Das Verlagswesen ist eine der Branchen, deren Geschäftsmodell durch den digitalen Wandel am heftigsten beeinflusst und verändert werden. Die Digitalisierung beeinflusst mittlerweile nicht nur die Unterstützungsprozesse wie beispielsweise die Kundenbetreuung, sondern vor allem das eigentliche Kerngeschäft.
Die Herausforderung ist, Inhalte digital erfolgreich zu monetarisieren, obwohl er bisher oft kostenlos in Form von Webseiten und Apps zur Verfügung stand. Online-Werbung ist gerade im Internet der wesentliche Umsatzhebel.
Die Axel Springer SE ist der führende digitale Verlag in Europa, zu dem mehr als 180 Unternehmen aus den Bereichen Bezahl-, Vermarktungs- und Rubrikenangebote gehören. Ein Start-Up-Accelerator wurde gegründet, ein Büro im Herzen der Technologieinnovation - im Silicon Valley - wurde im Frühjahr 2014 eröffnet.
Die bimodale IT-Welt
In diesem Transformationsprozess sollen nun zwei Enterprise-Architekten die IT-Welt strukturieren sowie für Synergien zwischen den Marken sorgen und die IT-übergreifend beherrschbar machen.
Die traditionelle IT
Auf der einen Seite stehen herkömmliche IT-Systeme, für die klassische Ziele wie Stabilität, Compliance-Konformität, Konsolidierung und Standardisierung prioritär sind.
Beispiele: Financial Management und Sales-Systeme. Sie werden in Zyklen von ein bis zwei Jahren weiterentwickelt. In der Regel wird in diese Systeme nicht investiert. Bei jedem Versionswechsel wird betrachtet, ob z.B. eine Konsolidierung sinnvoll ist und die Effizienz erhöhen kann.
Die agile, schnelle IT
Für die neuen Geschäftsmodelle stehen jedoch Flexibilität und Geschwindigkeit im Vordergrund. Für eine Vielzahl von mobilen Apps werden neue Technologien und agile Methoden verwendet, um schnellere Releasezyklen zu ermöglichen. Dennoch werden Funktionalitäten aus den Commodity-Systemen benötigt.
Die agile Entwicklung ist der neue Hype. Es gilt, Produkte, oder besser gesagt, halb-fertige Produkte, sogenannte MVPs (Minimum Viable Products) sehr schnell auf den Markt zu bringen. Weil der Produkterfolg oft nicht vorhersehbar ist, folgt die agile Entwicklung der Philosophie, die Benutzer mit dem Produkt schnellstmöglich zu konfrontieren, um die weitere Entwicklung entsprechend anzupassen oder einzustellen.
Bei der agilen Entwicklung kommen somit neue Technologien zum Einsatz, die oft nicht zur bestehenden IT-Landschaft passen, weil sie zum Beispiel zu wachsender Komplexität beitragen. Gleichzeitig liegt ihr Wert in der Schnelligkeit, mit der Produkte auf den Markt gebracht werden können.
Die Rolle der Architekten besteht heute deswegen darin, beide Welten zu vereinbaren und das Architekturmanagement differenziert zu betrachten.
Die IT bei Axel Springer ist deswegen für den herkömmlichen Betrieb und die Betreuung der Commodity-Systeme wie auch die agile Entwicklung verantwortlich. Ein Teil der Produktentwicklung ist ergänzend organisatorisch bei den Marken verankert. Die Architekten agieren in beiden Welten.
5 Zutaten für erfolgreiches Architekturmanagement in der bimodalen IT-Welt
Noch vor einigen Jahren wären die Antworten auf die Frage nach erfolgreichem Architekturmanagement sicherlich Schlagwörter gewesen wie "TOGAF" (The Open Group Architecture Framework), Mandat des Vorstands und ein mächtiges Architekturwerkzeug, in dem die Ist-Aufnahme, Roadmap-Planung, Projektportfoliomanagement, umfangreiches Reporting und Status-Tracking für die Dokumentation möglich sind.
Wir glauben jedoch, dass für die heutigen Herausforderungen und den Erfolg des Architekturmanagements andere Aspekte entscheidend sind:
1. Architekturmanagement-Ansatz
Differenzierter Architekturmanagement-Ansatz für die Commodity-Welt und die innovative Welt, um den Produktbereichen die notwendige Freiheit zu geben. Axel-Springer-Architekten nutzten die Gartner Paced Layered Application Strategy als Basis für die Differenzierung des Applikationsportfolios.
Unsere Architekturstrategie unterscheidet drei IT-Systeme: 1. "Systems of records", also die oben beschriebenen Commodity-Systeme; 2. "Systems of transformation", Plattformen und Integrationsarchitektur, die sicherstellen, dass die Daten aus den Commodity-Systemen zentral zur Verfügung stehen und flexibel durch neue Produkte und Apps genutzt werden können, ohne einzelne Schnittstellen in die Commodity-Systeme bauen zu müssen; 3. "Systems of Innovation", also neue digitale Angebote (Websites, Apps, etc.).
Diese Strategie legt fest, wie viel Steuerung die Architekten einsetzen: in den Commodity-Systemen viel Governance und stärkere Regeln; in den "systems of innovation" mehr Flexibilität.
Sie bestimmt aber auch, wie Investitionsentscheidungen getroffen werden: Der Investitionsfokus liegt auf den "systems of innovation".
Und die Strategie legt letztlich fest, mit welcher Methodik die Projekte durchgeführt werden: Bei den "systems of records" erfolgt die Entwicklung oder Weiterentwicklung eher als Wasserfall; bei den beiden anderen Systemen eher agil.
2. Architekten in Hot-Spot-Projekten
Zusätzlicher direkter Einsatz der Architekten in Hot-Spot-Projekten. Klassische Architekturmanagement-Funktionen werden dem untergeordnet. So wird sichergestellt, dass aktuelle wichtige Projekte auch entlang der strategischen Sicht ausgerichtet werden.
Das Architekturmanagement wird regelmäßig mit zwei Vorwürfen konfrontiert. Die Einführung findet erstens entweder im Backoffice/Elfenbeinturm ohne Praxisbezug statt, was zu schlechter Akzeptanz im Unternehmen führt. Zweitens: Die Einführung findet in einem Projekt statt, das nicht wichtig oder kritisch genug ist, um die Vorteile des Architekturmanagements sichtbar zu machen.
Deshalb unterstützen die Architekten von Axel Springer strategisch wichtige Projekte: Plattform-Entwicklung, strategische Produktentwicklung, große Systemkonsolidierungen. So werden die Vorteile des Architekturmanagements deutlich.
3. Tool zur Dokumentation der Unternehmensarchitektur
Leichtgewichtiges Tool zur Dokumentation der Unternehmensarchitektur. Für Axel Springer war es wichtig, dass ein EAM-Tool einen Mehrwert und keine Mehrarbeit liefert. Einfache Bedienung, Verfügbarkeit aus der Cloud und "out-of-the-box"-Funktionalitäten, wie die Integration in "collaboration platforms" sind heute für viele Anwendungen eine Selbstverständlichkeit. Da dies im Unternehmen auch im Architektur-Bereich sichergestellt werden soll, erfolgte die Entscheidung für leanIX.
Bei der Dokumentation des Architekturmanagements setzt Axel Springer auf Pragmatismus. Ein Werkzeug zur Dokumentation der Architektur war unabdingbar, aber um Dokumentationsprozesse nachhaltig einzuführen, wurde ein möglichst einfaches, intuitiv zu bedienendes Tool aus der Cloud mit gutem Design gewählt, das dennoch das typische Architektur-Metamodell abbildet.
Auch die Dokumentationsprozesse sind so effektiv wie simpel: Die Projektleiter sind verpflichtet, bei jedem Projektantrag die Architekturdokumentation zu aktualisieren. Sonst wird das Projekt nicht freigegeben.
4. Transformationsschicht zwischen Commodity- und Produktwelt
Zentrale Plattformen bilden bei Axel Springer eine Transformationsschicht zwischen Commodity- und Produktwelt. Sie flexibilisieren und schützen die herkömmlichen IT-Systeme und stellen die Daten aus diversen Systemen für die Endkunden-Apps zentral zur Verfügung.
Bis 2013 fand die Entwicklung im Wesentlichen bei externen Dienstleistern statt. Das Manko: Die Vielzahl entwickelter Komponenten von unterschiedlichen Dienstleistern ließen sich nur schwer in die IT-Landschaft integrieren und intern fehlte das Know-How zu Systemen und deren Abhängigkeiten untereinander.
Bei Axel Springer kümmert sich seither deswegen eine interne Abteilung um die Entwicklung von zwei zentralen Plattformen: Erstens einer "Premium Content Plattform", die die Abwicklung der digitalen Abos leistet und somit eine Verbindung zwischen der SAP-Welt ("systems of records") und den Online-Shops ("systems of innovation") herstellt. Zweitens wurde auch die "Unified Content Plattform" aufgebaut, die Inhalte aus den wesentlichen Content Management Systemen des Verlags standardisiert und den neuen digitalen Angeboten zentral zur Verfügung stellt.
Ein Beispiel für diese Plattformen ist die zentrale Payment-Plattform. Sie wurde geschaffen, um jenseits des zentralen Auftrags- und Rechnungslegungssystems SAP, digitale Angebote besser verfügbar, flexibel anpassbar und bedarfsgerechter auf den Markt bringen zu können. Dies reduziert aufwendige Anpassungen im SAP-System und führt zu schnelleren Umsetzungen der Anforderungen aus den Fachbereichen. Das Ziel der Plattform ist es, die alten führenden Systeme von den neuen Produkten zu entkoppeln. Gleichzeitig blieb das stable Commodity-System für die Auftragsanlage, Rechnungslegung und Abrechnung bestehen und sichert den Datenfluss in die weiterführenden Backend-Prozesse.
5. Technologie-Innovation treibt die Digitalisierung
Wir verstehen, dass Technologie-Innovationen Treiber der Digitalisierung sind. Wir setzen Konzepte um, die für die Bottom-Up-Innovation sorgen (eine interne Crowd-Funding-Plattform) und nutzen das Potenzial aus dem Silicon Valley, indem wir dort Technologie-Scouting durchführen und uns technologisch inspirieren lassen.
Die Crowd-Funding-Plattform dient dazu, interne Innovationen zu realisieren. Auf die Mitarbeiter wird ein Teil des IT-Innovationsbudgets verteilt. Die Kollegen reichen Ideen ein, die sich auf interne Prozessverbesserungen oder Produkte und Plattformen beziehen. Die Mitarbeiter entschieden, welche Projekte umgesetzt werden.
Technologie-Scouting wird außerdem von "Axel Springer Digital Ventures" im Silicon Valley betrieben. Von dort kommen Impulse und Technologien, die die Realisierung innovativer Content-Produkte ermöglichen. Außerdem arbeitet die zentrale IT mit allen Entwicklungsteams an neuen Produktkonzepten zusammen.
Zusammenfassung
Ziel der Architektur für die Bimodal-IT ist es, Freiraum für technologische Innovationen zu gewährleisten. Die Produkt-IT, in der die meisten Technologie- und Produktinnovationen entstehen, braucht den "Inkubationsraum" und die Freiheit für neue Entwicklungen. Lange Technologieauswahlprozesse, Architekturprüfungen und der Zwang, vorhandene Legacy-Technologien einzusetzen, sind hier fehl am Platz. Direkte Abhängigkeiten von der Legacy-Welt sollten vermieden werden, schneller sein zu können.
Um Abhängigkeiten zu vermeiden und für innovative Entwicklungen ein hohes Tempo zu gewährleisten, wurde eine "Zwischenschicht" zwischen der Legacy-Welt und der agilen, innovativen Produktwelt aufgebaut. Hier spielen zentrale Plattformen eine Rolle. Sie ermöglichen es, auf Daten aus den Commodity-Systemen zuzugreifen, ohne diese Systeme verändern zu müssen. Dies birgt den Vorteil, bei Innovationen nicht immer sofort die Legacy-Welt mit anpassen zu müssen.