten Hybris. Den Kaufpreis nannten die Partner zwar nicht, aber von einem Schnäppchen geht auch hier niemand aus. Insider beziffern den Betrag auf eine bis 1,5 Millarden Dollar. Hybris setzt etwa 100 Millionen Dollar um - wächst allerdings in hohem Tempo.

Was genau ist es also, das die beiden Unternehmen so interessant macht? Es geht um den direkten Draht zum Kunden und um die Technlogien, mit denen sich dieser Draht herstellen lässt. Hybris stellt E-Commerce-Lösungen her, die zum Beispiel alle Elemente eines aufwändigen Webshops steuern inklusive Marketing, Produktinformationen und Bestellmanagement. Vor dieser Übernahmen verfügte SAP nicht über eine eigene leistungsfähige E-Commerce Plattform.

Begrifflich geht es drunter und drüber

"Wir kennen Dich": Social Marketing setzt darauf, möglichst viel über den einzelnen Kunden zu erfahren.
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"Mit der Kauf von Hybris kann SAP eine voll integrierte End-to-End-Lösung im Retail-Bereich anbieten. Es geht darum, mit Hilfe von Customer Experience Management näher an den Kunden heranzurücken. SAP kann so in Zukunft nicht nur von IT-, sondern auch von Marketingbudgets profitieren", sagt Andreas Späne, Partner bei Booz & Company. Dabei sind die Walldorfer mit diesem Schritt vergleichsweise spät dran. Konkurrenz Oracle hatte aus ähnlichen Motiven schon 2010 ATG übernommen und Ende vergangenen Jahres noch Eloqua. IBM kaufte 2010 Sterling Commerce.

Bei all diesen Deals ging es um ein Business, dass so vielfältig und so Komplex ist, dass sich die Experten bisher noch nicht auf eine einheitliche Bezeichnung dafür haben einigen können. Bis vor einigen Monaten sprachen alle von Targeting. In den USA heißt es mittlerweile wahlweise CEM - Customer Experience Management - oder Digital Customer Experience, abgekürzt DX. Forrester Research schließlich hat das Wortungetüm Web Channel Experience Management und die entsprechende Abkürkung WCEM kreiert und in Deutschland kursiert der Begriff Customer Information Management.

xRM, Social CRM, Mobile CRM
Im CRM-Markt zeichnen sich wichtige Entwicklungen ab, die neue Anwendungen sowie mehr strategischen Nutzen versprechen. Welche, lesen Sie hier.
Trend 1: CRM strategisch nutzen
Gegenwärtig gehen Analysten davon aus, dass etwa 80 Prozent der deutschen Firmen Software zum Management ihrer Kundenbeziehungen einsetzen. Allerdings nutzt nur etwa die Hälfte davon CRM-Software in Verbindung mit einer kundenorientierten Unternehmensstrategie. Der Grund: Viele Betriebe haben in der mittlerweile 14 Jahre andauernden Historie CRM lediglich als Softwarethema betrachtet und nur technisch umgesetzt. Die eigentlichen CRM-Ziele wie Kundenbindung und Neukundengewinnung - also messbare Ergebnisse - blieben hingegen auf der Strecke.
Trend 2: Verschärfter Datenschutz
Mit der Integration von Social Media und Cloud Computing müssen Unternehmen noch mehr datenschutzrechtliche Richtlinien erfüllen. In beiden Fällen kommen besonders schützenswürdige, personenbezogene Daten ins Spiel. Die teilweise noch fehlende Rechtssicherheit und Verunsicherung in diesen Punkten führt jedoch noch zur Zurückhaltung potenziell an CRM interessierter Betriebe.
Trend 3: Social CRM
Nach Angaben der Marktforscher von Gartner entfielen 2010 rund 90 Prozent der Ausgaben für Social Media beziehungsweise Social CRM auf den Business-to-Consumer-Markt. Inzwischen schätzen die Analysten das Volumen des Marktes für Social-CRM-Produkte bis Ende 2012 auf eine Milliarde Dollar. Gemessen am gesamten CRM-Geschäft macht dies momentan nur einen Anteil von fünf Prozent aus.
Trend 4: Cloud Computing
Im Gegensatz zu den USA ist der Mittelstand in deutschsprachigen Ländern von Cloud Computing noch nicht restlos überzeugt. Für die ablehnende Haltung sind wohl weniger wirtschaftliche und rechtliche Bedenken verantwortlich als vielmehr psychologische. Trotzdem geht der Trend auch in Sachen CRM in Richtung Cloud. Oracle hatte vor kurzem mit RightNow einen CRM-Anbieter übernommen, der seine Lösungen ausschließlich über das Internet anbietet.
Trend 5: Mobile CRM
Für die meisten CRM-Hersteller ist der Trend zu immer schlankeren Geräten wie Smartphones und Tablet-PCs eine natürliche und notwendige Entwicklung. Viele CRM-Anbieter haben auch schon Apps für solche Endgeräte im Angebot. Laut CRM-Hersteller CDC Software in München fordern die Kunden eine Benutzeroberfläche für den Zugriff auf Daten und Funktionen ihres CRM-Systems über das Web. Damit sollen mobile Anwender im Vertrieb oder Service wie gewohnt in ihrer Kundendatenbank arbeiten können.
Trend 6: Von CRM zu xRM
Bemerkenswert ist im CRM-Markt auch die Entwicklung neuer Anwendungsszenarien außerhalb der direkten Kundenbeziehungen. Auf der Basis von CRM-Standardsystemen werden zunehmend neue Anwendungsgebiete mit ähnlichem Anforderungsprofil entwickelt und unter dem Kürzel xRM eingeführt, das für "any Relationship Management" steht.

Datenschützer sind nicht begeistert

Ziel all dessen ist es im Kern, jede Aktivität eines Kunden zu monitoren und genau zu analysieren - seine Online-Käufe, seine Postings bei Facebook, Twitter und in anderen sozialen Netzwerken - und auch darüber hinaus viel über ihn zu erfahren, um ihm möglichst passgenau und über sämtliche Kanäle wie Internet, Smartphone, Tablet hinweg weitere Angebote machen zu können. Technisch ist das Thema komplex, weil sich aus unzähligen Kunden in Verbindung mit immer neuem, individualisiertem Content für mehrere Kanäle Millionen von Optionen ergeben. Nicht zu vergessen die regulatorische Seite: Vieles, was derartige Software kann und will ruft zum Beispiel bei deutschen Datenschützern nicht gerade Begeisterung hervor...

Shop till you drop: Zeitgemäße Marketing-Experten setzen darauf, möglichst viel Umsatz mit jedem einzelnen Kunden zu generieren.
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Für SAP ist der Einstieg deshalb wichtig, weil es auf dem Gebiet bisher schlecht aufgestellt ist. Außerdem gilt das Unternehmen im Markt in erster Linie als monolithischer Anbieter wuchtiger Unternehmensanwendungen. Um dieses Image zu wandeln, soll Hybris weiterhin auch als unabhängiges Stand-Alone-Produkt verMarktet und nicht erzwungenermaßen in SAPs ERP- und CRM-Landschaft integiert werden.

Nach Ansicht von Andreas Späne von Booz & Company gibt der Kauf von Hybris "SAP gute Möglichkeiten für Cross- und Upselling." Will sagen: Das Unternehmen kann in Zukunft nicht nur den eigenen Kunden eine hochwertige Frontend-E-Commerce-Lösung anbieten, sondern vermutlich auch einigen Hybris-Clienten ihre Standardlösungen verkaufen. Außerdem sind wichtige Vermarktungspartner von Hybris wie Deloitte, Accenture oder Sapient zugleich große SAP-Implementierer - praktischer geht es nicht.

Milliarden aus der Marketing-Cloud

Nicht weniger gut passen Salesforce.com und ExactTarget zusammen, wobei die Konstellation insgesamt eine andere ist. Der CRM-Spezialist aus San Francisco ist circa fünfmal kleiner als SAP und verkauft keine großen, beim Kunden implementierten All-Inklusive-Businesslösungen, sondern Kundenverwaltung, die aus der Leitung kommt. Software-as-a-Service also. ExaktTarget vertreibt seine Lösungen genauso. Außerdem hat die Firma aus Indianapolis seine E-Commerce-Lösungen im Oktober vergangenen Jahres durch den Kauf des Marketing-Automatisierungsspezialisten Pardot optimiert. Gartner stufte die Kombination der beiden jüngst als "visionär" ein, und Salesforce.com-Chef Marc Benioff bekannte, die Akquisition von Pardot durch ExaktTarget sei einer der Gründe für den aktuellen 2,5-Milliarden-Dollar-Deal. Der will jetzt erstmal verdaut werden. Benioff kündigte an, in den kommenden 12-18 Monaten werde es deshalb keine weiteren größeren Übernahmen geben.
Nach Ansicht des Salesforce.com-Chefs geht es bei dem Deal auch um den Kampf zwischen Marketing- und IT-Budgets: "Bis 2017 werden Marketingverantwortliche mehr Geld für Technologie ausgeben als CIOs", so Marc Benioff. Bereits im vergangenen Jahr hatte er festgestellt, das "die Marketing-Cloud das nächste Milliarden-Dollar-Geschäft ist."

Gartner sieht die Sache ähnlich: Marketing sei 2012 das am schnellsten wachsende Segment innerhalb von CRM gewesen. Mit einem Plus von 21 Prozent entwickelte es sich viermal schneller als die Analysten zuvor erwartet hatten.

Aus diesen Gründen halten die meisten Beobachter den Salesforce-Deal trotz des immensen Preises für sinnvoll. Andreas Späne, Partner bei Booz & Company: "Salesforce-Kunden werden in Zukunft durch Social-Media Marketing und weitere Tools E-Commerce und Marketing in Realtime miteinander verbindnen können und das gibt ihnen einen Vorsprung. Alle, absolut alle, die E-Commerce machen, beschäftigen sich heute mit Targeting. Und niemand hat bisher eine überzeugende, funktionierende Lösung."