Was unterscheidet die Zeppelin Universität (ZU) von herkömmlichen Business Schools?
Die Zeppelin Universität ist ein Ort der bedingungslosen Frage; ein Ort, an dem man der Idee misstraut, dass Wirtschaftswissenschaften für die Bildung von Managern taugt. Wir fokussieren auf die Schnittstellen von Wirtschaft, Kultur und Politik zur Gesellschaft. Das ist nicht innovativ, sondern gut 800 Jahre alt - wir sind wohl eher eine "Old School".
Business Schools haben den Anspruch, Handlungsanleitungen für das Management zu vermitteln, sie versprechen damit die Wahrscheinlichkeit der Karriere. Diesen Ansatz halten wir für überholt. Management kann man nicht ausbilden, das belegen erfolgreiche, nicht-akademische Unternehmer.
Wenn es nicht um Karriere geht, worum geht es dann?
Universität muss Theorien über das Entscheiden im Management und deren Kommunikation unter der Bedingung der Komplexität und Unsicherheit anfertigen.
Es muss uns wohl als Universität immer darum gehen, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen theoretisch präziser zu beschreiben, den bisherigen Modellen zu misstrauen und dann multidisziplinär, also praktisch Entscheidungsmöglichkeiten zu analysieren. Egal ob in Politik, Wirtschaft, Medien oder Kultur - die Studenten müssen sich am Ende eines Studiums zutrauen und die Kraft haben, Verantwortung für diese Herausforderungen zu übernehmen, etwas zu verändern und damit natürlich auch aufzufallen. Letztlich sind gute Manager - egal, ob in Wirtschaft, Kultur oder Politik - Agenten der Transformation von Unwahrscheinlichkeiten in Wahrscheinlichkeiten. So wie Graf von Zeppelin.
Reicht das aus? Ein guter Manager muss Druck aushalten und mit Niederlagen umgehen können. Da hilft der idealistische Ansatz wenig.
Sie haben Recht. Manager müssen mit der Normalität ihrer Arbeit umgehen: mit dem Scheitern, mit Niederlagen. Auch die Zeppelin-Geschichte ist eine Geschichte des Erfolgs durch Abstürze. Nicht einfach übrigens bei einer Betriebswirtschaftslehre, die nur eine Kritische Erfolgsfaktorenanalyse kennt.
Aber, eine Universität ist keine Erziehungsanstalt, sondern im Humboldt'schen Sinne eine Veranstaltung unter erwachsenen Forschern. Wir haben die Verben des Ausbildens, des Beibringens, des Vermittelns von Wissen. Forschende Bildung - und eben nicht Ausbildung - ist ein Akt, der in der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden entsteht, mit wechselnden Rollen.
Bei uns gibt es kein - wie bei Business Schools übliches und nicht seriös einhaltbares - Karriereversprechen. An der ZU gibt es das Versprechen, dass man nicht nur die Anschlussfähigkeit an bestehende Theorien sicherstellen muss, sondern vor allem seinen eigenen Fragen nachgehen darf. Die Studierenden dürfen - ganz im Sinne Nietzsches - so werden wie sie sind. Diese Energien in Forschung wie Praxis sind für uns Professoren nahezu umwerfend.
"Wir mögen den Begriff Elite nicht sonderlich"
Was sollen Ihre Absolventen besser machen als die Manager von heute?
Schwierige Frage. Vermutlich müsste es um Präsenz, um Gegenwärtigkeit, vielleicht sogar Geistesgegenwart gehen. Meine Vermutung ist, dass viele Manager Versagensängste haben. Das treibt sie an. Manager von heute zeichnet systematisch aus, dass sie hinterher arbeiten, um das erst noch zu erfüllen, was sie den Kapitalmärkten und Kunden bereits versprochen haben. Die Angst, das selbst Versprochene zukünftig nicht einhalten zu können, führt paradoxerweise zur Steigerung der Ankündigungen. Da das Gegenwärtige bereits an der Börse eingepreist ist, wird die inszenierte Zukunft die wesentliche Gestaltungsaufgabe.
Beispiel Fusionen: Das Management des Käufers zahlt eine hohe Prämie dafür, dass er glaube, zukünftig mehr aus dem Zielunternehmen herauszuholen. Diese Erwartung an das eigene Management zahlt er zum Kauftag schon mal an die Zielaktionäre aus. Dann arbeitet es nur noch dafür, das bereits an Dritte Ausgezahlte wieder hereinzukriegen. Und die Analysten? Sie erwarten, dass die Prognosen übertroffen werden. Das ist der Tim-Thaler-Effekt: Die Zukunft ist schon verkauft.
Um mit dieser Situation umzugehen, muss man entweder ein Familienunternehmen sein oder ein bestimmter Typ von Manager. Wir sind sehr gespannt, wie die Studierenden der Zeppelin Universität das händeln, weil sie damit bereits im Studium reflexiv umgehen.
Dann ist Ihre Uni keine Eliteuni im üblichen Sinne?
Sicherlich nicht, wenngleich Elite ja eben nicht üblich ist. Wir mögen den Begriff Elite nicht sonderlich, als Universitätspräsident kann man diesen ja auch gar nicht mögen. Elite ist ein Konzept, nach dem für bereits vergangene und beobachtbare Leistungen von dritter Seite rückwärts ein Elitestatus zugeschrieben wird. Es ist schon amüsant, dass einige der Universitäten sich nach der Exzellenzinitiative selbst als Eliteuniversität bezeichnen.
Gute Universitäten fangen genau andersherum an. Die Studierenden sind an der ZU noch am Anfang Ihrer Biographie und daher finden wir - natürlich unserem Namenspatron folgend - den Pionieranspruch reizvoller. Wir versuchen also, unsere Studenten bei der Existenzgründung - und das ist tatsächlich im existenzialistischen Sinne gemeint - zu begleiten. Das hat mit Elite gar nichts zu tun. Management ist keine Profession wie etwa Arzt, Jurist oder Architekt.
Was ist Management dann?
Neben der Ermöglichung von als unmöglich angesehenen Ideen ist Management wohl vor allem die Produktion kommunikativer Störungen, wie es der Management-Philosoph Tom Peters einmal ausführte. In einer Organisation werden - systemtheoretisch formuliert - Entscheidungen produziert. Alles andere ist nachrangig. Bei Autoherstellern werden keine Autos gebaut, in Museen keine Ausstellungen gemacht, in Opernhäusern keine Opern aufgeführt und in der Politik keine Gesetze verabschiedet; es werden Entscheidungen getroffen. Das ist das Einzige, was den Manager unterscheidet von allen anderen Figuren, die wir in der Gesellschaft so haben.
Also wollen Sie Ihre Studenten dahin bringen, richtige Entscheidungen zu treffen?
In der Regel ist bereits die Unterscheidung zwischen richtig und falsch eine Entscheidung. Natürlich muss Handwerkzeug ebenso wie Denkwerkzeuge vermittelt werden. Die Studierenden brauchen ein Gefühl für das für andere als relevant Angesehene. Aber im Kern geht es darum, Entscheider zu werden. Entscheider kann aber nicht derjenige sein, der meint, er müsste richtig oder falsch entscheiden.
Entscheidungen müssen so getroffen werden, dass die anderen glauben, es wäre die richtige Entscheidung. Nur dann werden Entscheidungen auch akzeptiert und sind folgenreich, das heißt, es werden Anschlussentscheidungen getroffen.
Sind Entscheidungen, die aufgrund der eigenen Überzeugung getroffen werden, falsch?
Nein, das Problem ist, dass diese Unterscheidung selbst beobachterabhängig ist. Auch die verhaltens- und neurowissenschaftliche Theorie der Wirtschaftswissenschaften weist zu recht darauf hin, dass Emotionalisierung von Entscheidungen zentral ist - sowie deren Ex-Post-Rationalisierung.
"Manager sind Störer, Ermöglicher und Atmosphärenbeobachter"
Aber sind nicht diejenigen Manager am überzeugendsten, die aus Überzeugung handeln?
Nur, wenn andere die Überzeugung teilen. Ein anregender Gedanke für eine - immer nur mit der Perspektive der Dritten - als richtig angesehene Entscheidung ist der Gedanke der Sokrates'schen Mimesis. Mimetisches Entscheiden, das man inszeniert, als wäre es aus dem anderen heraus gedacht.
Entscheidung wäre dann eine andere begeisternde und damit nachvollziehbare Hellseherei des Entscheiders, da der andere glaubt, dass er es eigentlich selbst schon früher so formulieren wollte. Dies gelingt vor allem durch Zuhören und dann intelligentes, auf die eigenen Interessen abgestelltes Reformulieren als Neuformulierung. Das sind Fähigkeiten, die wenig mit Selbstüberschätzung und Hybris zu tun haben, wie wir es aktuell in der "Overconfidence-Forschung" diskutieren, also der Hypothese, dass Entscheidungen durch Überzuversichtlichkeit zustande kommen. Manager sind also Störer, Ermöglicher und Atmosphärenbeobachter.
Und wenn es atmosphärische Störungen gibt?
Jansen: Das ist sehr wahrscheinlich, da wir es mit einer medialisierten und damit rekonstruierbaren Gesellschaft der paradoxen, das heißt nicht mehr gleichzeitig erfüllbaren Stakeholder-Interessen zu tun haben. Nehmen wir als Beispiel nicht die Deutsche Bahn oder die Deutsche Telekom, sondern die Energieversorger: Es ist gegenwärtig nicht möglich, einen Energieversorger richtig zu managen. Da können Sie an die Spitze setzen, wen Sie wollen.
Warum ist das so?
Die Kunden sind emotionalisiert über den Klimawandel. Überspitzt: Klimaschutz ist Religionsersatz geworden. Kunden beispielsweise wollen aktuell geringe CO2-Emissionen - auch bei der Stromerzeugung. Grün gewaschene Konzerne bedienen - nicht immer professionell - grün gewaschene Konsumentenhaltungen. Aber der Kunde will Stromsparen und auch beim Strom sparen. Also - so die aktuell erfolgreichste Kampagne - immer einen Cent günstiger als die anderen. Die Kunden wollen billigen Strom mit geringen Emissionen. Das senkt den Umsatz und determiniert teilweise auch die Produktionsweise.
Die Politik will hingegen keine Atomkraftwerke. Die EU fordert wiederum einen Verkauf von Netzen, bei denen die deutsche Bundesnetzagentur eine Höchstrendite von 3,6 Prozent festgeschrieben hat, die der Kapitalmarkt schließlich nicht akzeptieren kann. Die Verbraucherschützer wollen hingegen die Verstaatlichung, die von der Regierung nicht gewollt ist. So paradox sind die Bedürfnisse konstruiert.
Wie attraktiv ist dann noch das Management?
Diese Paradoxien sind es, die gutes Management unmöglich machen und gleichzeitig die Attraktivität erklären, warum es Management geben muss und warum sich Manager dafür interessieren. Manager sind Paradoxiekünstler des "weder-nochs" und des "sowohl-als-auchs".
Vor dem Hintergrund dieser paradoxen Gemengelage von Interessen und atmosphärischen Überlagerungen muss der Manager Entscheidungen treffen. Das wäre bei voller Kenntnis aller Widersprüche gar nicht möglich und funktioniert deswegen nur mit Strategien der Invisibilisierung, also mit Strategien der Undurchsichtigkeit, der Nichttransparenz.
Das wird kaum auf Gegenliebe bei den Corporate-Gouvernance-Anhängern stoßen.
Transparenz ist derzeit der Lösungsfetisch. Ich bin da zögerlich. Es geht ja bei Invisibilisierung nicht um Täuschung, sondern um Ablenkung oder Umlenkung von Aufmerksamkeiten. Statt dröger und eben leider widersprüchlicher Daten, Fakten und Zahlen muss der Manager heute eine Geschichte erzählen. Durch die Geschichte kann er relativ viele Dinge invisibilisieren.
Gute Geschichten sind - das wissen wir schon aus den Grimmschen Märchen - vordergründig sehr einfach, aber hintergründig sehr mehrdeutig. Storytelling, eine eher blasse Geschichte der Methode des Geschichtenerzählens wird derzeit ordentlich aufgefrischt - in Marketing, Organisation, Führung und natürlich auch im Controlling. Aber das heutige Dogma der Transparenz treibt schon erstaunliche Blüten.
"Eine gute Geschichte funktioniert wie ein Brühwürfel"
Vor dem Hintergrund der Siemens- und der VW-Affäre verwundert das nicht.
Aber wir sehen doch, dass sich trotz der Rating-Agenturen, Compliance-Abteilungen, Risiko Management, dem Corporate-Governance-Kodex und weiteren Auflagen nicht wirklich etwas ändert; außer dass durch die Transparenz die Generalisierung der Korruptionsannahme eingetreten ist. Ein Beispiel zur Ökonomie der Intransparenz aus der eigenen Unigründung: Die Zeppelin Universität hat wohl die sicherste Finanzierung unter Deutschlands privaten Universitäten. Wir haben als Einzige unseren Haushalt, unser Stiftungskapital, unsere Fundraising-Strategie nie kommuniziert. Bei uns wissen das Wissenschaftsministerium und der Wissenschaftsrat die genauen Zahlen und Planungen, und das reicht, denn die müssen es für die staatliche Anerkennung im Sinne der Fürsorge für Studierende wissen. Alle anderen können es nicht beurteilen und erzeugen über Gerüchte eine sich selbst erfüllende Prophezeiung der Insolvenz. Kapitalmarkttheoretisch ist der Konnex einer zu frühen Transparenz einer vorinsolvenzlichen Situation und der Insolvenz belegt.
Ihre Konsequenz aus der Zwickmühle?
Ich erzähle natürlich auch Geschichten, von abstürzenden Zeppelinen, der daraus 1908 entstandenen und uns absichernden Zeppelin-Stiftung, von Pionieren, von den heutigen Uniberatern Humboldt und Nietzsche und so weiter. Bis irgendwann die Finanzierung als uninteressant gilt, und man deswegen selbst finanziell fördert. Eine Geschichte erzählen, das ist heute eine der Hauptanforderungen, die an einen Manager gestellt werden. Deswegen sollten sie sich auch viel Zeit für ihre Kinder nehmen, das ist das ideale Trainings-Lager.
Bitte ein Beispiel für eine gute Geschichte.
Gut, dann eine persönliche Geschichte über eine Geschichte. Anfang 1999 habe ich die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page in der Bibliothek in Stanford getroffen. Die haben sich dauernd lautstark um den richtigen Algorithmus gestritten, und ich dachte noch: Das sind richtige Mathematiker, die wollen was rechnen, die machen absurde Dinge, die keiner braucht. Dann ging Google live, und ich hörte die Studenten - und zwar nach wenigen Tagen auch meine eigenen in Deutschland - sagen: "Das ist echt eine coole Suchmaschine."
Warum, wollte ich wissen. Die Antwort: "Google ist total schnell." Das war aber damals bei langsamen analogen Modems kein wirklich schlagendes Argument. Aber dann hieß es: "Die haben die besseren Suchergebnisse." Diese Geschichte haben die Google-Gründer über ihren besseren Algorithmus erklärt. Das hat aufgrund der Nichtnachprüfbarkeit und der Trivialität des Layouts - das selbst eine Legende ist - funktioniert. Ob nun Google böse ist oder nicht, das wiederum ist eine andere Geschichte.
Was ist das Besondere an einer guten Geschichte?
Ich glaube, dass die Management-Lehre in den vergangenen Jahrzehnten extrem an ihrem anwendungsorientierten Erfolgsrezept gelitten hat: voreilige Trivialisierung. Eine gute, also weitererzählbare Geschichte entsteht hingegen aus einer ordentlichen Komplexität von Beobachtungen und wirkt dann im Ergebnis sehr einfach, nacheilend trivial, weil sie begeistert.
Eine gute Geschichte funktioniert wie ein Brühwürfel. Man kann sie mitnehmen und sie in einem anderen Gespräch wieder ins Wasser werfen und sie gibt sofort wieder eine fantastische Suppe. Der Harvard-Soziologe Harrison White hat es präzise formuliert: "Märkte sind eigentlich Gespräche und leben von Angebot und Nachfrage: von guten Geschichten."