Die Anzahl der an das Internet angeschlossenen intelligenten Produkte und Dienstleistungen wird weiter exponentiell steigen. Diese rasante Digitalisierung aller Produkte und Prozesse in der Wirtschaft und vor allem der Trend zu "Everything-as-a-Service" führt zu tief greifenden Veränderungen in den Geschäftsmodellen. Die digitale Anschlussfähigkeit von Produkten, Kunden und Partnern wird für viele klassische Unternehmen künftig zum wettbewerbsentscheidenden Kriterium.
Der "digitale" Anteil an den Aufgaben und Budgets des Chief Technology Officers und des Chief Marketing Officers wachsen deshalb rasant. Der CIO muss sich als Chief Digital Architect neu positionieren, um in der "Smart-Service-Welt", einer Welt, in der nicht mehr Produkte, sondern Services verkauft werden, einen großen Beitrag zu leisten.
Industrie 4.0 und Smart Services
In den vergangenen 15 Monaten habe ich in einem Arbeitskreis der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) zusammen mit über 100 Experten am Industrie-4.0-Anschlussbericht Smart Services Welt gearbeitet. In dem Industrie-4.0-Bericht der acatech wurde aufgezeigt, wie die Digitalisierung im Engineering und in der Produktion die Flexibilität erhöht, kundenspezifische Produkte mit kleinen Losgrößen und vertretbaren Kosten ermöglicht und die Effizienz der Produktion gesteigert werden kann.
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Die Mächtigkeit und zugleich disruptive Kraft der Digitalisierung zeigt sich aber noch viel deutlicher, nachdem die digital aufgerüsteten Produkte die Fabrik verlassen haben. Das Smartphone, schnelle 3G- und LTE-Netze, Apps, Big Data und die Cloud haben innerhalb kürzester Zeit ganze Branchen verändert. Online-Marketing hat einen großen Teil der Print-Medien verdrängt, Musik wird nicht mehr als Tonträger gekauft, sondern "as-a-Service" gemietet, und kaum ein digital anschlussfähiges Produkt wird noch ohne dazugehörige App ausgeliefert. Diese digitale Transformation war für viele Unternehmen in diesen Branchen in den vergangenen fünf Jahren wie ein Tsunami. Ohne überzeugende digitale Strategie konnte im Kerngeschäft den digitalen Newcomern wenig entgegengesetzt werden.
Dieser technologiegetriebene Wandel wird sich in vielen weiteren Branchen und über Branchengrenzen fortsetzen. Hinzu kommt ein zusätzliches disruptives Momentum. Amazon, eBay und PayPal zeigen im Handel sehr eindrucksvoll, wie stark die Kombination von hybriden, also digitalen und physischen, Diensten - bestehend etwa aus digitalem Marktplatz, sicherem Online-Bezahlen und erstklassiger physischer Logistik - traditionelle Geschäftsmodelle angreift.
Neue Online-Retailer graben zusammen mit Logistikunternehmen dem Präsenzhandel das Wasser ab, "Wearables" sind das Einfallstor für neue Spieler in der Gesundheitsbranche, durch die Energiewende müssen gerade in Deutschland die Energieunternehmen - oder eben andere Spieler - ganz neue Software- und Datenkompetenzen erlernen, um virtuelle Kraftwerke zu konfigurieren und zu betreiben, und die Digitalisierung wird auch unsere deutschen Leitbranchen massiv verändern. Tesla zeigt, dass Autofahren vom digitalen Konsumenten neu gedacht werden kann, und Uber hat mit dem Thema "Car Asset Utilization und Crowdsourcing" bereits jetzt eine Bewertung von mehr als zehn Milliarden US-Dollar.
Der "Smart-Service-Welt"-Bericht von acatech soll ein Weckruf an unsere Unternehmen sein. Hier passiert etwas Gravierendes - und zwar mit großer Geschwindigkeit: Täglich neu anfallende Datenmengen in sämtlichen Lebens- und Arbeitsbereichen bilden die Grundlage für neue Dienste. Erst die Digitalisierung macht "Everything-as-a-Service" für viele Branchen möglich. Künftig werden internetbasierte und physische Dienstleistungen miteinander verbunden und dem einzelnen Konsumenten bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt.
Diese Verschmelzung von Dienstleistungen wird als Smart Service bezeichnet. Die Individualisierung dieser Dienstleistungen und der Nutzen für den einzelnen Konsumenten - sowohl in einer konkreten Situation als auch in seiner gesamten Lebenslage - stehen dabei im Vordergrund und werden zum wettbewerbsentscheidenden Kriterium. Durch das kontextspezifische Verständnis des "Servicenutzers" können Anbieter dem Konsumenten in seiner spezifisch ausgeprägten Lebenslage - zum Beispiel Arbeit, Freizeit, Krankheit, Mobilität, Reisen oder Bildung - kontextgerechte und kombinierte Dienstleistungen anbieten.
An dieser Stelle findet in der Wirtschaft ein gravierender Paradigmenwechsel statt: Nicht mehr der einzelne Anbieter mit seinen klassischen Produkten und Services steht im Zentrum, sondern der Konsument in seiner jeweiligen Rolle als Nutzer, Patient, Mitarbeiter, Techniker, Passagier, Unternehmer etc., der jederzeit und an jedem Ort die für ihn passende Kombination von Produkten und Dienstleistungen erwartet. In der Konsequenz bedeutet dies, dass sich alle Unternehmen mit den Auswirkungen dieser allumfassenden digitalen Veränderungen auf das eigene Geschäftsmodell auseinandersetzen müssen.
Dies gilt für deutsche Leitbranchen, etwa Automobil und Maschinenbau, Chemie, Elektro- und Medizintechnik, Logistik und Energietechnologie, ebenso wie für die Wirtschaft in der Breite und insbesondere für den innovativen Mittelstand. Die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle der Hersteller und Anbieter werden bereits heute durch internetbasierte Dienste unterstützt, aber bisher dadurch nicht grundsätzlich infrage gestellt. Es ist aber davon auszugehen, dass in naher Zukunft - mit zunehmendem Reifegrad der Digitalisierung - die Unternehmen in Deutschland und Europa vor einer Revolution stehen. Diese wird geprägt sein durch eine konsequente Digitalisierung jedweder Geschäftsmodelle um intelligente Dienstleistungen und Produkte herum, die in intelligenten Netzen entwickelt und organisiert werden.
Die digitale Vision und der CIO
Um in der "Smart-Service-Welt" erfolgreich mitzuspielen, müssen Unternehmen eine "digitale Vision" formulieren und sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung und dem Trend "Everything-as-a-Service" beschäftigen. Es gilt, die Chancen und Bedrohungen für das eigene Geschäftsmodell zu erkennen und konsequent die Potenziale zu nutzen. Es geht darum, sich folgende Fragen zu stellen:
Können meine Produkte dauernd mit dem Internet verbunden sein?
Können meine Produkte auch als Serviceangebot paketiert werden?
Können durch die Analyse der Nutzungsdaten meiner Produkte und Services neue Einsichten gewonnen und neue Services geschaffen werden?
Können meine Produkte durch ein digitales Service-Ökosystem veredelt werden?
Können Elemente der eigenen Wertschöpfungskette oder die der Kunden oder Lieferanten vollständig digitalisiert werden?
Können durch Digitalisierung die Kontrollpunkte der Wertschöpfungskette verschoben werden?
Ganz klar: Intelligente Produkte in intelligenten Netzen bieten große Chancen für neues Wachstum. Oft ist der CIO aber nicht am Tisch, wenn über die digitale Ausrichtung des Unternehmens nachgedacht wird.
Hier kommen die vier Is der CIO-Nomenklatur ins Spiel: Infrastructure, Integration, Intelligence und Innovation. Der CIO muss in der Regel die Rolle des Kostenoptimierers einnehmen, der für die effiziente IT-Infrastruktur sorgt (Chief Infrastructure Officer). Darüber hinaus ist er die erste Adresse, wenn es um automatisierte Geschäftsprozesse, durchgängige Datenflüsse und Schnittstellen zu Kunden und Lieferanten geht (Chief Integration Officer). Als Chief Intelligence Officer kann er zudem Entscheidungen im Unternehmen durch volle Transparenz und eine ausgefeilte Analytik unterstützen und beschleunigen.
In der Regel ist der CIO aber nicht der Chief Innovation Officer. Der Einsatz der neuen, innovativen Technologien wird meist durch die Verantwortlichen von Produktentwicklung (CTO) und Marketing (CMO) vorangetrieben, die zwischendurch auch ohne den Blick für lange Betriebs- und Wartungszyklen munter in eine Vielzahl neuester digitaler Themen investieren. Diese "digitalen" Budgets können je nach Branche und Unternehmen genauso groß oder sogar größer als das klassische IT-Budget sein, das durch den CIO gesteuert wird. Genau hier liegt die Crux - aber auch die Chance für den CIO.
Die Crux: Die Fachabteilungen treiben mit großen Investitions- und Projektbudgets die Digitalisierung voran - oft auch als "as-a-Service" vom externen Cloud-Anbieter und -betreiber in kurzen agilen Projekten erstellt und in Betrieb genommen. Der CIO soll dann "danach" übernehmen. In großen Unternehmen kann sich so in kurzer Zeit ein großes Portfolio an neuen Technologien ansammeln, das über Jahre in Betrieb gehalten werden muss, ohne dass bestehende Verfahren abgelöst werden können.
Der CIO als "Chief Digital Architect Officer"
Die Smart-Service-Welt, in der physische und digitale Dienstleistungen synergetisch kombiniert werden, braucht dafür neue digitale Infrastrukturen. Die Chance für den CIO liegt in der Regel nicht darin, die Rolle des Chief Innovation Officers für die Digitalisierung des Unternehmens einzunehmen. Vielmehr kann er CMO und CTO durch Architektur- und Servicekompetenz bei der Erstellung der digitalen Strategien und Infrastrukturen unterstützen.
Die folgenden digitalen Plattformtypen werden dabei eine zentrale Rolle spielen:
Vernetzte physische Plattformen (Smart Products)
Es gibt Milliarden von intelligenten Produkten verschiedenster Hersteller in unterschiedlichen Anwendungsgebieten, die während ihres Betriebs mit dem Internet verbunden sind. Viele verfügen über hochauflösende Sensornetzwerke, mit denen Realweltdaten kontextsensitiv und kostengünstig in nahezu beliebiger Granularität zur Verfügung gestellt werden können. Ihre eigenen Fähigkeiten stellen intelligente Produkte etwa über Aktoren als digitalen Servicebaustein zur Verfügung.
Software-definierte Plattformen (Smart Data)
Es gilt, die zur Etablierung eines innovativen Geschäftsmodells erforderliche, geplante oder Ad-hoc-Zusammenarbeit intelligenter Produkte und deren Anwender zu ermöglichen. Softwaredefinierte Plattformen können durch eine Virtualisierung heterogene physische Systeme integrieren und die Konnektivität für die intelligenten Produkte bereitstellen. In Cloud-Zentren werden große Datenmengen verarbeitet, aus denen nahezu in Echtzeit mit lernenden Algorithmen Informationen extrahiert und zu neuem Wissen verknüpft werden (Smart Data). Virtuelle Datennetze, Semantik, Big Data, Realtime Analytics und Cloud-Dienste, insbesondere Mashups-as-a-Service, sind dafür die bestimmenden Technologien.
Serviceplattformen (Smart Services)
Internetbasierte Geschäftsmodelle, in denen digitale und physische Dienstleistungen dynamisch kombiniert werden, brauchen Serviceplattformen, auf denen Wertschöpfungsketten modular konfiguriert und zu netzwerkartigen Geschäftsmodellen zusammengefügt werden können. In diesen Netzwerken erbringen verschiedenste Produktanbieter und Dienstleistungsunternehmen geplante oder ad-hoc-konfigurierte Dienstleistungen für den Servicenutzer.
Smart werden die angebotenen Dienstleistungen in diesem Fall durch das Heranziehen von Smart Data und die daraus abgeleitete, konsumenten- und kontextspezifische Anpassung und Zusammenstellung der angebotenen Services. Eine flexible Vernetzung in einem digitalen Ökosystem von mehreren Anbietern setzt voraus, dass die beteiligten Unternehmen kooperationswillig sind und verbundene Daten und Informationen gemeinsam nutzen. Damit wird deutlich: Die unternehmens- und branchenübergreifende Kollaboration wird in der Smart-Service-Welt zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Der CIO kann als "Chief Digital Architect Officer" einen entscheidenden Beitrag zu Formulierung und Realisierung der digitalen Unternehmens- und Überlebensstrategie im digitalen Wettbewerb leisten. Er ist es gewohnt, in Architekturen zu denken, komplexe Technologien zu bündeln und zu konfigurieren, Verfahren sicher in Betrieb zu nehmen und über Jahre und Jahrzehnte in Betrieb zu halten. Der digitale Wettbewerb wird auch über zukunftsweisende digitale Architekturen entschieden. Das ist die Chance für den CIO. Hier kann er seine Kernkompetenzen voll ausspielen.
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