Neue Aufträge kommen seltener herein, Zahlungen der Kunden lassen länger auf sich warten, und Mitarbeiter, die vor Kurzem noch voll ausgelastet waren, haben wieder freie Kapazitäten. Die Zeichen für einen wirtschaftlichen Abschwung sind nicht nur am abkühlenden Geschäftsklimaindex ablesbar, sondern auch konkret in vielen Unternehmen zu spüren. Doch es ist nicht die Zeit, den Kopf einzuziehen und die Kosten pauschal einzudampfen. Für viele Unternehmen beginnt stattdessen die entscheidende Phase, in der sie ihre Wettbewerbsposition dauerhaft verbessern können.
Viele Unternehmen, Konzerne ebenso wie Mittelständler sind entschlossen, den sich abzeichnenden Abschwung als Chance zu nutzen. Sie haben sich bislang erstaunlich robust gezeigt, trotz der Belastungen durch die weltweite Finanzkrise, hohe Rohstoffpreise und den starken Euro. Nun wollen sie auch auf die starke Abkühlung der Konjunktur offensiv und unkonventionell reagieren.
Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen will mit antizyklischen Maßnahmen auf die Krise reagieren, ergab eine Umfrage der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Also: Geschäftsfelder ausbauen. In neue Produkte investieren. Spezialisten von der Konkurrenz abwerben. Marktanteile zukaufen. Angreifen statt wegducken.
Im Abschwung an Stärke gewinnen
"Unternehmen können im Abschwung an Stärke gewinnen - wenn sie gut vorbereitet sind", sagt Udo Jung, Senior Partner von BCG und Autor der Studie "Winning in a Downturn". Die beliebten defensiven Krisenreflexe wie Kosten pauschal zu senken, Mitarbeiter zu entlassen, Budgets für Forschung und Entwicklung zu kappen, oder die Aufwendungen für das Marketing zu reduzieren, helfen zwar dabei, dem Unternehmen in schwieriger Zeit etwas mehr Luft zu verschaffen. "Doch erst mit antizyklischen Maßnahmen können Unternehmen die Krise zu ihrem Vorteil nutzen", sagt Jung.
Das ist leicht gesagt als getan. Dass man sich von der Masse absetzt, indem man anders handelt als die Konkurrenz, versteht jedes Kind. Erfolgreiches Handeln in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist nach Einschätzung von Jung auch kein Hexenwerk. Es ist vielmehr solides Handwerk, das jedoch eine akribische Vorbereitung voraussetzt.
Sechs Verhaltensregeln können laut BCG-Studie dabei helfen, eine konjunkturelle Schlechtwetterphase zur Aufholjagd zu nutzen.
Regel 1: Das eigene Risiko kennen
Selbstzufriedenheit ist sehr gefährlich. Denn eine Führung ist kaum zurückzuerobern, wenn man sie erst einmal verloren hat. Weniger als 10 Prozent der Unternehmen, die während einer Rezession ihre Führungsposition einbüßen, können nach Angaben von BCG im Anschluss wieder an die Spitze vorstoßen. Nicht in der Flachetappe, sondern am Berg wird über die vorderen Plätze entschieden.
Es ist wie beim Anstieg von L'Alpe d'Huez, wo fast jedes Jahr das Radfahrerfeld auseinanderfliegt und über Sieg und Niederlage bei der Tour de France entschieden wird: Wer am Ende der Rundfahrt gewinnen will, muss auf den schweren Bergetappen punkten.
"Gut gerüstet sind Unternehmen, die bereits in guten Zeiten für die Zeit schwächerer Nachfrage vorsorgen und ihre eigenen Risiken kennen", ergänzt Reinhard Messenböck, Partner bei BCG und weiterer Autor der Studie. In den Abschwungphasen trenne sich die Spreu vom Weizen, heben sich starke von schwachen Unternehmen ab.
Eine Risikoanalyse des Unternehmens, seiner Stärken und Schwachstellen sei die Voraussetzung dafür, einen Handlungsplan für den Abschwung zu entwickeln und das nötige Geld dafür zu reservieren. Dies muss geschehen, bevor der Abschwung seine volle Dynamik entfaltet. Durch rechtzeitige Vorbereitung, ist Jung überzeugt, sichert ein Unternehmen seine Entscheidungsfreiheit und wird nicht zum Getriebenen der Krise.
Regel 2: Ein Krisenradar entwickeln
Wirtschaftsindikatoren wie der Geschäftsklima- oder Einkaufsmanagerindex sowie Prognosen für die Entwicklung einzelner Branchen sind zwar nützlich. Sie können laut BCG ein eigenes Unternehmensradar aber nicht ersetzen.
Wichtig sei eine Analyse, in welchem Bereich das Unternehmen im Fall eines Abschwungs konkret anfällig sei, erläutert Jung gegenüber manager-magazin.de. Dies bedeute, verschiedene Szenarien durchzuspielen: Zum Beispiel, wie sich ein Anstieg der Rohstoffkosten, ein Umsatzrückgang auf dem US-Markt oder ein wieder steigender Euro konkret auf die Gewinn- und Verlustrechnung auswirken.
Dieses Frühwarnsystem sollte auch die eigene Produktpalette sowie die Kundenbasis einbeziehen. Ist das Produktspektrum sehr breit oder sehr speziell, wie wirken sich eine sinkende Nachfrage in bestimmten Märkten oder Währungsveränderungen aus? Stockt der Auftragseingang, verzögern sich Zahlungen? Viele Kennzahlen, die ohnehin im Unternehmen erfasst werden, ermöglichen oft genauere Prognosen als externe Umfragen - wenn sie denn in das Warnsystem des Unternehmens einfließen.
Ein solches System, das bereits auf frühe Anzeichen einer Marktveränderung reagiert und bestimmte Reaktionen auslöst, verschafft Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil: "Viele Firmen reagieren zu spät, wenn sich das Klima verschlechtert, und versuchen ihre Verspätung durch eine Überdosierung auszugleichen", sagt Jung. Pauschale Kostensenkungen wirken zwar schnell, können aber auf längere Sicht die Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Die Chancen, die ein Abschwung biete, blieben dann ungenutzt.
Regel 3: Rechtzeitig fit werden
Wenn alle Unternehmensbereiche schwarze Zahlen melden, ist der beste Zeitpunkt für einen kritischen Blick: Welche Geschäfte im Portfolio sind wirklich wettbewerbsstark, und welche schwimmen lediglich auf der Welle der guten Konjunktur mit? "Es spricht viel dafür, profitable Geschäftsbereiche, in denen man nicht führend ist, bereits in guten Zeiten zu verkaufen", sagt Jung.
Denn genau diese "Mitschwimmgeschäfte" können zu Cash-Fallen werden, wenn die Konjunktur abebbt. Stattdessen sollte ein Unternehmen seine wettbewerbs- und margenstarken Geschäfte ausbauen, die auch während einer Abschwungphase vergleichsweise stabil bleiben.
Dasselbe gilt für Investitionen: Welche Investitionen verbessern die Wettbewerbsstärke, zum Beispiel durch neue Anlagen und Technologien? Und welche Investments sind reine Wachstumsinvestitionen, die nur getätigt werden, weil es derzeit gut läuft und die Nachfrage hoch ist? Diese Wachstumsinvestitionen in der Endphase eines Aufschwungs sind häufig die Abschreibungen von morgen - in der Spätphase entstehen oft Überkapazitäten, die für den Anbieter richtig teuer werden.
"Viele Unternehmen haben jetzt noch die Möglichkeit, ihre Globalisierungsgewinne zu sparen, um sie später strategisch gezielt einzusetzen", sagt BCG-Partner Jung. Viel freies Kapital lasse sich in der Regel auch aus dem Umlaufvermögen freisetzen: Wer zum Beispiel sein Vorrats- und Forderungsmanagement verbessere, gewinne häufig zusätzliche Liquidität für schwierige Zeiten. Dann sei man in der Lage, den Wachstumsplan in Zeiten des Abschwungs auch umzusetzen - was umso wirkungsvoller sein kann, wenn die Konkurrenz in Sparreflexe verfällt.
Regel 4: Prioritäten setzen, Aktionsplan entwickeln
Das unerfreuliche Szenario: Unternehmen werden von der Dynamik des Abschwungs überrascht, steuern hektisch dagegen, können nur noch reagieren und verlieren Zeit und Nerven mit internen Diskussionen. Erfolgreiche Unternehmen arbeiten laut BCG stattdessen eine Prioritätenliste ab: Sie versuchen nicht, alle Probleme auf einmal zu lösen.
"Man sollte eine Reihenfolge festlegen, welche Bereiche gestärkt werden müssen", erläutert Jung. Dabei sollte man sich zunächst auf diejenigen Schritte konzentrieren, die das Kerngeschäft stärken und so rasch wie möglich Wirkung zeigen. Der Aktionsplan ist eine Weiterentwicklung des Risikoprofils: Er legt die Schritte fest, welche einerseits die Belastungen durch einen Abschwung mindern und andererseits Wettbewerbsvorteile erzeugen können.
Die Fragen, in welchen Märkten und mit welchen Produkten man in Abschwungzeiten angreifen will, sollten vorab geklärt sein. Ebenso die Entscheidung, welche Arbeiten im Bereich Forschung und Entwicklung voranzutreiben sind, und welche neuen Kunden man gewinnen will. Zeit wird im Abschwung zu einem besonders kritischen Faktor.
Mittelständische und familiengeführte Unternehmen können in solch einer Situation ihre Stärken ausspielen, meint Jung. Sie können rascher umschalten, ihre Aktionspläne in der Regel schneller umsetzen und auf diese Weise ihre höhere Flexibilität nutzen, um ihre Position gegenüber größeren Wettbewerbern zu verbessern. Der Aktionsplan sollte in Zeiten des Abschwungs jedoch diszipliniert umgesetzt und nicht erst erarbeitet werden.
Regel 5: Antizyklisch denken
Wie schwimmt man gegen den Strom? Indem man zum Beispiel den wichtigsten Kunden in schwerer Stunde beisteht und ihre Zahlungsfristen verlängert, statt die Daumenschrauben anzuziehen. Dies zementiert die Kundenbindung und dürfte sich in der anschließenden Erholung wieder auszahlen.
Auch die wichtigsten Kunden der Konkurrenz sind in Zeiten des Abschwungs für gute Angebote besonders empfänglich - zu einer Zeit, in der sie möglicherweise in schwierigen Gesprächen mit ihrem Hauslieferanten stecken.
Da es sich jedoch kaum ein Unternehmen leisten kann, in Rezessionszeiten mit allen Kunden großzügig umzugehen, lohnt eine rechtzeitige Differenzierung: Nur die wichtigsten Kunden verdienen einen Bonus, der das Unternehmen kurzfristig Geld kosten kann.
Die Forschungs- und Marketingausgaben in der Krise zu erhöhen, ist zwar ebenfalls gegen den natürlichen Reflex. Andererseits lassen sich kompetente Mitarbeiter oder Kunden leichter von der Konkurrenz abwerben, wenn diese auf die Kostenbremse tritt. Wer den Service erhöht, während andere ihn herunterfahren, kann langfristig auf den doppelten Effekt hoffen.
Auch Übernahmen lassen sich zu günstigeren Preisen stemmen, wenn die Mehrzahl der Konkurrenz eher verkaufen will. Nach Recherchen von BCG schaffen "downturn deals", also während einer Schwächephase getätigte Fusionen und Übernahmen, um rund 15 Prozent höhere Werte als Übernahmen zu Zeiten (und Preisen) des Booms. Voraussetzung ist natürlich, rechtzeitig die eigenen Schulden zu reduzieren und eine Kriegskasse aufzubauen. Das in der Krise eingesetzte Geld bringt langfristig oft die höhere Rendite, da es die Wettbewerbsposition entscheidend verbessert.
Regel 6: Flexibel bleiben
Keine Abschwungstrategie ist so gut, dass sie unumstößlich ist: Unternehmen sollten auch nach einer akribischen Vorbereitung flexibel bleiben und nicht sklavisch an ihrer festgelegten Strategie festhalten, rät BCG.
"Man sollte in der Lage sein, auf überraschende Entwicklungen oder unerwartete Schritte der Konkurrenz zu reagieren", sagt Messenböck. Eine Krise könne auch die Gelegenheit für günstige Zukäufe bieten, auch wenn diese nicht im Aktionsplan vorgesehen seien. Eine freie Cash-Reserve für "das Unerwartete" helfe dabei, Gelegenheiten zu nutzen.
Niemand kann voraussagen, wann genau auf einen Abschwung wieder eine Erholung folgen wird. "Aber Unternehmen können sich vorbereiten: Sie können sich einem Fitnesstest unterziehen, Cash-Reserven anlegen, einen Aktionsplan festlegen und damit rasch und effektiv auf eine Krise reagieren", so die BCG-Experten.
Viele deutsche Mittelständler, nicht nur aus der Maschinenbaubranche, profitierten immer noch von der guten Nachfrage aus den Schwellenländern, hätten noch immer eine gute Kapitaldecke und Spielraum bei der Finanzierung. Das seien gute Voraussetzungen, um den Abschwung als Chance zu nutzen.