Das Interesse an SOA steigt exponentiell. Jedenfalls wenn man sich an die Treffer in Google hält. Johannes Helbig, CIO bei der Deutschen Post Brief, zählte vor einem Jahr sechs Millionen Treffer, heute seien es über 24 Millionen. Nur steht der Wissensdurst in keinem Verhältnis zur realen Umsetzung in Unternehmen. "Es gibt weniger erfolgreiche SOA-Projekte als Interesse an dem Thema", sagte Helbig.
Analyst Roy Schulte von Gartner schätzt, dass weltweit nur fünf Prozent der Unternehmen eine SOA unternehmensweit einsetzen. Helbig stimmte der Einschätzung zu: "Es gibt nur wenige Unternehmen, wo SOA ein tragendes Gerüst ist", sagte er vor rund 200 Teilnehmern auf den 5. SOA Days, die Ende März in Bonner Post-Tower stattfanden. Zwar geht es langsam voran mit dem Hype-Thema, aber immerhin bewegt es sich schon etwas: Im Gegensatz zu den SOA Days vergangener Jahre, wüssten CIOs inzwischen, was hinter SOA steckt.
Wenn man sich allerdings anschaut, welche Projekte mit SOA betitelt werden, dann kommen doch leise Zweifel auf. Auch Anbieter und Analysten tragen wenig zur Übersichtlichkeit bei. Obwohl Unternehmen noch im Stadium von kleinen Pilotprojekten stecken, machte Analyst Schulte in seinem Blick nach vorn schon mal die nächsten Fässer auf: Business Process Management, Event Driven Architecture (bitte alle schon mal als nächstes Hype-Kürzel vormerken) und Web 2.0 sind für ihn den kommenden Themen im Umfeld von SOA.
Web 2.0 war dann auch ein Trend, den John deVavoss, Director of Architecture bei Mircosoft, als einen der drei Treiber künftiger Architekturen neben SOA und SaaS (Software as a Service) sah. Was sich hinter Web 2.0 für Unternehmen verbirgt, wusste er allerdings auch nicht so richtig. Selbst nach stundenlangen Diskussionen fand man bei Microsoft keine passende Definition für Web 2.0. Wenn CIOs das Gerede von Anbietern, Analysten und Dienstleistern wohlwollend ignorieren, verpassen sie also nicht all zu viel.
SOA nicht Anbietern überlassen - Innovation Lab
Um das Thema SOA nicht Anbietern und Dienstleistern zu überlassen, will die Post nicht nur im vierten Quartal 2007 ihre selbst entwickelte SOA-Plattform "Sopera" in die Open Source Community geben (www.sopera.de). Außerdem will sie in den nächsten Wochen ein "SOA Innovation Lab" gründen. Darin will CIO Helbig die nunmehr siebenjährigen Erfahrungen bei der Post mit anderen CIOs teilen. Helbig geht es vorrangig darum, das Thema SOA von Anwenderseite zu treiben und nicht von Herstellern getrieben zu werden.
Wo das Innovation Lab seine Räume beziehen wird und welche Rechtsform es bekommt, steht noch nicht fest. Nur so viel: Das Innovation Lab werde nicht "Gelb" sein, also unabhängig von der Post. Auch gibt es bislang weder einen konkreten Starttermin, noch steht die Höhe der Teilnahmegebühren fest. Helbig deutet allerdings an, dass es sich um einen "signifikanten Beitrag" handeln werde. Mit 1000 Euro käme man nicht hin. Mit dem Geld will das Lab unter anderem unabhängige Studien finanzieren. Diese sollen beispielsweise zusammen mit Universitäten entstehen, um Forschungspunkten im Bereich SOA zu schließen.
Erfahrungen bei Winterthur, EnBW und Postbank
Inhaltliche Schwerpunkte für kommende Studien, Veranstaltungen und des Treffen des Labs, lieferten die Referenten von Postbank, EnBW und Winterthur zu genüge. Letztlich kreisten alle Vorträge um drei zentrale Punkte: Governance von SOA-Projekten, zu wenige Mitarbeiter mit den richtigen Fähigkeiten für SOA-Projekte und wie und vor allem wo man mit SOA anfangen solle. Technische Randbedingungen wie SOA-Plattformen und Tools spielten dagegen eine untergeordnete Rolle. Davon gäbe es ausreichend.
Skills - SOA-Grenzgänger gesucht
Allen Unternehmen fehlen genügend Mitarbeiter, die IT und Business verstehen. Dafür suchen CIOs vor allem Wirtschaftsinformatiker und Enterprise Architekten, die bisher jedoch kaum zu finden sind. Um Mitarbeitern selbst die Qualifikationen beizubringen, hat die Postbank kürzlich eine spezielle Gruppe geschaffen. Das MKS-Team (Multi-Kanal-Services) mit zurzeit rund 20 Mitarbeitern aus IT und Business sollen als Zentralstelle für Anforderungs- und Portfoliomanagement zwischen IT und Business vermitteln, sagte Dirk Klindworth, Leiter IT-Anforderungsmanagement bei der Deutschen Postbank.
EnBW Trading ging einen anderen Weg und schuf ein gemeinsames Basisdokument, das als Grundlage für alle kommenden Projekte gilt. Einen Königsweg gibt es allerdings noch nicht, um Verständnis, Akzeptanz und Skills aufzubauen. So treffen sich beispielsweise die Beteiligten bei der Postbank ganz unkonventionell auch mal nach der Arbeit auf ein Getränk.
Helmut Krcmar, Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU München, verwies auch auf die Bringschuld der IT: Den IT-Mitarbeitern muss intensiv der Sinn und Zweck des Unternehmens erklärt werden, damit sie das große ganze Bild ihrer Arbeit sehen. Ein Modeunternehmen verdient Geld mit dem Verkauf von Hosen und Jacken, nicht mit dem Programmieren.
Winterthur scheitert erfolgreich
Wie lange SOA-Strategien bis zur nun erfolgreichen Umsetzung brauchen, demonstrierte Christoph Gall, Leiter IT-Strategie und Architektur bei der Schweizer Winterthur Versicherungen. Schon 1997 begann Winterthur damit, sich mit SOA zu beschäftigen. Ein erstes Projekt scheiterte grandios. Der Grundfehler lag darin, das SOA von der IT getrieben wurde - und nicht vom Management. So kam es zu drei entscheidenden Schwachstellen: Die IT baute Services nicht auf Vorrat, sondern erst nach Auftrag und setzte damit Projekte wie zuvor zu langsam für das Business um. Außerdem war die Granularität der Services oft unpassend auf die gewünschten Zwecke zugeschnitten. Sture Designvorgaben gaben dem ersten SOA-Anlauf den Rest.
Im Jahre 2003 fand die IT dann wieder einen Sponsor aus dem Management. Dieser war im zweiten SOA-Anlauf bereit, das Risiko von SOA zu tragen. Das Risiko des Managements bestand darin, dass Kernprozesse in der Schadenabwicklung mal stillstehen können.
Die Erfolgsfaktoren für das dieses mal gelungene Projekt bestanden für Gall darin, dass alle Beteiligten aus IT und Business auf einem Gang saßen, rund IT und 20 Leute aus dem Business gemeinsam einen Entwicklungsprozess definiert hatten und sich auf eine gemeinsame Sprache geeinigt hatten.
Zudem erwies es sich als Vorteil, die Komplexität maximal herunterzufahren: Statt der von den IT-Architekten 70 geforderten Prinzipien, beschränkte man sich letztlich auf vier Kernprinzipien, an die man sich hielt.
Das Ergebnis: Die Durchlaufzeiten in der Schadenabwicklung verkürzten sich um 80 Prozent, das System läuft stabiler als früher und das Management betrachte das Projekt als Erfolg - und auch der Stolz der IT-Mannschaft und das Ansehen der IT stieg im Unternehmen. Seitdem setzt Winterthur im Top-Down-Ansatz und mit einem systematischen IT-Business-Alignment weitere Projekte um - statt früher Bottom-up und ad hoc.
Tausende von Services wird es nie geben
Zurzeit bereibt Winterthur rund 200 Services. Die Deutsche Post Brief bringt es nach sieben Jahren auf 180 Services, und Fiducia IT kommt auf 33 Services. Dagegen kommt die EnBW Trading GmbH bislang auf zwei Services. Vor zwei Jahren hat sie mit einem Pilotprojekt begonnen, um sich mit SOA zu beschäftigen. Innerhalb des vergangenen dreiviertel Jahres schuf EnBW im ersten Umsetzungsprojekt die ersten beiden Services.
Die in der Theorie angestrebten Tausende von Services stehen bei niemandem auf der Agenda und sie wird auch wohl kein Unternehmen realisieren. "Eine komplette SOA wird es nie geben", sagte Markus Simon, IT-Strategie und Prozesse bei der EnBW Trading GmbH. Dagegen stünden viele Anwendungen, die für SOA nicht geeignet seien. Auch werde es nie gelingen, alle Excel- und Acces-Programme aus den Abteilungen endgültig zu verbannen. Und nicht an allen Stellen steigert SOA den Ertrag von Unternehmen.
Erstes SOA-Projekt muss ernstes Business-Problem lösen
Governance und kultureller Wechsel sind große Hürden, die CIOs bislang noch ungern auf dem Weg zu einer SOA überwinden. Je mehr man sich jedoch mit dem Thema beschäftigt, es in kleine Teile zerlegt und mit einem ersten Projekt beginnt, umso schneller erweist sich die Mammutaufgabe als Scheinriese. Einig waren sich fast alle Redner darin, dass man zwar mit nur einem kleinen Projekt starten solle - aber auch nicht zu klein. 20 bis 30 Mitarbeiter sollten daran beteiligt sein. Damit sollte ein Business-Problem gelöst werden, bei dem es im Unternehmen schon einen erheblichen Leidensdruck gäbe. Nur wenn man Pain-Points angeht, bekommt man die Akzeptanz des Managements. Dieses erste Projekt sollte zudem in absehbarer Zeit abgeschlossen werden, um relativ schnell den Nutzen von SOA zu demonstrieren.
Die beruhigende Nachricht: Mit diesen Problemen kämpfen fast alle CIOs. "Bei SOA stehen wir erst am Anfang", sagte Post-CIO Helbig.