Machthunger in der Chefetage

So teuer sind Despoten im Büro

05.04.2024 von Lin Freitag
Machthungrig, knallhart, mitunter skrupellos: Der Machiavellist ist in Chefetagen keine Seltenheit. Psychologe Christian Montag erklärt, wann dieser Führungstyp zur Belastung wird - und was man von ihm lernen kann.

Christian Montag ist Heisenberg-Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Er beschäftigt sich mit den biologischen Grundlagen von Persönlichkeitseigenschaften. Also mit der spannenden Frage, was einen guten Chef ausmacht.

Der Machiavellist gilt als durchsetzungsstark und machtbewusst. Um seine Ziele zu erreichen, verstößt er auch gegen Recht und Moral. Im Berufsleben bringt das doch bestimmt viele Vorteile?

Christian Montag: Dieser Frage ist man schon in zahlreichen Studien nachgegangen, allerdings ohne empirisch eindeutigen Befund. Ob ein Machiavellist berufliche Vorteile hat oder nicht, ist beispielsweise stark von der Branche und dem Job abhängig. So konnte Studien nachweisen, dass Verkäufer mit machiavellistischen Zügen mehr Grundstücke oder Beispiel mehr Autos verkaufen. Aber grundsätzlich fallen Machiavellisten auch häufig auf die Nase, gerade wenn sie Führungsverantwortung haben. Beispielsweise werden sie dann - wenig verwunderlich - schlecht mit Hinblick auf ihre Managementfähigkeiten bewertet.

Weil die Mitarbeiter unter ihnen leiden?

Christian Montag: Nicht nur die Mitarbeiter, auch das Unternehmen. Zum einen ist es teuer, die richtigen Kandidaten für einen solchen Führungsposten zu gewinnen. Wenn sich der Wunschkandidat dann als Machiavellist entpuppt und durch sein rein eigennütziges Verhalten vielleicht auch noch andere Mitarbeiter vergrault, ist das richtig ärgerlich für das Unternehmen. Aber andererseits gibt es sicherlich auch Zeiten, in denen eher Machiavellisten gefragt sind, zum Beispiel wenn ein knallharter Sanierer gebraucht wird.

Zehn Motivationsmärchen, die sie besser nicht glauben
Alles ist möglich – Inklusive Bankrott, Burn-out und Betrug
Der faule Zauber: „Du kannst alles erreichen, wenn du nur wirklich willst“. Das ist Bullshit. Jeder von uns hat Grenzen, körperliche, mentale, intellektuelle, finanzielle... Es kann definitiv nicht jeder Astronaut, Millionär oder auch nur Frauenschwarm werden. <br> Der wahre Kern: In den meisten von uns steckt mehr, als wir denken und uns zutrauen. Vielen Menschen täten eine optimistischere Grundhaltung und mehr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten gut. Wer die Messlatte etwas höher legt und mutig handelt, erreicht mehr als jemand, der zu früh aufgibt. Insofern ist „Alles ist möglich!“ eine positive Provokation, die (typisch deutsches?) Miesmachertum und „Das haben wir noch nie so gemacht“-Lethargie infrage stellt.
Tsjakkaa! Urschrei-Therapie für Versager
Der faule Zauber: Wer Tsjakkaa schreit, wird unbesiegbar. Er spornt Sie zu großen Leistungen an, so das „Du schaffst es!“-Versprechen. Das stimmt so nicht, denn Schreien gibt allenfalls einen kurzen Kraftimpuls. Möglicherweise ist der Tsjakkaa-Schrei deswegen so beliebt, weil er als euphorisches Erlebnis, als Überlegenheitsgeste, als Aufbegehren gegen eigene Ängste empfunden werden kann. Ein solcher Schrei gibt einen kurzen Schub, man fühlt sich eine Sekunde lang unbesiegbar. Doch der Effekt verpufft, er hat keine Nachhaltigkeit. <br> Der wahre Kern: Ein Ritual vor großen Herausforderungen kann die Angst dämpfen und die Konzentration fördern.
Positiv Denken! Selbstbetrug statt Aufbruchstimmung
Der faule Zauber: "Erfolg entsteht im Kopf", so die These. Doch bei den meisten Menschen bleibt er auch dort. Wer positiv denkt, programmiert sein "Unterbewusstsein" angeblich auf Erfolg und lebt allein durch die Kraft seiner Gedanken glücklicher, erfolgreicher und gesünder. Der wahre Kern: Eine optimistische Grundhaltung hilft, Herausforderungen zu meistern. Und man kann trainieren, sich nicht von Grübeleien und negativen Gedanken überwältigen zu lassen.
Ziele setzen! Es könnte alles so einfach sein...
Der faule Zauber: „Schreiben Sie Ihre Ziele auf und profitieren Sie von der magischen Wirkung schriftlich fixierter Zielvorstellungen!“, so das kühne Versprechen. <br> Der wahre Kern: Ziele wirken tatsächlich wie ein Kompass und steuern Handlungsrichtung, - dauer und -intensität. Auch eine schriftliche Fixierung ist von Vorteil. Darüber hinaus kommt es aber vor allem darauf an, ins Handeln zu kommen. Aufschreiben allein genügt nicht!
Visualisieren! Fata Morgana der Träumer
Der faule Zauber: ...besteht in der Behauptung, eine Zielcollage entfalte eine geradezu magische Wirkung und lasse die ausgewählten Bilder quasi automatisch Wirklichkeit werden. <br> Der wahre Kern: Im Brainstorming und bei der Ideenfindung kann man gut mit Bildern arbeiten. Und: Was wir vor Augen haben oder was uns beschäftigt, lenkt unsere Aufmerksamkeit. Sich mit seinen Zielen auseinanderzusetzen schärft daher die Wahrnehmung für thematisch Passendes.
Glaub an dich! Sprüche statt Strategien
Der faule Zauber: ...entsteht, wenn banale Trostsprüche sich als echte Hilfestellung tarnen. <br> Der wahre Kern: Kurzfristig tut Trost gut, und wir alle brauchen gelegentlich Trost. Der sollte uns allerdings nicht einlullen und nicht davon abhalten, ins Handeln zu kommen.
Sei ein Teamspieler! Wer's glaubt, wird selig aber nicht erfolgreich
Der faule Zauber: ...besteht im Lobgesang auf eine nicht näher definierte „Teamfähigkeit“. Wer sich im Team versteckt und Konflikte scheut, wird es nicht weit bringen. <br> Der wahre Kern: Wer andere für sich und seine Ziele gewinnen kann, kommt leichter vorwärts. Dafür muss man aber Teams nutzen können, statt sie als bequeme Hängematte misszuverstehen.
Lauf Marathon! Unsinn des sportlichen Aktionismus
Der faule Zauber: Es wird suggeriert, (extreme) körperliche Fitness sei der Schlüssel zum Erfolg auch auf anderen Gebieten. <br> Der wahre Kern: Menschen, die gesund leben, sind im Allgemeinen leistungsfähiger.
Sei ganz du selbst! Die Lüge des Authentischseins
Der faule Zauber: ...besagt, dass man „einfach“ nur man selbst sein müsse, und alles werde sich zum Besseren wenden. Das ist im besten Fall nichtssagend, im schlimmsten Fall irreführend. „Wähle dir Rollen, die zu deinen Werten und Eigenschaften passen, und reflektiere regelmäßig, wie du diese Rollen am besten ausfüllen kannst“, wäre ein ehrlicher und angemessener Rat. Nur ist der für das simple Weltbild, das die Tsjakkaa-Propheten verkaufen, vielleicht ein wenig zu komplex. <br> Der wahre Kern: ...besteht darin, dass Menschen, die im Einklang mit ihren Werten und Bedürfnissen leben, glücklicher und potentiell auch erfolgreicher sind als Menschen, die das Gefühl haben, sich täglich verbiegen zu müssen.
Hab Spaß! Das Lächeln der Loser
Der faule Zauber: „Hab Spaß“ wird zur Erfolgsphilosophie überhöht, nach dem Motto: „Lächle in die Welt, und die Welt lächelt zurück.“ Das lädt zur Realitätsflucht ein und verhindert einen angemessenen Umgang mit Krisen. Wer die Erwartung schürt, der Job, das Leben (die Beziehung, der Sport etc.) solle immer Spaß machen, braucht vor allem eines - unbeschränkten Zugang zu Glückspillen. <br> Der wahre Kern: ... ist, dass man Erfolge feiern sollte, um Kraft für die Zukunft zu schöpfen, und dass in einem erfüllten Leben auch Platz für Freude und Genuss ist.
Quelle
Rolf Schmiel <br> Senkrechtstarter – Wie aus Frust und Niederlagen die größten Erfolge entstehen <br> Campus Verlag; Auflage: 1 (10. September 2014) <br> ISBN-10: 3593500086 <br> ISBN-13: 978-3593500089

Also schlägt in Krisenzeiten die Stunde des Machiavellisten?

Christian Montag: Ein Machiavellist kann eine solche Umstrukturierung möglicherweise nüchterner und vielleicht auch konsequenter vorantreiben als jemand, der sehr empathisch ist. Grundsätzlich unterliegt der Führungsstil, der gerade en vogue ist auch immer dem Zeitgeist. Vor der Finanzkrise war häufiger der machtbewusste Alleinentscheider gefragt, der schalten und walten konnte, wie er wollte.

Nun gibt es für Führungskräfte zum Glück auch mehr (ethische) Regularien. Zusätzlich müssen die Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels ihren potenziellen Mitarbeitern das Rundum-Wohlfühl-Paket liefern. Ein Machiavellist als Chef passt da nicht so richtig rein.

Also haben wir gerade keine gute Zeit für Machiavellisten?

Christian Montag: Und in Zeiten, in denen ethische Führungsrichtlinien immer bedeutsamer werden, wird es vermutlich noch schwerer. Momentan sind ja erst einige wenige Branchen vom Fachkräftemangel betroffen. Schwer hat es der Machtbewusste auch in Unternehmen mit flachen Hierarchien - und auch das wird sich in den nächsten Jahren eher noch verbreiten.

Gibt es ein prominentes Beispiel für einen Machiavellist?

Christian Montag: Steve Jobs zeigte sicherlich Tendenzen auf. Er galt als Choleriker, hat das Unternehmen mit harter Hand geführt und keine Meinung außer seinen eigenen gelten lassen. Er hatte ganz genau vor Augen, wie seine und zwar nur seine Vision umgesetzt wird.

Wenn der Chef ohne Grund ausrastet

Aber er galt auch als genial. Kann man auch etwas vom Machiavellisten lernen?

Christian Montag: Es ist sicherlich nicht verkehrt, auch an sich selbst zu denken. Sich nicht von anderen unterbuttern lassen und für seine Interessen und die eigenen Ideen zu kämpfen. Aber: Viele Wege führen nach Rom. Man muss seine Ziele nicht auf Kosten anderer durchboxen - so wie es der Machiavellist in jedem Fall tun würde. Besser ist es nach Lösungen zu suchen, in denen beide Parteien am Ende besser dastehen also vorher. Um einen Machiavellisten akzeptieren zu können, bedarf es schon einem großen Genie, dem man diese unsozialen Tendenzen durchgehen lässt. Ähnlich könnte es wohl bei Steve Jobs gewesen sein.

Wie muss ich mich verhalten wenn ich einen Machiavellisten als Chef habe?

Christian Montag: Wenn der Chef ohne Grund ausrastet oder sich im Ton vergreift, sollte der Mitarbeiter vor allem eines: immer freundlich bleiben. Oft nimmt das solchen Typen schon den Wind aus den Segeln. Es ist emotional extrem anstrengend gegenüber einem freundlichen Gegenüber weiterhin mit Ärger oder gar Aggression zu reagieren. Ist die Persönlichkeitsausprägung allerdings sehr extrem, hilft das vermutlich alleine nicht weiter. Ein 100-Prozentiger Machiavellist reagiert eher wenig empathisch und lässt nicht viele Nähe zu.

Was bleibt dann für eine Möglichkeit?

Christian Montag: Entweder man kündigt oder wartet ab. Studien geben Hinweise darauf, dass Machiavellisten nicht lange bei einem Arbeitgeber bleiben. Sobald er als solcher enttarnt wurde, bleibt auch für ihn nur der Wechsel übrig. (Handelsblatt)