SaaS setzt sich durch

Software am laufenden Band

02.10.2007 von Christoph Lixenfeld
Software als Service zu nutzen, statt sie auf den eigenen Rechnern zu installieren, bietet für den Anwender unzählige Vorteile. Deshalb wird die Idee in den kommenden Jahren den gesamten IT-Markt umkrempeln.

Salesforce-Gründer Marc Benioff ist kein Freund vornehmer Zurückhaltung. "Welche Innovationen kommen denn von SAP?", schimpfte er jüngst. "Es ist doch unglaublich, wie wenig sie getan haben. Ich hätte Angst an ihrer Stelle."

Angst ist vielleicht übertrieben, aber nervös sind sie in der Tat geworden in den zurückliegenden Wochen, die SAPs, Microsofts und Siebels dieser Welt. Grund ist eine Idee, für die der CRM-Spezialist Salesforce.com am lautesten trommelt, hinter der sich aber mittlerweile viele andere versammelt haben: SaaS. Das Kürzel steht für Software-as-a Service, und wer schon mal ein Buch bei Amazon gekauft hat, weiß, wie die Sache funktioniert: Der Kunde bedient über den Browser eine (Bestell-)Software, ohne dass er dazu irgendwas auf seinem Rechner einstellen oder installieren muss.

Solche One-to-many-Lösungen - eine Anwendung für viele Benutzer - gibt es also schon lange, neu ist aber, sie für Unternehmens-Software etwa zum Kunden-Management zu verwenden.

Setzt sich die Idee auf breiter Front durch, dürfte sie eine Schneise der Verwüstung durch die IT-Branche schlagen. Wer kauft noch Softwarelizenzen, wenn er eine vergleichbare Anwendung für viel weniger Geld mieten kann? Wer braucht noch SAP-Berater, wenn er gar keine eigene Anwendungslandschaft mehr hat, sondern alles aus der Leitung bezieht? Was macht der weit verzweigte Partnervertrieb, wenn immer mehr Unternehmen auf Maß-Anwendungen verzichten und stattdessen One-fits-all kaufen? Wie reagiert Microsoft, wenn es völlig aus der Mode kommt, Software herunterzuladen oder aus irgendeinem Karton zu ziehen, um sie selbst zu installieren? Klar, Supertanker gehen so schnell nicht unter, aber die Kapitäne werden sich fragen müssen, ob sie noch in der richtigen Richtung unterwegs sind.

Salesforce.com hat nach eigenen Angaben weltweit bereits 30 000 Kunden; Gartner prophezeit SaaS bis 2011 einen Marktanteil von 25 Prozent, und Alexander Kubsch vom Marktforschungsinstitut TechConsult sagt: "SaaS wird sich als künftiges Liefermodell durchsetzen. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie schnell."

Die vom Lizenzverkauf Abhängigen reagieren sehr unterschiedlich auf die Herausforderung. John Thomson, Chef des US-Sicherheitsexperten Symantec, kündigte Ende März an, sein Unternehmen wolle Anti-Spam- und Backup-Lösungen als Services anbieten. Gleichzeitig räumte er ein, dass für Symantec damit kurzfristig schmerzhafte Einschnitte verbunden sein könnten.

Bei Microsoft will man von derlei Szenarien noch nichts wissen und verlegt sich lieber darauf, das Problem kleinzureden. "Aus unserer Sicht ist das eine Form des Application Hosting. Mit unserem Partner-Hosting-Modell bieten wir unseren Kunden das schon seit geraumer Zeit an", sagt Werner Leibrandt, Direktor Mittelstand bei Microsoft Deutschland. "Dabei entwickeln und betreiben unsere Partner individuelle CRM-Lösungen für unsere gemeinsamen Kunden."

SAP wirkt hilflos

Definition: SaaS ist nicht ASP.

Dummerweise nur ist das etwas ganz anderes als SaaS (siehe Kasten), und das werden auch die Kunden sehr schnell begreifen. Gefährlich, findet Werner Leibrandt, können SaaS-Lösungen zum Beispiel von Google seinem Arbeitgeber auch deshalb kaum werden, "weil sie nicht Microsofts Look-and-Feel bieten können".

Noch hilfloser wirkt bei dem Thema SAP. Unter dem Projektnamen A1S hat das Unternehmen eine "echte" SaaS-Lösung angekündigt, die sich am Geschäftsmodell von Salesforce.com orientieren soll. Der Starttermin wurde mehrfach verschoben, aktuell spricht SAP von Anfang 2008. Dass die Sache ein Erfolg wird, daran hegt Helmut Gümbel, IT-Analyst bei Strategy Partners, erhebliche Zweifel: "Technisch ist das Ganze nicht von Grund auf als SaaS-Lösung konzipiert. Und man kann eine Karosserie noch so stromlinienförmig bauen: Wenn der Motor nicht für Rennen entwickelt wurde, dann wird es schwierig."

SAP dagegen ist überzeugt, mit dem neuen Boliden siegen zu können. Eine neue Abteilung und Investitionen von 400 Millionen Euro sollen den Walldorfern schon 2010 zu einem Umsatz von einer Milliarde Euro im SaaS-Segment verhelfen.

Zielgruppe sind Unternehmen, die Geschäftssoftware von der Stange zu möglichst günstigen Preisen wollen. A1S wird im Vergleich zu größeren SAP-Anwendungen weniger Funktionalität bieten, dafür aber günstig und schnell einsetzbar sein. Das Paket wird Basisfunktionen aus den Bereichen ERP, Supply Chain und CRM abdecken.

Die SAP-Verantwortlichen glauben also an die Software-als-Service-Idee. Und was sie noch glauben, ist, dass sie sich mit A1S keinesfalls selber Kunden wegnehmen werden. "Wir wenden uns ausschließlich an Mittelständler mit 100 bis 1000 Mitarbeitern, die bisher noch gar keine umfangreiche ERP-Suite einsetzen und folglich auch noch nicht unseren Kunden sind", so Peter Graf, Executive Vice President Solution Marketing bei SAP Deutschland.

Auswahl von SaaS-Anbietern.

Erst mieten, dann selbst betreiben

Darüber hinaus bietet das Unternehmen mit "On-Demand-CRM" einen Zwitter aus gehosteter und beim Kunden installierter Software an. Ziel ist es, eine zunächst gemietete Lösung später selber zu betreiben. Peter Graf: "Viele Firmen wollen sich in puncto CRM von anderen unterscheiden, und das geht nur, wenn sie ihre Lösung mittelfristig individuell verändern und anpassen können. Eine Zeit lang mag die gemietete Einheitslösung in Ordnung sein, aber sie ist auch wie ein Korsett. Und irgendwann ist der Tanzabend zu Ende, und dann will ich das Korsett auch wieder ausziehen können." Der Erfolg der Service-Lösungen legt allerdings die Vermutung nahe, dass sich mancher Kunde durch etwas ganz anderes eingeengt fühlt: durch die vielen Server im Keller, die Jahr für Jahr angstvoll dem nächsten Update entgegenzittern.

"Mit SAP-Software wurden für viele Kunden eckige Ostereier implementiert", so Helmut Gümbel von Strategy Partners, "und bei jedem Release-Wechsel werden die Ecken wieder neu in die Software reingebügelt."

Alexander Gassmann, bei der Software AG für die weltweite Vertriebskoordination und die Aus- und Weiterbildung zuständig, ist solcher Aufwand völlig fremd. "Wir haben", so Gassmann, "null Release-Trauma." Bei der Software AG nutzen 600 Mitarbeiter ein CRMSystem von Salesforce.com. Updates gibt es zweimal im Jahr. "Dann bekommt der Admin eine Liste mit den neuen Funktionen, und wir können entscheiden, was wir davon nutzen wollen und was nicht", so Gassmann.

SaaS erfordert hohe Disziplin

Auch größere Veränderungen sind in kürzester Zeit realisiert: Das Aufsetzen eines zusätzlichen Vertriebsmoduls dauerte ganze zwei Tage. "Davon können die bei Siebel nur träumen." Die CRM-Lösung lasse sich leicht verändern und individuell anpassen, aber Gassmann rät dabei zu hoher Disziplin: "Sonst würden wir uns genau die Komplexität aufhalsen, die wir nicht wollen."

Ausgefallen ist das System in mehr als drei Jahren genau einmal für einen Tag. Und die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passiert, ist bei Web-basiertem Software-Service generell geringer als etwa beim Partner- Hosting. One-to-many heißt nämlich auch: Hat ein Kunde Probleme, haben die anderen auch eins. Deshalb wird schon der Druck der Massen den Anbieter zwingen, so wenig Downtime wie möglich zu haben.

Der geringere Aufwand für Einrichtung und Betrieb einer SaaS-Lösung drückt natürlich die Kosten, im Einzelfall kann Mietsoftware um 60 Prozent billiger sein als lokal installierte. Heißt das, dass der Siegeszug von SaaS nicht aufzuhalten ist? Helmut Gümbel von Strategy Partners ist sich da nicht so sicher: "Das größte Hindernis werden die Menschen sein. Was macht denn ein IT-Manager, der keine eigenen Anwendungen und kein Rechenzentrum mehr hat?"