Kaum ein Anbieter versäumt es, schnell noch ein SOA-Etikett auf seine Produkte zu kleben. Von allen Seiten drängeln sich Anbieter, um Software, Integration und Beratung für Service-orientierte Architekturen zu verkaufen. Nur: SOA ist kein einzelnes Produkt, das CIOs sich kaufen können.
Capgemini definiert SOA allgemein als ein breites Rahmenwerk, in dem sich Softwareservices erstellen, verwalten und kombinieren lassen. Das Fernziel: eine an Geschäftsprozessen ausgerichtete IT-Anwendungslandschaft bauen, mit der Unternehmen schnell auf veränderte Geschäftsanforderungen reagieren können. Auch wenn SOA in erster Linie ein Management-Konzept ist, so benötigt die darunter liegende Infrastruktur auch weiterhin Soft- und Hardware.
Für Analyst Rüdiger Spies vom Münchener Beratungsunternehmen Experton kommt in allen Diskussionen zu kurz, dass es bei SOA um Architekturen geht. Zahlen über Marktvolumina hält er deshalb für Humbug, weil Unternehmen sich SOA nicht kaufen können.
Zwischen Anbietern und Anwendern herrscht noch ein großes Unverständnis, stellt er immer wieder fest. Das liegt auch daran, dass Anbieter ihre Botschaft schlecht rüberbringen und Anwender der Begriffsvielfalt kaum noch folgen können. So verkauft beispielsweise SAP das Thema unter den Etiketten ESA (Enterprise Service Bus), Netweaver und aktuell unter BPP (Business Process Platform). Spies rät: „Anbieter müssen sich dringend Gedanken darüber machen, wie sie SOA auf eine einfachere Formel bringen.“
Wolfgang Martin, Inhaber der Unternehmensberatung Wolfgang Martin Team, hält dagegen an einer Formel fest, die die ganze IT-Welt einbezieht. Portale gehen ebenso wie Enterprise Content Management und Business Intelligence (BI) in SOA auf. BI beispielsweise bringe beispielsweise Analytik und damit Intelligenz in die Prozesse. „Es findet eine Revolution statt, weil SOA alles miteinander verbindet“, sagt Martin voraus.
Martin teilt die Anbieter in drei Ligen ein. In der höchsten Klasse spielen für ihn IBM, Microsoft, Oracle und SAP. In der zweiten Liga kämpfen Sun, Bea, Tibco ebenso wie Sonic Software und die Software AG. In dem darunter liegenden Feld tummelt sich eine Vielzahl von Spezialanbietern für einzelne Lösungen.
Die Analysten von Forrester kategorisieren in der Studie „SOA and Web Services Management“ Anbieter dagegen nach reinen SOA-Anbietern wie Amber Point und Actional (kürzlich von Sonic gekauft) und Plattformanbietern wie HP, CA und Webmethods (siehe Grafik Seite 48). Allerdings rät Analyst Randy Heffner, einen reinen SOA-Anbieter nur zu wählen, wenn Unternehmen schnell ein SOA-Management für eine spezielle Applikation brauchen. Diese Lösungen reichen für den Zweck und lassen sich einfach implementieren. Wenn CIOs jedoch eine SOA-Strategie aufsetzen und verfolgen wollen, dann rät er dringend zu einem Plattform-Anbieter.
CIOs setzen auf große Anbieter
Bei der Auswahl des passenden Anbieters greifen deutsche CIOs auf große Anbieter zurück,wie die Studie „IT-Trends 2006“ von Capgemini ergab (siehe Grafik Seite 50). Danach setzen CIOs, die schon mit SOA begonnen haben, zu 60 Prozent auf SAP. Es folgen Microsoft (39 Prozent), IBM (35 Prozent) und Oracle (19 Prozent). Als einziger Spezialist hält nur Bea mit zwölf Prozent noch Anschluss. Die Beispiele von SAP und IBM zeigen exemplarisch, aus welchen Beweggründen sich Anbieter des Themas SOA annehmen. Die Motivation für IBM liegt für Analyst Spies darin, den Konzern weiter auf eine Linie zu bringen. Seit dem Jahr 2000 nutzt IBM das Thema E-Business als Katalysator, um alle Unternehmensbereiche unter einen Hut zu bekommen. Jetzt bedient sich Big Blue zusätzlich des eher technisch klingenden Kürzels SOA, um bei der Vereinheitlichung voranzuschreiten.
Anders liegt die Motivation bei Applikationsherstellern wie SAP. Das Unternehmen war mit seinen alten Programmiermethoden angesichts der Komplexität und des Umfangs von R3 am Ende angekommen, so Spies. Deshalb blieb SAP nicht anderes übrig, als die Riesenapplikation klein zu schneiden. Allerdings hätten die Walldorfer diese Aufgabe nicht Infrastrukturherstellern wie Bea, IBM und Microsoft überlassen wollen. Die Walldorfer konnten es nicht zulassen, dass andere Anbieter in ihrem System Fuß fassen.
Mit dem Schritt, das System selbst zu zerlegen, gerät SAP zwar in Konflikt mit Infrastrukturanbietern. Zwei Vorteile wiegen den Ärger jedoch auf: SAP kann einerseits wieder intern in kleineren Schritten entwickeln, wodurch das Unternehmen neue Produkte wieder schneller auf den Markt bringen kann. Andererseits bekommen Kunden nun durch Web Services standardisierte Schnittstellen. Sie basieren künftig nicht mehr auf der SAP-Programmiersprache Abap. „Das Konzept ist gut. Aber die Umsetzung dauert, weil Architekturen immer langfristige Projekte sind“, gibt Spies zu bedenken. Netweaver sei noch immer im Zeitplan. Nur die Akzeptanz der Kunden hinkt weit hinterher. Erst wenn ihre alten Systeme zu teuer werden, machen sie sich Gedanken über einen Wechsel zu Netweaver.
Netweaver nicht im Plan
Auch Berater Martin hält die SAP-Strategie für richtig, doch beurteilt er die Entwicklung kritisch. Er sieht das Projekt nicht im Plan: „Wenn Netweaver nicht in den nächsten drei bis vier Jahren zum Fliegen kommt, scheitert SAP.“ Spies räumt zwar ein, dass diese Gefahr einmal bestand. Inzwischen sei Netweaver aber so solide, dass Kunden daran nicht mehr vorbeikämen. „Anwender haben das trotz steigender Abhängigkeit akzeptiert, was mich sehr überrascht hat“, sagt Spies. Kunden nähmen lieber Abhängigkeit von nur einem Anbieter in Kauf, wenn dafür die Komplexität bei der Integration sinke.
Die oft mit SOA propagierte Unabhängigkeit von Anbietern scheint bei Anwendern nicht anzukommen: Bequemlichkeit, mehr Sicherheit durch einen Anbieter und Kosten der Komplexität durch viele Anbieter sprechen dagegen. Auch wenn sich aus technischer Sicht Produkte mehrerer Hersteller mit SOA deutlich einfacher integrieren lassen. „Das Mischen von Produkten unterschiedlicher Hersteller wird nicht so passieren, wie es die Anbieter versprechen – das kann man vergessen“, so Spies.
Dagegen wird auf Seiten von IBM viel passieren. „SOA ist für IBM der Weg zurück in die Applikationswelt“, prognostiziert Spies. Seine Begründung: IBM füllt schon immer Lücken bei großen Applikationsanbietern durch eigene Programme. Wenn IBM beispielsweise viele einzelne Logistikprogramme entwickelt, kann Big Blue irgendwann ein eigenes komplettes Logistikmodul anbieten. Durch die standardisierten Schnittstellen ließe sich dieses Modul einfacher an SAP oder Oracle anbinden. Aus Marketinggründen werde IBM solch ein Modul allerdings nicht mit einer Produktnummer und einem Namen in den Markt bringen, um Ärger mit den anderen Applikationsanbietern aus dem Wege zu gehen. Von allen Systemintegratoren sei einzig IBM in der Lage, heimlich etwas als No-Name-Produkt zu vertreiben.
Auch Oracle muss sich stark auf SOA einlassen, weil das Unternehmen sonst seine vielen Zukäufe nicht unter einen Hut bekommt, so Spies. Im „Fusion“-Projekt treibt Oracle die Integration auch massiv voran. Allerdings hinkt Oracle stark hinterher, weil die Entwicklerkulturen im Konzern nicht zusammenpassen: Siebel, Peoplesoft und Oracle arbeiten auf unterschiedlichen Code-Basen und mit verschiedenen Entwicklungswerkzeugen. „Oracle wird die Integration sicher schaffen. Offen bleibt aber, ob Oracle künftig Siebel- und Peoplesoft-Kunden mit Fusion-Applikationen versorgen kann“, sagt Spies.
Microsoft steckt durch Firmenkäufe in einer ähnlichen Situation wie Oracle. „Microsoft versucht, das Thema nicht unintelligent über Dynamic CRM aufzuziehen“, so Spies. Der erste Einstieg über die ERP-Seite durch das Umstellen von Great Plains und Navision auf .NET lief zwar wenig erfolgreich. Die Integration mit Office läuft aber gut, was immer als Killerargument gilt. Wenn die Produkte auf der ERP-Seite harmonisiert sind, sollen sie nachgezogen werden.
Schlechtes Marketing von Mircrosoft
Berater Martin hält den Microsoft-Ansatz für weit entwickelt und technisch sehr gut. „Allerdings macht Microsoft noch zu wenig Werbung für die Business-Integration. Es fehlt deswegen beispielsweise noch immer ein Markenname dafür“, sagt Martin. Allerdings könnte Microsoft durch Open Source in Bedrängnis geraten. Denn Anbieter wie IBM und Oracle setzen auf Open Source, während Microsoft-Produkte bevorzugt auf .NET laufen. Und Anwender bevorzugen inzwischen eindeutig Open Source, um unabhängiger und flexibler zu werden.
HP hat das Problem, keine Applikation anzubieten. Deshalb versucht das Unternehmen, über Beratung für die SOA-Integration bei Anwendern einzusteigen. Wenn sie bei der Architektur beraten, kommen sie später auch leichter an Nachfolgegeschäfte bei der Auswahl von Applikationen und eigenen Produkten, so der Plan.
Trotz aller offenen Baustellen bei den Anbietern bedeutet SOA für Spies nicht weniger als die dritte große Architekturwelle in der IT-Industrie nach Mainframe und Client/Server. Allerdings steht SOA erst am Anfang, Anbieter müssen ihre Botschaft noch jahrelang wiederholen und auf einfache Formeln bringen. Die Botschaft sollte allerdings auch nicht zu einfach ausfallen, weil sie sonst unglaubwürdig wird.