Vorhaben und Umfeld zu komplex

Sieben Gründe, warum IT-Großprojekte scheitern

26.08.2008 von Riem Sarsam
Wer seinen Feind besiegen will, muss ihn kennen. Das gilt auch bei größeren IT-Vorhaben. Denn die scheitern auffällig oft - und meist an denselben Problemen.

Nur knapp die Hälfte aller IT-Vorhaben der vergangenen drei Jahre war erfolgreich, so eine Studie der Technischen Universität München. Sie dauerten entweder länger als geplant, kosteten wesentlich mehr oder es kam am Ende anderes Ergebnis heraus. Andere Projekten mussten sogar abgebrochen werden, wobei in der Regel viel Geld in den Sand gesetzt wird.

IT-Großprojekte
Sieben Merkmale machen ein Großprojekt aus.
Das Scheitern von IT-Projekten trifft vor allem die Kernprozesse.
Die Darstellung der anfallenden Cost of Failure zeigt, dass bei der Schadensbewertung fast immer nur direkte Kosten berücksichtigt werden.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit von IT-Projekten steht im Verhätlnis zu Teamgröße und Projektdauer.
Risikotreiber Nummer Eins bei IT-Großprojekten sind vor allem die ständigen Anforderungsänderungen und deren mangelhafte Dokumentation.
Mit zunehmender Größe eines IT-Projekts erhöht sich sich die Komplexität der Projektsituation, wie auch die der Projektumwelt erheblich. Dadurch wird das klassische Qualität-Zeit-Kosten-Dreieck beeinflusst und verändert.

Da stellt sich die Frage, warum gerade Großprojekte im IT-Umfeld so häufig in Schieflage geraten. Die kritischen Erfolgsfaktoren zu kennen ist besonders wichtig. Das Münchner Beratungshaus Roland Berger hat seine Erfahrungen in der Studie "Projekte mit Launch Management auf Kurs halten" zusammengestellt:

1. Zu viele Aufgaben und Schnittstellen

Im Vergleich zu Projekten mit einer durchschnittlichen Größe haben die Teams von Großvorhaben wesentlich mehr Aufgaben zu bewältigen und damit auch mehr Mitarbeiter zu steuern. Das führt in der Praxis zu erheblichen Problemen.

Wächst die Zahl der Beteiligten, steigt die Zahl der Kommunikationsschnittstellen erheblich. Allein eine interne Kommunikation aufrechtzuerhalten, ist wegen der Menge zu verarbeitender und zu bewertender Informationen eine große Herausforderung.

Gerät irgendwo an den Schnittstellen Sand ins Getriebe, dauert es nicht allzu lange, bis sich die ersten Probleme einstellen. Wichtige Themen dringen nicht mehr bis zur Projektleitung durch. Ein effektives Risiko-Management kann so nicht auf die Beine gestellt werden.

2. Unausgereifte Technologien

IT-Großprojekte besitzen oft einen hohen Grad an Innovation. Um First Mover-Vorteile zu nutzen und Aufmerksamkeit zu erregen, werden neue Technologien eingesetzt, die erst im Projekt entwickelt werden.

Sind solche Technologien oder auch nur einzelne Bausteine noch nicht ausgereift, droht das Projekt immer komplexer zu werden. Programme arbeiten nicht stabil. Unvorhergesehene Ausfallzeiten für Entwicklung und Integration sind die Folge. Terminpläne sind nur noch Makulatur und das Projektergebnis nicht mehr prognostizierbar.

Darüber hinaus unterschätzen die Projektbeteiligten oft den technischen Aufwand. Eine angemessene Auswirkungsanalyse unterbleibt und Maßnahmen zur Risikoverminderung fehlen. Projektteams gehen aber auch oft von zu positiven Planungsprämissen aus und stellen Projektverläufe auf, die zügiger sind als realistisch verantwortbar. So mutieren Planungen zu Best-Case-Szenarien, die am Ende signifikant mehr kosten, wenn die Realität sie einholt.

3. Schlechtes Recruiting

Das Recruiting ist ein wichtiger Gradmesser für das Projektimage. Allerdings steht es damit bei IT-Großprojekten meist nicht zum Besten. Die lange Laufzeit schreckt viele Mitarbeiter ab. Außerdem sind Großprojekte oft sogenannte Söldnerprojekte, da das Team aus Beschäftigten verschiedener Firmenabteilungen und von Externen zusammengewürfelt wird.

Die meisten Unternehmen gehen nicht richtig mit dieser Situation um. Deshalb fällt es den betroffenen Mitarbeitern häufig schwer, eine berufliche Perspektive über das Projekt hinaus zu erkennen. Sie sehen darin oft sogar eine Gefahr für den eigenen Karriereverlauf.

4. Zu wenig Sorgfalt bei der Auswahl von Externen

Mit zunehmender Projektgröße arbeiten Unternehmen nicht nur vermehrt mit Freelancern und Beratern. Häufig werden ganze Entwicklungs- und Lieferpakete an Dritte vergeben. Doch Outsourcing reduziert die Komplexität nur scheinbar.

Projektteams lassen oft die nötige Sorgfalt bei der Lieferantenauswahl vermissen. Sie überschätzen immer wieder die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Unterauftragnehmern. Vor allem tauschen Auftraggeber und Auftragnehmer in der Anfangsphase zu wenige Informationen aus.

5. Keine Übersicht über Projektbeteiligte

Bei kleineren Projekten gibt es in der Regel nur einen Auftraggeber oder einen Sponsor. Bei Großprojekten sind die Auftraggeber selbst meist ganze Organisationen, die wiederum von unterschiedlichen Ziel- und Interessengruppen geprägt werden. Die Stakeholder zu kennen und möglichst zielgerichtet mit ihnen zu kommunizieren, ist oft schwierig.

Darüber hinaus spielt häufig der politische Faktor eine zusätzliche Rolle. Besonders brisant wird es, wenn Stakeholder, die eigentlich auf der gleichen Seite stehen, nicht an einem Strang ziehen, sondern eher ihren eigenen Motivationen folgen.

Wie die Praxis zeigt, kommt das immer wieder vor. Grabenkämpfe, Widerstände und weitere Hemmnisse sind dann fast unausweichlich. Das trifft besonders für die Fälle zu, wenn Unternehmen eines Konsortiums aufeinander treffen, die nur für ein Projekt zusammenarbeiten und ansonsten Konkurrenten sind.

6. Unterschiedliche Erwartungen an das IT-Projekt

In fast allen Krisenprojekten besteht keine Einigkeit darüber, welchen Umfang das Vorhaben annehmen soll. Denn immer noch lassen Ausschreibungen zu wünschen übrig. Sie sind unklar formuliert und lassen unterschiedliche Erwartungshaltungen zu.

Auf der anderen Seite versuchen Anbieter, ihre Schwachstellen zu verbergen. Im schlimmsten Fall sind sie nicht ehrlich. Oft überschätzen sie auch einfach ihre eigene Leistungsfähigkeit.

Verhandlungen finden meist auf der Ebene des Top-Managements statt. Das kann zu unrealistischen und geradezu katastrophalen Deals führen. Da wird schnell einmal die Projektdauer verkürzt, ohne sich mit Experten über die Machbarkeit auszutauschen.

7. Betriebliche Hürden

Mitbestimmung und Regulierung sind bei Großprojekten ebenfalls oft schwer zu nehmende Hürden. Bei den wenigsten Kleinprojekten gibt es das Problem, dass der Betriebsrat versucht, den Einsatz dringend benötigter externer Spezialisten zu verhindern, weil auf der anderen Seite Mitarbeiter abgebaut werden.

So musste jüngst das Management eines Unternehmens drei Monate vergeblich intern nach geeigneten Experten für ein Software-Entwicklungsprojekt suchen. Dabei war längst klar, dass es die Fachkräfte in der eigenen Firma nicht gab.

Durch das Beharren des Betriebsrats ging dringend benötigte Zeit für die Einarbeitung verloren. Außerdem mussten Projektleiter Interviews mit internen Bewerbern führen, bei denen vorab schon klar war, dass sie für den Job nicht geeignet sind.

Das Beratungshaus Roland Berger führt seine Erkenntnisse auf Projekterfahrungen zurück.