Günter Weinrauch, CIO beim Münchner Bezahlsender Premiere, hat die Zeit, um über Vision und Innovation zu reden. Durch das Auslagern der operativen IT halten ihm die Dienstleister das Alltagsgeschäft vom Leibe. Weinrauch und sein 20-köpfiges Team beschäftigen sich im Wesentlichen mit der Steuerung der Provider. Und mit Innovationen. Durch das Verschwinden der Grenzen zwischen Business und IT, so Weinrauch, werde fast alles IT: Fernsehen, Telefonie, Geschäftsprozesse, Content-Produktion, Devices. Die Fernsehbranche ist gleichermaßen getrieben von technischen und von Prozessinnovationen.
Anlass genug, die IT-Infrastruktur fit zu machen für die nächsten Aufgaben. Auf den CIO-Matineen im April sprach Weinrauch darüber, welche Zukunftstrends aus Gartners Hypecycle ihn wirklich bewegen. Und siehe da: Von Ausnahmen wie SOA abgesehen spielen im Alltag eines CIOs die meisten Hype-Themen gar keine Rolle. Als interessant entpuppen sich hingegen Themen wie der Umgang der Arbeitnehmer mit dem Internet und mobilen Lösungen sowie der Prozess der Innovationsfindung. Besonders der letzte Punkt gab auf den Matineen in Frankfurt und München Anlass zu Diskussion, denn er trifft den CIO unmittelbar.
Wir haben die Gelegenheit genutzt und den Praktiker Günter Weinrauch zusammen mit dem Strategen Luis Praxmarer, CEO der Experton Group, zu einem Gespräch über die Zukunft gebeten. Und es ist interessant zu sehen, was passiert, wenn Prognose auf Praxis trifft:
CIO: Luis Praxmarer vertritt die These, 2014 müsse ein CIO die Hälfte seiner Arbeitszeit für Innovationen aufbringen, andernfalls verlöre er seinen Job. Wie oft beschäftigen Sie sich für Ihren Arbeitgeber mit Innovationen?
Weinrauch: Versteht man unter Innovation bloß das Erarbeiten von noch nie da gewesenen Themen, würde ich den Anteil bei deutlich unter zehn Prozent ansetzen. Weitet man die Bedeutung von Innovation aber aus - auch auf die strategische Optimierung im Bezug auf Flexibilisierung, Effizienzsteigerung und Erhöhung der Kundenzufriedenheit -, dann sind wir heute schon recht nahe an 50 Prozent: Die Beschäftigung mit innovativer Serviceoptimierung ist längst zu einer unserer Kernaufgaben geworden.
Eine McAfee-Umfrage behauptet, dass neue IT-Projekte in fast der Hälfte der befragten Unternehmen nicht vom CIO angestoßen würden, sondern vom Vorstandschef oder Geschäftsführer. Dennoch halten Sie, Herr Praxmarer, den CIO für fähig, die Innovationsführerschaft zu übernehmen. Was bringt Sie dazu?
Es gibt zwei Gründe, warum der CIO dafür prädestiniert ist. Einmal sind IT und ICT heute die Ausgangsbasis für technologiegetriebene Innovation in allen Bereichen des geschäftlichen und privaten Lebens. Die Chancen und Risiken dieser Innovationen sollte der CIO besser verstehen als seine Vorstandskollegen und Geschäftsbereichsleiter. Dazu kommt: Fast alle Geschäftsprozesse sind heute IT-basiert oder von der IT unterstützt, aber nur wenige Personen im Unternehmen verstehen die gesamte Prozesskette über die einzelnen Unternehmensbereiche hinaus bis zu den Kunden und Lieferanten. Die IT-Organisation ist damit unweigerlich die Abteilung, die mit allen Prozessen zu tun hat und so zu Prozessinnovationen beitragen kann.
Herr Weinrauch: wer kümmert sich bei Premiere um Innovationen?
Innovationen zu neuen Produkten und Services kommen natürlich von den Fachbereichen; da steht die IT primär beratend zur Seite. Kernaufgabe der IT ist es jedoch, neue Marktrends und Projekte so weit zu antizipieren, dass die IT-technische Abbildung dann so effizient wie möglich geleistet werden kann. Das beinhaltet zum einen die fortwährende Flexibilisierung und Optimierung der IT-Infrastruktur. Zum anderen müssen wir dafür das Ohr am Kunden, also am Fachbereich, haben, um frühzeitig in neue Trends eingebunden zu sein und Projekte zu sehen, bevor sie entstehen. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass alle IT-Initiativen bei Premiere auch in fünf Jahren noch Bestand haben werden, gerade weil wir nicht jedem Hype hinterherhecheln, sondern auf langfristige Business Benefits setzen.
Herr Praxmarer, Ohr am Kunden - das klingt eher nach Reaktion als nach Aktion. Geht Ihnen das Innovationskonzept von Herrn Weinrauch weit genug oder würden Sie ihm mehr Initiative empfehlen?
In einem Unternehmen mit einem sehr hohen Reifegrad reicht es nicht mehr aus, reaktiv zu agieren. Manche Organisationen haben spezielle Teams ins Leben gerufen - Future Teams, Visions Teams oder was auch immer - und schaffen so innerhalb der IT Freiraum für Sandbox-Projekte, um sich mit neuen Technologien vertraut zu machen und sie auszuprobieren. Natürlich sollen solche Teams bereichsübergreifend aufgestellt sein, aber IT kann und soll hier eine starke proaktive Rolle übernehmen. Schauen wir uns aber die Realität an - etwa dass die Bedeutung von Innovation in Deutschland bei CIOs gerade einmal den 20. Platz einnimmt -, dann ist Herr Weinrauch schon sehr gut aufgestellt, und Premiere hat sich durch das Outsourcen der operativen IT schon den notwendigen Freiraum geschaffen.
Grundsätzlich sollte man aber differenzieren zwischen kontinuierlicher Verbesserung und Innovation. Zu oft betrachtet die IT eine neue Server-Plattform oder Virtualisierungen bereits als Innovation, obwohl es eigentlich nur darum geht, die Effizienz vorhandener Systeme zu verbessern. Da haben sogenannte disruptive Trends für die nächsten fünf Jahre sicher größere Bedeutung, auch wenn sie dann für die meisten als selbstverständlich gelten. Aber nochmal: Innovation ist kein Selbstzweck und innerhalb der IT erreichbar, sondern muss was substantiell Neues bringen und nachhaltigen Kunden- oder Produzentennutzen liefern.
Herr Weinrauch: Veranlassen Sie Prognosen, Ihre Arbeit als CIO zu überdenken? Oder was treibt Sie zu Innovationen in Ihrem Unternehmen?
Natürlich beobachte ich Industrietrends und Zukunftsprognosen sehr genau. Das heißt aber nicht, dass ich bei jedem Hype als Erster mit dabei bin; eine fundierte Meinung muss ich mir vorher schon bilden können. Einer der Megatrends ist dabei die Orientierung weg von der technischen IT hin zum business-orientierten Informations-Management; die laufende Reflexion über das Standing der eigenen IT-Organisation und die enge Verbindung zu den Business-Treibern werden dabei zur Kernaufgabe. Hier haben wir im engen Schulterschluss mit unseren Fachbereichen und IT-Dienstleistern eine Reihe von strategischen Initiativen ergriffen - auch wenn wir versuchen, diese so wenig disruptiv wie möglich zu gestalten.
Insgesamt denke ich, dass wir den Wandel mit den Maßnahmen der vergangenen Jahre schon sehr gut vollzogen haben und dass wir da weiter sind als viele meiner CIO-Kollegen - was aber kein Grund ist, auf dem aktuellen Stand zu verharren. Da das Medienumfeld insgesamt sehr dynamisch ist und Premiere ständig im Zentrum und häufig als Treiber der Veränderungen agiert, fußt meine IT-Strategie natürlich auch auf dieser Dynamik.
Herr Praxmarer, Hand aufs Herz: Rechnen Sie damit, dass die IT-Welt in sechs Jahren wirklich so aussieht wie beschrieben? Oder geht es bei Prognosen doch eher darum, bestimmte Weichen zu stellen, mit denen man sich alle Wege in eine letztlich ungewisse Zukunft offen hält?
Praxmarer: Natürlich sind viele der Prognosen auf die Early Adaptors ausgerichtet. Oft kommt die breite Masse erst mit Verzögerung hinterher, manche auch nie. Wir sollten dabei auch das Beharrungsvermögen vieler Mitarbeiter und Organisationen nicht unterschätzen; die Angst vor Veränderungen blockt viel Innovationspotenzial. Im Technologieumfeld wird es sicherlich in sechs Jahren immer wieder Themen geben, die wir heute nicht 100-prozentig voraussagen können, aber wir können das dafür notwendige Umfeld beschreiben. Menschen, Organisationen und Unternehmenskulturen zu ändern ist ein langwieriger Prozess, der gute Planung und ausreichend Vorlaufzeit benötigt. Technologien dagegen sind schnell ausgetauscht und schon heute nur noch die kleinere und meistens angenehmere Herausforderung für den CIO.