Eigentlich war er für den gestrigen Donnerstag angekündigt, doch in München konnte sich sein Flieger nicht loseisen. Dafür hat es am heutigen Freitag geklappt: Peer Steinbrück kam zu den Hamburger IT-Strategietagen. Der Volkswirt und vormalige Bundesfinanzminister sprach über Innovation und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert.
Er sei zwar digital Migrant, aber local Native, Hamburger in der vierten Generation also, stellte Steinbrück gleich einmal klar. Von dieser Standortbestimmung aus schlug er den Bogen zum gesellschaftspolitischen Bezug der IT. Dieser umfasse fünf Bereiche: Klimaschutz (Stichwort Smart Grid), Verkehrsaufkommen (Telematik), medizintechnische Fortschritte, Bildung und Administration (langsame Prozesse bei Bund, Ländern und Kommunen können beschleunigt werden).
Steinbrück ging dann auf die Bedeutung der IT bei der Finanzmarktkrise ein. Hier spiele die Technik eine erhebliche Rolle. „Da entstehen virtuelle Welten, die sich politischer Kontrolle entziehen“, sagte er. Politik reagiere immer mit Verzug. „Neue Oligopole tun sich auf – Google oder Apple – die Menschen überwachen und gegebenenfalls auch kontrollieren und die in keiner Weise demokratisch legitimiert sind“, so Steinbrück.
Dass die IT „Raum und Zeit aushebelt“, habe er an den sogenannten regulatorischen Wochenenden während des Krisenmanagements bemerkt. Warum fanden diese Treffen nie an einem Dienstag oder Mittwoch statt, sondern eben am Wochenende? „Weil da die Märkte geschlossen sind“, erklärte er. Entscheidungen konnten bis Sonntag, 23 Uhr MEZ getroffen und die Infos in Sekundenschnelle von einem Teil der Welt in den anderen geschickt werden. „Das ist vorher so nie vorstellbar gewesen“, so Steinbrück. Dass die Krise ganze Nationalstaaten betroffen hat, zunächst Island und jetzt Griechenland, habe mit Vernetzung zu tun.
Was dann folgte, war ein klares Bekenntnis zum Thema Compliance: „Wenn ich nicht hier bin und Sie zwei Gläser Wein getrunken haben, weiß ich sowieso, wie Sie über Politik reden“, rief er in den Raum und erntete Gelächter. Der vormalige Bundesfinanzminister setzte nach: „Ihre Körpersprache gibt mir recht!“ Noch mehr Gelächter.
"Sie brauchen einen Regel-setzenden Staat"
Dann wurde der Politiker ernst. Über Regularien sei in Deutschland eine „unfruchtbare Debatte“ entstanden, sagte er. Und fügte an: „Sie brauchen einen Regel-setzenden Staat, der den Markt so organisiert, dass seine autoaggressiven Elemente nicht zum Tragen kommen!“ Dieser könne den Unternehmen auch Oligopole vom Hals halten. In Deutschland werde das „immer gleich so staatstragend diskutiert, dass Pragmatismus gelegentlich unmöglich gemacht wird.“
Schließlich wagte der Politiker – Stichwort demografischer Wandel – einen Blick auf die Menschheitsgeschichte. Bisher habe gegolten, dass Ältere Wissen an Jüngere weitergeben. Heute ist das „verkehrt rum“, so Steinbrück. Die jüngere Generation ist versierter in der Informationstechnologie als die eigenen Eltern und Großeltern. „Ich weiß, wovon ich rede“, seufzte er. Zustimmendes Gelächter im Saal.
Steinbrück illustrierte das an einem Beispiel. Er habe eine Software, die ihm beibringen sollte, wie man beim Schach bescheißt. Er begann also sein Spiel. „Dann musste ich kurz aufs Klo und als ich wiederkam, war ein Turm weg“, erzählte er. Vom 25-jährigen Sohn musste er sich sagen lassen, das gebe es nicht. Da sei „nichts weg“. Steinbrück war verblüfft, wie sein Sohn – in diesem Punkt erfahrener als er – mit der Technologie umgeht.
Die demografische Entwicklung habe weitgreifende Konsequenzen für Konsum von Technologie-Produkten, so der Politiker weiter. Ab 75 wollten die Leute Handys und Fernbedienungen mit fünf Funktionen – nicht 250. Dann dehnte er den Blick aus auf eine wirtschaftliche Prognose: Wachstum hänge stark von Entwicklung in Nicht-OECD-Ländern ab. Die chinesischen IKT-Exporte waren 2007 so hoch wie das gesamte Exportvolumen von Eurozone und USA. Aber: „Die IKT-Branche in OECD-Ländern gibt nach wie vor Geld für Forschung und Entwicklung aus und zwar etwa dreimal so viel wie die Pharma-Industrie“, so Steinbrück.
Steinbrück: Der Euro ist eine stabile Währung
Dennoch: Der Euro sei eine stabile Währung. Er glaube an den Außenwert des Euro, so der vormalige Bundesfinanzminister. Schließlich wolle er seinen Vortrag ja – trotz obligatorischer Spitzen gegen Schwarz-Gelb – nicht mit zu viel Skepsis beenden. Trotz verlorener Schach- und Machtspiele.