Führungskultur im Wandel

So entwickeln Sie gutes Personal

16.04.2014 von Ulrich Dessel
Unternehmerisch denkende Mitarbeiter wünschen sich viele Führungskräfte. Doch mancher Chef befürchtet: Wenn jeder Mitarbeiter macht, was er für richtig hält, bricht im Unternehmen das Chaos aus.

"Wir brauchen Mitarbeiter, die unternehmerisch denken und handeln." Das betonen viele Unternehmensführer. Und fragt man nach, was dies bedeutet, dann hört man oft: "Unsere Mitarbeiter müssen bei der Alltagsarbeit mehr Eigenverantwortung zeigen; des Weiteren die Bereitschaft, Risiken zu tragen. Sonst können wir die Herausforderungen, die der Markt an uns stellt, nicht meistern." Und dann folgt oft ein Klagelied. Genau diese Eigenschaften beziehungsweise Verhaltensweisen zeige das Cross der Mitarbeiter nicht. Nur wenige blickten bei ihrer Arbeit über den Rand ihres Schreibtischs hinaus und seien bereit, das Risiko eventueller Fehlentscheidungen einzugehen. Ihr Augenmerk richte sich vielmehr primär darauf, sich abzusichern, so dass ja kein Kollege oder gar Vorgesetzter sie kritisieren kann - unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um einfache Mitarbeiter oder mittlere Führungskräfte handle.

Angst der Mitarbeiter, eigenständig zu entscheiden

Dass dies in zahlreichen Betrieben Realität ist, ist kein Zufall. Viele Unternehmen erwarteten von ihren Mitarbeitern jahrzehntelang primär, dass sie gehorsam die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen. Das taten diese denn auch. Völlig ungewohnt ist es für sie folglich, am Arbeitsplatz eigenständig Entscheidungen zu treffen. Denn das Entscheiden nahmen ihnen in der Vergangenheit ihre "Chefs" ab. Entsprechend verunsichert reagieren sie, wenn von ihnen plötzlich gefordert wird: Entscheide selbst -insbesondere dann, wenn diese Entscheidungen Auswirkungen auf andere (Arbeits-) Bereiche als die ihrigen haben. Denn eine weitere unausgesprochene Vorgabe lautete in der Vergangenheit: Erfüllt eure Aufgaben und mischt euch nicht in fremde Kompetenzbereiche ein. Entsprechend groß ist die Angst vieler Mitarbeiter, anzuecken, wenn sie mehr Eigeninitiative und -verantwortung zeigen.

Mit einem über Jahrzehnte antrainierten Verhalten lässt es sich aber nicht erklären, dass auch viele junge Führungskräfte im Arbeitsalltag ein wenig risikobereites Verhalten zeigen. Denn sie sind neu in der Organisation. Trotzdem zeigen auch sie meist schnell die Verhaltensmuster der "alten Hasen". Vor allem weil sie in vielen Betrieben rasch die Erfahrung sammeln: Eigenverantwortliches Verhalten wird zwar propagiert, doch wenn ich zu viel davon zeige, wird dies sanktioniert. Und mein berufliches Fortkommen fördert ein solches Verhalten nicht. Denn wenn ich mich zu oft in Sachen einmische, die mich "nichts angehen", gelte ich als nicht teamfähig und schwer integrierbar. Und wenn ich Fehlentscheidungen treffe? Dann stehe ich schnell am Pranger.

Angst der Chefs, die Kontrolle zu verlieren

Eine Ursache, warum der Führungsnachwuchs oft diese Erfahrung sammelt, ist: Zahlreichen Unternehmensführern graust es insgeheim bei der Vorstellung von vielen kleinen Unternehmern in ihrer Organisation - selbst wenn sie verbal das Gegenteil propagieren. Denn sie befürchten: Dann kann ich das Unternehmen (oder meinen Bereich) nicht mehr steuern und kontrollieren. Denn eines ihrer heimlichen Credos lautet: Führung erfolgt stets nach dem hierarchischen Prinzip. Wer oben ist, sagt wo’s lang geht, und wer unten steht, erfüllt die Vorgaben.

Begeisterungsfähigkeit nutzen
Viele Unternehmen lassen sich bei der Personalauswahl noch zu häufig allein von der Fachexpertise, dem Leistungswillen und der Eloquenz der Kandidaten leiten. Wenn jemand mit Leidenschaft seinem Beruf nachgeht oder gar ein besonders kreativer Querdenker ist, wird ihm das eher negativ ausgelegt. Mehr Mut zu weniger Uniformität und Stromlinienförmigkeit kann sich vor allem in Forschung und Entwicklung, in Marketing und Vertrieb bezahlt machen.
Begeisterungsfähigkeit nutzen ...
Das Management gerade deutscher Unternehmen ist jedoch häufig zu eindimensional auf Effizienz getrimmt. "Beim Optimieren von Prozessen ist das goldrichtig, bei kreativen Prozessen nur bedingt", warnt Jens-Uwe Meyer, Autor des Buches "Das Edison-Prinzip"
Guter Kommunikator sein
Wer Mitarbeiter für die Sache begeistern und damit ihre Motivation erhöhen möchte, muss auch ein guter Kommunikator sein, mit guten Argumenten, aber auch der nötigen Empathie für die menschlichen Belange. Gut kommunizieren zu können, ist auch in der notwendigen Darstellung nach außen enorm wichtig. Dies erst zu lernen, wenn man bereits auf der Zielgeraden für eine Top Position ist, ist eindeutig zu spät. Übrigens gehört dazu auch ein verhandlungssicheres Englisch.
Freien Informationsfluss fördern
Wer Ideenfindung zur Chefsache erklärt, zeigt seinen Mitarbeitern vielleicht, wer in der Hierarchie ganz oben steht. Er läuft aber auch Gefahr, wichtige Details oder Erkenntnisse zu übersehen und damit Fehlentscheidungen zu treffen. Weil Technologiesprünge, Veränderungen von Geschäftsmodellen und Kundenbedürfnisse sich immer schneller drehen, kann ein einzelner - egal wie gut er ist - niemals alle für Geschäftsentscheidungen relevanten Informationen überblicken.
Freien Informationsfluss fördern ...
Wer hingegen in den offenen Ideenaustausch mit seinen Mitarbeitern investiert, braucht zwar mehr Zeit, erntet dafür aber am Ende auch die kreativeren Ideen und durchdachteren Konzepte. Gleichzeitig schafft die direkte Einbindung eine höhere Identifikation mit dem Ergebnis, das Mitarbeiter dann viel motivierter umsetzen, denn es ist ja auch ihr Konzept.
Teamwork statt Hierarchien
Am kreativsten sind Mitarbeiter in Teams mit flachen Hierarchien. Um die Expertise aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen, Fachgebieten und Ländern an einen Tisch zu bringen, hat z.B. der Essener Konzern Evonik sogenannte Forscher-WGs eingerichtet, in denen Experten aus verschiedenen Unternehmensbereichen und Ländern über drei Jahre lang gemeinsam Innovationen ausbrüten.
Teamwork statt Hierarchien ...
Der IT-Dienstleister IBM veranstaltet sogenannte "Innovation Jams", bei denen sich über Hunderttausend IBM-Mitarbeiter, deren Familien, Wissenschaftler und Kunden aus der ganzen Welt drei Tage lang via Computerbildschirm über neue Ideen, Innovationen und die Lösung kniffliger Probleme austauschen.
Rollen vergeben
Führungskräfte umgeben sich häufig am liebsten mit Personen, die ähnliche Stärken aufweisen wie sie selbst. Wer gerne kommuniziert, arbeitet gerne mit kommunikativen Menschen. Wer detailverliebt ist, schätzt Mitarbeiter mit ähnlichen Präferenzen. Wer seine Stärken und Schwächen kennt und sich vornimmt, das volle Potenzial seines Teams zu heben, kann sich als Führungskraft darauf konzentrieren, die verschiedenen Talente so einzusetzen, dass sie sich ergänzen - zum Erfolg aller.
Rollen vergeben ...
Teams sind dann besonders stark, wenn jeder eine eigene Rolle seinen Fähigkeiten entsprechend übernehmen kann. Der Job des Teamleiters ist es, jedem die passende Rolle zuzuteilen.

Das Wort Hierarchie bedeutet übersetzt "Heilige Herrschaft" oder "Herrschaft der Heiligen". So verhalten sich denn auch viele Unternehmensführer. Hinterfragt ein "Untergebener" ihre Entscheidungen oder möchte er mitentscheiden, trifft ihn schnell ihr Zorn. Denn hiermit stellt er, so ihr Empfinden, die heilige Ordnung "oben-unten" in Frage. Entsprechend scharf reagieren zahlreiche obere Führungskräfte, wenn Untergebene es wagen, eigene Positionen nachhaltig zu vertreten und somit - in ihren Augen - ihre Entscheidungskompetenz und -macht zu hinterfragen.

Nicht wenige Führungskräfte betrachten es zudem als ihr Privileg, über die Weitergabe von Information zu entscheiden. Sie glauben außerdem, es sei ihr Recht, in das Tagesgeschäft ihrer Untergebenen hineinzuregieren. Dabei müsste das Fordern von mehr Eigenverantwortung und -initiative mit einem Rückzug der Vorgesetzten aus dem Tagesgeschäft verbunden sein.

Lern- und Change-Prozess top-down

Diese Widersprüchlichkeit registrieren die Mitarbeiter. Entsprechend schizophren ist oft ihr Verhalten - selbst wenn es sich bei ihnen um scheinbar gestandene Manager handelt. Immer wieder beobachtet man in Unternehmen folgende Situation: Unterhält man sich mit einem Bereichsleiter unter vier Augen, strahlt er eine so große Selbstsicherheit aus, dass man fast meinen könnte, ihm gehöre das Unternehmen. Trifft man dieselbe Person aber, wenn der "big boss", also ihr Vorgesetzter, anwesend ist, dann mutiert der selbstbewusste "Entscheider" zum devoten "Aktentaschenträger".

Coachend
Der Vorgesetzte legt Wert auf die berufliche Entwicklung der Angestellten.
Perfektionistisch
Der Vorgesetzte erwartet Aufgabenerfüllung auf höchstem Niveau.
Partizipativ
Der Vorgesetzte legt Wert auf das gemeinsame Entwickeln von Ideen.
Zusammenhalt fördernd
Der Vorgesetzte legt viel Wert auf ein harmonisches Miteinander.
Visionär
Der Vorgesetzte entwickelt den Mitarbeiter langfristig und zeigt ihm Perspektiven auf.
Direktiv
Der Vorgesetzte gibt Anweisungen und erwartet, dass der Mitarbeiter sie kommentarlos und uneingeschränkt befolgt.

Daraus folgt: Wenn unternehmerisches Denken und Handeln in einer Organisation verankert werden soll, dann ist zunächst ein Umdenken und Neulernen der oberen Führungskräfte nötig. Doch dies spiegelt sich leider in den meisten Personalentwicklungskonzepten nicht wider. Sie setzen in der Regel den Fokus einseitig auf die Mitarbeiter. Sie sollen die Fähigkeit entwickeln, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Übersehen wird, dass auch ihre Vorgesetzten die Fähigkeit entwickeln müssen, Mitarbeiter unternehmerisch denken und handeln zu lassen. Vernachlässigt wird zudem, dass es zu weiten Teilen die Unternehmenskultur ist, die das Verhalten der Mitarbeiter prägt. Deshalb kommen Unternehmen, wenn es um Entwickeln von mehr Eigenverantwortung und -initiative in ihrer Organisation geht, mit einem Entwickeln der individuellen Kompetenzen der Mitarbeiter allein nicht weit. Auch die Unternehmens- und Führungskultur muss sich wandeln - und zwar top-down.

Die sechs Führungsstile
Die Unternehmensberater der Hay Group haben sechs verschiedene Führungsstile ermittelt, die ein Chef ausüben kann. Je größer der Mix aus allen sechs ist, desto zufriedener sind seine Mitarbeiter. Sie leisten mehr und sind weniger krank.
1. Der Chef ist der Chef ist der Chef
Im direktiven Umgang erwartet der Chef, dass die Mitarbeiter seinen Anweisungen ohne Wenn und Aber folgen. Das Warum erfährt der Mitarbeiter meist nicht. Das kann bei Umstrukturierungen hilfreich sein, wenn man ein Unternehmen aus der Krise holen muss. Zum normalen Arbeitsalltag passt dieser Führungsstil nicht.
2. Der Erklärer
Der visionäre Chef setzt darauf, seine Mitarbeiter zu entwickeln und erarbeitet mit ihnen Perspektiven. Ihm ist es wichtig, dass seine Kollegen verstehen, warum sie etwas tun sollen.
3. Der Coach
Dem Erklärer ähnlich ist der coachende Chef, dem die Entwicklung seiner Angestellten sehr am Herzen liegt.
4. Alle für einen!
Andere Vorgesetzte fördern den Zusammenhalt: Ihnen ist es wichtig, dass alle gut miteinander umgehen. Vor allem in Stresszeiten ist das ein guter Führungsstil, denn das Team rückt näher zusammen.
5. Der Chef packt selbst an
Dieser Führungsstil wird eher von Jüngeren ausgeübt: Ein partizipativer Chef drückt seine Befehle nicht durch, sondern setzt auf Teamarbeit. Das fördert die Motivation der Mitarbeiter sehr.
6. Der Perfektionist
Wehe, einer spielt nicht im Takt! Der Perfektionist stresst seine Mitarbeiter schon mal mit seinen hohen Anforderungen an die Qualität der Arbeit. Andererseits greift er ein, wenn man selbst nicht weiter weiß.

Ulrich Dessel ist einer der beiden Geschäftsführer der auf den Mittelstand spezialisierten Unternehmensberatung Nollens, Dessel & Kollegen in Soyen (Oberbayern). Die Mittelstandsberatung unterstützt mittelständige Unternehmen beim Steigern ihrer Leistungskraft und Erhöhen ihres Outputs.